Während ich meine befreiten Handgelenke rieb, kletterte der cholerische Bankräuber als Erster über die Fahrerseite in meinen Wagen und robbte umständlich auf den Beifahrersitz.
Ich warf noch einen Blick auf den Platz vor der Bank, wo nun ein paar weitere Autos standen, vermutlich Polizei und Presse, und beeilte mich dann, auf den Fahrersitz zu gelangen. Meinen Stoffbeutel legte ich rasch im Fußraum des Beifahrersitzes ab, was mir einen vorwurfsvollen Augenaufschlag durch die Sturmhaubenschlitze einbrachte, den ich zu ignorieren versuchte. Der zweite Bankräuber nahm im Fond meines Wagens Platz, nicht ohne der Umgebung vorher noch einmal meinen Tod anzudrohen für den Fall, dass uns ein Polizeiauto folgen sollte. Ich fühlte mich dennoch deutlich sicherer, als wir endlich alle drei im Auto saßen.
»Gib mir meine Beute«, verlangte die Blitzbirne sofort und sah, die Waffe im Anschlag, auffordernd nach hinten.
Es wäre mir lieber gewesen, wenn sein Komplize neben mir Platz genommen hätte.
»Warum denn ausgerechnet jetzt?«, sträubte sich dieser. »Wir sollten lieber sehen, dass wir von hier wegkommen.«
»Wenn sie dich kriegen, dann hab ich wenigstens mein Geld«, erklärte der andere wenig logisch.
Seltsamerweise ließ der Besonnene sich auf diese löchrige Argumentation ein und reichte augenrollend einen der beiden Beutel nach vorn, den die Blitzbirne zufrieden zwischen seinen Beinen verstaute.
»Nichts wie weg hier«, meinte er dann.
Ich ließ mir leise seufzend den Schlüssel geben, startete den Wagen und sah fragend nach hinten. »Wohin soll’s denn gehen?«
An den ratlosen Blicken der beiden konnte ich ablesen, dass sie sich auch darüber vorab keine Gedanken gemacht hatten. Ich hätte gern gefragt, ob sie sich vielleicht spontan bei einem winterlichen Spaziergang zu dieser Tat entschlossen, Löcher in ihre Wintermützen geschnitten und die nächstbeste Bank gestürmt hatten, doch ich wollte meinen Beifahrer nicht noch mehr provozieren.
»Fahr einfach los, wir sagen dir dann schon, wohin es geht«, wies der hintere Bankräuber mich extra herrisch an, wohl um die Hoheit im Wageninnern wieder zurückzugewinnen.
Ich parkte aus, fuhr unter den lauernden Blicken des Polizeikommandos auf die Straße und lenkte meinen Kombi in Richtung Ringstraße. Notfalls würde ich eben dreimal um die Stadt herumfahren, bis die beiden wussten, was sie wollten. Im Rückspiegel sah ich, dass die Polizisten tatsächlich keinerlei Anstalten machten, uns zu folgen. Das war sehr rücksichtsvoll von ihnen, schließlich hing mein Leben von ihrer Zurückhaltung ab.
Ich fädelte mich in den Verkehr ein und atmete tief durch. Vorgestern war ich noch eine erfolgreiche, aber zugegebenermaßen unzufriedene Galeristin gewesen, heute steuerte ich ein Fluchtfahrzeug. Ich war neugierig, wie sich meine Auszeit noch entwickeln würde, wenn sie schon derart abenteuerlich anfing. Denn ein bisschen genoss ich den Nervenkitzel auch, das musste ich zugeben.
»Mach mal das Radio an«, verlangte die Blitzbirne nach einer Weile. »Vielleicht sind wir schon in den Nachrichten.«
Gefallsüchtig war dieser Mann also auch noch. Eine gefährliche Mischung in Kombination mit geistiger Beschränktheit. Ich nahm mir vor, auf ihn wirklich ganz besonders achtzugeben.
Da ich nicht sofort reagierte, drehte er selbst so lange am Knopf, bis die gewünschte Sendung gefunden war – eine Zusammenstellung der »besten Hits« aus dem vergangenen Jahrhundert. Ich fragte mich, ob Radiomacher dachten, man habe im Alter von zwanzig seinen Musikgeschmack fertig ausgebildet und wolle deshalb den Rest seines Lebens immer die gleichen Songs hören.
»Never ending stooory«, jaulte ein gewisser Limahl, den ich mit schlimmer Achtzigerjahre-Vokuhilafrisur in Erinnerung hatte. Ich hoffte, dass diese »Story« bald vorbei sein würde, doch das sollte sich vorerst als Trugschluss erweisen.
Nach einer quälenden halben Stunde Stadtumfahrung bemerkte ich im Rückspiegel, dass uns seit geraumer Zeit eine dunkle Limousine folgte. Mein Herz rutschte eine Etage tiefer, doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Der Bankräuber auf dem Rücksitz war meinem besorgten Blick jedoch gefolgt, hatte sich misstrauisch nach hinten umgedreht und die Zivilstreife ebenfalls entdeckt.
»Eigentlich müsste ich dich jetzt erschießen«, sagte er folgerichtig und hob kaltblütig die Waffe.
»Wenn ihr keine Geisel mehr habt, erschießen sie euch aber auch«, sagte ich panisch und drückte aufs Gaspedal. »Ich häng sie lieber ab!«
»Super, eine Verfolgungsjagd«, freute sich die Blitzbirne wie ein Kind und sah Beifall heischend nach hinten. Dabei erntete er einmal mehr einen vernichtenden Blick, und ich fragte mich, wie die beiden ungleichen Gesellen wohl zusammengefunden hatten.
Erstaunlicherweise gelang es mir durch waghalsige Überholmanöver und das massive Überschreiten des Tempolimits tatsächlich, eine gewisse Distanz zu dem dunklen Wagen aufzubauen. Aber lange würde ich den Vorsprung nicht halten können.
»Fahr zur Autobahn«, forderte die Blitzbirne euphorisch, offenbar angestachelt durch die wilde Fahrt. »Wir brettern nach Amsterdam und machen uns mit Koks und Nutten einen geilen Abend!«
Dies würde bedeuten, dass ich die beiden noch stundenlang am Hals haben würde. Mein Herz rutschte noch eine Etage tiefer.
»Ganz toll, Amsterdam«, schnaubte der andere zum Glück von hinten. »Da kommen die Bullen ja sofort drauf, das macht doch jeder!«
»Dann schlag du doch mal was vor, wenn du immer alles besser weißt«, regte sich mein Beifahrer auf. »Du sitzt dahinten und machst den dicken Larry. Aber sonst kommt nichts!«
Wenn es noch lange so weiterging, würden sich die beiden vor meinen Augen zerfleischen. Und ich wusste nicht, ob das gut oder schlecht für mich war.
»Ich habe eine bessere … oder vielleicht … andere Idee«, korrigierte ich schnell. Zu spät.
»So, so, der Zitronenfalter hat eine bessere Idee! Ich werd dir zeigen, was eine bessere Idee …« Schon wieder hatte die Blitzbirne die Hand gehoben, um mir mit der Waffe ins Gesicht zu schlagen. Dies schien in Diskussionen sein stärkstes Argument zu sein. Sein seltsames Tattoo auf dem Unterarm lenkte mich ein wenig von der Gefahr ab, in der ich mich gerade befand. Bevor er mir jedoch ernsthaft gefährlich werden konnte, fiel ihm sein Kompagnon von hinten in den Arm und ermahnte ihn: »Nun lass sie doch mal ausreden, vielleicht ist ihr Vorschlag ja gar nicht so dumm.«
Ich warf ihm über den Rückspiegel einen dankbaren Blick zu. Mir fiel zum ersten Mal auf, dass er zwei verschiedene Augenfarben hatte. Wenn das hier noch lange weiterging, würde ich mich womöglich noch in einer Art Stockholmsyndrom mit dem besonneneren Bankräuber verbünden.
»Mein Vorschlag lautet: Ich bringe euch schnellstmöglich zum Bahnhof, und ihr hüpft in den nächsten Intercity nach Castrop-Rauxel oder in irgendein anderes Kaff, damit rechnet nämlich keiner. Ich fahre allein weiter zur Autobahn und lenke so die … äh … Bullen ab.«
»Gar nicht mal so schlecht, Zitronenfalter«, befand der hintere Bankräuber, ohne die Zustimmung seines wirren Komplizen abzuwarten. »Darauf kommen die Bullen doch nie, dass wir unsere Geisel allein zurücklassen. Gib Gas, so machen wir es.«
»Ja, aber …« Der andere überlegte eine Weile, ob er nun beleidigt sein oder aus Prinzip widersprechen sollte, doch nach angestrengtem, aber offenbar fruchtlosem »Nachdenken« über einen Gegenvorschlag bedeutete er seinem Partner durch gnädiges Nicken, dass er ebenfalls mit diesem Plan einverstanden war.
Ich atmete tief durch, drückte noch mehr aufs Gas, heizte mit neunzig Stundenkilometern über den Stadtring, und keine fünf Minuten später standen wir wie vereinbart am Hauptbahnhof. Die beiden rissen abrupt die Türen auf, sprangen grußlos aus dem Wagen und hasteten in Richtung Bahnhofshalle, ohne sich weiter um mich, ihre Geisel, zu kümmern.
Ich hörte noch, wie die Blitzbirne »Warte, Ronnie!« rief. Dann beobachtete ich, wie beide sich vor dem Betreten der Halle die Masken vom Kopf rissen. Leider konnte ich aber nur noch von hinten sehen, dass der Choleriker ein dünnes blondes Zöpfchen trug, während Ronnie dunkle Haare hatte. Dann waren die beiden auch schon in der Masse der Bahnreisenden verschwunden.
Ich freute mich diebisch, dass mein Plan zu meiner eigenen Befreiung so gut funktioniert hatte, gönnte mir ein kurzes Durchatmen und lenkte den Wagen wie vereinbart gleich wieder zurück auf den Ring in Richtung Autobahnzubringer. Womöglich überlegten die zwei Bankräuber es sich sonst noch anders und kehrten zurück. Im Radio wurde der Banküberfall kurz gemeldet und das Modell des Fluchtautos genannt, mein Modell, genauer gesagt. Auf einmal wurde mir klar, dass ich nun also eine Gejagte war. Ich gab Gas und bretterte auf die Autobahn.
Leider stellte ich nach einiger Zeit fest, dass der Tank durch die sinnlose Umherfahrerei fast leer war. Also steuerte ich die nächste Raststätte mit einer Tankstelle an, befüllte ihn bis obenhin, zahlte mit meiner Karte und stieg wieder in den Wagen. Als ich den Zündschlüssel ins Schloss steckte, bemerkte ich, dass meine Hände leicht zitterten.
Meine Auszeit würde ich nach dieser Begebenheit nun noch viel dringender brauchen als zuvor. Wahrscheinlich war es sinnvoll, als Erstes ein Entspannungsseminar zu belegen, um meine sogenannte innere Mitte wiederzufinden.
Während ich mich halbwegs beruhigte, indem ich langsam ein- und ausatmete, fiel mein Blick beiläufig auf den Fußraum des Vordersitzes.
Dort lag zwar ein heller Stoffbeutel, aber er sah anders aus als meiner. Ich konnte einen Teil des neuen blauen Slogans der Bank erkennen, »Träume wahr«.
Der Choleriker hatte in seiner Panik tatsächlich die beiden Stoffbeutel verwechselt und statt der Beute meinen Regenschirm mitgenommen.
Und ehe mir klar geworden war, was das für mich bedeutete, geschah alles gleichzeitig. Von überallher schienen plötzlich Polizeiwagen mit Blaulicht auf das Gelände der Raststätte zu fahren, vermummte SEK-Beamte sprangen aus dem Wagen, brüllten »Zugriff!« und rannten mit gezogener Waffe auf mein Auto zu, während ich in einem Reflex nach dem Beutel griff, um ihn schnell unter meinem Gartenoverall verschwinden zu lassen. Mein Anzug leuchtete im Schein der Sonne, die gerade in den Fond meines Autos fiel, tatsächlich wie ein zitronengelber Schmetterling.
In diesem Moment erreichte der erste Polizist meinen Wagen, riss die Fahrertür auf und befahl mir, die Waffe unmissverständlich auf mich gerichtet, mit erhobenen Händen auszusteigen.