Auf dem Rückweg vom Tierheim fiel mein Blick im Rückspiegel immer wieder auf den mächtigen Kopf von Pablo, der ruhig in der Transportbox lag. Jedes Mal erschrak ich ein wenig, was für einen Furcht einflößenden Hund ich mir da zugelegt hatte. Doch ich beruhigte mich damit, dass Pablo zwar beängstigend aussah, aber dennoch ein absolut gutmütiger Charakter war. Das würde mein potenzieller Verfolger natürlich nicht ahnen, er würde nur einen großen, dunklen und gefährlich wirkenden Hund erblicken.
Nach meiner Qigongeinheit am Straßenrand, die im Übrigen großes Aufsehen erregt und beinah einen Auffahrunfall provoziert hatte, war ich wieder etwas ruhiger und beschloss, einfach abzuwarten, was passieren würde, bevor ich mich grundlos verrückt machte. Vielleicht war der Besucher in der Galerie ja wirklich nur ein Pressevertreter gewesen.
Der Tierpfleger hatte mir noch etwas verlegen gestanden, dass Pablo in der Vergangenheit wohl schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht hatte und daher zuweilen etwas empfindlich auf diese Hälfte der Menschheit reagierte. Das war für mich jedoch kein Anlass, den Hund im Heim zu lassen, sondern erst recht ein Grund, ihn mitzunehmen. Denn ich hoffte, dass sich diese Antipathie, falls notwendig, auch auf den Bankräuber erstrecken würde.
So fuhr ich in bester Stimmung nach Hause, parkte den Wagen vor der Garage und ließ Pablo, nachdem ich ihn angeleint hatte, herausklettern.
»Das ist jetzt dein neues Zuhause«, verkündete ich feierlich.
Als ob er meine Worte verstanden hätte, lief er aufgeregt umher, beschnüffelte zunächst misstrauisch die Pflanzen rund um die Hofeinfahrt und hob dann sein Bein am schmiedeeisernen Tor. Ich musste lachen. Der Hund hatte auf jeden Fall Geschmack, das stand schon mal fest.
Im Haus zeigte ich ihm sein riesiges Hundebett und die Stelle in der Küche, wo seine Näpfe standen. Pablo drehte aufgekratzt eine Runde durchs Wohnzimmer und bedeutete mir dann mit kurzem Bellen, dass er Hunger hatte. Zumindest vermutete ich das, denn ganz genau verstand ich die Hundesprache noch nicht. Also füllte ich ihm eine große Portion Rind mit Wildschwein in den Napf, worüber er sich gleich gierig hermachte. Er vertilgte die Portion bis auf den letzten Krümel und schleckte am Ende sogar noch den Napf aus.
Fasziniert beobachtete ich jede Regung meines neuen Mitbewohners. Nach dem Fressen schlurfte er zu seinem gemütlichen Hundebett, schnüffelte ausgiebig daran und ging wieder ins Wohnzimmer, wo er einen gezielten Sprung auf mein Sofa machte. Dort drehte er sich dreimal um seine eigene Achse und ließ sich dann zufrieden darauf nieder. Keine zwei Minuten später war er eingeschlafen.
Eigentlich war es mir nicht recht, dass der Hund sich auf das Sofa legte, aber ich wollte ihn nicht gleich am ersten Tag maßregeln. Also ließ ich ihn erst mal in Ruhe und überlegte, was ich als Nächstes tun sollte. Nach den langen Jahren in der Galerie mit selbstverständlichen Überstunden war ich es nicht mehr gewohnt, meine Zeit selbst zu gestalten. Ich hatte immer einen inneren Antreiber gehabt, der mir das Gefühl vermittelte, ständig etwas tun zu müssen, und nicht, etwas tun zu können. Ich musste mich zum Beispiel um eine Hundeschule für Pablo kümmern, ich konnte mich aber auch mit einem Kaffee auf einen Sessel setzen, um Pablo beim entspannten Schnarchen zuzuhören. Ich musste im Internet nachforschen, ob es etwas Neues zum Bankräuber gab, ich konnte aber auch gelassen darauf vertrauen, dass die Dinge sich von allein zum Positiven entwickeln würden.
Leider gelang es mir noch nicht gänzlich, aus meiner Aktionismushaut zu schlüpfen. Also entschied ich mich für einen Kompromiss, machte mir einen Kaffee, holte meinen Laptop und wollte mich damit zu Pablo aufs Sofa legen. Doch zurück im Wohnzimmer musste ich feststellen, dass der Hund sich inzwischen über die ganze Breite des Sofas ausgestreckt hatte und keinerlei Anstalten machte, sich vertreiben zu lassen, sodass ich mich seufzend mit dem Sessel zufriedengeben musste.
Dort durchforstete ich die Lokalzeitung nach Neuigkeiten zum Banküberfall. Als ich nichts darüber fand, ein Umstand, von dem ich nicht wusste, ob er mich beruhigen oder ängstigen sollte, beschloss ich, mich gleich auch noch auf die Suche nach einer Hundeschule für Pablo und mich zu machen.
Zu meinem Erstaunen gab es in der Stadt nicht nur eine Hundeschule, sondern gleich zehn, und jede stellte ihr Erziehungskonzept heraus, als ob es sich um eine Bildungsstätte für besonders schwer erziehbare Kinder aus gutem Haus handeln würde. Auf fast allen Seiten wurde die »gewaltfreie und respektvolle Kommunikation zwischen Mensch und Tier durch positive Verstärkung« hervorgehoben, die »Sensibilisierung für die individuellen Bedürfnisse des Hundes« betont und eine »ganzheitliche Betrachtungsweise im Mensch-Tier-Verhältnis« angepriesen. Bestimmt wurden die meisten Kinder nicht so verständnisvoll erzogen wie diese Hunde.
Da Pablo schon erwachsen war, bot sich ein Welpenkurs natürlich nicht an. Daher suchte ich nach einem Individualtraining und stieß dabei auf das Angebot »Therapie für Angsthunde«, was mir tatsächlich für die Bewältigung von Pablos Männeraversion als passend erschien, auch wenn er in meiner Gegenwart keinen besonders ängstlichen Eindruck machte. Zwar lebte in meinem Haushalt aktuell kein Mann, aber schließlich hatte ich einen Sohn, der gelegentlich zu Besuch kam. Und bei Spaziergängen würden sich Kontakte mit männlichen Hundehaltern ebenso wenig vermeiden lassen. Ich hatte ein etwas mulmiges Gefühl, als ich anrief und uns für die »Therapie für Angsthunde« anmeldete. Bis zum Beginn des Kurses würde ich versuchen, Pablo von Männern fernzuhalten, um keine riskanten Zwischenfälle zu provozieren.
Dass ich damit bereits gescheitert war, wurde mir schon eine Viertelstunde später durch einen markerschütternden Schrei verdeutlicht. Ich war gerade zufrieden im Sessel eingenickt und träumte davon, dem Bankräuber das Geld zurückzugeben, da ich mich durch all meine Erlebnisse so reich fühlte, dass ich es gar nicht mehr brauchte.
Ich schreckte sofort hoch und rannte in die Richtung, aus der er gekommen war. Pablo stand mit Guilty-Dog-Miene im Flur, während jemand vor dem Haus erbärmlich wimmerte. Ich riss die Tür auf. Vor mir stand der Postbote und umklammerte seine Hand, von der Blut auf die Steintreppe tropfte. Er war ein drahtiger Mann Mitte vierzig, der immer gut gelaunt war, jetzt jedoch verständlicherweise gar nicht freundlich dreinschaute.
»Was ist passiert?«, fragte ich, doch im Grunde kannte ich die Antwort bereits.
Der Postbote warf einen vorwurfsvollen Blick auf Pablo, der nun völlig gleichgültig dreinblickte. Der Mann musste mir gar nicht mehr erzählen, was passiert war, denn es erklärte sich von selbst: Pablo hatte ihn durch den Türschlitz hindurch gebissen. Es ärgerte mich, dass sich damit auch gleich noch das Vorurteil bestätigte, dass Hunde Postboten beißen. Wobei das gar kein Vorurteil war, wie ich einmal gelesen hatte, sondern tatsächlich sehr häufig vorkam. Zu einer Gruppe von vielen Leidensgenossen zu gehören, würde Pablos Opfer im Moment aber auch nicht besänftigen.
»Warum haben Sie die Post denn nicht in den Briefkasten am Tor geworfen?«, fragte ich unvorsichtigerweise. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme dabei leicht vorwurfsvoll klang. Natürlich brachte das den Postboten gleich noch mehr in Rage.
»Da war alles vollgestopft mit Werbung! Warum machen Sie kein Schild an den Briefkasten, wenn Sie keine Werbung wollen? Wir Postboten müssen dann immer schauen, wo wir bleiben mit unserer Post. Und wenn sie dann nur ein klein wenig geknickt ist, gibt’s auch noch Gemotze!«
Er hatte recht, ich hatte mir die Sache mit dem Schild immer nur vorgenommen, aber nie in die Tat umgesetzt. Auch eine Folge davon, dass ich zu sehr in meine Arbeit verstrickt gewesen war. Ich lächelte entschuldigend, doch der Postbote war noch nicht fertig.
»Ich zeige Sie an! Dieser Hund muss weg! Der ist ja bösartig!«
Pablo knurrte wie zum Beweis seiner Gefährlichkeit und zeigte dabei seine spitzen Eckzähne. Ich hielt es für besser, ihn aus dem Blickfeld des Postboten zu bringen, bevor er ihn auch noch ansprang. Daher packte ich ihn an seinem Halsband, wogegen er sich natürlich mit allen vieren sträubte. Mir fiel ein, dass ich ja noch ein paar Leckerli in der Manteltasche im Flur hatte. Damit gelang es mir, Pablo in die Küche zu locken und dort einzusperren. Dann ging ich mit Verbandszeug nach draußen zum Postboten und versorgte seine Wunde. Wenn man ehrlich war, handelte es sich dabei nur um einen langen Kratzer im Zeigefinger, den Pablo ihm wohl mit einem Eckzahn beigebracht hatte, aber auch das thematisierte ich lieber nicht.
»Es war nicht persönlich gemeint. Er mag allgemein keine Männer«, erklärte ich stattdessen, während ich mit großem Eifer den Verband um seinen Finger wickelte.
Doch der Postbote schnaubte unversöhnlich. »Haben Sie eine Versicherung? Das wird nicht billig. Ich gehe gleich zum Arzt und lasse mich krankschreiben.«
Kaum war ich fertig, sprang er auch schon auf. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Denn tatsächlich hatte ich es bisher versäumt, meine Haftpflichtversicherung um den Punkt »Bissiger Hund« zu erweitern.
»Wollen Sie denn nicht kurz reinkommen auf einen Kaffee? Wir können doch alles regeln.« Ich versuchte, meiner Stimme einen sanften Klang zu geben, dennoch biss ich bei dem wütenden Postboten auf Granit.
»Ich gehe zum Arzt, und dann wird alles ordentlich geregelt. Und eine Anzeige kriegen Sie noch dazu.«
»Bitte keine Anzeige«, flehte ich. »Wissen Sie, ich habe Pablo doch gerade erst aus dem Tierheim geholt. Ich habe uns auch für einen Kurs zum Thema ›Therapie für Angsthunde‹ angemeldet. Bitte, bitte nicht anzeigen.« Bei dem Gedanken, dass ich Pablo wieder abgeben müsste und er womöglich sogar eingeschläfert werden würde, schossen mir die Tränen in die Augen.
Seltsamerweise verfing das sofort bei dem Postboten. Er verdrehte die Augen. »Na gut, dann eben keine Anzeige. Aber zum Arzt muss ich, und krankschreiben lass ich mich auch.«
Ich dachte an das Geld unter dem Busch und stimmte zu. Ein paar hundert Euro würde es mich wohl kosten, aber das investierte ich gern, um Pablo behalten zu können.
»Sie bekommen natürlich auch ein Schmerzensgeld«, fügte ich hinzu, damit Pablos Opfer es sich auf keinen Fall noch einmal anders überlegte. »Moment!«
Ich ging rasch ins Haus, holte meine Handtasche, die im Flur am Garderobenhaken hing, und nahm das ganze Geld heraus, das ich im Portemonnaie hatte. Es waren fast dreihundert Euro. Die drückte ich dem Postboten in seine gesunde Hand und legte noch das Kleingeld obendrauf, damit er meinen festen Willen zur Wiedergutmachung erkannte.
Er besah sich die Summe genau, nickte und schien einigermaßen besänftigt. »Ich melde mich dann eventuell noch wegen der Krankheitskosten.«
Wir verabschiedeten uns, ich mit einem Seufzen, er mit leisem Lächeln um den Mund, dem ich entnehmen konnte, dass der Biss nicht so schlimm gewesen war, er aber durchaus gewillt war, daraus das Beste für sich herauszuholen. Ich sah ihm grimmig nach, bis er durch das Tor auf die Straße zu seinem Postauto gegangen war. Dann lief ich zurück ins Haus und sammelte die blutbefleckte Post vom Fliesenboden ein, ohne weiter darauf zu achten, was es war.
Ich würde Pablo einen Maulkorb besorgen, den er tragen musste, bis er seinen Kurs erfolgreich bewältigt hatte. Vielleicht würde es nächstes Mal nicht so glimpflich ausgehen.
Der Übeltäter saß nun überraschenderweise in seinem Hundebett und sah mich an, als ob nichts gewesen wäre. »Böser Pablo«, schimpfte ich, und er legte wieder seinen schuldbewussten Blick auf, schien aber nicht richtig zu wissen, wofür er gescholten wurde. Zu dem Zeitpunkt war mir noch nicht bewusst, dass es völlig sinnlos war, einen Hund für etwas zu tadeln, was in der Vergangenheit lag, da er es dann nicht mehr mit der Tat in Verbindung bringen konnte.
Ich legte die Post auf den Küchentisch und begab mich auf das nun frei gewordene Sofa, um mich von dem Schreck zu erholen. Die erste Bilanz meiner Auszeit fiel nicht gerade vorteilhaft aus. Ein Postbote war verletzt worden, dessen Regeneration ich mitfinanzieren musste. Meine Mutter wollte eine teure Kreuzfahrt unternehmen, und mein Sohn war unwillig, einen nennenswerten Anteil zu seinem Lebensunterhalt beizutragen. Wenn das so weiterging, würde ich trotz der Beute noch selbst eine Bank überfallen müssen. Mein Mund fühlte sich auf einmal sehr trocken an.
Ich stand auf, um mir aus der Küche ein Glas Wasser zu holen. Dabei fiel mein Blick auf die Post, die ich zuvor achtlos auf den Tisch gelegt hatte. Ich stellte das Wasserglas ab und sah die Briefe kurz durch. Zwei Rechnungen waren darunter, ein Modekatalog mit Schlussverkaufsrabatt und der Steuerbeleg meiner Lebensversicherung.
Aber da war noch etwas. Ein weißer Umschlag ohne Absender und Anschrift. Diesen Brief hatte nicht der Postbote bei mir eingeworfen. Es war also jemand an meinem Haus gewesen, kurz bevor der Mann von Pablo gebissen worden war.
Mein Herz hämmerte wahre Paukenschläge, während ich den Umschlag aufriss und den losen Zettel mit angehaltenem Atem auseinanderfaltete. Es handelte sich um ein Blatt kariertes Papier, dessen obere Kante unregelmäßig und mit wenig Sorgfalt von einem Schreibblock abgerissen worden war.
Nur vier mit Kugelschreiber geschriebene Worte standen in Großbuchstaben darauf, die in ihrer Knappheit aber eindeutig waren:
WO IST DIE KOHLE?