Das kleine Marmorrelief auf dem Schreibtisch, Mitbringsel des Sohns von einer Reise nach Rhodos, zeigt den uralten Dramatiker vor gefallenem Vorhang. Er sitzt auf seinem Olympier-Stuhl, der eine schöne Schneckenwindung in der Armlehne hat.
So saß auch er mal und sah der Probe zu einem seiner Stücke zu. So sitzt er noch und wird alle Zeit rätseln, was heute wohl der gefallene Vorhang an Schönem, Verheißungsvollem und Unerklärlichem verbirgt.
Er sollte auch gestehen, weshalb ihn nichts mehr drängt, sich vorzudrängen oder etwa ein blaues Anti-Theater der Phantasien und Erinnerungen zu entwerfen, wie er’s zu Anfang so schön erlebte und ihm anhing, Fassbinders erste Bühne in München. Ihm unvergeßlich eine Aufführung dort von ›Krankheit der Jugend‹, Regie Jean Marie Straub, der die Dramaturgie des Bruckner-Stücks zu Auf- und Abtritten verkürzte, Tür auf, Tür zu, was ist schon Handlung? Grundgeschehen der Existenz ist Auftritt und Abtritt.
Der verwirrte alte Dramatiker, der noch einmal ins Theater schleicht, morgens vor der Probe sich im Parkett verbirgt, hintere Reihe, um die besondere Atmosphäre vor der Probe zu inhalieren. Requisiteur und Inspizient erzählen sich was, Assistent blickt ins Rollenbuch, Kostümbildnerin sortiert Entwürfe, Bühnenarbeiter richten die Probendekoration auf, Beleuchter rufen von der Galerie. Dieser nicht definierbare Raum, Zeitraum der Unordnung vor der Probe — der alte Mann schließt die Augen. Die vielen Male, die er im Zuschauerraum alleine saß, bevor die Probe zu einem neuen Stück von ihm begann. Schließlich wird er bemerkt, der Assistent macht da jemanden im Dunkeln aus, ein Unbefugter im Parkett, er geht zu ihm, der Alte wird sanft, aber nachdrücklich hinausgebeten.