Am nächsten Morgen fühlte ich mich nach einem Schlaf, an dessen Träume ich mich gnädigerweise nicht erinnerte, schon deutlich erholter. Es beruhigte mich sehr, dass ich selbst mit klarem Kopf kein bisschen bereute, was ich zwei Tage zuvor getan hatte.
Es war vollkommen richtig, dass es so nicht weitergehen konnte. In meinem Leben gab es zu wenige Dinge, die ich mochte, und zu viele Menschen, die mir nicht guttaten. Ich brauchte dringend einen Plan für meine weitere Zukunft.
Nach dem Frühstück schnappte ich mir einen großen Schreibblock und einen Stift und setzte mich an den Tisch vor dem Fenster, um meine Lage zu analysieren und darüber nachzudenken, was ich wirklich tun wollte.
Draußen hatte es angefangen zu schneien, wodurch die Spitzen der Büsche und Bäume sich nach und nach weiß färbten. Eine friedvolle Stille legte sich über die ganze Szenerie, die sich auch auf meine Stimmung übertrug.
Mein Job war, obwohl er mit Kunst zu tun hatte, völlig unkreativ. Ich ermöglichte es anderen, das Ergebnis ihrer Kreativität zu verkaufen. Demnach war ich nichts weiter als eine Verkäuferin mit kulturellem Anstrich. Genauso gut hätte ich Teppiche verkaufen können oder Großgebinde an Ölsardinen.
Wo war mein anfängliches Brennen für die Kunst geblieben? Meine Begeisterung für immer neue Ideen und künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten? Ich sah einfach keinen Sinn mehr in meiner Arbeit.
Wann hatte ich zum letzten Mal bei einem Kunstwerk gespürt, dass es mir etwas bedeutete, und nicht nur daran gedacht, ob es sich gut verkaufen ließ?
Doch nun konnte ich nicht ohne Weiteres in mein altes Kunstleben zurück. Konstanze hatte ich, ohne groß zu überlegen, angekündigt, dass ich mir ein Jahr freinehmen wollte. Und ich war wild entschlossen, dieses Jahr sinnvoll zu nutzen.
Mein Herz begann freudig zu klopfen, als ich mir diese Auszeit ausmalte. Sofort fielen mir einige Dinge ein, die ich immer schon gewollt, aber nie in die Tat umgesetzt hatte, und ich erstellte eine Liste.
Selbst kreativ sein und beispielsweise ein Malseminar besuchen, anstatt nur die künstlerischen Fähigkeiten anderer zu fördern.
Einen Hund aus dem Tierheim holen (retten!) und zu einem glücklichen Lebewesen erziehen.
Mich mehr um meine Mutter in der Seniorenresidenz kümmern. Sie würde sich sehr darüber freuen, denn sie beklagte sich immer, dass ich zu wenig Zeit für sie habe.
Endlich richtig gut Spanisch lernen. (In einem spanischsprachigen Land?)
Neue Menschen kennenlernen, die mich nur als Freundin sehen und nicht als Steigbügelhalter für ihre Karriere.
Eine fernöstliche Entspannungslehre für mich entdecken.
Und: Ich werde alles an meinem Haus entfernen, was protzig und großspurig ist.
Zufrieden lehnte ich mich zurück und betrachtete meine Liste. Es würde eine großartige Zeit werden!
In diesem Moment klingelte mein Handy. Noch ehe ich registriert hatte, dass der Name Esposito auf dem Display stand, hatte ich reflexartig das Gespräch angenommen.
»Hallo Franz!« Ich wusste, dass es ihn maßlos ärgerte, wenn man ihn mit seinem wahren Namen ansprach, den er als bieder und provinziell empfand. »Was kann ich für dich tun?«
»Was du für mich tun kannst? Du bist gut! Du kannst mir zehntausend Euro überweisen für das Objekt, das du mutwillig zerstört hast! Was sollte das Ganze überhaupt?«
Ich konnte mir ein höhnisches Lachen nicht verkneifen. »Zehntausend Euro? Wir haben die Krake in der Galerie doch nur für fünftausend angeboten. Und davon hätten dreißg Prozent mir gehört. Ich meine, das bisschen Plastik, das kann man doch wieder zusammenkleben.«
»Nun, deine kleine Aktion vorgestern hat meinen Marktwert noch mal kräftig gesteigert. Eigentlich müsste ich dir ja fast dankbar sein. Aber das mit dem Champagner hättest du dir sparen können. Mein teurer Anzug war komplett ruiniert. Ganz abgesehen von den Schmerzen vom Aufprall auf dem Boden.«
Fast glaubte ich, ihn schluchzen zu hören. Ich war schon kurz davor, Mitleid mit ihm zu empfinden, da fuhr er fort: »Außerdem bin ich gerade bei meinem Galeristen in New York.«
Es ging ihm wie immer nur um Geld.
»Schick mir für alles eine Rechnung, meine Assistentin kümmert sich dann darum«, antwortete ich kraftlos. Kaum hatte ich einen Künstler am Telefon, fühlte ich mich schon wieder vollkommen meiner Energie beraubt. Ich musste aufpassen, dass er mir nicht den ganzen Schwung für die Planung meiner Auszeit nahm.
Esposito stutzte kurz, fand dann aber schnell wieder zu seiner alten Form zurück. »So einfach stellst du dir das also vor? Eine Entschuldigung hätte ich schon erwartet, nach all den Jahren, in denen wir so freundschaftlich zusammengearbeitet haben.«
Beleidigt war er also auch noch. Ich musste aufpassen, dass ich nicht laut losprustete. Freundschaftlich war die Zusammenarbeit ja wohl nur für ihn gewesen.
»Entschuldigung«, presste ich lapidar hervor.
»Das war ja klar, dass du nicht in der Lage … was?« Esposito hielt irritiert inne. Es brachte ihn völlig aus dem Konzept, dass ich einfach alles zugab.
»Ich sagte: Entschuldigung«, wiederholte ich gelassen. »Und jetzt muss ich auflegen, ich muss noch einen wirklich wichtigen Anruf tätigen.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, beendete ich das Gespräch. Ich hatte eine Idee, die ich sofort in die Tat umsetzen wollte. Daher wählte ich gleich darauf die Nummer meiner Assistentin.
»Frau van den Broek? Kann ich was für Sie tun?«, flötete es am anderen Ende.
»Schon gut, Konstanze, wie viel ist vorgestern Abend noch verkauft worden?«
»Nichts, es waren ja alle … etwas geschockt. Aber es gab heute Morgen schon eine Menge Anfragen.«
»Das ist gut! Nehmen Sie sofort alle Preisschilder ab, und kleben Sie Schildchen mit dem doppelten Wert neben die Kraken. Und an das Corpus Delicti den dreifachen. Danke, bis später!«
Ich legte auf, ohne ihre Antwort abzuwarten. Auf diese Art hatte ich das Problem von Espositos Schadensersatzforderungen auf elegante Weise gelöst. Mit ihm würde ich natürlich nur den ursprünglich vereinbarten Preis abrechnen.
Meine Laune stieg sofort. Warum war ich früher bloß immer so nett gewesen? Es machte doch deutlich mehr Spaß, Schmarotzer wie Esposito am eigenen Nasenring durch ihre selbst errichtete Arena zu führen.
Um mich vor weiteren unliebsamen Anrufen zu verschonen, machte ich mein Handy aus und widmete mich zufrieden der Vollendung meiner Jahresplanung.
In der Galerie hatte ich mich stets nach freier Natur und frischer Luft gesehnt. Als ich einmal nach der Hängung einer Ausstellung Atemprobleme bekam, forschte ich nach, welche Materialien Künstler eigentlich für ihre Werke verwenden, und stieß dabei auf eine erschreckende Auswahl. Von Lacken und Lösungsmitteln über Blei, Kadmium und Quecksilber bis hin zu Fiberglas und Polyester benutzen sie alles, was teuer und giftig ist. Eigentlich müsste manche Kunst als Sondermüll entsorgt werden, wenn sie nicht in Museen hinge. Der frühe Tod mancher Künstler lässt sich wohl ebenfalls auf diese Gifte zurückführen, auch wenn die Rezeption diesen wider besseres Wissen als Zeichen ihrer früh verlöschenden Genialität oder ihres wilden Lebensstils missdeutet.
Der französische Maler und Bildhauer Yves Klein ist zum Beispiel bereits mit vierunddreißig Jahren gestorben, vermutlich, weil er seinem berühmten monochromen Ultramarinblau ein giftiges Bindemittel beifügte und mit den bloßen Händen in dieser Mischung rührte.
Sigmar Polke experimentierte nicht nur mit verbotenen Farben, sondern auch mit radioaktiven Partikeln und fabulierte ganz rücksichtslos von Familien, denen die Haare ausfielen, wenn sie im Museum vor seinen Bildern standen.
Die Malerin und Bildhauerin Eva Hesse starb ebenfalls jung, wozu wohl auch ihr unbedachter Umgang mit hochgiftigen Materialien beigetragen hat.
Sicherlich hatte ich in meiner Galerie jahrelang eine schädliche Mixtur aus verschiedenen ungesunden Stoffen eingeatmet. Ich setzte also einen Entgiftungsmonat auf einem Bauernhof, möglichst hoch oben in den Bergen, wo die Luft klar und rein ist, auf meinen Plan. Als krönenden Abschluss meiner Auszeit würde ich mir zur ganzheitlichen Reinigung noch einen Aufenthalt in einem Ayurveda-Resort in Indien oder Sri Lanka gönnen, bevor ich mich dann wieder mit klarem Geist und frischem Körper neuen Substanzen und vor allem auch Begegnungen aussetzen konnte.
Ich lehnte mich zurück und blickte zufrieden auf meine Liste. Bewusst hatte ich Raum gelassen für ungeplante Entwicklungen, denn auch Spontaneität gehörte nicht gerade zu meinen Kernkompetenzen. Meine Zeit war durchgetaktet, und nur selten wich ich von einmal vereinbarten Terminen ab. Dadurch hatte ich mir ein starres Zeitkorsett geschaffen, das keinen Raum für spontane Ideen, Nachdenklichkeit oder Zweifel ließ. Kein Wunder, dass ich aus diesen Fesseln regelrecht ausbrechen musste.
Ich stand auf und ging zur Terrassentür, um die frische Winterluft hereinzulassen. Es hatte aufgehört zu schneien, doch die feine Schneedecke war diesmal liegen geblieben und glitzerte in der Sonne. Ich atmete tief ein und wieder aus.
Leider war es nicht zu leugnen, dass es bei meinen Planungen einen klitzekleinen, aber recht entscheidenden Haken gab. All meine Vorhaben würden Geld kosten. Zudem musste ich die Miete für die Galerie und die Seniorenresidenz meiner Mutter weiterbezahlen, auf dem Haus lasteten immer noch Kredite, mein Sohn studierte (oder tat das, was er dafür hielt), und letzten Endes waren auch mein Lebensunterhalt sowie die geplanten Reisen, Kurse und Hotels zu finanzieren. Selbst die Anschaffung eines Hundes kostete Geld.
Ich überschlug grob die Summe, bei der ich einberechnete, dass ich weiter Einnahmen durch die Galerie haben würde, wenn Konstanze es nicht vermasselte, und kam auf etwa fünfundvierzigtausend Euro, die ich mindestens aufbringen musste, um damit in einem Jahr halbwegs über die Runden zu kommen. Das war eine Menge Geld.
Aus diesem Grund planten andere Leute ihre Auszeit mit einem Vorlauf von mindestens einem Jahr und legten sich vorab genügend Reserven beiseite. Ich hingegen war den deutlich heikleren Weg gegangen, indem ich mir erst freigenommen hatte und dann sehen musste, wie ich mein Sabbatical finanzierte.
Daher würde ich nicht umhinkommen, ein Gespräch mit meiner Bank zu führen, was aber sicherlich kein Problem darstellte. Denn zum einen genoss ich bei meiner Hausbank einen sehr guten Ruf, und zum anderen hatte ich ja immer noch das Haus als Sicherheit.
Ich stellte das Handy wieder an und telefonierte gleich mit meinem Bankberater, Herrn Andresen. Dieser hatte mich schon mehrfach gut beraten und würde es sicherlich auch dieses Mal wieder tun. Tatsächlich konnte ich schon eine Stunde später zu ihm kommen. Das hob meine Laune beträchtlich, da es mich meinem Ziel schneller näher bringen würde. Ich ging beschwingt nach oben zu meinem Kleiderschrank, um die passende Garderobe für das Gespräch auszuwählen.
Um überzeugend zu wirken, wollte ich nicht wie eine graue Maus auftreten. Die Farben mussten Macht und Seriosität zugleich ausstrahlen, das hatte ich immerhin aus meinem Umgang mit Kunst gelernt.
Das Problem war, dass in meinem Schrank hauptsächlich raffiniert geschnittene schwarze Oberteile und ebenso raffiniert geschnittene schwarze Röcke und Hosen hingen, die weltweit anerkannte Kleidung aller Kulturschaffenden von Hamburg über Paris bis nach New York. Und Schwarz war nicht gerade die Farbe, mit der sich Aufbruch und Stärke demonstrieren ließ. Außerdem strebte ich auch optisch einen klaren Bruch mit meiner Vergangenheit an.
Ich hatte einmal gehört, dass Gelb die Farbe der Macht war. Nur hatte ich absolut nichts derartiges in meinem Kleiderschrank. Aus Mangel an Alternativen entschied ich mich für den gelben Gartenoverall, der inzwischen zu einer Art Kampfanzug geworden war. Dazu kombinierte ich einen seriösen grünen Blazer und meine bunten bequemen Sneaker. Und ich setzte meine schwarze Intellektuellenbrille mit Fensterglas ab, die ich ohnehin nur aus beruflichen Gründen getragen hatte.
Vor dem Spiegel war ich überrascht, wie verändert ich aussah. Eine für ein Bankgespräch gewagte, aber durchaus machtvolle Kombination, wie ich fand. Zumindest würde man mich nicht sofort einordnen können, und das gefiel mir. Allerdings hatte ich zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, dass mir an diesem Tag ausgerechnet meine auffällige Farbigkeit zum Verhängnis werden würde.
Meine Unterlagen packte ich in einen Stoffbeutel von der Genossenschaftsbank, um dem Berater gleich zu verdeutlichen, dass ich eine loyale Kundin war. Da der Schnee mittlerweile in Schneeregen übergegangen war, legte ich noch einen Regenschirm in den Stoffbeutel. Gut gelaunt verließ ich dann das Haus, stieg in meinen Wagen und stand eine halbe Stunde später siegessicher vor meinem Berater.
In der Bank hielten sich an diesem späten Vormittag nicht sehr viele Menschen auf. Eine junge Mutter mit einem quengelnden, etwa fünfjährigen Kind, eine ältere Frau im Lodenmantel, die offenbar ihr Erspartes einzahlen wollte, und zwei Handwerker auf einer Leiter, die sich an der Deckenbeleuchtung zu schaffen machten.
Den Blicken von Herrn Andresen nach zu urteilen, hatte auch er bemerkt, dass ich ein anderer Mensch geworden war. Das löste aber nicht die von mir erhoffte Respektsbezeugung aus. Er bat mich nicht einmal an einen Tisch in den hinteren Bereich der Bank, sondern blieb mit mir am Schalter stehen, was mich eigentlich hätte stutzig machen müssen. Doch aufgrund meiner triumphalen Grundstimmung blieben mir an diesem Morgen derartige Feinheiten verborgen.
»Ich brauche Geld«, eröffnete ich ohne Umschweife das Gespräch und zog meinen Ordner aus der Tasche. »Wie vermutlich die meisten Leute, die zu ihnen kommen. Fünfundvierzigtausend in etwa.«
»Ja, das kann ich mir denken«, antwortete Herr Andresen, ein schmächtiger Mann Ende fünfzig. »Ich habe die …« Er räusperte sich. »Ich habe den Artikel in der Zeitung gelesen.«
Ich fühlte mich ertappt und errötete sogar ein wenig. Gedanklich war ich schon so weit von der Galerie entfernt, dass ich an den Zeitungsartikel überhaupt nicht mehr gedacht hatte.
»Es ist aber nicht so, wie Sie denken«, versuchte ich zu erklären.
Der Bankberater lachte kurz auf, wobei er den Kopf zurückwarf, was in dieser Situation schon einem Affront gleichkam. »Sagen diesen Satz nicht meistens Leute, die exakt bei dem erwischt worden sind, was eben doch ganz genau das ist, was der andere gerade denkt?«
Überrascht blickte ich Herrn Andresen an. All die Jahre war er der verschwiegene Bankberater gewesen, der außer ein paar Floskeln nichts anderes geliefert hatte als überprüfbare Zahlen und Fakten. Ein überkorrekter Mann vom alten Schlag im karierten Jackett, wie es ihn im Heer der gewissenlosen Bankjungspunde eigentlich gar nicht mehr geben durfte. Und nun war er fast zum Philosophen geworden und gab mit zynischem Unterton unangemessene Kommentare von sich? Ich war mir nicht sicher, ob mir dieser neue charakterliche Zug an ihm gefiel. Mich ergriff ein unbehagliches Gefühl, dass dieses Gespräch keinen guten Verlauf nehmen würde.
Der Artikel der Kunstkritikerin musste etwas in Herrn Andresen freigesetzt haben, das es ihm erlaubte, neuerdings derart schonungslos mit mir zu sprechen. Ich sah prüfend in seine Augen und stellte erschrocken fest, dass dieses Etwas Geringschätzung war.
»Es ist wirklich nicht so, wie Sie denken«, verteidigte ich mich. »Ich bin weder gescheitert noch verrückt geworden. Ich möchte einfach nur ein Jahr aus meiner Galerie aussteigen und mich in dieser Zeit ausprobieren.« Mir fiel auf, dass mein Bankberater der erste Mensch war, demgegenüber ich das aussprach, und dass ich klang wie eine dieser Frauen, die die Esoterik für sich entdeckt hatten, nachdem die Kinder aus dem Haus waren. Ob diese Selbstfindungsworte mich in den Ohren eines nüchternen Zahlenmenschen nicht noch fragwürdiger erscheinen ließen?
»Sie wollen ein Sabbatjahr machen? Wie schön«, entgegnete Herr Andresen ohne große Begeisterung. »Das wollen viele. Leider scheitern sie oft an den finanziellen Möglichkeiten.« Täuschte ich mich, oder war in diesem Moment ein machtvolles Glitzern in seinen Augen aufgeblitzt?
»Ich habe Sicherheiten«, beteuerte ich. »Das Haus …«
»Das gehört zur Hälfte noch ihrem Mann. Außerdem ist es mit einer Hypothek belastet«, eröffnete Herr Andresen mir schonungslos. Als ich ihn wie vom Donner gerührt anstarrte, lenkte er den Blick kurz auf seine erstaunlich schmutzumrandeten Fingernägel. Vermutlich war er am Wochenende in seinem Kleingarten gewesen, von dem er mir einmal im Rahmen der gesprächseinleitenden Floskeln zu einem sachlichen Gespräch erzählt hatte. Davon waren wir dieses Mal weit entfernt. Früher hatte ich mich dabei oft gelangweilt, doch jetzt wünschte ich mir die Eintönigkeit dieser Gespräche zurück.
»Hypothek?«, wiederholte ich fassungslos.
»Ja, Ihr Mann brauchte Geld für seine neue Familie. Sie haben das doch selbst unterschrieben.«
Er öffnete beflissen einen Ordner, den er vorsorglich vor sich hingelegt hatte, nahm einen Bogen heraus und deutete auf meinen Namen. Tatsächlich war Bart vor einigen Monaten kurz bei mir in der Galerie gewesen und hatte sich eine Unterschrift für »eine Lappalie« geholt. Um ihn schnell wieder loszuwerden, hatte ich nicht genau hingesehen und gleich unterschrieben. Ich Trottel!
»Das war mein Ex-Mann«, sagte ich tonlos. »Aber ich habe eine gut gehende Galerie, die das wohl locker ausgleicht.«
Herr Andresen schnaubte. »Die spätestens seit ihrer … nun ja … Aktion erheblich im Wert gesunken sein dürfte. Es tut mir ja sehr leid, dass es Ihnen so schlecht geht, aber wir müssen uns hier nun mal an die Fakten halten.«
»Es geht mir gut, sogar sehr gut«, beteuerte ich.
»Mag sein, aber die Zahlen sprechen nun mal leider gegen Sie.«
»Ich bin langjährige Kundin«, versuchte ich es noch einmal und schwenkte wie zum Beweis den Stoffbeutel der Bank.
»Ich muss mich an meine Vorgaben halten«, erklärte Herr Andresen knapp.
Die Macht der Zahlen hatte ich unterschätzt, das musste ich leider zugeben. Dagegen kamen nicht einmal die sorgsam ausgewählten Farben meiner Kleidung an.
Vor meinem inneren Auge erschienen schreckliche Bilder, wie ich mich am nächsten Morgen wieder kleinlaut in die Galerie schlich, um Abbitte zu leisten bei den Künstlern und Sammlern und bei der Kunstkritikerin zu Kreuze zu kriechen. Eine enorme Verzweiflung stieg in mir auf, die mir augenblicklich die Luft abschnürte. Ich faltete innerlich die Hände und betete, dass dies auf keinen Fall passieren möge. Koste es, was es wolle.
Heute weiß ich, dass man sich vor unbedachten Wünschen hüten oder sie zumindest etwas sorgfältiger formulieren sollte. Denn was mir stattdessen von einer wie auch immer gearteten höheren Macht in die Bank geliefert wurde, war nicht unbedingt die bessere Alternative.
Während ich mich nämlich noch wütend an den Schalter lehnte – bereit, darüberzuspringen und Herrn Andresen an seiner klein gepunkteten Krawatte zu packen –, stürmten plötzlich zwei Männer die Bank. Beide waren, nebenbei bemerkt, in schlichtes Schwarz gekleidet, erweckten aber dennoch einen sehr machtvollen Eindruck, weil sie Sturmhauben trugen und eine Waffe in der Hand hielten, die sie nun auf den fassungslosen Herrn Andresen richteten.
Unter Verzicht auf die gesprächseinleitenden Floskeln, die Herr Andresen zu benutzen pflegte, forderten sie ihn dann dazu auf, sich ohne Umschweife zum Tresor zu begeben.