Der nächste Morgen brach an, und ich empfand eine seltsame innere Unruhe. Der Gedanke, hier oben ohne Senner und Sennerin zu sein, bereitete mir Unbehagen, ohne dass ich genau benennen konnte, was mich daran wirklich störte. Schließlich waren mit Sanne, Rosa und mir immer noch drei Erwachsene auf der Alm. Doch auch das Verhalten von Pablo gab mir zu denken, der sich, kaum, dass Herr und Frau Stocker mit dem Familienkombi verschwunden waren, auf die Türschwelle der Alp legte, nicht von dort weichen wollte und knurrte, wann immer ich versuchte, ihn von der Stelle zu bewegen.

»Was hat er denn?«, fragte Sanne verwundert, als sie mit einer Kanne frischer Milch am Haus vorbeiging.

»Keine Ahnung, vielleicht denkt er, er muss jetzt auf uns aufpassen, weil wir Mädels nicht alleine klarkommen«, antwortete ich halb amüsiert, halb verwundert. Dabei kam ich nicht auf die Idee, dass Pablo womöglich etwas spürte, was ich selbst nicht erkennen konnte. Ich erklärte mir sein Verhalten mit der bloßen Abwesenheit der beiden Senner und schob die düsteren Ahnungen, die sich am Morgen in mir breitgemacht hatten, einfach beiseite.

Vielleicht spürten wir lediglich, dass das Wetter umschlug. Der Tag hatte wie die letzten mit strahlendem Sonnenschein begonnen, doch schon bald zogen über dem Kandertal dicke Gewitterwolken auf und türmten sich bedrohlich über den Bergen zu wahren Wolkenungetümen. Die ansonsten so frische Bergluft stand schwül und drückend über dem ganzen Tal. Entsprechend lag eine gereizte Atmosphäre in der Luft – die Art von Missstimmung, in der sich ohne wirklichen Grund Streit entzündet.

Da sich zum Glück nur die Kinder aneinandergerieten, war der Streit leicht zu schlichten, indem Rosa und ich schon zum Znüni, dem Imbiss nach der Stallarbeit, Apfelpfannkuchen mit Zimt und Zucker servierten, die die drei zufrieden verspeisten, worüber sie ihre Zankereien vergaßen. Inzwischen hatten die Ferien angefangen, sodass niemand die beiden Großen zur Schule in den Ort hinunterbringen musste.

Ein weniger leicht zu lösendes Problem war, dass später in der Käserei die Milch in der schwülheißen Luft partout nicht gerinnen wollte, egal, was Sanne auch versuchte.

»Ich fürchte, wir haben sie zu lange stehen lassen«, meinte Rosa schuldbewusst.

Tatsächlich hatten wir die frisch gemolkene Milch über den Streitereien der Kinder etwas aus den Augen verloren. Die Senner würden enttäuscht sein, dass wir diese wichtige Arbeit so vernachlässigt hatten.

Sanne rührte und rührte, doch in der weißen Flüssigkeit tat sich nichts. »Ich fürchte, die Milchsäurebakterien haben sich zu schnell vermehrt.«

»Und jetzt?« Verzagt beugte ich mich über den Kessel und sah dort nur eine weiße Flüssigkeit.

»Beten oder wegkippen«, meinte Sanne schulterzuckend.

Zum Glück brachte sie nach einiger Zeit des Experimentierens mit Hitze und Lab doch noch eine geronnene Käsemasse zustande, doch es war absehbar, dass daraus kein guter Alpkäse werden würde.

»Wir haben’s vermasselt«, meinte Rosa betreten, und zum ersten Mal überhaupt sah ich sie mit gereizter Miene. »Gleich am ersten Tag, wenn die Bauern weg sind. Wie unangenehm!«

Ich fühlte mich ein wenig schuldig, da der Vorschlag mit den Pfannkuchen von mir gekommen war. Der Misserfolg schlug uns auf die Stimmung, was dadurch verstärkt wurde, dass das Gewitter zwar wie ein schweres Tuch über den Bergen hing, sich aber bis zum Nachmittag partout nicht entladen wollte. Jede Bewegung in der feuchtschwülen Luft war um ein Vielfaches anstrengender als sonst, und selbst als wir am späten Abend Ausbesserungsarbeiten am Weidezaun vornahmen, lief uns der Schweiß in Rinnsalen die Stirn hinab.

Auch auf die Kühe schien sich die schlechte Stimmung zu übertragen, sodass wir Mühe hatten, einige von ihnen überhaupt aus dem Stall zu bekommen. Selbst meine Lieblingskuh Mokka hatte schlechte Laune, bockte herum und trat mir mit der hinteren Klaue schmerzhaft auf den Fuß, als ich sie hinausbugsieren wollte. Ich ignorierte meinen Schmerz und schaffte es schließlich doch, sie nach draußen zu bringen.

Als endlich alle Kühe auf der Weide waren und wir die weiteren Aufgaben erledigt hatten, war immer noch kein befreiender Wolkenbruch in Sicht. Pablo hatte seine Position an der Tür mittlerweile aufgegeben, wich mir dafür aber nicht von der Seite. Dies war zusätzlich frustrierend, da ich es als einen Rückfall in alte Zeiten wähnte und nicht wusste, wie ich dieses Verhalten ohne Hundetrainer abstellen sollte.

Zum allerersten Mal, seit ich auf der Alp war, fühlte ich mich unwohl und dachte sogar über eine vorzeitige Abreise nach. Am Abend verzichtete ich daher darauf, mit den anderen in der Stube zu sitzen, und ging unter Verweis auf meine Schmerzen im Fuß vorzeitig zu Bett. Die Luft in der Dachkammer war jedoch zum Schneiden dick, da das kleine Fenster keinen Windhauch ins Zimmer ließ. Entsprechend wälzte ich mich hin und her und kämpfte mit dem zu warmen Federbett, das auf mir lag wie ein Bleigürtel. Selbst als gegen Mitternacht endlich ein kleines Gewitter über den Bergen niederging, verbesserte sich die Luft in der Kammer nur geringfügig, und von der erhofften Abkühlung war nicht viel zu spüren. Dennoch fiel ich irgendwann in einen leichten, wenig erholsamen Schlaf und hatte einen gräßlichen Albtraum von grellen Blitzen, die auf die Kuhweide niedergingen und dort meine Lieblingskuh Mokka erschlugen.

Mitten in diesem unschönen Film erwachte ich und starrte mit klopfendem Herzen und bangem Gemüt in die Dunkelheit. Was war geschehen? War ich durch einen Donnerschlag wach geworden?

Allmählich gewöhnten sich meine Augen an das Dunkel, und ich bemerkte, dass Pablo am Fenster stand und wie gebannt nach draußen blickte. Als er bemerkte, dass ich wach war, blickte er auffordernd zu mir und fing an zu winseln.

»Nein, nicht jetzt«, wehrte ich ab, denn ich fühlte mich wie zerschlagen. Normalerweise musste er nicht noch so spät nach draußen, doch in dieser Nacht war wohl wirklich alles anders. Pablo begann regelrecht zu jaulen, wobei er Töne produzierte, die ich noch nie von ihm gehört hatte. An Schlaf war nun wirklich nicht mehr zu denken.

Seufzend kletterte ich aus dem Bett, schlüpfte in meine Filzclogs und ließ Pablo aus der Kammer, woraufhin er wie ein Pfeil die steile Treppe hinabschoss.

»Nun warte doch mal«, schimpfte ich und stolperte hinterher. Mein Fuß schmerzte von der Begegnung mit Mokka noch immer. Kurz bevor ich unten angekommen war, rutschte ich auch noch aus und fiel polternd die letzten beiden Stufen hinunter. Als ich auf der untersten Stufenkante auftraf, schoss mir der Schmerz in den Rücken. Unwillkürlich schrie ich auf und lauschte sofort, ob etwa jemand wach geworden war.

Doch offenbar hatte niemand den Lärm gehört, denn im Haus blieb es so still wie zuvor. Mühsam hievte ich mich hoch und ließ Pablo hinaus, der winselnd an der Tür stand. Er schlüpfte sofort ins Dunkel hinaus und verschwand in Richtung Kuhweide.

»Pablo! Komm sofort zurück!«, rief ich, doch er hörte nicht. Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihm hinterherzugehen. Schimpfend und humpelnd folgte ich ihm in Filzclogs und kurzem Nachthemd über die dunkle Almwiese, die im kalten Schein des Mondes fremd und unheimlich wirkte. Ich musste aufpassen, dass ich auf dem Weg nicht auch noch über einen Felsbrocken stolperte.

»Dich lasse ich bestimmt nicht noch einmal nachts heraus«, schimpfte ich gegen die übermächtige Stille an. Es war mir nun klar, dass mein Hund nur so getan hatte, als ob er Gassi gehen musste. Denn ich sah aus der Entfernung, wie er mit gesenkter Nase über die Weiden lief und ganz offensichtlich eine interessante Geruchsspur verfolgte. Vermutlich die eines der Murmeltiere, die sich dort manchmal im Licht der untergehenden Sonne balgten. Oder hatte mein Hund möglicherweise gespürt, dass den Kühen etwas zugestoßen war, und wollte mich darauf hinweisen?

Erst kurz vor unserer Kuhweide erkannte ich, was Pablo so sehr beunruhigte. Im Nachhinein muss ich sagen, dass es mir deutlich lieber gewesen wäre, er hätte eine Murmeltierspur verfolgt. Denn am Rand der Weide, neben ein paar Kühen, die irritiert und wie angewurzelt dort verharrten, stand ein Mann. Pablo war ein Stück entfernt stehen geblieben und knurrte ihn wütend an, allzu bereit, sich auf ihn zu stürzen. Ein paar Meter hinter dem Mann ging es steil einen Abhang hinunter.

Ohne zu zögern, stürmte ich zu Pablo, packte ihn am Halsband und herrschte den Mann an: »Was tun Sie hier mitten in der Nacht?«

Der Mann drehte sein Gesicht zu mir, und ich erkannte ihn sofort, obwohl er tatsächlich seine Frisur verändert hatte. »Hallo Zitronenfalter«, sagte er grinsend. »Man trifft sich immer zwei Mal im Leben.«

Vor mir stand der Bankräuber, der mit ziemlicher Sicherheit nicht zu einem Arbeitseinsatz auf der Alp weilte.

»Woher wissen Sie, dass ich hier bin?«, fragte ich und wusste die Antwort bereits, bevor meine Worte in der Welt waren.

»Dein Sohn war sehr kooperativ, nachdem ich ihm ein bisschen leckeres Gras unter die Nase gehalten habe.« Der Bankräuber lachte dreckig. »So ein junger Bursche und schon so bestechlich.« Ich dachte an die Krümel auf dem Wohnzimmertisch, die vermutlich nicht nur Tabak gewesen waren.

Vor Zorn hätte ich dem Bankräuber am liebsten ins Gesicht geschlagen. Gleichzeitig wuchs in mir die Wut darüber, dass Julian mich offenbar verraten hatte. Wir hatten einige Tage nicht miteinander telefoniert, da ich nur kurz im Dorf unten gewesen war, um Rosa abzuholen. Aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, um der Blitzbirne nicht den Triumph zu gönnen, ins Schwarze getroffen zu haben.

»Also, wo ist die Kohle?«, wollte mein Verfolger nun wissen.

»Welche Kohle?«, tat ich ahnungslos.

»Du weißt genau, was ich meine!«, schnaubte er. »Mein Anteil, mein Eigentum, meine Beute!«

An seinem wutverzerrten Gesicht konnte ich erkennen, dass er ziemlich aufgebracht war. Das beunruhigte mich, da ich mitten in der Nacht mit ihm allein war, und ich versuchte, ihn mit logischen Überlegungen etwas herunterzukühlen.

»Meinen Sie wirklich, ich würde hier arbeiten, wenn ich das Geld hätte? Da würde ich es mir doch lieber auf einer Karibikinsel bequem machen.«

In seiner Welt war das eine absolut logische Erklärung. Die Blitzbirne sah mich tatsächlich für einen Moment verunsichert an. »Das hat mich allerdings auch gewundert. Aber in deiner ach so coolen Kunstszene macht man das vielleicht so. Mal spüren, wie die normalen Leute so leben, und danach dann wieder ins alte Schampusleben zurück.«

Ich fühlte mich ertappt und schwieg.

»Niemand sonst kann das Geld haben, ich habe die Beutel schließlich in deinem Auto vertauscht!« Er trat einen Schritt näher, woraufhin Pablo wieder bedrohlich zu knurren begann.

»Nimm deine Töle da weg!«, verlangte der Bankräuber.

In diesem Moment war es ein überaus beruhigendes Gefühl, einen Hund zu haben, der unangenehme Männer nicht leiden konnte. Ich schwor mir, ihn nie wieder zur Problemhundtherapie zu schleppen.

»Vielleicht hat ja auch ein kleiner Polizeibeamter das Geld mitgenommen, um seine karge Pension aufzubessern«, schlug ich vor. »Mein Auto war schließlich lang genug in Polizeigewahrsam. Ich habe es jedenfalls nicht.«

Ich las in seinem nachdenklichen Gesicht, dass er nun tatsächlich ins Grübeln kam, und ich begann, fast selbst ein wenig an meine Theorie zu glauben. Doch plötzlich kippte seine Überzeugung wieder, und er langte nach hinten, zerrte einen Revolver aus seinem Hosenbund und fuchtelte damit herum.

Ich hatte weniger Angst um mich als davor, dass sich aus Versehen ein Schuss lösen könnte, der Pablo oder eine der Kühe treffen würde. Auch meine Lieblingskuh Mokka stand bei der kleinen Gruppe, die sich bisher kaum gerührt hatte, nun aber unruhig herumscharrte.

»Wo ist die Kohle?«, schrie der Bankräuber. Er hob den Arm und gab tatsächlich einen Schuss in die Luft ab, der in der nächtlichen Stille wie ein Störenfried wirkte. Der Knall wurde tausendfach von den Bergen zurückgegeben. Ich glaubte, noch nie so einen lauten Donnerschlag gehört zu haben. Die Kühe stoben erschrocken davon und liefen in wildem Galopp den Hang hinauf. Sicherlich waren nun auch Rosa, Sanne und die Kinder alarmiert und würden bald hierherkommen. Das musste ich unbedingt verhindern, um sie nicht ebenfalls in Gefahr zu bringen. Ich hätte der Blitzbirne nun natürlich verraten können, dass ich das Geld hatte und wo es war, doch ich war mir nicht sicher, ob er mich dann nicht einfach erschießen würde.

Was hatte der Hundetrainer noch auf meine Frage geantwortet, woher Pablo wisse, dass ich ihn Gefahr sei und er eingreifen müsse? Im Zweifelsfall versteht jeder Hund, der es geübt hat, ein einfaches: Fass!

Also sagte ich: »Pablo, fass!«, und ließ zugleich sein Halsband los.

Der Hund gehorchte sofort und stürzte sich ohne Umschweife auf den Bankräuber. Diesem fiel vor Schreck die Waffe aus der Hand, er stolperte verdattert nach hinten, verlor das Gleichgewicht, ruderte zu seiner Rettung noch mit den Armen in der Luft umher, konnte den Sturz aber nicht mehr abwenden und rollte ein paar Meter den Hang hinab, direkt auf den Abgrund zu.

Ich rannte schnell zu seiner Waffe, die etwas entfernt ins Gras gefallen war, und warf sie in hohem Bogen so weit weg, wie ich nur konnte. Der Bankräuber war bis zum Abhang gerollt, klammerte sich mit einer Hand panisch an einem mickrigen Büschchen fest und war eindeutig im Begriff abzustürzen.

»Hilf mir!«, jammerte er. Sein Blick flackerte.

Ich wusste nicht, wie tief es hinter ihm hinabging. Aber ich wusste, dass die Kühe, die immer noch in Panik über die Weide galoppierten, sich ernsthaft verletzen konnten. Ich dachte an die Miene des Senners, als er mir erzählt hatte, dass sie vor ein paar Jahren drei Kühe einschläfern lassen mussten. Und die Familie hatte mit meinen Problemen absolut nichts zu tun.

Sollte ich meinem Verfolger helfen, würde er bestimmt versuchen, mich mit sich hinabzuziehen. Oder er würde sich direkt auf mich stürzen, wenn er wieder auf zwei Beinen stand.

Wen sollte ich also retten? Mein Herz klopfte bis zum Hals. Wenn ich jetzt ging, hatte ich womöglich einen Menschen auf dem Gewissen. Ich entschied mich für meine geliebten Kühe und rannte los.

»He, bleib hier, du dumme Nuss!«, brüllte der Bankräuber, doch ich drehte mich nicht einmal mehr um, sondern hetzte den Hang hinauf hinter den Tieren her. Sie hatten vor Schreck die Weidezäune durchbrochen, und es war nicht ganz einfach, sie zu finden. Doch mein Hund half mir dabei. Hin und wieder glaubte ich, den Bankräuber rufen zu hören, doch ich versuchte, mich taub zu stellen.

Irgendwann war es still.

Als ich die Kühe endlich eingefangen und einigermaßen beruhigt hatte und somit die Verletzungsgefahr gebannt war, kehrte ich zurück zu der Stelle, an der die Blitzbirne sich festgeklammert hatte. Sie war leer. Den jämmerlichen Busch hatte er mit sich in die Tiefe gerissen.

Vorsichtig lugte ich über den Abgrund und stellte fest, dass es dort viel tiefer hinabging, als ich gedacht hatte. Unten auf einer Felsplatte meinte ich, im Dunkel einen seltsam verdrehten Körper auszumachen. Aber ich war mir nicht sicher.

Ich drehte mich um und übergab mich ins Gras. Danach versagten meine Beine, und ich ließ mich zitternd auf den Boden fallen.

Jemand hatte sein Leben verloren, und ich war dafür verantwortlich. Egal, wie bedrohlich mein Verfolger auch gewesen war, er war immer noch ein Mensch.

Ein Mensch, der nun mit gebrochenen Gliedern da unten in der Tiefe lag.

Ich saß noch immer auf der Weide, neben mir Pablo, und starrte dumpf in die Nacht, als Rosa keuchend angelaufen kam. Sie hatte wohl als Einzige den Schuss gehört und war vermutlich mit Mallory losgelaufen, nachdem sie meine Kammer leer vorgefunden hatte.

»Was ist passiert?«, fragte sie erschrocken, als sie mich in diesem Zustand sah.

Ich warf mich an ihren Hals, begann hemmungslos zu schluchzen, und dann brach alles aus mir heraus, angefangen vom Bankraub bis hin zu meinem großen Fehler, das Geld an mich genommen zu haben. Und dass ich seitdem verfolgt wurde und der Bankräuber nun mit gebrochenen Knochen unten in der Senke lag.

Rosa hörte sich alles ruhig an und tätschelte dabei beruhigend meinen Rücken, während Mallory ihren Kopf in meinen Schoß legte.

»Pass auf«, sagte sie dann. »Du gehst zurück zur Alm und legst dich ins Bett. Ich melde dich krank und regle das hier.«

Ich sah mit tränenüberströmtem Gesicht auf. »Warum tust du das für mich? Du kennst mich doch kaum?«

Rosa zögerte und sah mich ernst an. »Ich hatte mal eine Tochter, die unverschuldet in Not geraten ist. Ich wünschte, jemand hätte ihr damals geholfen.«

»Ist sie tot?«, fragte ich beklommen.

Rosa nickte nur.

»Das tut mir leid.«

Eine Weile saßen wir nur im Gras und sprachen nicht. Irgendwann raffte Rosa sich auf und zog mich hoch. »Außerdem brauche ich jemanden, der sich beim Qigong noch doofer anstellt als ich.« Sie lachte. »Du musst los. Bald wird es hell, und dann stehen die anderen auf.«

»Danke, vielen Dank!« Ich umarmte Rosa und machte mich mit Pablo, der die ganze Zeit beschützend neben mir gesessen hatte, auf den Weg. Als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich, dass Rosa vorsichtig an den Abgrund robbte und hinunterspähte.

Der Rückweg schien sich endlos hinzuziehen. Meine Beine fühlten sich an, als ob sie eine unglaubliche Last tragen müssten. Pablo war durch die Geschehnisse ebenfalls durcheinander und tänzelte aufgebracht um mich herum. Es gelang mir kaum, ihn zu beruhigen.

Als ich endlich am Haus ankam, fing es schon langsam an zu dämmern. Schnell schlüpfte ich in meine Kammer, ohne jemandem zu begegnen, und legte mich zitternd ins Bett. An Schlaf war nach dieser Nacht nicht mehr zu denken. Ich wälzte mich umher und versuchte, das Bild zu verscheuchen, das immer wieder vor meinem inneren Auge auftauchte: der Bankräuber mit zerschmetterten Gliedern am Grund des Abhangs.

Irgendwann glaubte ich, die Rotoren eines Hubschraubers zu hören, aber ich war mir nicht sicher. Zwei quälend lange Stunden versuchte ich, wieder einzuschlafen, dann gab ich auf und kletterte aus dem Bett. Ich schüttete mir das eiskalte Bergwasser ins Gesicht, um wenigstens ein bisschen frisch auszusehen, schlüpfte in Jeans und Fleecepulli und humpelte hinunter in den Stall. Mein Fuß und mein Rücken schmerzten immer noch, aber das war im Moment mein geringstes Problem.

Die Kühe standen alle schon an ihrem Platz, knabberten Heu oder schleckten Salz, und Sanne war gerade dabei, mit dem Melken anzufangen.

»Guetä Morgä, ich hab gedacht, du bist krank«, rief sie erstaunt.

»Dachte ich auch«, antwortete ich. »Hab’s aber trotzdem nicht im Bett ausgehalten.«

Sanne nickte wissend und machte sich an die Arbeit. Ich ging ins Wohnhaus hinüber, bereitete das Znüni für alle vor, weckte die Kinder und setzte mich an den Tisch. Das muntere Plappern der Kleinen lenkte mich ein wenig von den düsteren Erlebnissen der letzten Nacht ab.

Rosa kam in die Küche, nickte mir aber nur bedeutungsvoll zu. Reden konnten wir nicht, da Sanne und die Kinder die ganze Zeit über anwesend waren.

»Alles in Ordnung, Vera?«, fragte Sanne irgendwann.

Ich schreckte auf. »Was hast du gesagt?«

»Ich wollte wissen, ob du dich doch lieber wieder hinlegen willst. Man sieht doch, dass es dir nicht gut geht.«

Ich schüttelte den Kopf. Es war mir lieber, mich in die Arbeit zu stürzen, als den ganzen Tag im Bett herumzugrübeln. Nachdem sich die Wut über Julians Verrat etwas gelegt hatte, war die neue Sorge aufgetaucht, ob der Bankräuber ihm vielleicht etwas angetan hatte. Ich musste baldmöglichst in den Ort hinunterfahren, um ihn anzurufen.

Schnell stand ich auf und räumte den Tisch ab, um Sanne nicht weiter Anlass zur Sorge zu geben.

Den ganzen Vormittag über gab es allerdings keinerlei Möglichkeit, allein mit Rosa zu sprechen. Es brannte mir natürlich unter den Nägeln, zu erfahren, wie es mit dem Bankräuber weitergegangen war. Zur Ablenkung half ich Sanne beim Käsen, was dieses Mal problemlos gelang, kümmerte mich um Haus und Kinder, ließ die Hunde draußen herumtollen, backte einen Kuchen und wartete auf den Moment, an dem ich mit Rosa endlich alleine war. Die ganze Zeit über spukte ein Satz in meinem Kopf herum: Ich habe einen Menschen auf dem Gewissen.

Dieser Mensch war zwar nicht gerade nett zu mir gewesen, aber er war sicherlich von irgendjemandem auf der Welt geliebt worden. Und diese Person, vielleicht seine Mutter, musste ihren Sohn nun schmerzlich vermissen, weil ich ihn nicht gerettet hatte.

Unterlassene Hilfeleistung war wohl der juristische Tatbestand dafür. Oder war es sogar Totschlag, weil ich Pablo zu seinem Sprung animiert hatte?

 

Die Gelegenheit, mit Rosa zu sprechen, ergab sich erst am Nachmittag, als alle mit Kaffee, Kakao und Kuchen versorgt waren und danach wieder ihrer normalen Beschäftigung nachgingen. Rosa half mir, den Tisch abzuräumen, und berichtete unterdessen, wie es in der Nacht weitergegangen war.

»Ich hab gleich die 1414 angerufen und die Alpine Rettung verständigt«, raunte sie, damit uns die Kinder nebenan nicht hören konnten. »Die haben den Typen dann eingesammelt und ins Spital nach Frutigen gebracht.«

»Er lebt noch?« Vor Erleichterung fiel mir gleich ein ganzes Schweizer Gebirgsmassiv vom Herzen.

Rosa nickte. »Aber er hatte einige Knochenbrüche, wie du dir vorstellen kannst.«

»Hast du ihnen gesagt, wer er ist?«, wollte ich wissen.

Zu meiner weiteren Erleichterung schüttelte Rosa erneut den Kopf und lächelte sogar ein wenig. »Sie haben sich nur darüber aufgeregt, dass die Touristen jetzt sogar schon Nachtwanderungen in den Alpen machen.«

Ich atmete auf. Das Wichtigste war erst mal, dass ich nicht für den Tod eines Menschen verantwortlich war. Noch war folglich nicht alles verloren. So lange zumindest, bis mein Verfolger wieder genesen war oder die Kommissarin mir doch noch auf die Schliche kam.

»Ich will mich ja nicht in dein Leben einmischen«, begann Rosa vorsichtig. »Aber ich würde dir dringend raten, deine Angelegenheiten zu klären.«

»Du hast ja recht«, gab ich zu. »Aber ins Gefängnis will ich eben auch nicht.«

»Das musst du auch nicht«, meinte Rosa mit leisem Triumph in der Stimme. »Ich hatte heute Nacht auf der Weide viel Zeit nachzudenken, bis die Rettung gekommen ist, und ich habe einen Plan entworfen. Und wenn du willst, erkläre ich ihn dir, während wir die Kühe rausbringen.«

Mein Herz machte einen kleinen freudvollen Hüpfer. Natürlich wollte ich unbedingt diesen verheißungsvollen Plan kennenlernen! Und während wir Flecki, Mokka, Stella und all die anderen Kühe ins Freie ließen und diese vor Freude wie immer kleine Bocksprünge vollführten, erzählte Rosa, was sie sich in der Nacht ausgedacht hatte.

Ich war sofort damit einverstanden. Zur Durchführung des Plans musste ich mir allerdings einen Tag freinehmen. Das war nicht ganz einfach, zumal Frau Stocker am Abend mit schlechten Nachrichten aus der Stadt zurückkam. Das Krankenhaus hatte ihren Mann gleich dabehalten, da sein Bruch operiert werden musste, was bedeutete, dass er die ganze restliche Saison ausfallen würde. Dementsprechend miserabel war die Laune meiner Gastgeberin.

Daher wartete ich bis zum nächsten Tag, um ihr mein Anliegen vorzutragen. Da ich ein Problem mit meinem Sohn vorschützte, was ja nicht ganz erfunden war, und meine Arbeit ohnehin freiwillig war, konnte Frau Stocker meine Bitte um einen Urlaubstag nicht abschlagen. Aber ich spürte, dass die Bürde der vielen Arbeit schwer auf ihr lastete. Daher versprach ich ihr, auf jeden Fall am gleichen Abend wieder zurück auf der Alp zu sein.

 

Am nächsten Morgen stand ich in aller Frühe auf, schmierte mir zwei Käsebrote und fuhr, noch bevor die anderen wach waren, mit dem klapprigen Renault zum Bahnhof hinunter. Pablo hatte ich auf dem Hof zurückgelassen, was er sehr ungern, aber unter gutem Zureden schließlich doch akzeptiert hatte.

Mit dem Zug brauchte ich dreieinhalb Stunden, bis ich nach mehrmaligem Umsteigen zu Hause angekommen war. Unterwegs checkte ich mein Handy und fand eine Nachricht von meiner Mutter vor, der es auf ihrer Kreuzfahrt hervorragend zu gehen schien. Außerdem hatte Julian vor drei Tagen versucht, mich anzurufen, aber keine Nachricht hinterlassen. Ich probierte gleich, ihn zu erreichen, doch er ging nicht ans Telefon. Das war zu dieser frühen Stunde jedoch nichts Ungewöhnliches. Sollte er wirklich so leichtfertig meine Adresse verraten haben, oder war der Bankräuber mir in Wahrheit einfach die ganze Zeit gefolgt?

Auf der Website der Berner Zeitung las ich eine kurze Notiz zum nächtlichen Absturz eines Wanderers im Kandertal, dessen Identität bislang unbekannt sei. Hoffentlich blieb das noch eine Weile so.

Für mein Vorhaben wollte ich einen Trenchcoat von meinem Ex-Mann, den er bei seinem Auszug vergessen hatte, und eine dazugehörige Kappe aus der Garage zu meiner Tarnung verwenden.

Zu Hause angekommen schloss ich mit bangem Gefühl die Haustür auf, doch es war niemand da. Dem Zustand der Räume nach konnte ich entnehmen, dass mein Sohn morgens da gewesen war. Auf dem Tisch stand das Frühstücksgeschirr, das noch recht frisch wirkte. Und die Zeitung von heute lag auch noch dort. Also schien es ihm gut zu gehen.

Ich ging zum Kühlschrank und pulte unerschrocken den Schließfachschlüssel aus dem Hundefutter. Kaum zu glauben, dass mich dies vor gut drei Wochen noch angeekelt hatte! Schnell wusch ich den Schlüssel ab und befestigte ihn an meiner Halskette. Dann ging ich in die Garage, holte den Trenchcoat von Bart und seine Kappe und stopfte sie in eine Plastiktüte. Danach nahm ich ein Paar alte Handschuhe aus der Kommode im Flur und zwei Paar Latexhandschuhe aus dem Bad und verließ mein Haus wieder, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Schließlich fuhr ich mit der Straßenbahn zurück zum Bahnhof.

Dort ging ich ohne Umwege zum Schließfach, öffnete es mit dem Schlüssel, der immer noch ein wenig nach Hundefutter roch, und nahm den Altkleidersack heraus. Ich zog die Tüte mit dem Geld hervor und steckte sie möglichst unauffällig in meine Handtasche. Die restlichen Altkleider stopfte ich in einen Mülleimer und kehrte zum Bahnsteig zurück. Tatsächlich hatte Julian es geschafft, die Gebühr fürs Schließfach rechtzeitig nachzuzahlen. Aber wo steckte er bloß?

Ich stieg in den ICE nach Basel. Unterwegs schrieb ich Julian eine Nachricht und fragte, wie es ihm ging, ohne zu verraten, dass ich zu Hause gewesen war. In Basel stieg ich um und fuhr über Bern nach Frutigen, dem Ort, in dessen Spital die Blitzbirne eingeliefert worden war. Auf der Zugtoilette streifte ich Handschuhe über, füllte das Geld in einen frischen Beutel, zählte es dabei nach und musste zu meinem Ärger feststellen, dass weitere tausend Euro fehlten. Mein Sohn hatte sich offenbar noch einmal an dem Geld bedient.

Noch im Zug zog ich den Trenchcoat an, schließlich konnte auch so ein kleiner Ort Beobacher haben, steckte mir die Haare unter die Kappe und stieg aus.

Das Spital lag nicht weit vom Bahnhof entfernt im Grünen. Es mutete eher wie ein Hotel an denn wie ein Krankenhaus. Ich fragte mich, wie ich den Bankräuber finden sollte. Sicherlich war er auf der Unfallstation untergebracht oder womöglich sogar auf der Intensivstation. Aber ich kannte weder seinen Namen noch konnte ich einfach nach ihm fragen, ohne Aufsehen zu erregen. Also entschied ich mich für die Unfallchirurgie, stopfte in der Herrentoilette meine Tarnkleidung in eine Tasche, griff mir vor der Stationstür einen Kittel von einem Wäschewagen, zog die Latexhandschuhe an und schlüpfte mitsamt dem Wagen hinein.

Auf der Station war es vollkommen ruhig. Vermutlich saß das Pflegepersonal gerade im Stationszimmer und machte die Übergabe an die nächste Schicht. Ich beschloss, die Gelegenheit zu nutzen, und fuhr hektisch mit dem Wagen von Zimmer zu Zimmer, um wie selbstverständlich die Bettwäsche in den Schränken nachzufüllen. Zum Glück hörten die Patienten nicht, wie laut mein Herz dabei klopfte.

In den ersten beiden Zimmern lagen jeweils zwei Frauen, in den nächsten beiden drei Männer verschiedenen Alters.

Ich sagte freundlich »Grüezi«, zeigte auf den Schrank und füllte Wäsche nach, wo noch Platz war.

Die meisten Patienten waren in einem zu schwachen Zustand, um überhaupt Notiz von mir zu nehmen. Manche waren an Schläuche und Apparate angeschlossen, einer wurde sogar beatmet. Es war bedrückend, das zu sehen. Was hatten sie bloß erlebt, um auf dieser Station zu landen? Ich musste eine Welle von Mitleid unterdrücken, um überhaupt in das nächste Zimmer gehen zu können.

Dort merkte eine Frau an, dass heute doch schon einmal Wäsche aufgefüllt worden sei, was ich schwitzend mit »Nachlieferung« kommentierte, um schnell das Zimmer wieder zu verlassen.

Im fünften Zimmer lagen erneut zwei Männer, die stark bandagiert waren, aber dem Alter nach zu meiner Suche passten. Ich beugte mich über den, der näher bei der Tür lag. Plötzlich riss er die Augen auf und verlangte nach Wasser. Ich erschrak fast zu Tode, füllte aber, nachdem ich mich gefangen hatte, sein Glas nach und gab ihm einen Schluck.

Als ich mich dem Mann am Fenster näherte, erkannte ich trotz der zahlreichen Verbände sofort, dass es die Blitzbirne war. Sein Arm lugte halb unter der Bettdecke hervor, die genau jene Stelle freigab, an der sich das alberne Krabben-Tattoo befand. Er war es, daran bestand kein Zweifel. Von ihm ging jedoch keinerlei Gefahr aus, denn sein anderer Arm und ein Bein waren eingegipst und das Bein an der Decke aufgehängt.

Plötzlich merkte ich, dass er mich beobachtete. Ich blickte ihm in die Augen und konnte die Angst darin erkennen. Meine Güte! Er dachte offenbar, dass ich hier war, um ihn umzubringen. Bevor er anfing zu schreien, zog ich den Beutel mit dem Geld unter meinem Kittel hervor, zeigte ihn dem Bankräuber und ging an seinen Schrank. Er verfolgte mich genau mit seinem Blick, hatte aber offenbar verstanden, dass ich ihm seinen Anteil der Beute zurückbrachte. Im Schrank befand sich ein Rucksack, den er vermutlich mit sich geführt hatte. Ich stopfte den Beutel so nachlässig in den Rucksack, dass jeder, der ihn öffnete, sofort das Geld darin entdecken musste.

Dann schloss ich den Schrank wieder, wünschte dem Bankräuber leise: »Viel Spaß im Gefängnis« und verließ rasch das Zimmer. Draußen musste ich mich erst einmal an die Wand lehnen und tief Luft holen. Meinem Verfolger so nahe zu kommen, löste in mir immer noch ein Gefühl der Beklemmung aus. Immerhin wusste ich jetzt, dass er nicht in Lebensgefahr war. Und ich auch nicht.

Auf dem Flur hatte die Mittagsschicht damit begonnen, den Nachmittagskaffee zu verteilen. Ich musste möglichst schnell von hier verschwinden, ohne dabei Aufsehen zu erregen. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, schob den Wäschewagen vor mir her, ging wie selbstverständlich an zwei jungen Schwesternschülerinnen vorbei, grüßte freundlich und zwang mich, langsam auf die rettende Stationstür zuzugehen.

Die beiden Schülerinnen waren zum Glück vollauf damit beschäftigt, den Kaffee auszuschenken, und beachteten mich nicht weiter. Als ich jedoch gerade am Stationszimmer vorbeigelaufen war, steckte ein Pfleger den Kopf aus der Tür und rief mir »Stopp!« hinterher.

Mein strapaziertes Herz begann heftig zu rasen. Ich blieb wie angewurzelt stehen und wagte es nicht einmal, mich umzudrehen.

Der Pfleger kam rasch näher. Ich tat so, als ob ich dringend die Wäsche sortieren musste.

»Hast du noch Einmalwaschlappen? Die sind uns grade ausgegangen.«

Ich atmete tief durch und fragte mich, was er wohl meinen könnte. Doch außer Bettwäsche und Handtüchern konnte ich auf dem Wagen partout nichts entdecken, was einem Waschlappen ähnelte.

Da bückte sich der Pfleger schon selbst, griff eine Etage tiefer nach einem Paket blauer Tücher, bedankte sich mit »Merci vielmal!« und ging pfeifend mit seiner Beute davon.

 

Erst kurz vor dem Bahnhof bemerkte ich, dass ich immer noch den Schwesternkittel trug. Ich war wirklich eine miserable Verbrecherin. Schnell streifte ich ihn ab und stopfte ihn im nahen Stadtpark in einen Mülleimer. Dann zog ich wieder meine alte Tarnkleidung über, schüttelte den Kopf über so viel Dilettantismus und ging schnell zum Bahnhof.

Dort musste ich mich zunächst orientieren, wo der Zug nach Reichenbach abfuhr, stieg in den richtigen Zug, entledigte mich in einem leeren Waggon meiner Tarnung und war eine gute halbe Stunde später wieder im Tal angekommen.

Unterwegs erreichte mich eine SMS von meinem Sohn: Alles cool. Gruß, Julian.

Diese Nachricht war sehr erleichternd. Beim Gedanken daran, dass er schon bald am Schließfach stehen und bemerken würde, dass nicht mehr alles »cool« war, musste ich jedoch ein wenig grinsen. Allerdings machte es mich auch wütend, dass er nicht einmal jetzt auf den Gedanken kam, mich vor meinem Verfolger zu warnen.

Ich war heilfroh, als ich am Abend endlich wieder auf meiner geliebten Alm angekommen war.