»Nicht gerade ein Schmuckstück.«
Guillaume Lipaire fuhr herum. Er hatte die Tür nicht gehört, so sehr war er damit beschäftigt gewesen, die Wohnung, in der er sich gerade befand, in ein gutes Licht zu rücken. Wenn man heutzutage als Vermieter erfolgreich sein wollte, musste man auch virtuos auf der digitalen Klaviatur spielen, und das hieß: Schöne Fotos vom Objekt machen und diese ein bisschen nachbearbeiten, damit die Leute Lust bekamen, dort ein paar entspannte Tage zu verbringen. Früher war das einfacher gewesen, da hatte der Nimbus des Ortes in direkter Nachbarschaft zu Saint-Tropez locker ausgereicht, um die Wohnungen im fliegenden Wechsel auszulasten. Aber heutzutage wollten die Leute immer erst »Beweisfotos« sehen – und am besten auch noch Dutzende von Bewertungen über die Vermieter und deren Objekte lesen. Als ob das in seinem Fall überhaupt möglich gewesen wäre. Sollte er die Besitzer vielleicht bitten, ein paar schöne Zeilen zu verfassen, damit er ihr Hab und Gut hinter ihrem Rücken leichter vermieten konnte?
»Gut, dass du da bist, Paul«, sagte er, erleichtert, dass Quenot endlich aufgetaucht war. Denn was gab es Besseres, um den Eindruck einer gepflegten Wohnung zu erwecken, als diese mit ein paar schönen Pflanzen aufzuhübschen?
»Das Gefühl hab ich auch. Ich hab ein paar meiner Lieblinge dabei.« Der Belgier blickte auf die Blüten der Pflanzen, die er in einer Kunststoffbox vor sich hertrug. »Hast du Übertöpfe?«
»Übertöpfe?«
»Na, in diesen Plastikdingern willst du sie ja wohl nicht auf dem Foto haben, oder?«
»Hm, stimmt, das würde nicht so gut aussehen.« Guillaume schaute sich suchend um. »Die Goosens werden doch ein paar verdammte Übertöpfe haben, immerhin sind sie …«
»Holländer?«
»Belgier.« Guillaume zwinkerte seinem Freund zu. »Das mit den Pflanzen liegt doch in eurer Natur, oder ist das ein Geburtsfehler bei dir?«
»Halt die Klappe, und hilf mir lieber.« Der Ex-Legionär stellte die Blumen auf dem runden Esstisch ab. »Wo sollen die hin?«
Lipaire ließ den Blick durch die Wohnung schweifen. So schlimm, wie vom Belgier vermutet, sah sie gar nicht aus. Da hatte er schon ganz andere gesehen. Sie war auch nicht so vollgestopft wie einige seiner Objekte. Er hasste das, denn das unbestreitbare Schmuckstück jeder Wohnung in Port Grimaud waren die großen verglasten Terrassen- oder Balkontüren auf den Kanal hinaus. Mit dem Blick aufs Wasser, in dem sich der Himmel spiegelte, wenn nicht gerade eine Segeljacht oder ein Motorboot vorbeiglitt, konnte keine noch so gut ausgesuchte Einrichtung konkurrieren.
»Fangen wir doch hier an«, sagte der Belgier und deutete auf das Beistelltischchen neben dem Sofa.
»Gute Idee, wollte ich auch gerade vorschlagen.«
»Hast du jetzt Übertöpfe oder nicht?«
»Genau, die Übertöpfe!« Während Guillaume die Einbauschränke durchsuchte und froh war, dass es hier in den Häusern wegen des allgegenwärtigen Wassers nicht auch noch Keller gab, in denen er auch hätte nachschauen müssen, kümmerte sich Paul um die harmonische Verteilung der Blumendekoration. Er hatte ein Händchen dafür, das wusste Lipaire, weswegen er sich nicht einmischte.
»Wie kommt’s eigentlich, dass du immer noch in der gardien -Wohnung haust?«, fragte Quenot.
Guillaume grinste. »Das haben die Vicomtes wohl nicht auf dem Schirm gehabt. Ich bin zwar meine Anstellung los, aber dass ich eins der Dienstapartments belege, haben sie nicht bedacht. Der Vertrag läuft also erst mal weiter. Na ja, die kümmern sich ja jetzt um Wichtigeres. Bilaterale Staatstreffen und so. Ah, da sind ja die Übertöpfe.« In einem der zahlreichen Schränke war Lipaire endlich fündig geworden. Er nahm sie heraus und setzte die Pflanzen, die Quenot bereits drapiert hatte, in jeweils einen der bunten Töpfe. »Hast du eigentlich was vom Staatsempfang heute mitbekommen?«
Paul schüttelte den Kopf. »Hat mich auch nicht interessiert.«
»Ach komm, du hast doch ein Faible für Prinzessinnen, oder? Na ja, vielleicht eher für Prinzen.«
Quenot ignorierte die Bemerkung. »Es war sogar eine echte da, heute. Die Prinzessin von Seborga.«
»Seborga? Nie gehört.«
»Ich auch nicht. Das ist wohl auch so ein selbst ernanntes Fürstentum.«
»Die nehmen hier allmählich überhand.«
»Nicht hier. In Italien.«
»Ja dann …«
»Jedenfalls haben sie die Seborgerin … oder Seborghese, oder was weiß ich, wie man das sagt, im offenen Cabrio durch den Ort kutschiert, und die Leute mussten ihr zuwinken.«
»Das ist ja mal eine echte Attraktion. Schade, dass ich nicht dabei sein konnte.«
»Dein Spott wird dir bald im Hals stecken bleiben, Liebherr.«
Guillaume mochte es nicht, wenn sein Freund ihn bei seinem eigentlichen Namen nannte, der eindeutig seine Herkunft verriet. Da er darin aber eine Retourkutsche für seine vorige Spitze vermutete, ließ er es durchgehen. »Aha, und wieso?«
»Weil sie angeblich dran sind, jemanden von den Grimaldis aus Monaco herzuholen.«
»Soso. Da bin ich gespannt. Wird bestimmt wieder so ’ne Pleite wie mit diesem … angeblichen König oder Prinzen da.«
Quenot richtete seinen massigen Körper auf und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »König?«
»Na, der von diesem afrikanischen Zwergstaat. Er wäre doch der Erste gewesen, der das Fürstentum offiziell anerkennt. Aber dann kam raus, wie es um die Menschenrechte steht, bei denen. Der hat nicht mal eine Einreisegenehmigung nach Frankreich bekommen.«
Paul nickte wissend. »Die Vicomtes brauchen bald einen eigenen Flughafen.«
»Mal den Teufel nicht an die Wand«, gab Guillaume mit erhobenem Zeigefinger zurück. »Der Heliport ist schon nervig genug.«
»Ich hätte ja auch gern was Eigenes«, erklärte Paul auf einmal.
»Natürlich, das hast du vorhin ja schon erwähnt. Eine Gärtnerei, richtig?« Zum Glück erinnerte er sich an die Bemerkung seines Freundes heute Morgen.
»Genau.«
Guillaume atmete tief durch. Es war aber auch wirklich nicht leicht, mit dem wortkargen Belgier eine Unterhaltung zu führen. »Klingt toll.«
»Wird es auch. Jedenfalls hab ich einen Plan.«
»Das ist das Wichtigste.«
»Du kannst bei mir einsteigen, wenn du magst.«
Lipaire gefror mitten in der Bewegung, einen Übertopf in der einen, eine rosa blühende Pflanze in der anderen Hand. »Ich … also …« Er wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte. Es war eines, dass sein Freund seinen Traum verfolgte, aber in Guillaumes Träumen kamen definitiv weder Gewächshäuser noch Pflanzenschutzmittel vor. »Ich? Teilzeit, im Management?«, flüchtete er sich in einen Witz.
»Wie wär’s mit Vollzeit im Beet?«
Guillaume tippte sich an die Stirn. »Das ist nicht mein Metier, wie du eigentlich wissen solltest.«
»Aber deine illegale Vermieterei, das hat doch keine Zukunft.« Demonstrativ schaute sich der Belgier in dem Wohnraum um.
»Vielleicht mehr als deine Blümchen. Es läuft übrigens gar nicht so schlecht«, verteidigte sich Lipaire. »Klar, mir stehen nicht mehr die allerbesten Objekte zur Verfügung, und sie sind ein bisschen weit über den Ort verstreut …«
»… und liegen manchmal auch an den eher unbeliebten Ecken …«
»Jaja, das weiß ich selbst. Aber es reicht mir immer noch, um über die Runden zu kommen. Und irgendeiner muss es schließlich machen.«
Quenot verzog die Lippen zu einem Grinsen und kiekste: »Klar, was würden die Eigentümer nur ohne dich tun?«
»Ich könnte meinen Hausbesitzern ja deine Dienste empfehlen – gegen eine kleine Provision, versteht sich.«
»Du bist einfach unverbesserlich.«
»Hast du’s endlich begriffen!«
Nachdem sie wieder eine Weile still ihren Tätigkeiten nachgegangen waren, sagte Paul plötzlich etwas, das Lipaire zunächst gar nicht verstand: »Hast du mal darüber nachgedacht, mit ihnen Kontakt aufzunehmen?«
»Mit wem? Den Vicomtes?«
»Nein mit … du weißt schon.«
Er wusste nicht, doch es beschlich ihn eine Ahnung, worauf sein Freund hinauswollte. Und falls es das war, was er vermutete, überschritt der Belgier gerade eindeutig eine Grenze. Sie hatten sich in diesem Jahr der Annäherung , wie Lipaire es innerlich getauft hatte, wiedergefunden, ihre alte Freundschaft wieder aufleben lassen, aber es war längst nicht alles wie früher. Denn noch sparten sie alle Themen aus, die sie an die Zeit erinnerten, als sie sich hier kennengelernt hatten. Als Lipaire noch mit Hilde verheiratet war. Als sie ihr kleines »Business« aufgezogen hatten, das bald schon gar nicht mehr so klein war und das, wenn man es genau nahm, nichts anderes war als ein florierender Handel mit – aus Lipaires Sicht – harmlosen Drogen. Darüber, und vor allem, wie alles zerbrochen war, schwiegen sie, und er hatte nicht vor, das zu ändern. »Nein, weiß ich nicht.«
Der Belgier ließ nicht locker: »Na, mit deinen Kindern. Vielleicht können die dir helfen, die haben doch …«
»Stopp!« Mit schneidender Stimme unterbrach Lipaire ihn. »Darüber will ich nicht reden. Und schon gar nicht mit dir.« Er wusste nicht, warum er den letzten Satz gesagt hatte, und er tat ihm sofort leid. Doch er kam nicht dazu, sich zu entschuldigen, denn die Tür wurde aufgestoßen. Karim stürmte herein.
»Ich … stellt euch vor, die …« Er hatte Mühe, die Worte hervorzupressen, so außer Atem war er. Sein Körper bebte so sehr, dass die schwarzen Locken auf seinem Kopf zitterten.
»Junge, was ist denn los mit dir?«, fragte Guillaume besorgt. Er hatte Karim selten so aufgelöst gesehen. Dann fiel ihm etwas ein: »Hast du nicht gesagt, dass du Schicht hast und mir deswegen nicht helfen kannst?«
»Hätte ich auch«, keuchte der junge Mann.
»Was? Mir helfen wollen?«
»Nein. Schicht.«
»Und warum bist du dann hier?«
»Weil … es gibt keine Wassertaxis mehr!«, gab Karim atemlos zurück.
Jetzt entspannte sich Lipaire etwas. Der Junge schien einfach nur nach einer guten Ausrede zu suchen, warum er ihn hatte hängen lassen. »Karim, ehrlich, fällt dir nichts Besseres ein? Gerade vorhin ist mir eins begegnet!« Er schüttelte den Kopf, halb amüsiert, halb wütend darüber, dass er so eine Geschichte aufgetischt bekam.
»Nein, du verstehst nicht. Natürlich gibt es die noch. Aber wir dürfen sie nicht mehr fahren.«
»Wer?«
»Na, wir Wassertaxifahrer.«
Guillaume stellte die Pflanze, die er gerade in der Hand hielt, auf das Küchenbuffet. Auch Quenot wandte sich dem Jungen zu.
»Wir dürfen unseren Beruf nicht mehr ausüben, stellt euch das vor.«
»Wer sagt das?«, wollte der Belgier wissen.
»Die Vicomtes?«, vermutete Lipaire.
»Nein, die Verwaltung. Hat man uns gerade mitgeteilt.« Jetzt ließ sich der Junge in einen Sessel fallen.
»Das muss ein Irrtum sein. Wer soll die denn sonst fahren?«
Karim zuckte die Achseln. »Wir jedenfalls nicht, Guillaume. Wir sind alle entlassen.«
»Ent… ach du meine Güte.« Er setzte sich ebenfalls.
Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Quenot: »Kannst ja bei mir anfangen.«
Karim hob den Kopf. »Bei dir? Marihuana verkaufen?«
»Nee, ganz legal. In meiner Gärtnerei.«
Der junge Mann warf Lipaire einen fragenden Blick zu, doch der rollte nur mit den Augen.
»Was zahlst du denn?«, fragte Karim.
»Also … noch kann ich nichts zahlen. Aber bald, wenn es läuft …«
»Danke, Paul. Aber ich bin Seemann. Erde ist nicht mein Element.«
»Verstehe«, antwortete der Belgier und presste seinen massigen Körper zu Lipaire auf die kleine Couch.
»Also, so geht das nicht«, erklärte Lipaire.
»’tschuldigung«, sagte Quenot, »aber ich kann mich auch auf den Stuhl …«
»Das auch. Aber ich meine vor allem die Sache mit den Fahrern. Morgen gehen wir zur Verwaltung und klären das.«
Karims Miene hellte sich auf.
Davon befeuert, schob Lipaire nach: »Oder gleich zum Bürgermeister. Wir kennen schließlich seine Tochter.«