13. KAPITEL
Shaw
Ich sehe wieder zu ihr hinüber, wo sie, scheinbar in ein Taschenbuch vertieft, sitzt, und frage mich, was zum Teufel mit ihr los ist. Seit sie gestern Abend von der Toilette zurückkam, ist sie still und distanziert.
Klar, sie hat sich anstandslos von mir in die Arme nehmen lassen und meinen Kuss erwidert. Sie hat sogar mit mir getanzt, bevor ich sie mit zu mir nach Hause nahm und sie liebte, bis sie mich anflehte, sie schlafen zu lassen.
Doch sie ist kein einziges Mal meinetwegen dahingeschmolzen. Ihr Körper war nicht weich und nachgiebig. Sie stöhnte zwar lustvoll, aber nicht mit derselben Hingabe wie sonst, wenn sie mit mir in sich kommt. Es war, als würde sie sich ganz besonders anstrengen, um all ihre Gefühle in diesem Tresorraum zu behalten, den sie wasserdicht versiegelt. Sie war in Gedanken nicht bei mir und den Gefühlen, die ich in ihr auslöste. Das pisst mich an und macht mir gleichzeitig eine Wahnsinnsangst.
»Ist es gut?«, frage ich, woraufhin sie unbeteiligt zu mir aufblickt.
»Ist was gut?« Sie stellt ihre übergeschlagenen Beine nebeneinander und klemmt dann den nackten Fuß unter den gegenüberliegenden Schenkel. In dem Moment, als wir das Flugzeug betraten, hat sie ihre Schuhe von sich getreten, sich das verdammte Buch geschnappt und seitdem keine fünf Worte gesagt. Ihr anderer Fuß schwingt vor und zurück, und ihr knallrosa Nagellack löst in mir den Wunsch aus, vor ihr auf die Knie zu gehen, um sie anzubeten.
Ich werfe einen Blick zu Noah, der auf der anderen Seite des Ganges sitzt und den Finanzteil der New York Times liest. Ich wünschte fast, er wäre nicht hier, dann könnte ich in den nächsten Stunden die Wahrheit aus ihr herausquetschen.
Ich deute mit einem Nicken auf ihre Lektüre. »Dein Buch. Ist es gut?« Wahrscheinlich nicht. In den letzten zehn Minuten habe ich sie keine Seite umblättern sehen.
»Sehr.« Sie ist einsilbig. Kurz angebunden. Es grenzt schon an Feindseligkeit. Es ist irritierend. Verdammt irritierend.
»Jetzt reicht’s«, blaffe ich. Ich werfe die Papiere, die ich gerade durchgehe, auf den leeren Sitz neben mir und öffne meinen Sicherheitsgurt. Ich rutsche nach vorn, stütze mich mit den Ellbogen auf die Knie und falte die Hände. Wenn ich das nicht täte, würde ich Willow wahrscheinlich zu mir herüberzerren und ihr den Hintern versohlen, bis er rot ist und sie alles ausplaudert, was sich in ihr angestaut hat.
Vielleicht habe ich die ganze Zeit die falsche Taktik verfolgt. Vielleicht braucht sie eine starke Hand, um diese verdammte Mauer zu durchbrechen, statt Verhätschelung und Geduld. Die mir langsam ausgeht.
In der letzten Stunde habe ich diskret alle Dokumente studiert, die Jack Hancock mir gestern per Kurier geschickt hat, und die Nadel im Heuhaufen zu finden versucht, die ihr und ihrer Mutter zu ihrem Recht verhelfen wird. Doch das ist jetzt Nebensache, denn diese Frau provoziert mich mit ihrer scharfen sarkastischen Zunge, und es ist an der Zeit, es ihr mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Sie beäugt mich misstrauisch .
»Was ist?« Sie stößt das Wort »ist« hervor, als würde sie gegen einen Sandsack schlagen, und hält jetzt das verdammte Buch wie einen Schutzschild. Als bräuchte sie noch mehr, um mich auf Distanz zu halten. Ich nehme es ihr aus der Hand und werfe es zu den Papieren neben mir.
»Ich will, dass du mir sagst, was los ist.« Ihr Blick huscht zu Noah, dann wieder zu mir. Ich bin mir voll bewusst, dass Noahs Aufmerksamkeit zu einhundert Prozent uns gilt, obwohl er so tut, als würde er den Börsenbericht lesen. »Sieh nicht ihn an, sondern mich. Ich habe dir eine Frage gestellt und warte auf eine Antwort.«
Diese Augen. Diese wunderschönen verdammten Augen, die Nationen zu Fall bringen könnten, werden hart und unnachgiebig.
Sie ist stinksauer.
Gut. Das ist wenigstens eine Reaktion. Besser als dieses beschissene Schweigen in den letzten fünfzehn Stunden.
Sie spannt ein paarmal den Kiefer an, bevor sie mich anfaucht: »Zum Glück befinden wir uns in neuntausend Meter Höhe, Verkehrsrowdy.«
Ich stoße ein bellendes Lachen aus. »Zum Glück sind wir nicht allein, Goldlöckchen. Sonst stünde dein Arsch schon in Flammen.«
Sie schnappt nach Luft und sieht peinlich berührt zu Noah. Lässt ihren Blick auf ihm ruhen. Ob er den Blick erwidert, kann ich nicht sagen, aber das ist mir sowieso scheißegal. Ich bin fertig mit diesen Spielchen. Ich bin fertig damit, sie mit Samthandschuhen anzufassen. Sie wird mir jetzt antworten. Ich starre sie an, bis sie mir wieder in die Augen sieht.
In ihrem Blick liegen Feuer und Eis.
Das ist verdammt antörnend.
»Ich weiß nicht, warum du dich zurückhältst. Ist das nicht genau dein Ding?« Ihre Stimme ist ungehalten, und sie neigt den Kopf auf diese herausfordernde Weise, die mich steinhart macht.
Ich verenge die Augen, während ich mir ihren kryptischen Kommentar durch den Kopf gehen lasse. Ich habe keine Ahnung, worüber sie spricht, doch was es auch sein mag, es ist der Grund dafür, warum sie sich mir gegenüber plötzlich so kalt gibt. Sie wird dieses Flugzeug nicht verlassen, bevor wir der Sache auf den Grund gegangen sind. Dieser Beziehungskram mag neu für mich sein, aber eins weiß ich: Wenn wir nicht kommunizieren, können wir genauso gut gleich die weiße Flagge hissen.
»Ist das die Stelle, an der du mir irgendeine vage weibliche Rhetorik hinwirfst, die ich entschlüsseln muss? Denn wenn das so ist, muss ich dir sagen, Süße, dass ich zwar in Vielem gut bin, Gedankenlesen jedoch nicht dazugehört, und ich habe kein Problem damit, das zuzugeben. Passiv-aggressiv ist nicht dein Stil, warum sagst du mir also nicht einfach, was du sagen willst, damit wir das klären können.«
Sie zieht die Unterlippe in ihren Mund und sieht weg. Diesmal starrt sie aus dem kleinen runden Fenster, und ich weiß, dass es an der Zeit ist, mich zurückzuhalten. Ich habe erreicht, was ich wollte. Sie wütend zu machen. Sie zum Nachdenken zu bringen. Ihr klarzumachen, dass ich nirgendwo hingehe, wohin sie nicht auch geht.
Dann ist es an mir, nach Luft zu schnappen, als sie, ohne mich eines Blickes zu würdigen, sagt: »Gestern Abend habe ich auf dem Weg von der Damentoilette eine der Eroberungen getroffen, die du und Noah euch geteilt habt.«
»Scheiße«, höre ich Noah murmeln.
Ja. Ganz meine Meinung. Vermutlich ist das die Antwort auf meine Frage, warum sie komplett dichtgemacht hat .
Natürlich musste sie irgendwann von Noah und mir erfahren. Schließlich war das der Grund, warum ich sie überhaupt engagiert habe. Zu glauben, dass sie es nicht herausfinden würde, war dumm von mir, doch dass sie es aus dem Mund irgendeiner verschmähten Liebhaberin erfährt, die mehr wollte, als wir ihr geben konnten, war nicht geplant. Nicht, dass ich überhaupt einen Plan gehabt hätte.
Ich wäge meine Optionen ab. Ich könnte Unwissenheit vortäuschen, aber das würde sie nur herabsetzen, und sie hat viel mehr verdient als kleinliche Lügen. Zudem ist das alles sowieso Vergangenheit. Bedeutungslos. Deshalb entscheide ich mich für Aufrichtigkeit.
»Wen?«, frage ich, doch meine Stimme klingt gequält und reuig. Zuerst Annabelle, jetzt Willow. Ich wünsche mir mehr und mehr, all meine bisherigen Torheiten mit Noah ungeschehen machen zu können, auch wenn alles stets einvernehmlich geschah und das alles vor ihrer Zeit war.
Willow dreht sich zu Noah – zu Noah, nicht zu mir –, woraufhin ein Gefühl, das ich nicht einmal beschreiben kann, auf mich eindrischt. Ich bin so wahnsinnig und irrational eifersüchtig, dass ich nicht mehr klar denken kann.
Ist es das , was sie will? Ihn? Und wenn ja? Würde ich ihr das zugestehen? Könnte ich das?
Nein. Verdammt noch mal nein. Er wird sie nicht anrühren. Gott, mir ist kotzübel. Ich schlucke die bittere Galle, die mir hochkommt.
»Voodoo-Auge«, antwortet sie leise, wieder nicht an mich gerichtet, sondern an Noah. Wenn ich nicht wüsste, dass wir alle durch den Unterdruck nach draußen gezogen und in den Tod stürzen würden, würde ich gewaltsam den Notausgang öffnen und ihn rauswerfen. Der einzige Mensch, auf den sie sich konzentrieren soll, bin ich .
»Wer zum Teufel ist –«
»Lianna«, antwortet Noah, bevor ich meine Frage ganz hervorstoßen kann.
Jetzt bin ich es, der flucht. Ich lasse den Kopf hängen und kneife die Augen zu. Was für eine total beschissene Situation. »Wusstest du, dass sie gestern Abend dort war?«, frage ich Noah.
»Ja, ich habe sie kurz gesehen.«
Ich fahre zu ihm herum. »Warum hast du mir nichts gesagt, Arschloch?«
Noah hebt beschwichtigend die Hände. »Himmel, Merc. Weil sie keine Wellen gemacht hat und es mir nicht wichtig erschien. Sie verkehrt in unseren Kreisen, Mann. Eines Tages musste sie dich zusammen mit Willow sehen. Sie weiß es sowieso bestimmt schon aus den Zeitungen. Dieses Aufeinandertreffen war unausweichlich.«
»Aber dann hätte ich wenigstens verhindern können, dass die Situation sich zum Chaos des Monats entwickelt. Ich hätte mit ihr reden und Willow darauf vorbereiten können.«
Er lächelt ironisch. »Klar. Das hätte bestimmt funktioniert.«
»Fick dich, Wildman.«
»Ich bin auch noch hier«, sagt Willow, deren Stimme vor Schmerz ganz rau ist. Ich bin am Boden zerstört. Vollkommen am Boden zerstört. Ich kann nur erahnen, welchen Blödsinn Lianna ihr in den Kopf gesetzt hat.
»Sie hat mir nichts bedeutet«, erkläre ich Willow entschieden und sehe tief in ihre glänzenden Augen, ihre schmerzende Seele. Gott, ich hasse mich. Ich will ihr den Schmerz nehmen, statt ihn noch zu vergrößern.
Ihr Blick huscht zwischen Noah und mir hin und her. All ihre Ängste sind an die Oberfläche gekommen. Sie ist so leicht zu durchschauen. »Ja. Daran hat sie keinen Zweifel gelassen. «
Lianna. Das verdammte Miststück . Ich male mir die vielen Möglichkeiten aus, wie ich sie erledigen kann, doch nichts davon spielt eine Rolle, wenn ich zum Schluss ohne Willow dastehe. Ich sehe niemanden vor Willow, und nach ihr auch nichts mehr.
Blitzschnell knie ich vor ihr auf dem Teppich, ihr Gesicht in meinen Händen, meine Lippen auf ihren. Schiebe meine Entschuldigungen mit jeder Bewegung meiner Zunge in sie hinein.
Ihre winzigen Hände landen auf meiner Brust. Sie schiebt mich weg. Widerwillig breche ich unseren Kuss ab, lehne jedoch keuchend die Stirn an ihre, hoffe auf eine Chance, bete für ein Leben mit ihr. Warum versuchen alle, mir auf Schritt und Tritt die einzige Frau zu entreißen, die ich jemals begehrt habe?
»Du bist nicht sie, Willow.«
Eine Träne kullert über meinen Daumen. Ich muss mich total zusammenreißen, um nicht zu weinen wie ein Baby. Ihr Schmerz ist meiner. Hundertfach.
»Du bist einzigartig. Du hast mich verändert. Du gehörst mir ganz , verstehst du das? Mit Haut und Haaren. Sag, dass du mir glaubst.«
Glaubst, dass ich nie zulassen würde, dass Noah dich anrührt oder gar hört, wie dein Atem stockt, wenn du in Ekstase gerätst .
»Ich versuche es ja«, flüstert sie. Sie legt jetzt die Hände auf meine Unterarme und hält sich an ihnen fest. »Wirklich.«
»Wir sind stärker als jede Macht, die darauf aus ist, uns auseinanderzureißen, Willow. Wir sind unverwüstlich.«
Mergen. Lianna. Das Schicksal.
Ich scheiß auf sie alle.
Wir sind unzertrennlich. Ich muss daran glauben. Wie kann ich sie überzeugen, wenn ich es nicht tue?
Als sie nickt, ziehe ich mich zurück. Nach ein paar Sekunden blicken ihre Augen – voll unvergossener Tränen und Zweifel – endlich in meine, doch ich schlucke mein Liebesgeständnis hinunter. Was würde es bedeuten, wenn ich ihr jetzt meine Liebe erklärte? Würde sie mir glauben?
Wieder ärgert es mich, dass diese drei wichtigen Worte abgedroschen klingen würden, wenn ich sie jetzt sagte. Genau wie nach ihrem trauten Lunch mit Mergen. Doch ich schiebe den Ärger beiseite, weil ich mich nur darauf konzentrieren will, Willow das Gefühl zu vermitteln, geliebt zu werden und etwas Besonderes zu sein. Wenn ich es ihr jetzt noch nicht sagen kann, werde ich es ihr eben zeigen. Taten sagen sowieso mehr als Worte, und irgendwann wird der richtige Zeitpunkt gekommen sein.
Da ich ihre Nähe spüren will, schnalle ich sie ab, setze mich wieder hin und ziehe sie, froh, dass sie sich ausnahmsweise nicht gegen mich wehrt, auf meinen Schoß. Die Sitze in unserem Gulfstream sind nicht sehr breit, doch Willow ist zierlich und windet sich so lange, bis ihr Körper sich perfekt an meinen anpasst.
Ich schiebe den Finger unter ihr Kinn und hebe ihr Gesicht an. Die Tränen sind versiegt, aber noch nicht getrocknet.
Ich liebe dich , sage ich ihr stumm. So wahnsinnig .
Ich versuche dir zu glauben , antwortet sie ganz sicher.
Glaub es , versichere ich ihr. Bitte glaub an mich .
Ich lächele. Sie ringt sich auch ein Lächeln ab. Noch nie im Leben war ich mir so unschlüssig, was ich tun soll. Ich bin auf dem Weg in ein Kaff am Ende der Welt, um eine verängstigte, genesende Drogenabhängige aufzuspüren, in der Hoffnung, dass sie mir hilft, eine Bedrohung aus dem Weg zu räumen, während gleich die nächste aus dem Boden schießt.
Die Worte, die mir auf der Zunge liegen, sollten eigentlich unter vier Augen gesagt werden, nicht vor Noah oder sonst wem, aber wir landen erst in zwei Stunden. So lange kann ich nicht warten. Deshalb senke ich die Stimme und murmele: »Vertrau darauf, dass unsere Beziehung anders ist als alles, was ich zuvor hatte, Willow. Egal mit wem.« Als ich sehe, dass sie mir zuhört – mir richtig zuhört –, rede ich weiter. »Ich habe mich mein ganzes Leben lang auf dich zubewegt. Ich wusste es nur nicht.«
Diese Tränen – jede wie ein winziger rasiermesserscharfer Splitter, der sich in mich bohrt – blitzen wieder auf. Sie legt die Hand an meine Wange. Sie ist weich und warm wie ihre Lippen, die sie zärtlich auf meine drückt, während sie meinen Namen seufzt.
»Hier drin ist niemand außer dir.« Ich nehme ihre Hand und lege sie auf mein Herz. Es rast. Schlägt für sie. »Niemand sonst war je darin. Und niemand wird es je wieder sein.« Mir war nicht klar gewesen, dass dieser Raum von erdrückender Einsamkeit eingenommen gewesen war, die jetzt jedoch spürbar verschwunden ist und durch die einzige Frau ersetzt wurde, die mir Leben einhauchen kann.
Ihr Lächeln ist unsicher. Sie braucht Bestätigung, die ich ihr gerne gebe.
»Du und ich. Das ist alles. Das ist alles, was es jemals geben wird, Goldlöckchen. Nur dich und mich.« Und damit meine ich nicht nur, dass kein anderer Mann sie jemals anrühren wird, einschließlich Noah. Damit meine ich auch, dass ich ihr, und ihr allein, alles anvertrauen will, was ich bin. Die Verzweiflung, mit der ich sie an mich binden will, erstaunt mich. Sie zu meiner Frau machen will. Sie bitten will, meinen Namen anzunehmen, mein Herz, meine Kinder.
Himmel Herrgott, ich bin an sie verloren.
»Danke«, formt sie so verdammt süß mit den Lippen, dass ich sie am liebsten ins Schlafzimmer tragen und ihr stundenlang Lust bereiten will. Ich ziehe es in Betracht. Ein paar Sekunden lang ist es sogar alles , woran ich denken kann, doch die Vorstellung, dass Noah auch nur einen ihrer sexy Laute hört, reduziert die Schwellung in meiner Anzughose.
»Du siehst müde aus.« Als ich sie heute am frühen Morgen abholte, war mir aufgefallen, dass das Weiße in ihren Augen blutunterlaufen war. Sie sagte, sie hätte nicht gut geschlafen, und das ist ganz und gar meine Schuld. Ich kann mir nicht vorstellen, was ihr seit ihrer Begegnung mit Lianna durch den Kopf gegangen sein muss.
»Bin ich auch ein bisschen.« Ihre Lider senken sich, als sei es plötzlich zu schwer für sie, sie offen zu halten.
Ich lege sanft ihren Kopf an meine Schulter und sage zu ihr: »Schließ die Augen, meine Schöne. Ich gehe nicht weg.« Niemals .
Ich streichele ihre Haare, bis sich ihre Muskeln lockern. Innerhalb von Minuten ist sie in meinen Armen fest eingeschlafen, und auch ich kann mich endlich entspannen. Ich atme tief durch und lehne den Kopf an die Kopfstütze, während ich mich frage, was mir die nächsten Stunden bringen werden. Antworten? Noch mehr Fragen? Erleichterung, oder einen Absturz in eine Hölle, die meine Schwester verschuldet hat?
Ich wünschte, ich wüsste, womit ich am Schluss nach Hause gehe. Ich will, dass es Willow ist. Es muss sie sein. Aber es muss auch Annabelle sein.
Allmächtiger.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Noah uns beobachtet. Ich drehe den Kopf und sehe zu ihm, doch sein Blick ruht auf Willow. Instinktiv halte ich sie fester. Sie kuschelt sich an mich und seufzt zufrieden, selbst im Schlaf. Es ist, als wüsste sie, dass ihr Platz bei mir ist. Ich beobachte, wie er sie beobachtet, mit dieser unergründlichen Miene, doch schließlich, als sich unsere Blicke treffen, erhellt sich sein ganzes Gesicht und seine Mundwinkel heben sich ein wenig. »Alles wird gut.«
»Diese ganze Sache ist beschissen«, antworte ich leise. »Mergen. Annabelle. Jetzt Lianna. Himmel, ich scheine einfach kein Glück zu haben.« Ich lasse den Blick über Willows wunderschönes Gesicht gleiten, das im Schlaf frisch und unschuldig aussieht. Ihre Augen bewegen sich schnell hinter ihren geschlossenen Lidern, als würde sie träumen. Ich kann nicht anders, als meine Lippen zärtlich auf ihre Stirn zu drücken, bevor ich wieder Noah meine Aufmerksamkeit schenke. »In meinem ganzen Leben habe ich nie etwas so sehr gewollt, Noah.«
Er schürzt die Lippen und nickt mir knapp zu. »Sie geht nicht weg, Shaw.« Er spricht mit einer Überzeugung, die mir fehlt. Ich bin froh, dass wenigstens einer von uns daran glaubt.
»Ich hoffe, du hast recht.«
Ihre Sorge, wie jede andere Frau vor ihr zu enden – nackt zwischen meinem besten Freund und mir –, wäre berechtigt, wenn sie jemand anders wäre. Es wird mich Anstrengung kosten, sie vom Gegenteil zu überzeugen, doch diese Anstrengung will ich gern auf mich nehmen. Das bereitet mir nicht die geringste Sorge, weil es niemals geschehen wird.
Nein … es gibt ein viel größeres Problem, das mir noch ein Magengeschwür beschert.
Wenn dieses kleine Treffen mit Lia Melbourne heute in die Binsen geht, habe ich keinen Schimmer, wie es mit uns weitergehen wird. Oder ob es überhaupt noch ein »uns« geben wird.