15. KAPITEL
Shaw
Was zum Teufel tust du, Merc?
Ich habe Willow aufs Bett gelegt wie etwas Zerbrechliches, etwas, das man nur selten zu sehen bekommt. Ich habe ihr diesen sexy Stofffetzen aus Seide vom Körper geschält, als sei sie eine reife Frucht, in die hineinzubeißen ich nicht abwarten kann. Ich habe meine Kleider abgestreift und mich ihrer bemächtigt, als sei der Gedanke, in ihre Wärme zu tauchen, einzigartig und unerlässlich für meinen nächsten Atemzug.
Sie liebt mich.
Ich hatte es gehofft. Wie ein Weichei hatte ich sogar dafür gebetet. Aber es wirklich von ihr zu hören? Diese Wahrheit bebte so tief in mir, dass ich spürte, wie sich der Boden auftat. Statt der Gleichgültigkeit, die ich empfand, wenn andere Frauen es mir sagten, verspürte ich reine, unverfälschte Euphorie. Als wäre ich hellwach, neugeboren.
Und ich liebe sie so sehr, dass ich über jeden Tadel erhaben bin. Wenn ich es nicht täte, hätte ich sie gehen lassen. Ich hätte ihr jetzt wehgetan, um sie später zu retten. Ich hätte hinter den Kulissen alles getan, um sie zu beschützen, um ihre finanzielle Zukunft zu sichern, und sie in Ruhe gelassen.
Ich hätte es tun sollen. Ich war vor ihr in der Suite und hörte, wie sie hereinkam. Ich sah zu, wie sie, ohne mich zu bemerken, ins Schlafzimmer ging. Ich hörte, wie sie duschte. Ich habe auf sie gewartet, alle Lügen parat. Danke für deine Hilfe, aber ich brauche deine Dienste nicht mehr . Während ich im Dunkeln saß, übte ich es immer und immer wieder, bis ich dachte, ich könnte es sagen, ohne daran zu ersticken. Ich dachte sogar kurz daran, Noah in unsere Suite und in unser Bett einzuladen, Scheißkerl, der ich bin.
Doch dann war sie da, und ihre Gegenwart umfing mich. Sie brachte uneingeschränkten Frieden und Gelassenheit mit in den Raum, ohne sich auch nur anzustrengen. Und das zerriss mich. Mein Kummer brach sich Bahn. Die Lügen verflüchtigten sich. Ich erinnere mich nicht einmal mehr, was ich sagte, als sie sich vor mich kniete, mit ihren strahlenden Augen zu mir aufblickte und mir sagte, dass sie mich liebt.
Als sie mich neulich Abend ganz bewusst davon abgehalten hatte, ihr meine Liebe zu gestehen, war ich wütend, vor allem aber verletzt. Doch nach dem heutigen Tag hatte ich gedacht, dass es vielleicht Schicksal war. Vielleicht hatte sie niemals erfahren sollen, wie tief meine Gefühle für sie sind, oder dass ich den Gedanken nicht ertragen kann, je wieder eine andere Frau als sie anzufassen. Doch als sie mir dann sagte, dass ich drin sei, war es das. Das Spiel war aus. Die idiotische Idee, sie von mir fortzustoßen, verflüchtigte sich. Jetzt gehörte sie mir.
Doch die Tatsache bleibt, dass unsere gegenseitig erklärte Liebe nur neue Ebenen der Komplexität zu diesem sowieso schon komplizierten Schlamassel hinzufügt, und ausnahmsweise einmal weiß ich nicht, was ich dagegen tun soll. Ich hatte gehofft, dass ich mit dem heutigen Tag Annabelle entlasten könnte, aber … scheiße. Scheiße .
Das kann ich nicht.
Wenn ich Lia Melbourne Glauben schenken kann, war Annabelle vor Ort. Sie waren alle dort. Verdammt, meiner Meinung nach sind sie alle so schuldig wie Annabelle, und dennoch hat sich keine gemeldet oder irgendwas unternommen. Aber es war meine kleine Schwester, die …
Shit. Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare und denke an vorhin, als ich ohne eine einzige Barriere in Willow hineinglitt – kein Latex, keine Heuchelei und auch keine der Barrikaden, die sie immer um sich hochzieht.
»Wo bist du?«, fragt Willow leise und streicht mit ihren winzigen Händen über meine Wangen.
Diese zärtliche Geste holt mich jäh zurück zu ihr, und mir wird bewusst, dass ich über ihr zögere, verloren in der Hölle, in der ich mich wiedergefunden habe. Wie soll ich mein Leben ohne sie weiterleben?
Unvorstellbar.
Sie wartet mit solcher Sehnsucht in ihrem schönen Gesicht auf mich, dass mein Schwanz randaliert. »Ich bin zu Hause«, sprudelt es wahrheitsgemäß aus mir heraus, während ich meine Wange an ihre lege. Ich drücke sie fest an mich, drücke mein Gesicht in ihren Nacken und atme ihren Duft ein.
»Shaw«, haucht sie. »Ich liebe dich.«
Himmel. Warum nennt man das »sich verlieben«, wenn es sich anfühlt, als sei man ohne Fallschirm kopfüber aus einem Flugzeug gesprungen? »Unmöglich mehr, als ich dich liebe, Willow.« Das geht gar nicht .
Ich begehrte sie mit einer Verzweiflung, die an Ungebärdigkeit grenzte. Deshalb schob ich die abscheulichen Neuigkeiten weg, positionierte mich und versank tief in ihr, liebte sie langsam, bis wir verschwitzt waren und unsere Lippen vom Küssen schmerzten. Ich empfand jede Sekunde mit ihr, als sei sie meine letzte. Ich fürchtete, dass sie es sein könnte.
Wir ließen uns Essen in die Suite bringen, aßen nackt im Bett, unterhielten, küssten und berührten uns. Wir liebten uns unzählige Male. Ich tat alles, worum sie mich bat. Jede Perversität, die sie sich wünschte. Überredete sie zu ein paar eigenen. Es war die wunderbarste Nacht, die ich je mit jemandem verbracht habe.
Ich streiche sanft mit den Fingerspitzen über ihren Arm, um sie nicht zu wecken. Sie schläft schon seit Stunden, doch ich liege hier, unfähig, die Augen zu schließen, und wünschte, wir könnten uns zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort einfrieren lassen, während sich die Welt ohne uns weiterdreht.
Sonnenstrahlen, die mir sonst willkommen sind, ergießen sich um die Vorhänge. Ich liebe den Sonnenaufgang. Den Anbruch eines neuen Tages, der neue Möglichkeiten bringt. Doch heute verfluche ich Mutter Natur, während sich in mir eine unheimliche Panik verdichtet und vervielfacht. Der morgige Tag ist fast da und bringt eine Million Fragen mit sich, auf die ich noch keine Antworten weiß.
Was zum Teufel soll ich tun?
Wie soll ich uns alle unversehrt aus diesem Schlamassel herausbringen?
Ist das überhaupt möglich?
Ehrlich gesagt lautet die Antwort nein. Wir werden alle verlieren.
»Verdammt, Annabelle. Was hast du getan?«, murmele ich in den stillen Raum hinein.
Ich habe einen Kloß im Hals. Ich kann mich dem noch nicht stellen. Stattdessen konzentriere ich mich auf Willow. Ich lausche ihren leichten Atemzügen, ertrinke im perfekten Klang ihrer Ruhe. Ich lasse die Wärme ihres Körpers, der an mich geschmiegt ist, so tief in mich einsickern, dass ich sie ein ganzes Leben lang spüren werde. Ich präge mir das Gefühl, wie ihre Finger an meiner Brust zucken, und ihren einzigartigen Duft ein, den ich mit jedem Atemzug tief einatme .
Zum ersten Mal im Leben fühle ich mich schwer und verwundbar. Der berühmt-berüchtigte Shaw Mercer ist gar nicht unbesiegbar oder unzugänglich. Der Beweis dafür liegt nah bei mir, ihre heiße Mitte eng an mein Bein gepresst, ihr Knie etwas zu nah an meinem schon wieder erregten Schwanz. Bei dem Gedanken, das alles nicht mehr zu haben, bekomme ich sogar feuchte Augen. Sie nicht behalten zu können oder nicht mehr mit dem Gefühl aufzuwachen, endlich meinen Platz im Leben gefunden zu haben.
Ich drücke meine Lippen auf den Scheitel ihrer vom Sex und vom Schlaf zerzausten Haare und lasse sie dort. Als ich auch den anderen Arm um sie schlinge, sind meine Lider plötzlich so schwer, dass ich die Augen nicht mehr offen halten kann.
Nur einen Moment , denke ich. Ich werde meine Augen nur einen Moment ausruhen, weil ich keine Sekunde, die ich noch mit ihr habe, im Nebelschleier des Schlafs vergeuden darf.
Ich wache von lautem Klopfen auf.
Als ich mit Mühe die Augen aufschlage, ist es im Schlafzimmer unseres Hotels taghell. Ein Blick auf die Digitaluhr auf dem Nachttisch rechts von mir sagt mir, dass es nach neun ist. Scheiße. Ich habe mehr getan, als nur die Augen auszuruhen. Ich habe tief und fest geschlafen.
Klopf, klopf, klopf .
Das dumpfe Geräusch kommt von der Tür zu unserer Suite. Ich bin verärgert. Ich bin mir sicher, dass ich gestern Abend das »Bitte nicht stören«-Schild rausgehängt habe, um genau das zu verhindern.
Vorsichtig befreie ich mich von Willow, die immer noch tief schläft, und schnappe mir meine Anzughose vom Fußboden. Ich steige erst mit einem Bein hinein, dann mit dem anderen, ziehe den Reißverschluss zu, lasse aber den Knopf offen. Das Klopfen geht weiter, doch ich halte inne und betrachte die Liebe meines Lebens. So süß und unschuldig, wenn sie sich nicht verbal mit mir anlegt.
Den Rest des Abends hat sie mich nicht mehr wegen meiner Laune bedrängt, doch das ist nur vorübergehend. Das wird sie, wahrscheinlich ab der Sekunde, in der sie die Augen aufschlägt. Und dann was? Wie werde ich sie diesmal ablenken, ohne sie glatt anzulügen? Denn das kann ich einfach nicht tun. Eine Lüge wird dieses fragile Vertrauen, das sie in mich gesetzt hat, beschädigen, und das werde ich nicht zulassen, egal wie verlockend es sein mag.
Mit einem Seufzer reiße ich mich widerstrebend von ihr los und schaffe es gerade zur Tür, als das laute Klopfen wieder anfängt. Ich reiße sie auf, ohne mir die Mühe zu machen, durch den Spion zu sehen, da ich mir sicher bin, dass es jemand vom Zimmerservice ist. Ich mache mich bereit, einem unschuldigen Opfer den Kopf abzureißen, als ich das Gesicht meines besten Freundes vor mir sehe.
»Was soll das? Wir reisen doch erst gegen Mittag ab.«
»Das konnte nicht warten.« Er hastet ungebeten an mir vorbei. Arschloch.
Ich will mich jetzt nicht mit Noah auseinandersetzen. Ich will mich auch nicht damit auseinandersetzen, was mich in Seattle erwartet. Am liebsten würde ich wieder zu Willow ins Bett kriechen, die Laken zurückziehen, die sie zudecken, und mit der Zunge über ihre perfekten Rundungen fahren, bis ich ihre Mitte erreiche. Ich will, dass sie keuchend erwacht, sich in meine Haare krallt und mich anfleht, sie kommen zu lassen. Ich will nicht abreisen, und ein großer Teil von mir wünscht sich, wir seien gar nicht erst hergekommen, denn dann könnte ich mich noch ein Weilchen länger hinter einem Mantel aus Verleugnung verstecken .
Ich schließe leise die Tür hinter mir und folge Noah ins Wohnzimmer meiner Suite. »Du hättest anrufen können.«
Er wirft mir einen verärgerten Blick zu. »Ich habe es ein Dutzend Mal auf deinem Handy versucht. Du bist nicht drangegangen. Glaubst du etwa, ich wollte meinen Arsch so früh aus dem Bett schwingen?« Noah ist Frühaufsteher. Ihn hält es nur dann länger als bis sechs Uhr im Bett, wenn sich eine nackte Schönheit in den Laken räkelt. »Wollte ich nicht.«
Ich grinse. Klar, ich hatte recht.
Als ich den Raum durchquere, entdecke ich mein Handy auf dem Beistelltisch, lasse es aber liegen. »Warum hast du es dann getan?«, frage ich und lasse mich in denselben Sessel sinken, in dem ich gestern Abend saß, als Willow mir ihre Liebe gestand.
Noah sieht sich im Raum um, bevor er mir ein Tablet reicht. »Weil du das hier sehen musst.«
»Was denn?« Ich schnappe mir das Gerät und wische darüber, um den Bildschirm zum Leben zu erwecken, und in weniger als einer Sekunde wünschte ich, ich hätte die Tür nie aufgemacht. Mein Blick fällt zuerst auf das körnige Foto, und auch wenn es nicht scharf ist, ist unverkennbar, was darauf passiert. »Was zur Hölle soll das?«
Als ich zu Noah aufblicke, sind seine Augen hart wie Stahl. »Es tut mir leid.« Seine Stimme ist voller Reue. Der Abend, an dem dieses Foto aufgenommen wurde, blitzt vor meinem inneren Auge auf. Ich wusste es. Ich wusste verdammt noch mal , dass sich das noch rächen würde.
Ich schlucke die Galle herunter, die in meiner Kehle wie ein Höllenfeuer brennt, und richte meine Aufmerksamkeit wieder auf den kurzen Artikel, der in der heutigen Morgenausgabe der 7-Day erschienen ist. Und der Tritt in die Eier ist, dass er direkt unter einem Foto meines Vaters abgedruckt ist, auf dem er Kindern aus einer Vorschulklasse etwas vorliest. Eine bewusste Provokation, ganz offensichtlich.
Diese Wichser . Ich koche vor Wut.
»›Wird Monogamie überbewertet‹?«, fauche ich, während ich den Blick über die schwarzen Lettern gleiten lasse, die mich verhöhnen. Ich brauche weniger als drei Minuten, um die idiotische Enthüllungsstory fertig zu lesen, die aus nichts als Lügen und Spekulationen besteht. »Was ist das?« Ich werfe das Tablet angeekelt aufs Sofa. »Eine gottverdammte Hexenjagd?«
»Scheint so«, antwortet Noah mit rauer Stimme.
Die Kernaussage der kurzen Schwachsinnsstory lautet, dass ich Willow betrogen habe. Und das Bild, das ihnen irgendwie in die Hände gefallen ist, ist sicherlich belastend.
Es zeigt Gina, die hübsche Kellnerin, die Noah und mich an jenem Abend bedient hat, mit zugekniffenen Augen und unverkennbar ekstatischem Gesichtsausdruck. Sie krallt sich an meinem Hemd fest, auf ihrer Hüfte liegen Noahs lange Finger, sonst sieht man nichts von ihm.
Dafür sieht man mich glasklar. Und das Schlimmste daran? Meine Finger halten ihr Kinn fest, und meine Lippen berühren ihre in einem zärtlichen Kuss, während sie ihren Orgasmus hat.
Schei-ße.
Ich habe in jener Nacht außer bei diesem schlichten, unschuldigen Kuss bei rein gar nichts mitgemacht, doch wenn ich die Wahrheit nicht kennen würde, würde ich diesen Unsinn vielleicht sogar glauben.
Willow glaubt ihn aufgrund der Lügen – selbst wenn das Foto echt ist – vielleicht auch. Und das wäre das erhoffte Resultat, oder?
Ich habe so viele Fragen, doch die einzige Frage von Bedeutung lautet: »Wer ist dafür verantwortlich? «
Ich will denjenigen finden und vernichten. Mich so mit einer anderen Frau zu sehen, wird Willow umbringen. Vor allem nach dem Vorfall mit Lianna neulich Abend auf der Party. Unser Verhältnis ist immer noch zerbrechlich. Es muss gehegt und gepflegt werden. Es braucht Zeit, um zu wachsen und Wurzeln zu schlagen, und das hier … Scheiße . Das hier könnte das, was wir aufbauen, in Stücke sprengen, wenn wir es zulassen, und das sogar noch vor der Verheerung durch die anderen Neuigkeiten, die ich ihr irgendwann beibringen muss.
Warum kommt es mir so vor, als hätte sich das ganze Universum gegen uns verschworen?
Noah lässt sich auf die Couch plumpsen und wirft einen Arm über die Rückenlehne. »Da gibt es eine Menge Kandidaten.«
Allerdings .
Ruhelos stemme ich mich aus dem Sessel und laufe auf und ab. Mir fällt sofort Mergen ein. Er weiß, dass mich das aufs Schlimmste treffen wird, doch es wird nicht nur Willow verletzen, sondern könnte womöglich auch der Kampagne meines Vaters schaden. Würde er das tun, weil es seinem eigenen Ziel nützt? Ich würde es dem Mistkerl zutrauen.
Dann wäre da noch Lianna. Was gibt es Schlimmeres als eine verschmähte Frau? Meiner Erfahrung nach nicht viel. Aber wie hätte sie an das Foto herankommen sollen? Wenn sie an jenem Abend dort gewesen wäre, hätte ich sie gesehen. Es ist, gelinde gesagt, vorteilhaftes Timing.
Und natürlich darf ich die Konkurrenten meines Vaters nicht vergessen. Verdammt, jeder hätte dieses Foto machen und für ein Vermögen an die 7-Day verkaufen können. Es könnte sogar sein, dass Gina selbst uns eine Falle gestellt hat, aber warum ?
Scheiße, scheiße, scheiße. Mein Vater hatte von Anfang an Angst, dass so etwas passieren könnte, und ich habe Harrington ohne Not scharfe Munition geliefert. Ich hätte die Granate genauso gut mit dem Sicherungsstift zwischen den Zähnen persönlich übergeben können.
Plötzlich erhellt sich das Display meines Handys. Ich hatte es gestern Abend auf stumm geschaltet, weil ich nach dem Treffen mit Annabelles Freundin den Gedanken nicht ertragen konnte, mit jemandem zu sprechen. Noah greift hinüber und nimmt es in die Hand, während er mir einen fragenden Blick zuwirft. »Dein Vater.«
Natürlich. Ich frage mich, wie oft er schon angerufen hat. Als ich den Kopf schüttele, legt er es achselzuckend wieder weg. »Irgendwann wirst du dich mit ihm auseinandersetzen müssen, Merc.«
Ich ignoriere den Klugscheißer und schalte sofort auf Problemlösungsmodus. Das Foto ist veröffentlicht. Daran kann ich nichts mehr ändern, so gern ich mir das Gegenteil einreden will.
»Wir müssen Schadensbegrenzung betreiben.« Wobei der erste Schritt wäre: Wie bringe ich es Willow bei? Wenn ich der Meinung wäre, dass es einen Weg gäbe, die Sache unter den Teppich zu kehren, sodass sie nie davon erfahren würde, würde ich es tun. Aber so blöd bin ich nicht. Mergen wird hinter ihr her sein wie eine Scheißhausfliege und hoffen, dass uns das entzweit, damit er sie mir ausspannen kann.
»Schadensbegrenzung wofür?«, fragt eine leise Stimme, die nicht Noah gehört.
Natürlich.
»Oh-oh«, murmelt Noah. Ich folge seinem Blick und versteife mich, als ich Willow in ihrer Aufmachung sehe. Ihre goldenen Haare sind immer noch zerzaust, und auf ihrem atemberaubenden Gesicht liegt ein befriedigter, verschlafener Ausdruck. Ein flauschiger weißer Morgenmantel, an der Taille fest zusammengebunden, umhüllt ihren zierlichen Körper, und ich weiß, dass sie darunter splitternackt ist.
In meinem Kopf herrscht Leere.
»Ich dachte, du schläfst noch«, ist alles, was mir einfällt.
Sie lächelt. Es haut mich genauso um wie sonst immer. »Ich habe Stimmen gehört.« Dann kommt sie auf mich zu. Ihr Gang ist langsam und sexy, doch in meinem Kopf könnte sie genauso gut für mich strippen. Als sie zu mir tritt, schlingt sie den Arm um meine Taille, und ich stoße einen erleichterten Seufzer aus, weil ich sie an meiner Seite habe. Das hält so lange an, wie sie dafür braucht, um noch einmal zu fragen: »Schadensbegrenzung wofür?«
Ich sehe zu Noah, woraufhin wir beide auf das iPad schauen. Da Willow ist, wie sie ist, entgeht ihr nichts. Sie tritt aus meiner Umarmung und zieht die Aufschläge ihres Morgenmantels fest um ihr Kinn. Dieser dämliche Morgenmantel ist kein bisschen sexy, doch weil sie ihn trägt, ist er ein Kunstwerk.
»Was ist los?«, fragt sie in dem Ton, der signalisiert, dass sie sich für den Kampf rüstet. Selbst ihre hochgezogenen Augenbrauen unterstreichen den Ernst der Lage. »Und diesmal entkommst du mir nicht ohne eine Antwort.«
»Es ist wohl besser, wenn ich gehe«, verkündet Noah und springt auf.
»Feigling«, murmele ich halblaut. Obwohl ich es ihm nicht verübeln kann, dass er lieber von hier abhauen will. Ich will die Bestürzung und die Vorwürfe in Willows Gesicht auch nicht sehen.
Auf dem Weg zur Tür schlägt Noah einen Bogen und bleibt direkt vor Willow stehen. Er wirft mir einen merkwürdigen Blick zu, fast als wollte er mich stumm um Erlaubnis bitten, bevor er die Hände auf ihre Schultern legt .
Die sowieso schon angespannte Atmosphäre verschlechtert sich noch, als Noah diesen unverfrorenen Schritt unternimmt und sie vor meinen Augen auf diese Art berührt … vor allem da ich weiß, dass ein kleines Fingerschnipsen die zwei Mantelhälften öffnen wird, die ihre makellose Perfektion verbergen.
Willow stellt sich aufrecht hin und neigt den Kopf zu mir. Als sie sieht, dass ich keine Anstalten mache, Noah die Finger zu brechen, weiß sie, dass es ernst ist. Sie presst die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen, die vor Sorge gerunzelte Stirn bringt mich um. Ich will sie beruhigen und ihr versichern, dass alles wieder gut wird, doch dessen bin ich mir nicht sicher. Und das liegt nicht nur an dem Foto. Sondern an allem.
»Hey«, sagt Noah leise, um Willows Aufmerksamkeit wiederzuerlangen. »Glaub kein Wort davon.«
»Wovon?« Sie ist verhalten. Nervös.
Noah antwortet nicht. Er sieht sie lange an, bevor er sie umarmt, und obwohl mich das zur Weißglut bringt, verstehe ich, was er damit beabsichtigt. Es ist seine Art, sich zu entschuldigen. Aber ich gebe nicht ihm die Schuld an jener Nacht oder an dem Foto. Sondern mir . Ich hätte ihn aufhalten müssen, sobald er die Hände unter Ginas knappen Rock schob.
Er senkt den Kopf und flüstert Willow etwas ins Ohr. Sie schließt die Augen und drückt ihn fester. Genau wie er sie. Meine aufgestellten Nackenhaare beginnen schon zu zittern, als er sie endlich loslässt und verschwindet, bevor ich ihm eine reinhauen kann. Gute Aktion. Meine Geduld war langsam am Ende.
Willow atmet tief durch und dreht sich zu mir. Sie drückt den Rücken durch und legt erwartungsvoll die Arme um ihre schlanke Taille. Sie ist umwerfend. Gott, wie ich sie liebe.
»Sag es mir. Ich kann alles ertragen. «
Das hoffe ich. Das hoffe ich sehr , würde ich am liebsten sagen. Denn wenn du es nicht kannst, haben wir keine Chance, weit schlimmeren Mist zu überstehen, der geduldig auf den richtigen Zeitpunkt wartet, um uns den Garaus zu machen .
Während sich die Spannung wie ein Schraubstock um alle meine Muskeln legt, nehme ich das Tablet, das Noah dagelassen hat, und reiche es ihr, wobei ich darum bete, dass sie mich in zwei Minuten immer noch mit liebendem Blick ansehen wird statt mit purem Ekel.