10. KAPITEL
Willow
Ich wache mit trockenem Mund auf und habe Durst. Ich schlage langsam die Augen auf. Obwohl mir mein Gehirn meldet, dass es noch nicht Morgen ist, blinzele ich, um den Nebel des Schlafs zu lichten. Ich brauche ein paar Sekunden, bis mir klar wird, wo ich mich befinde.
In Shaws Bett.
Ich drehe mich und will nach ihm greifen, muss jedoch feststellen, dass seine Hälfte des Betts so kalt ist, als sei er schon vor einer Weile aufgestanden. Ich setze mich auf und sehe mich im Raum um. Im Bad ist es stockduster. Es dringt kein Laut durch die Dunkelheit.
Ich werfe die Decke zurück, schwinge meine Füße über die Bettkante und lasse sie im Flauschteppich versinken. Ich bleibe noch kurz sitzen, um zu lauschen, weil ich mich frage, ob er vielleicht dienstlich nach Übersee telefoniert. Als ich nichts höre, stemme ich mich von der Matratze hoch und tapse leise in den Flur.
Erst als ich ihn schon halb durchquert habe, stelle ich fröstelnd fest, dass ich nackt bin. Nach dem Abendessen mit seinen Eltern und Reid haben wir es kaum bis durch die Haustür geschafft, da drückte er mich schon dagegen. Im Nu war ich meine Klamotten los, und er kniete vor mir, spreizte meine Beine und schob seine Zunge in mich, bis ich, dem Orgasmus nahe, zitterte. Doch bevor er ihn mir vergönnte, trug er mich durch den Eingangsbereich bis ins Wohnzimmer, wo er mich über diesen Sessel beugte. Seinen Sessel.
Er nahm mich so wunderschön wild von hinten, wie ich noch nie genommen worden bin, besitzergreifend und doch innig. Der ganze Akt war abgefahren, doch von solch unverfälschter Leidenschaft, dass ich spürte, wie seine Gefühle in meine Poren drangen, als er in mir kam und meinen Namen flüsterte. Noch Stunden danach spüre ich ihn.
Nach ein paar weiteren Metern bleibe ich stehen. Der Flur geht in Shaws offenen Wohnbereich über, von wo ich den gesamten Bereich überblicke, doch ich entdecke ihn auch dort nicht. Im Vorbeigehen schnappe ich mir von der Couch ein Chenille-Plaid, wickele mich darin ein und gehe zum entgegengesetzten Ende des Hauses, wo sein Arbeitszimmer liegt, weil ich fest davon ausgehe, dass er an seinem großen Ahornschreibtisch sitzt und eine Nachtschicht schiebt.
Doch als ich um die Ecke biege, ist das Arbeitszimmer dunkel und leer. Hier ist er eindeutig nicht. Die anderen Räume in diesem Teil des Hauses, die ich rasch überprüfe, einschließlich des Fitnessraums, sind genauso verlassen.
»Wo zum Teufel steckst du?«, murmele ich und mache mich auf den Weg zurück zur Mitte des Hauses. Ist er weggefahren? Soll ich in der Garage nachsehen? Ihn vielleicht auf dem Handy anrufen? Während ich ratlos dastehe und mir den Kopf zerbreche, fällt mir der Schimmer des Mondes auf dem Wasser auf. Wohin könnte er um drei Uhr morgens gegangen sein?
Erst dann, ganz links von mir, entdecke ich ihn auf einem Liegestuhl draußen auf der Veranda.
Er registriert mich nicht. Er blickt geradeaus zur Bucht, die heute Nacht besonders malerisch aussieht. Er führt etwas zum Mund und beißt davon ab, bevor er es wieder auf den Tisch neben ihm legt. Ich schiebe mich näher ans Fenster, um nicht gesehen zu werden, weil ich ihn nicht stören will, wenn er allein sein will. Doch als ich dicht an der Scheibe stehe, die uns trennt, bemerke ich etwas an seiner Haltung. Die Anspannung in seinem Körper und in seiner Kieferpartie. Die zusammengekniffenen Augen. Dies ist kein erholsamer Mitternachtssnack an der frischen Luft.
Irgendetwas quält ihn.
Ich bleibe ein paar Sekunden dort stehen. So viele, dass ich beim Zählen durcheinanderkomme. Soll ich zurück ins Bett gehen und so tun, als sei ich nie aufgewacht? Oder soll ich rausgehen und sehen, ob ich ihn trösten kann? Doch wenn er Trost haben wollte, hätte er mich dann nicht aufgeweckt, und sei es unter dem Vorwand, Sex haben zu wollen?
Ich weiß, was seine Freundin tun würde. Was ich tun will .
Als das Geräusch der Schiebetür die Stille durchbricht, dreht er den Kopf zu mir. Seine Iriden schimmern unter dem Nachthimmel, während er mich von Kopf bis Fuß mustert. Er lässt den Blick gemächlich über mich gleiten, und als er mir wieder in die Augen sieht, kann ich sogar im Dunkeln die Erregung darin erkennen.
Ich bleibe reglos stehen und mustere meinerseits seinen Körper. Er trägt nur eine tiefhängende militärgrüne Pyjamahose mit einer weißen Kordel, die zu einer Schleife gebunden ist und direkt unter der exquisiten Linie aus dreieckigen Muskeln sitzt, die auf den prächtigsten Schwanz deuten, den ich je gesehen habe.
Während ich noch überlege, was ich sagen oder ob ich überhaupt bleiben soll, fällt mein Blick auf den kleinen Tisch neben ihm. Darauf steht ein offenes Glas mit etwas Dunklem darin sowie ein Teller mit einem schmutzigen Messer und etwas, das aussieht wie ein halb aufgegessener … Keks ?
»Hat dir das Abendessen nicht gereicht?« Es ist eine dumme Frage, aber die einzige, die mir einfällt. Seit ich so viel Zeit mit ihm verbringe, verliere ich diese Schärfe in Stresssituationen , die ich als Summer perfektioniert hatte. Ich weiß nicht so recht, ob mir das gefällt, würde es aber auch nicht ändern wollen, da das hieße, dass ich ihn nie getroffen hätte.
Sein Blick folgt meinem, und er streckt den Arm aus und nimmt das Teil hoch. Er beißt davon ab, kaut langsam, während er mich beobachtet, und legt den Rest wieder hin. Dann lächelt er sein strahlendes Megawatt-Lächeln, das stets mein Gehirn ausschaltet. Plötzlich bin ich froh, dass ich nach draußen gekommen bin. »Das ist ein Eleanor-Special«, sagt er.
»Ein was?«, frage ich, während ich langsam näher komme, um einen besseren Blick darauf werfen zu können. Die Luft ist frisch, und ich versuche zu ignorieren, dass die Kälte unter das Plaid kriecht, in das ich mich gewickelt habe. Ich ziehe es fester um mich und halte es unterm Kinn zu. Wieso friert er eigentlich nicht?
»Komm her«, sagt er leise, als er wahrnimmt, dass ich am ganzen Körper zittere. Froh darüber, dass ich bleiben darf, eile ich zu ihm und krabbele auf seinen Schoß, als er mir zu verstehen gibt, dass ich mich dort hinsetzen soll.
Ich ziehe die Knie an die Brust und kuschele mich in der Hoffnung, ihn wärmen zu können, an seine kühle Haut. »Es ist kalt hier draußen.«
»Ich weiß. Ich sitze schon eine Weile hier.« Er dreht ein paar meiner Haarsträhnen zwischen seinen Fingern und lässt sie bis zu den Spitzen hindurchgleiten. Das wiederholt er ein paarmal, bis ich nicht mehr zittere.
An ihn geschmiegt lege ich den Kopf in den Nacken, um ihm beim Reden anzusehen, und hake nach: »Was ist ein Eleanor-Special? «
»Hm … einfach erklärt eine Waffel mit Marmelade.«
Hinter der Geschichte steckt mehr. Eine Erinnerung, die ihn glücklich macht. Ich sehe es. Ich will es wissen. Bis ins kleinste Detail. »Und nicht so einfach erklärt?«
Sein Gesicht hellt sich auf, und er hält mich fester in seinen Armen. »Das ist eine der Eigenschaften, die ich an dir liebe, weißt du das?« Bei seiner Wortwahl stockt mir der Atem, doch ich gestehe es mir nicht ein. Allein bei dem Gedanken daran, es mir einzugestehen, schlägt mein Magen Kapriolen. Noch vor Tagen – verdammt, sogar noch vor Stunden – habe ich mir das gewünscht. Jetzt versetzt mich der Gedanke auf einmal in Angst und Schrecken. Er fährt fort, als hätte er meine Welt nicht auf die beängstigendste Art und Weise auf den Kopf gestellt. »Du nimmst das, was ich sage, nicht einfach so hin. Das tust du nie. Du hörst Dinge, die andere nicht hören.«
»Das ist ein Fluch.« Gott, meine Stimme ist belegt. Atemlos. Alle Atemzüge sind aufgebraucht.
»Das ist eine Gabe«, kontert er rasch. Das Kompliment bringt mein Blut erst recht zum Sieden, und so wie er mich ansieht, ist er sich durchaus bewusst, welche Wirkung er auf mich hat.
»Nicht ganz so einfach erklärt: Es erinnert mich an meine Großmutter. Die Eltern meiner Mutter lebten in Maine. Wir sahen sie nicht allzu oft, doch in jedem Sommer blieben Gemma, Linc und ich zwei Wochen bei ihnen und stromerten durch das idyllische Dorf Castine.«
»Klingt wunderbar.«
»Das war es auch.« Er klingt so wehmütig, dass das Gefühl auf mich übergeht. Und als er seine Erlebnisse in anschaulichen Details beschreibt, habe ich das Gefühl, als sei ich dabei gewesen. »Ich glaube nicht, dass ich es damals genug zu schätzen gewusst habe, aber Grand-Mère Eleanor hat uns regelrecht verwahrlosen lassen. Und das meine ich ernst. Wir liefen zum Sonnenaufgang los und kamen erst bei Sonnenuntergang zurück, schmutzstarrend, klebrig und stinkend. Wir streunten durch die Straßen, die zur Maritime Academy führten, um den großspurigen College-Jungs bei dem Versuch zuzusehen, den Bowdoin-Schoner zu navigieren. Schleckten so viel Eis von The Mill, bis uns schlecht wurde. Wir sind Kajak gefahren und haben die Fischer so lange genervt, bis sie uns auf eine Spritztour mitnahmen und uns eine Leine werfen ließen oder auch zwei.«
Ich lache. »Das klingt gefährlich.«
»Nee. Das war nur ein harmloser Spaß. In einem kleinen Dorf in Neuengland, das sicher und harmlos war und wo jeder jeden kannte. Die Einwohner waren alle freundlich. Dort habe ich zum ersten Mal ein Mädchen geküsst. Das sind ein paar meiner schönsten Kindheitserinnerungen.«
»Und wann kommt da eine Waffel mit Marmelade ins Spiel?«
Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn, bevor er fortfährt.
»Grand-Mère hat meisterhaft Marmelade gekocht. Was man sich nur vorstellen kann, hat sie gemacht. Peperoni, Brombeere, Johannisbeere, Pfirsich, Paprika. Sie hat Hunderte verschiedene Geschmacksrichtungen probiert. Aber ihre Heidelbeermarmelade war bei Weitem meine Lieblingssorte. Ich habe sie auf allem gegessen. Wenn Gemma und Linc erschöpft ins Bett fielen, blieben wir zwei auf, saßen zusammen auf ihrer Veranda, von der man über den Fluss sehen konnte, und aßen selbstgemachte Waffeln, die wir dick mit Heidelbeermarmelade bestrichen.«
»Das klingt fantastisch«, sage ich mit einem Kloß im Hals zu ihm. »Sie klingt fantastisch. «
»Das war sie.«
War .
Ich denke, wir haben beide schon Verluste verkraften müssen.
Zum ersten Mal verspüre ich das Bedürfnis, ihm von Violet zu erzählen. Ihm zu sagen, wie sehr ich sie geliebt habe. Ihm anzuvertrauen, dass ihr sinnloser Tod diese Leere in mir hinterlassen hat, von der ich nicht weiß, ob ich sie jemals wieder füllen kann. Und dass er Annabelle vor denselben Dämonen beschützen muss, die Violet in den Abgrund gezogen haben, denn wenn sie auch sie holen, wird auch er nie wieder ganz sein. Und das könnte ich einfach nicht ertragen.
Doch dieses Gespräch erscheint mir im Moment zu schwer, zu kompliziert, und außerdem glaube ich, dass er Aufheiterung braucht, deshalb frage ich stattdessen: »Wer macht deine Marmelade jetzt?«
Er grinst. »Erinnerst du dich an den ersten Kuss, den ich erwähnte?«
»Jaaa.« Ich könnte ein klitzekleines bisschen eifersüchtig sein.
Sein Grinsen wird breiter. Er sieht das grüne Monster in meinen Augen. »Ihre Grandma Bessie war die beste Freundin meiner Grand-Mère. Bessie kocht für mich immer noch ein paar Gläser und schickt sie mir zu Weihnachten. Genug, dass es fürs ganze Jahr reicht.«
»Das ist nett von ihr.«
»Und ob. Willst du mal beißen?«
Ich nicke. Er hält mir den Rest der Waffel vor den Mund. »Entschuldige, sie ist inzwischen kalt«, sagt er, als ich hineinbeiße und genüsslich aufstöhne.
»Das ist köstlich«, schwärme ich, nachdem ich gekaut und geschluckt habe. Und ich meine es ernst. Es ist die leckerste Marmelade, die ich je probiert habe. Sogar noch besser als die Apfelkonfitüre meiner Mutter.
»Nicht so gut wie die von meiner Grand-Mère, aber verdammt nah dran.« Damit steckt er sich den Rest in den Mund und futtert ihn auf.
Wir verstummen, da unser Gesprächsthema erschöpft ist. Und während die Sekunden vergehen, fasse ich mir ein Herz, um ihn zu fragen, was ich ihn wirklich fragen will.
Er hockt bestimmt nicht allein hier draußen, um sich die Marmelade der besten Freundin seiner Großmutter schmecken zu lassen. Ihn bedrückt etwas. Und zwar schon seit Tagen.
In so was war ich noch nie gut. Gefühle zu teilen. Sich zu öffnen. Sich über Verletzlichkeiten auszutauschen. Ich habe in all den Jahren viel Mist für mich behalten, weil ich der Meinung war, dass das besser ist, als andere Menschen damit zu belasten. Das habe ich sowohl mit meinem Vater als auch mit meiner Mutter so gehandhabt. Und ganz sicher auch mit Reid. Ich habe es mit fast jedem Menschen in meinem Leben so gemacht. Bis zu einem gewissen Grad tue ich es sogar mit Sierra. Ich halte mein Innerstes verschlossen und war stets der Meinung, dass ich es aus gutem Grund tue.
Doch jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.
Ich stelle fest, dass mir das Gefühl nicht gefällt, außen vor zu sein, und ich will jemanden, der mich an sich heranlässt.
Ich lege die Hand auf Shaws Herz und streiche mit den Fingerspitzen über seine weiche Haut. »Was machst du hier draußen so allein?«
»Ich konnte nicht schlafen. Das ist mein Platz zum Nachdenken.« Er sagt es leise und gedankenvoll.
»Soll ich wieder gehen?«
»Nein.« Es ist eher ein kurzer Lufthauch als ein Wort. Als er meinen Arm drückt, weiß ich, dass er es ernst meint. Er will mich bei sich haben. Vielleicht wusste er nur nicht, wie er mich darum bitten sollte? Gott, wir sind zwei vom gleichen Schlag.
»Alles in Ordnung?«
Er braucht eine Weile, um zu antworten, doch als er es tut, ist es keine richtige Antwort, sondern genau dasselbe, was ich tun würde. Man erkennt geschickte Ablenkungsmanöver, wenn man selbst darin Experte ist. »Nur ein paar Probleme, meine Schöne. Es ist nichts.«
Ich lasse meine Finger weiter kreisen, berühre ihn nur leicht, während ich mir große Mühe gebe, die verletzten Gefühle zu unterdrücken, die dieses Ausweichen in mir auslöst.
Lass mich an dich ran .
Das ist total scheinheilig, ich weiß. Ich will es trotzdem. Außen vor zu sein ist richtig scheiße.
»Kommt das oft vor? Dieses Nachdenken zur Geisterstunde?«
Er lacht leise, und seine Brust dehnt sich, während er tief einatmet. Fällt es ihm genauso schwer, über seine Sorgen zu sprechen, wie mir? »In letzter Zeit etwas öfter, als mir lieb ist.«
Ich lege den Kopf wieder in den Nacken, während er seinen senkt. Wir sehen uns in die Augen, und keiner von uns macht Anstalten, irgendetwas anderes zu tun, als sich von diesem Moment gefangen nehmen zu lassen. Ich habe schreckliche Angst davor, so glücklich zu sein. Ich habe mich noch nie im Leben geborgener und dabei so entblößt gefühlt.
»Kann ich helfen?«
Er befühlt eine Haarsträhne. »Das tust du schon. Dich so in meinen Armen zu halten, bei mir zu Hause, in meinem Bett – ehrlich gesagt gibt es kein besseres Gefühl.« Seine Stimme klingt schroff, voller Gefühl. Ehrlich. Dass ich es bin, die ihn so durcheinanderbringt, beruhigt meine Nerven.
»Du hättest mich wecken können«, merke ich an. Ich wünschte, das hättest du getan .
Er lächelt leise und fährt mit dem Daumen über meine Unterlippe, bevor er flüstert: »Wenn ich dich geweckt hätte, hätte ich mich in dir verloren, Willow.«
Ich habe keine Ahnung, was zwischen meinem Gehirn und meinem Mund nicht funktioniert, denn irgendetwas zündet fehl, als ich sage: »Vielleicht kannst du dich stattdessen in mir finden.«
Schweigen. Wie kommt es, dass einem nie auffällt, wie schrill diese Stille klingt, bis man darin gefangen ist? Bis man sich wünscht, man könnte das zurücknehmen, was sie hervorgerufen hat.
Nach meinem Gefühl dauert das Schweigen so lang, dass ich diese Worte hundert Mal im Kopf wiederholen kann, doch in Wahrheit vergeht wahrscheinlich nur eine halbe Sekunde, bevor Shaw mich an den Haaren packt und meinen Kopf heftig zurückzieht. Sein Mund streift über meinen, während er gesteht: »Das habe ich schon, Goldlöckchen. Ich habe so viel mehr in dir gefunden, als ich je erwartet hätte. Als ich je gewollt hätte.«
Er presst seine Lippen auf meine, sodass mir wieder ganz schwummerig wird. Ich erwarte, dass der Kuss hart und gnadenlos ist. Verzweifelt, aufgrund seines Tons, wegen seines Geständnisses. Doch das ist er nicht. Er ist zart und süß. Träge. Eine Hundertachtziggradwendung von den letzten Malen, die wir zusammengekommen sind, die rasend und überwältigend waren.
»Gott steh dem Mann bei, der versucht, dich mir wegzunehmen, Willow Blackwell.« Diese leidenschaftliche, inbrünstige Erklärung dringt eine Sekunde, bevor sich seine Zunge in meinen Mund vorwagt, sanft an mein Ohr. Sein Geständnis dringt ein und betäubt all meine Sinne, bis ich mich träge und nachgiebig fühle .
»Niemand nimmt mich dir weg«, versichere ich ihm flüsternd und stöhne seinen Namen, als er den Kopf senkt, um seine sündhafte Wanderung nach unten fortzusetzen.
Als ich seinen Kopf festhalten will, zieht er sich zurück und fixiert mich. In seinen Augen tanzen Feuer und Blutschwüre, als er knurrt: »Verdammt richtig!«
Er spricht von Reid, so viel ist klar. Und trotzdem ist es noch so viel mehr.
Ich nehme sein Gesicht in meine Hände und lege die Lippen wieder auf seine. Dabei rutscht mir das Plaid von der Schulter und setzt meine Haut der kühlen Nachtluft aus. Ein Frösteln überläuft mich, gefolgt von einer Gänsehaut.
»Dir ist kalt.« Er streicht über meine Arme, als ihm noch etwas auffällt. »Verdammt, ich liebe das«, stöhnt er und fährt mit den Fingerknöcheln über die empfindliche Spitze meiner zusammengezogenen Brustwarze.
Ich denke, dass er die Decke wieder um mich ziehen will, doch er streckt mit einem Grinsen, das nichts Geringeres als Sünde verspricht, die Hand aus und tunkt einen Finger in das offene Glas mit Heidelbeermarmelade.
Er balanciert die süße Masse auf der Fingerspitze, beginnt oben an meiner Brust und zieht eine gerade Linie nach unten, bis er meinen kieseligen Brustwarzenhof erreicht. Dann fährt er im Uhrzeigersinn drum herum und sorgt dafür, dass ich das Kratzen seines Nagels spüre, während er jeden Zentimeter von mir bestreicht.
»Oh mein Gott«, murmele ich, während mein Blut kocht.
Wieder und wieder umkreist er mich, beobachtet mich, während er mich erregt, betrachtet mich genau, passt seine Technik an, um die höchste Wirkung zu erzielen. Er konzentriert sich auf sein Anliegen, mich rasend zu machen, und rollt die empfindliche Spitze zwischen Zeigefinger und Daumen, bis ich nach Luft schnappe und den Kopf in reiner Lust in den Nacken werfe. Als sein feuchter Mund mich bedeckt und er zubeißt, schießt eine Welle weißglühenden Verlangens durch mich hindurch.
Draußen ist es kalt, vermutlich um die zwölf Grad. Ich sollte zittern. Stattdessen breitet sich eine friedliche Ruhe in mir aus, während Shaw meinem Körper huldigt, als sei ich ein heiliger Ort, den er noch nie besucht hat.
»Von jetzt an esse ich das nur noch von deiner Haut«, knurrt er und saugt heftig an meinem Nippel, bevor er ihn mit einem ploppenden Geräusch freigibt. Er leckt mich sauber, benetzt seinen Finger erneut und widmet sich meiner vernachlässigten Brust, bemalt mich mit der klebrigen Substanz, bis mein Atem in kleinen Stößen gespannter Erwartung kommt. Als er zufrieden ist, hebt er mich an seinen Mund und macht mich mit seiner Zunge und seinen Zähnen ganz schwindlig.
»Ich liebe deinen Körper, Willow.«
Er beißt in den fleischigen Teil meiner Brüste. Die Bisse sind fest und schmerzen. Sie werden Spuren hinterlassen. Das ist der Shaw, den ich kenne. Den ich brauche. Der, dessen Wille meinen dazu bringt, sich huldvoll zu beugen und zu gehorchen.
»Ich liebe den Duft deiner Haut, die Rundung deines Pos, den Geschmack deiner kessen Nippel«, sagt er und dreht mich um, sodass ich rittlings auf ihm sitze.
Noch einmal tunkt er den Finger in die Marmelade. Dann umfasst er meine Hüfte und zieht mich hoch, bis ich mit angespannten Oberschenkeln über ihm schwebe.
Verschmitzt lächelnd schiebt er seinen zuckrigen Finger zwischen meine Beine und umkreist meine Klitoris, die schon geschwollen und bereit ist. Ich schließe langsam die Augen, während er meine Schamlippen anmalt, erst die eine, dann die andere, wobei er darauf achtet, meine Öffnung zu meiden, bevor er eine Linie über meinen Damm zieht und kurz vor meinem Sweetspot anhält.
Ich keuche. Mein Herz galoppiert buchstäblich in meiner Brust, weil ich weiß, was als Nächstes kommt. Er greift hinter sich und senkt die Rückenlehne der Liege ab. Er legt sich hin und bedeutet mir, die Hände fest um meine Hüften, nach vorne zu rutschen.
»Ich liebe deinen Geschmack.« Sein Höschen versengendes Grinsen wird breiter.
Er bringt mich über seinem Mund in Stellung, meine Knie rechts und links von seinem Kopf, und drückt mich nach unten. Ich bin gegen seine Überlegenheit machtlos. Derart schwach und bedürftig und ausschließlich auf die Erotik des Moments fokussiert, vergesse ich die Kälte.
Bei der ersten Berührung durch seinen Mund, offen und forschend, schnappe ich nach Luft. Er saugt, er stöhnt, er verschlingt mich, als sei ich eine neue Speise, die er noch nie gekostet hat.
»Shaw«, rufe ich aus, als seine Zunge jenen empfindlichen gekräuselten Bereich umkreist, und als er meine Pobacken öffnet und die Spitze leicht hineinschiebt, kommt es mir schmutzig und falsch vor und dabei so unglaublich, dass ich fast schluchze. Nervenenden erwachen lodernd zum Leben, als hätten sie die ganze Zeit geschlummert.
Ich fasse nach hinten und umklammere die Armlehnen der Liege, um mich festzuhalten, während er mich an Orte führt, von denen ich nicht einmal geträumt habe. Ich stöhne seinen Namen. Den Namen Gottes. Ich fluche. Mein Gemurmel ist anspornend, ergibt jedoch außer für uns keinen Sinn.
»Genau so. Benutz meinen Mund, meine Schöne. Nimm dir, was du brauchst. «
Das ist der Auslöser. Das, der Sog an meiner Klitoris und die Finger, die in meine Pussy tauchen, die schon vom Orgasmus krampft. Ich komme lange und laut, kümmere mich nicht darum, wer mich vielleicht hört oder sieht.
Er gönnt mir nur eine kurze Atempause, bevor er seine Hose herunterzieht. Er nimmt seinen mächtigen Schwanz in die Hand und pumpt ein paarmal, während mir vor Verlangen das Wasser im Mund zusammenläuft. Er schiebt mich an seinem Körper hinab, umkreist wiederholt meine Klitoris mit der Eichel, bis ich zittere und bebe und kurz vor dem nächsten Orgasmus stehe. Dann legt er meine Hand an seinen Penis und weist mich an: »Benutz mich, um dich wieder zum Höhepunkt zu bringen. Genau so.«
»Gott«, murmele ich und komme mir hedonistisch vor. Seine Hände kneten meine Brüste, seine Finger zupfen an meinen harten Nippeln, während ich mich an ihm reibe und ihm dabei zusehe, wie er mich beobachtet, bis ich wieder in den Himmel steige und dabei seinen Namen murmele. Der Verzweiflung nahe, platziere ich ihn mitten im Kommen an meiner Öffnung. Ich muss ihn in mir spüren, und zwar jetzt. Ich lasse mich hinabsinken, während das Beben der Lust noch immer meine Muskeln plagt, als er die Kontrolle übernimmt und sich vollständig in mich schiebt. Ich schnappe nach Luft, da sich diese Fülle, die an meine Wände drückt, noch nie so richtig angefühlt hat.
Seit jenem Tag im Bad seiner Eltern haben wir kein Kondom mehr benutzt. Ich könnte behaupten, nicht zu wissen, was ich davon halten soll, doch das wäre glatt gelogen.
»Ich liebe es, wie du dich anfühlst, wenn du meinen Schwanz umschließt«, stößt er hervor und zieht scharf die Luft ein.
Er packt mich fest an beiden Hüften und dirigiert mich wie üblich, bewegt mich auf seinem Schwanz auf und ab, sodass ich nichts tun muss, außer fühlen. Meine Brüste hüpfen, meine Haut wird schweißnass, und diese sündhafte Lust, die er virtuos flicht, gewinnt genau in meiner Mitte blitzartig an Energie. Es geht schnell. Sehr schnell. Zu schnell. Schon rast ein dritter Orgasmus auf mich zu.
Shaw fasst mich im Nacken, zieht mich nach vorn und legt seine Stirn an meine. Seine Stöße sind regelmäßig und kräftig, als er schroff sagt: »Ich liebe es, wie du dich auf mir bewegst. Ich liebe es, wie du meinen Namen schreist und weinst, damit ich dich härter stoße. Ich liebe es, wie deine Muskeln mich quetschen, kurz bevor du kommst.« Er zieht mein Ohr an seine Lippen und flüstert mir noch mehr obszöne Worte zu, die mich zum Explodieren bringen. »Ich liebe das Gefühl, wenn du mir auch noch den letzten Tropfen abringst, als würdest du ohne ihn verhungern, Willow. Ich liebe das, scheiße noch mal.«
Diese Euphorie, die ich ersehne, rast durch mich hindurch. Meine inneren Muskeln krampfen heftig, und ich erreiche den Gipfel ein drittes Mal.
»Oh Scheiße, ja. So wunderschön.« Seine Stimme ist so rau und sexy, dass mein Orgasmus nicht erlischt; er wird sogar noch stärker. Ich hebe ab. Fliege hoch in jenem Nirgendland aus Wärme und unvergleichlicher Ekstase und wünsche, dass es ewig andauert, als sein nächster Satz mich so gewaltsam zurück auf die Erde reißt, dass ich den dumpfen Aufprall in meinen Knochen spüre.
»Aber ich liebe auch dein gebrochenes Herz und diese ramponierte Seele, die du mit beneidenswerter Kraft schützt, Willow.«
Die Euphorie, die mich getragen hat, kommt mit kreischenden Bremsen zum Stehen.
»Ich liebe diese Sturheit und dieses Rückgrat. Gott, das macht mich total an. «
Seine Bewegungen sind jetzt brutaler, unkontrollierter, und er wächst in mir, was darauf hindeutet, dass sein eigener Orgasmus bald durch ihn hindurchrasen wird. Doch ich kann mich nur darauf konzentrieren, wie mein Herz hämmert, als er immer wieder dieses Wort gebraucht.
Liebe .
»Ich liebe deine Sirenenstimme und deine geheimnisvollen Augen. Ich liebe deinen Charakter, deinen Spott, die Macht, die du über mich hast, obwohl du nicht daran glaubst.«
Echte glühende Panik breitet sich in mir aus, bis alle Luft aus meiner Lunge entwichen zu sein scheint. Ich dachte, ich sei dazu bereit. Ich dachte, ich wollte, dass er das Risiko eingeht. So war es auch, vor Tagen, aber jetzt … jetzt habe ich eine Scheißangst. Ich bin nicht bereit.
Sein Gesicht verzerrt sich. Gleich kommt er. Doch das hält ihn nicht vom Reden ab. »Ich liebe –«
Das war’s. Ich drücke meinen Mund fest auf seinen und bringe ihn zum Schweigen. Verschlucke seine Worte, bis sie fort sind. Der Geschmack des Bedauerns darüber kleidet meinen Mund aus, doch ich höre trotzdem nicht auf. Er versucht, sich von mir zu lösen, doch ich lasse ihn nicht. Ich lege die Hände um seinen Kiefer und halte ihn fest, verflechte meine Zunge mit seiner. Ich reibe mein Becken an seinem, spanne meine Muskeln mit aller Kraft an, bis ich ihm ein kehliges Stöhnen entlocke, das primitiv und krude ist, bis seine Finger sich schmerzhaft in meine Seiten bohren.
»Komm in mir«, flüstere ich an seinen Lippen. »Ich will nach dir riechen. Spüren, wie dein Samen an meinen Schenkeln herunterläuft, wenn ich morgens aufstehe.«
»Himmel Herrgott, Willow.«
Und mehr braucht es nicht. Ein paar gut platzierte, anzügliche Worte, um einen dominanten Mann in ein archaisches Wesen mit einem einzigen Ziel zu verwandeln: das Bedürfnis, seinen Anspruch geltend zu machen, zu markieren, zu brandmarken, was ihm gehört.
Er zieht sich zurück und dreht mich auf alle viere. Mein Plaid ist mir schon lange abhandengekommen, doch ich spüre die kalte Luft nicht, als er meine Pobacken spreizt und grob von hinten in mich eindringt. Ich spüre nicht, wie seine Finger sich in meine Haut bohren, während er mich festhält und mich mit unverstellter Leidenschaft nimmt, damit ich seine Worte spüren kann, statt sie nur zu hören. Ich nehme das taube Gefühl nicht wahr, das sich in meinen Knien ausbreitet, während er mich daran erinnert, dass ihm jeder Zentimeter von mir gehört, innen und außen, selbst das Organ, das jetzt wie wild für ihn schlägt.
Doch was ich spüre, ist seine intensive Lust, als er sich über den Rand der Glückseligkeit katapultiert und mein Innerstes mit seiner Männlichkeit verbrüht, genau wie ich es erfleht hatte. Ich spüre die Liebe, die er mir gestehen wollte, als er mich hochnimmt und mich durchs Haus zurück in sein Bett trägt. Und ich spüre todsicher seine Enttäuschung, als er sich in der Löffelchenstellung an mich schmiegt und mir barsch zu schlafen befiehlt.
Ja. Diesen Schmerz spüre ich intensiv.