4. KAPITEL
Willow
»Mein Gott, Willow. Das ist genauso gut wie in meiner Erinnerung.«
»Ich kann nicht glauben, dass dir das immer noch schmeckt«, sage ich und werfe ihm einen Seitenblick zu. Ich beiße ein Stück von meinem eigenen Sandwich ab und genieße die Erinnerungen an meine Kindheit, die es mir bringt. Das war an Samstagnachmittagen das Lieblingsessen meines Vaters.
»Fett und Schmalz. Weltbeste Kombination«, sagte er immer zu mir.
Reid hält die zwei Brotscheiben mit einer Füllung aus Fleischwurst, Kartoffelchips und einer ordentlichen Portion Mayo mit beiden Händen fest, beugt sich vor, damit die Krümel statt in seinen Schoß auf die Veranda fallen, und schließt bei jedem Bissen genüsslich die Augen. An bessere Zeiten zurückzudenken macht mich ein wenig wehmütig.
»Ich hab das seit Jahren nicht mehr gegessen«, verkündet er, nachdem er sich das letzte Stück in den Mund geschoben hat.
»Wirklich? Warum?« Ich stelle den Teller mit meinem nur zu drei viertel aufgegessenen Sandwich auf dem Tisch neben mir ab und wische mir die Hände mit der Serviette sauber. Mir ist auf einmal der Appetit vergangen.
Ich muss an das erste Mal denken, als ich diese Kreation in seinem Beisein gegessen habe. Es war während einer kurzen
Pause bei einer Theaterprobe. Er hat mich ständig auf den Arm genommen und behauptet, es sähe eklig aus. Doch als ich ihn zwang, ein Stück davon zu probieren, änderte er sofort seine Meinung und bat mich, ihm für den nächsten Tag auch ein Sandwich zu machen. Von da an brachte ich immer, wenn wir am grasbewachsenen Ufer des Lake Union picknickten, zwei BC&Ms mit, wie Reid sie nannte, außerdem vier Gurkenviertel und eine Partybox mit dem billigsten Wein, den ich finden konnte.
Jetzt faltet Reid die Hände über seinem Bauch und sieht mich an. Sein Blick ist traurig und hoffnungsvoll zugleich, sodass ich mich frage, warum zum Teufel ich eingewilligt habe, dass er auf ein verspätetes Mittagessen vorbeikommt, anstatt Nein zu sagen.
Doch aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, es ihm nicht abschlagen zu können oder zu wollen
. Auch wenn mein Herz in seiner Gegenwart immer noch schnell schlägt und ich das vertraute Flattern im Bauch spüre, will ich keine romantische Beziehung mit Reid. Diesen Platz hat ein autoritärer, starker, richtig schön sturer Mann eingenommen, der meine Seele berührt, ob ich es will oder nicht.
»Wie lautete die Frage noch mal?«, fragt er mit einem eigentümlichen Grinsen. Früher hat mein Herz dann immer einen Sprung gemacht. Und das tut es jetzt noch.
»Hast du sie echt vergessen oder lenkst du nur ab?«
Er verzieht den Mund zu einem Lächeln, was seine grünen Augen zum Strahlen bringt. »Keine Frau ist mir je so unter die Haut gegangen wie du, Willow. Keine vor dir. Und auch keine nach dir.«
Ich weiche seinem Blick aus, weil ich nicht weiß, wie ich reagieren soll.
»Warum bist du hier?«, frage ich, plötzlich verlegen
.
»Ich bin hier, weil ich an der Kampagne für Preston Mercers Wiederwahl arbeite.«
»Nein«, antworte ich und sehe ihn jetzt an. »Ich meine nicht hier in Seattle. Warum bist du hier bei mir? Auf meiner Veranda? Isst Fleischwurst-Kartoffelchips-Sandwiches und unterhältst dich mit mir, als hätte ich dir nicht das Herz gebrochen und dein Leben zerstört?«
Er beugt sich vor und lässt die Hände zwischen seinen Schenkeln nach unten baumeln. Unter seiner abgetragenen Jeans zucken seine Muskeln, aber ich konzentriere mich auf sein Gesicht. Er lässt mich nicht aus den Augen, während er sagt: »Das Herz hast du mir gebrochen. Das gebe ich zu. Aber mein Leben hast du nicht zerstört, Willow. Du …« Er macht eine lange Pause. Sein intensiver Blick ist so versengend, dass mir ganz heiß wird. »… hast mir eine Perspektive gegeben.«
Meine Verwunderung manifestiert sich in einem verächtlichen Schnauben. »Perspektive? Inwiefern?«
Als er den Blick in den Garten schweifen lässt, habe ich das Gefühl, wieder atmen zu können. Ich verstehe nicht, worauf er hinauswill. Ich verstehe auch nicht, warum mir die Antwort so wichtig ist.
Weil ich ihm furchtbar wehgetan habe und ihm nicht wieder wehtun will.
»Als ich damals zum Vorsprechen das Theater betrat und deine wild aufgetürmten Haare, deine schlanke Taille und deinen perfekten herzförmigen Po sah, war es Lust auf den ersten Blick.«
Ich sehe ihm beim Sprechen zu. Er hat einen versonnenen Gesichtsausdruck. Diese Geschichte hat er mir noch nie erzählt.
»Doch als du dich umdrehtest, meinen Blick auffingst und dein bewusstseinsveränderndes Lächeln lächeltest, Willow …« Al
s er langsam den Kopf zu mir dreht, bin ich wie erstarrt. Meine Lungen schreien nach Luft. »Da hat es mir den Atem verschlagen. Da wusste ich, dass du die Richtige für mich warst.«
Ich schüttele mit dem Kopf. Der Schmerz in meiner Brust verstärkt sich. »Aber das bin ich nicht«, wende ich leise ein.
Ein zurückhaltendes Lächeln huscht über seine Lippen. »Doch, das bist du. Und ich hab’s vermasselt.«
Ich kann ihn nicht mehr ansehen. Stattdessen konzentriere ich mich auf zwei Eichhörnchen, die einander durch den Garten jagen, bevor sie einen Baum hinaufsausen und aus meinem Blickfeld verschwinden. Da mich sein intensiver Blick verwirrt, springe ich auf, trete ans Geländer und beuge mich darüber, während ich überlege, wie ich reagieren soll, ohne ihn zu verletzen.
Das Knarren eines Stuhls dringt an meine Ohren, kurz bevor ich Reids Körperwärme spüre. Er dreht mich zu sich um und nimmt sanft mein Gesicht in seine Hände. Leise atmend sieht er mich durchdringend an. Ob ich es will oder nicht, die Vergangenheit haftet an uns, verbindet uns immer noch.
»Du brauchtest mehr von mir.« Seine Stimme ist tief, rau … verletzlich. »Damals habe ich das nicht verstanden, aber jetzt schon.«
»Was glaubst du denn, was ich brauchte?«, frage ich ihn törichterweise und verfluche mich selbst dafür, dass mir die Frage herausgerutscht ist. Die Richtung, die dieses Gespräch nimmt, wird ihn nur noch mehr verletzen, da ich ihm nichts von dem geben kann, worum er mich jetzt bittet. Das gehört einem anderen. Mir wird plötzlich klar, dass es vielleicht schon immer so war.
Er streichelt langsam und kreisförmig mit dem Daumen über meine Wange. Er beobachtet die Bewegung, bevor er mir wieder in die Augen sieht. »Sag du es mir, Summer. Sag
mir, was du brauchst, und ich gebe es dir. Sag mir, wie ich sein soll, und ich ändere mich. Sag mir, was ich tun soll, um dich zurückzugewinnen, denn so wahr mir Gott helfe … ich habe dich vielleicht eine Zeit lang gehasst, aber ich habe niemals
aufgehört, von einem Leben mit dir zu träumen.«
Meine Atmung wird unregelmäßig. Er bittet mich, mich für ihn zu entscheiden. Ich sehe in die flehenden Augen eines Mannes, der das Unverzeihliche verzeiht. Der entschlossen ist und sich seiner Gefühle absolut sicher, und ich frage mich, warum ich nicht annehmen kann, was er mir anbietet.
Ich gehe im Geist alle Argumente für ihn durch.
Er bietet mir eine Zukunft an, während Shaw sich nicht festlegen will.
Er hat keine Angst, mir zu sagen, dass er mich liebt, oder mir offen seine Gefühle zu zeigen, während Shaw vorsichtig ist und sich zurückhält.
Bei Reid weiß ich, dass er mir Sicherheit und Gewissheit geben wird.
Oder ich könnte alles aufs Spiel setzen, ein Risiko mit einem Mann eingehen, der auf dem Verbindlichkeitskonto eine dicke fette Null stehen hat.
Ein Weg ist befestigt, der andere unbereist.
Doch wie es auch ausgeht, ich habe keine Wahl.
Ich brauche jemanden, der den Schlüssel zu meinen geheimen Wünschen schon in der Hand hält, und keinen Mann, der mich fragt, wo er ihn finden kann.
Ich packe ihn an den Handgelenken. »Ich will nicht, dass du dich veränderst, Reid. Ich mag dich genau so, wie du bist.«
Sein attraktives Gesicht wird lang. Er zieht die Mundwinkel nach unten, während er mich mustert und auf das lauscht, was ich zwischen den Zeilen sage. Als er die Hände wegzieht, bin ich traurig, weiß aber, dass ich das Richtige tue. Ihm etwas
vorzumachen wäre viel schlimmer als das, was ich ihm schon angetan habe.
Als er sich wieder hinsetzt, suchen seine gefühlvollen Augen meinen Blick. Ich halte mich an dem Holzgeländer hinter mir fest. Vielleicht auch, um mich ihm nicht zu Füßen zu werfen und ihn um Vergebung anzuflehen, weil ich nicht die Frau bin, die er sich wünscht.
Er streicht mit den Händen über die glatten Armlehnen seines Stuhls und fragt: »Es geht gar nicht um ihn, oder?«
»Nein«, antworte ich aufrichtig. Denn es geht nicht nur
um Shaw. Sondern auch um mich. Es geht darum, wer ich bin, wenn ich mit Shaw zusammen bin, im Gegensatz dazu, wer ich bin, wenn ich mit Reid zusammen bin.
»Das ist doch Quatsch.«
Ich lecke mir achselzuckend die Lippen und seufze. »Ich weiß nicht, was du von mir hören willst, Reid.« Tu das nicht. Bitte tu das nicht. Zwing mich nicht, Dinge zu sagen, die uns nur beide verletzen werden.
Er holt tief Luft und stößt sie schnell wieder aus. »Tja, was ich von dir hören will und was du sagst, stimmt nicht ganz überein.«
Das entlockt mir ein Lächeln. Es kommt langsam und vorsichtig und entlockt ihm ebenfalls eines. Doch dann werde ich wieder ernst, weil mein Herz so schwer ist. »Es tut mir leid.«
Er winkt ab, als sei das keine große Sache, obwohl ich weiß, dass es das ist. »Das braucht es nicht. Aber du sollst wissen, dass du mich auch nicht loswirst.«
Er ist ernst und aufrichtig. Ich will den Schmerz lindern, den ich in seiner Stimme höre, weiß aber nicht wie. Stattdessen frage ich: »Heißt das, dass du nach der Wahl hierbleiben wirst?
«
Und wünsche ich mir das oder wäre es nur peinlich? Ist es wirklich möglich, mit jemandem befreundet zu sein, der mehr von einem will? Ich glaube nicht.
»Ich habe mich noch nicht entschieden. Möglicherweise. Vielleicht gibt es hier etwas, das für mich von Interesse ist.«
Was er damit sagen will, ist glasklar. Er wartet ab. Er hat sich über Shaw schlaugemacht und denkt genau das, was mich schon länger quält: dass er mich nach der Wiederwahl seines Vaters sitzen lassen wird.
Und so lautete ja auch der ursprüngliche Plan, nicht wahr? Ich habe es bereitwillig abgesegnet. Deshalb habe ich schon hundertfünfzigtausend Dollar in meinem Fonds bei Randi. Ich war von Anfang an eine Schachfigur. Ein Ablenkungsmanöver. Ein strategisch geplanter Wahlkampf-Schachzug.
Der warme Sonnenschein, der eben noch auf meiner Haut getanzt hat, wird eisig. In meinem Bauch setzt sich ein schreckliches Gefühl fest, das ich ignorieren möchte. Es ist dasselbe, das ich schon die ganze Zeit nicht wahrhaben wollte.
Shaw wird mir das Herz genauso brechen, wie ich Reids gebrochen habe. Es ist unausweichlich. Ich weiß das, kann jedoch meine Gefühle für ihn genauso wenig abstellen, wie ich mit dem Blinzeln aufhören kann. Ich stecke schon viel zu tief drin, um jetzt noch umzudrehen. Das Ufer ist nur noch ein Fleck am Horizont. Ich werde es niemals rechtzeitig erreichen.
Ich beschließe, dass es am besten ist, das Thema zu wechseln, und frage: »Was hast du die ganze Zeit über gemacht?«
Sein Blick zeigt mir, dass er mein nicht gerade subtiles Ablenkungsmanöver durchschaut hat, doch das kümmert mich nicht. Ich kann nicht mit ihm über den Mann sprechen, der mir zwar Bauchschmerzen bereitet, aber meine Seele nährt. Reid stemmt sich hoch und kommt zu mir. Diesmal bleibt er neben mir stehen, lehnt sich mit den Unterarmen aufs Geländer und
blickt starr geradeaus. Ich drehe mich zur Seite, lehne mich mit der Hüfte ans Holz und sehe ihn an.
»Ich habe eine Weile bei einem Kumpel in Minneapolis gewohnt. Er war im selben PolyScience-Programm wie ich und hat in jenem Jahr für die Wahlkampagne des Gouverneurs gearbeitet.«
Reid hat sich schon seit der Highschool politisch engagiert. Als zwischen uns Schluss war, hatte er sich zum Leiter diverser großer Wahlkampagnen in einem drei Staaten umfassenden Gebiet hochgearbeitet. Er liebte die Hektik, die Energie, die taktischen Winkelzüge, die Machtspielchen. Und er war gut darin. Kein Wunder, dass er für Prestons Wahlkampagne angeworben wurde.
»Sie waren schon mittendrin, doch mit meiner Erfahrung passte ich gut auf eine untergeordnete Stelle, auch wenn alle schnell herausfanden, dass ich viel nützlicher sein konnte, als nur an Türen zu klopfen und Kundgebungen zu organisieren. Es stellte sich heraus, dass der amtierende Gouverneur, dessen Kampagne ich mitorganisierte, eine Geliebte hatte, die damit drohte, seine Fassade einer perfekten Ehe zum Einstürzen zu bringen, als er mit ihr Schluss machen wollte. Ich bekam recht schnell heraus, dass sie schon dreimal Kinder von drei verschiedenen Männern abgetrieben hatte, den Gouverneur eingeschlossen, der im Übrigen nichts davon wusste. Also habe ich sie zum Schweigen gebracht. Ich hatte so viel Schmutz über sie ausgegraben, dass sie sich nie wieder davon erholt hätte. Hätte sie auch nur ein Sterbenswörtchen über ihre Affäre verlauten lassen, wäre sie eine Aussätzige gewesen. Niemand hätte ihr noch ein Wort geglaubt, auch wenn es im Großen und Ganzen wahr gewesen wäre.«
»Du scheinst stolz darauf zu sein«, antworte ich und finde die Geschichte seltsam verstörend. Ich stelle mir nicht gern
vor, wie der Mann, den ich einmal geliebt habe, sich auf das unterirdische Niveau schleimiger Politiker begibt. Ich sehe ihn lieber als jemanden, der dabei hilft, die Guten ins Amt zu bringen.
Er richtet sich auf und dreht sich zu mir. »Das bin ich auch. Gouverneur Browning ist ein guter Mann, Willow. Er hat einen Fehler gemacht, ja, aber er ist einer der schlausten, ausgebufftesten Politiker, die ich kenne. Er verdient diesen Job, diesen Titel, diesen Respekt und die Macht. Er hätte nicht für alle Zeiten aus dem Amt gedrängt werden dürfen, nur weil er einen Fehler gemacht hat.«
»Und denkst du das auch von Preston Mercer? Dass er seinen Job verdient?« Wie ist mein ehemaliger Verlobter wirklich
in Preston Mercers Wahlkampagne gelandet?
Er überlegt, bevor er antwortet. »Ich habe in meiner Karriere einen Punkt erreicht, an dem ich ein bisschen wählerisch sein kann. Ich nehme keine Kampagne mehr an, wenn ich nicht an den Kandidaten glaube.«
»Aber?«
Er lächelt schief. »Du denkst, da kommt noch ein Aber?«
»Ja. Ich habe es gehört.«
Er fährt mit dem Finger von meiner Stirn über meine Wange und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Die Berührung ist weich und zart. Und sehnsüchtig. Sie hinterlässt das kleinste Feuer, das schnell erlischt. »Nun, aus vielerlei Gründen wird es eine Herausforderung sein, seine Wiederwahl zu ermöglichen, aber ich bin gerade für eine schöne Herausforderung zu haben.«
In diesem einzigen Satz liegen so viele Andeutungen, dass ich nicht einmal weiß, wo ich anfangen soll. »Was für eine Herausforderung?«, frage ich und versuche, den sichersten Weg zu gehen
.
Statt zu antworten, blinzelt er und stellt eine Gegenfrage. »Wie viel weißt du wirklich über die Familie Mercer, Willow?«
Ich strecke den Rücken durch und bringe meine Abwehr in Stellung. Die Mercers sind nicht meine Familie. Verdammt, sie werden vielleicht nie
meine Familie sein, aber ich werde sie verteidigen, als seien sie es. Wie es eine echte »Freundin« tun würde. Vielleicht bin ich keine richtige Freundin, vielleicht werde ich das nie sein, doch nach diesem Wochenende fühlt es sich so an, als könnte
ich es sein. Wieder einmal beschließe ich, das permanente zweifelnde Flüstern zu ignorieren, das zwischen meinen Ohren hallt.
»Ich finde, du solltest nicht weiterreden, Reid.«
Er verschränkt die Arme und spiegelt meine Abwehrhaltung. »Du datest einen Mercer. Das ist eine berechtigte Frage.« Ja, mir ist nicht entgangen, mit welchem Ekel und welcher Eifersucht er das Wort »datest« ausgesprochen hat.
»Das geht dich nichts an.«
»Alles, was die Mercers betrifft, geht mich etwas an, Willow. Alles, du eingeschlossen. Ich mache es zu meiner Sache, weil ich auf diese Art gewinne.«
Die Härchen auf meinen Armen stellen sich auf. »Hier geht es nicht um dich. Oder um mich. Oder um uns, oder wie auch immer du es darzustellen versuchst. Es geht um Preston und um deine Arbeit.«
Er schürzt die Lippen und schüttelt den Kopf. »Nein, Süße. Das ist Politik. Und wie bei einem ordentlichen Gericht kann und wird vor dem Gericht der öffentlichen Meinung alles gegen den Kandidaten verwendet werden. Es ist meine Aufgabe, diesen Mist auszumerzen, bevor das eintritt. Dafür wurde ich angeheuert. Jeder hat Leichen im Keller, von denen niemand etwas wissen soll. Jeder
.«
Seine Behauptung trifft mich wie ein Schlag in den
Magen. Was für Dreck hat Reid ausgegraben und über wen? Und wenn er nun ausgräbt, was ich
in den letzten Jahren getan habe? Gibt es irgendetwas, das mich mit La Dolce Vita oder Randi in Verbindung bringt? Gab es irgendwelche Fotos in der Zeitung oder in den sozialen Netzwerken, die er durchstöbern könnte, um dann einen Zusammenhang herzustellen? So vorsichtig ich auch immer war, die Antwort ist definitiv Ja. Nichts ist absolut sicher. Jede Interaktion, jede Transaktion hinterlässt Spuren; man muss nur clever genug sein, den Krumen zu folgen.
Und, oh mein Gott
, was ist mit dem Geld, das Shaw mir schon bezahlt hat? Es liegt zwar auf keinem herkömmlichen Bankkonto, aber ist es vielleicht möglich, es zu ihm zurückzuverfolgen? Es muss irgendwo einen elektronischen Fußabdruck geben.
Oh
Mist
.
Das könnte alles kaputtmachen. Dass Shaw mich engagiert hat, um bei der Wiederwahl seines Vaters zu helfen, könnte letztlich seine gesamte Familie zu Fall bringen, wenn das, was ich tue, und die Art, wie wir zusammengekommen sind, offengelegt werden. Aber würde Reid das tun, wenn er doch eigentlich alles tun sollte, um dem Bürgermeister zum Sieg zu verhelfen? Würde er das unterschlagen, um den Bürgermeister zu retten, oder es ausschlachten, um einen Keil zwischen mich und Shaw zu treiben? Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich mir da nicht so sicher.
Und wenn Reid es aufdecken könnte, könnte es auch Prestons Konkurrent.
Doppelmist. Ich könnte mich treten, weil ich Shaw nicht mehr Fragen gestellt habe, bevor ich auf der gestrichelten Linie unterschrieben habe. Ich bin buchstäblich blind und unbewaffnet in ein Wolfsrudel gerannt.
»Es ist dein Job, die Konkurrenz auszuschalten, nicht deinen
Arbeitgeber«, erinnere ich ihn und hoffe, dass sich meine Stimme für ihn so fest anhört, wie ich es mir einbilde.
Er kneift leicht die Augen zusammen.
Verdammt.
»Es ist mein Job, meinen Kandidaten mit allen erforderlichen Mitteln zu schützen. Selbst vor denjenigen, die glauben, es gut mit ihm zu meinen.« Wie seine moosgrünen Augen vor Leidenschaft und Überzeugung auflodern, wäre unter allen anderen Umständen bezaubernd gewesen. Jetzt schwant mir dabei nichts Gutes.
»Was soll das
denn wieder heißen?«, hake ich nach. Himmel, mir dreht sich der Magen um.
Reid tritt nah zu mir und streicht mit den Händen über meine Arme. Seine Stimme und sein Blick werden um einiges weicher. »Es heißt nichts, Willow. Es heißt, dass ich mir deinetwegen Sorgen mache.«
»Jetzt sage ich, dass das Quatsch ist.« Oh, wie gern ich ihm ins Gesicht schleudern würde, dass es seine
Idee war, dass Shaw sich eine Freundin nimmt. Dass sich unser Gespräch jetzt nur seinetwegen ständig um Shaw dreht. Dass Reid und ich nur aufgrund des Zuges, den er auf dieses kurvenreiche, tückische Gleis geschickt hat, wieder Kontakt haben. Aber das kann ich nicht. Weil ich es eigentlich nicht wissen darf. »Was hast du gegen Shaw?«
Er beißt die Zähne zusammen, das Feuer in ihm lodert heiß. »Hier geht es nicht um Shaw.« Er spuckt Shaws Namen mit Verachtung aus.
»Ach nein? Ich glaube aber schon. Ich glaube, dass du mich aus irgendeinem Grund vor ihm warnen willst. Aber du redest um den heißen Brei herum und hoffst, dass ich dich danach fragen werde, damit du ihm mit gutem Gewissen sagen kannst, dass du es mir mitgeteilt hast.
«
Ich habe recht. Danach zu urteilen, wie sich seine Pupillen minimal weiten, habe ich recht. Seine Lippen öffnen sich. Ihm liegt etwas auf der Zunge. Er will es mir sagen, er brennt darauf, es mir zu sagen, aber er wird es erst tun, wenn ich ihn dazu dränge.
Doch das werde ich nicht. Was Reid auch im Schilde führt, hat rein egoistische Gründe. Er ist eifersüchtig, er will mich zurück, und er wird alles tun, um zu gewinnen. Das hat er selbst gesagt.
Ich trete einen Schritt zurück. »Es ist Zeit, dass du gehst.«
»Willow –«
»Nein, Reid. Ich bin jetzt mit Shaw zusammen. Egal, was du mir einreden willst, er ist ein guter Mensch. Ich vertraue ihm, und ich kann es nicht gebrauchen, dass du versuchst, unsere Beziehung zu sabotieren. Sie ist gut. Sie ist mehr
als gut, und du musst sofort damit aufhören.«
Sichtlich wütend steht er wie versteinert da. Überlegt wahrscheinlich, wie er vorgehen soll, jetzt da die höhnische Bemerkung, die er eingeworfen hat, zwischen uns steht. Mit verschränkten Armen erwidere ich seinen wütenden Blick.
»Okay«, sagt er bedauernd. Er reibt sich das Gesicht und sagt es noch einmal, nur dass es diesmal resigniert klingt. Er geht die Verandatreppe hinunter, fest entschlossen, zum Hintertor hinauszugehen, als er nach drei Stufen stehen bleibt und noch einen Blick zu mir wirft. »Darf ich dich wiedersehen, wenn ich verspreche, dass Politik und dein Freund kein Thema mehr sind?«
Ich schlucke heftig. Ich bin hin- und hergerissen. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«
Genau das habe ich letzte Woche gesagt, nur dass diesmal eine viel stärkere Überzeugung dahinter steht als damals. Er versucht, meine Beziehung mit Shaw zu untergraben, und ich
glaube nicht, dass Shaw und ich auf dem Gebiet Hilfe brauchen. Wir haben beide schon unsere eigenen Probleme mit in dieses Arrangement gebracht, das sich zu viel mehr entwickelt hat, als wir beide je gedacht hätten.
Reids Lächeln ist verlegen und fast jungenhaft. Er ist wieder der lockere, unbekümmerte Reid, an den ich mich erinnere, und es weckt Erinnerungen an unsere guten Zeiten. »Nicht mal auf einen Milky Way Latte?«
Er weiß, wie sehr ich Milky Way Lattes von Frankie’s mag, unserem alten Stammlokal drei Blocks vom Theater entfernt. Damals hat er mir jeden Tag einen von dort mitgebracht. Ich lehne es nicht schlichtweg ab. Dazu kann ich mich noch nicht überwinden.
»Schokolade habe ich mir abgewöhnt.«
Sein Lächeln verwandelt sich in ein Grinsen. »Wir sprechen uns bald, Sum-Willow.«
Er biegt um die Ecke und ist nicht mehr zu sehen. Ich höre das Tor hinter ihm zuschnappen, was mir signalisiert, dass er fort ist, und frage mich, was zum Teufel gerade passiert ist und warum dieser kleine Zweifel an Shaw, den er mir mit Erfolg eingepflanzt hat, hier bei mir geblieben ist, statt ihm zu folgen, wie er es hätte tun sollen.