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In völliger Dunkelheit hielt Quenot mit seinem Citroën-Kastenwagen vor Lipaires Wohnung. Guillaume war zur Überraschung aller schon wach, hatte sich bereits Filterkaffee gemacht, in seine alte Thermoskanne abgefüllt und wartete vor der Tür auf seine Freunde.

Sie fuhren in Richtung des kleinen Industriegebiets nahe des Heliports von Port Grimaud. Es waren nicht viele Worte seit ihrer Abfahrt gesprochen worden, alle waren nervös, ein wenig übernächtigt und hingen ihren Gedanken nach. Nur Lipaire und Paul waren hellwach. Lipaire, weil er zum ersten Mal den betagten Transporter steuerte, Paul, weil er sichtlich Angst um seinen fahrbaren Untersatz hatte. Weil Lipaire später allein damit fahren musste, bestand Paul darauf, unter seiner Aufsicht noch ein wenig zu üben.

»Zwischengas, du musst Zwischengas geben!«, mahnte er immer wieder, wenn Lipaire unter hörbarem Ächzen des Getriebes einen neuen Gang einlegte. Er ließ sich nicht anmerken, dass er keine Ahnung hatte, was Paul damit meinte.

Guillaume war froh, als sie endlich ihr erstes Ziel erreicht hatten: die Zentrale des Sicherheitsdienstes, der den Transport übernehmen würde – respektive den Schrottplatz daneben. Er schaltete das Licht am Citroën aus. Das Vorhängeschloss am Gittertor des kleinen Betriebs war selbst für einen leichten Bolzenschneider aus dem Billig-Baumarkt kein Problem. Als Guillaume durchgefahren war, schloss Quenot das Tor wieder und legte die Kette fein säuberlich darüber, nun allerdings ohne Schloss. Sie würden nur eine halbe Stunde brauchen, und der Platz wurde erst um zehn Uhr geöffnet. Zehn Uhr, hallte es in Guillaumes Kopf nach. Bis dahin würden sie wissen, ob ihr Coup von Erfolg gekrönt sein würde oder ob alles verloren war.

Er zwang sich, seine Gedanken wieder aufs Hier und Jetzt zu lenken: Von außen würde bestimmt niemand sehen, dass sich jemand unbefugt auf dem Schrottplatzgelände befand. Und ein alter HY war inzwischen zwar ein eher seltener, aber dennoch kein allzu ungewöhnlicher Anblick auf einem Autofriedhof. Schon am Vortag hatten sie alles ausgekundschaftet und eine perfekte Stelle für ihr Vorhaben gefunden. Quenot schnitt mit dem Bolzenschneider ein Loch in den Maschendrahtzaun, der den Schrottplatz von Sécurité Grimaldine trennte, schnappte sich das Werkzeug, das er drüben brauchte, und schlüpfte hindurch. Karim öffnete die hinteren Türen des Transporters und lud die zurechtgeschnittenen Sperrholzplatten sowie das eigens zusammengeschweißte Metallgestell aus, bugsierte die Sachen ebenfalls durch den Zaun und stellte sie neben dem Geldtransporter ab. Dass diese Hochsicherheitsfahrzeuge jeden Abend unverschlossen in einer offenen Halle geparkt wurden, hatten sie am Anfang kaum glauben können. Manchmal musste man eben auch Glück haben. Nun brachte Guillaume die Kiste zusammen mit dem eigens genähten Samtüberwurf zum Zaun, wo Karim sie in Empfang nahm, um sie ins Sicherheitsfahrzeug zu laden. Die würden sie während der Fahrt gegen die echte Kiste mit der Urkunde austauschen, die dann, gut versteckt, fürs Erste im Wagen verbleiben würde. Schließlich würden sie sie ein wenig später unbemerkt dort abholen, um sie ein für alle Mal zu vernichten. Ein perfekter Plan, und der Nachbau war ihnen wirklich gut gelungen: Er hätte sich selbst nicht zugetraut, sie vom Original zu unterscheiden. Guillaume musste schmunzeln beim Gedanken an die Vicomtes, die auf dem Marktplatz feierlich die in Samt eingepackte Kiste enthüllen würden – und auf nichts als den Asterix-Band mit dem sprechenden Titel Gallien in Gefahr stoßen würden, den er dort platziert hatte. Ein kleiner »Gruß« an die Adelsfamilie, den er sich nicht hatte verkneifen können.

Er ging zurück und setzte sich in den Citroën.

Am Werttransporter hatte sich Paul bereits in Position gebracht und machte sich mit einer Akku-Stichsäge am Fahrzeugboden zu schaffen. Das ging nicht ganz geräuschlos vonstatten, doch Lipaire blieb ruhig: Da sich in der direkten Nachbarschaft keine Wohnhäuser befanden, würde ihr Treiben niemandem auffallen. Derartige Geräusche waren ja nicht ungewöhnlich für einen Schrottplatz. Gute zehn Minuten saßen sie so da und warteten ab. Irgendwann tauchte schließlich Karim wieder am Zaun auf und kam mit schnellen Schritten auf sie zu.

»Wir können fahren. Paul meint, er kommt jetzt allein klar«, sagte er, als er eingestiegen war, und Lipaire startete den Motor.


Ihr nächstes Ziel war der Hafen von Cogolin, wo sie Karim und Jacqueline aussteigen ließen. Als Guillaume auf die vielen geparkten Autos blickte, die sie vor ein paar Stunden dorthin gebracht hatten, durchfuhr ihn ein warmer Schauer. Wieder einmal hatten sie alle zusammengeholfen – und mit vereinten Kräften würden sie heute bestimmt auch schaffen, was sie sich vorgenommen hatten. Scheitern war in dieser Sache schlichtweg keine Option.

Nachdem er das Auto verlassen hatte, zwängte sich Karim noch in einen schwarzen Overall, der so eng war, dass Jacky ihm helfen musste, um hineinzukommen.

»Ich glaube, wir hätten einen größeren besorgen sollen«, bemerkte Delphine, als sie aus der Frontscheibe zu den beiden hinübersah.

Doch Guillaume legte ihr kopfschüttelnd die Hand auf den Unterarm und erwiderte: »Wenn du Karim fragst, hast du das ganz wunderbar gemacht. Er freut sich doch immer, wenn ihm Jacky ein bisschen näherkommt.«

Delphine grinste ihn an. »Stimmt auch wieder. Du hast einen siebten Sinn für solche Sachen, glaube ich.«

Guillaume fühlte sich geschmeichelt. Er beugte sich ein Stückchen weiter zu ihr hinüber, und sie drehte ihm ihr Gesicht zu.

»Können wir jetzt dann mal zu meinem Einsatzort fahren? Ihr könnt doch auch ein andermal turteln, oder? Heute zählt nur unser Coup, Leute!«, ließ sich da Lizzy Schindler von der Rücksitzbank vernehmen.

Lipaire und Delphine blickten sich ertappt in die Augen, dann rutschte Guillaume wieder ganz nach links hinüber und startete den Motor. Er wusste selbst nicht recht, warum er eben für einen kurzen Augenblick die Konzentration verloren hatte. Schließlich mussten sie wirklich dringend nach Grimaud Village hinauf und dort die Straßenschilder, die Warnbaken und die Flatterleine in Position bringen.

Den Weg dorthin über schwiegen sie erneut, der alte Citroën-Motor röhrte an den steilen Stellen, die ins alte Dorf hinaufführten, ohnehin so laut, dass man kaum sein eigenes Wort verstanden hätte.

Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Guillaume hielt an, schaltete den Warnblinker ein, und sie stiegen aus. Es gab nur zwei Wege, um vom Museum zum Hafen von Cogolin zu gelangen. Zumindest nur zwei, die Sinn ergaben. Und einen davon, die Straße, die hier an der Kreuzung nach rechts abging, würden sie nun kurzerhand sperren. Und zwar so, dass es möglichst echt und offiziell aussah. Dann würde, wenn alles nach Plan lief, der Sicherheitstransporter umdrehen und die andere Route nehmen – die, auf der dann Lizzy Schindler am vereinbarten Ort ihren Einsatz haben würde. Und während am Marktplatz von Port Grimaud alle ein Asterix-Heft präsentiert bekämen, würden sie in der Transportfirma die echte Kiste samt Urkunde holen und ein kleines Feuerchen damit veranstalten.

Lipaire und Delphine arbeiteten Hand in Hand, und schon nach ein paar Minuten hatten sie eine wirklich professionell aussehende Straßensperrung aufgebaut, die dem kommunalen Bauhof alle Ehre gemacht hätte. Sie klatschten lächelnd ab und lehnten sich an das Wellblech des Transporters.

»Gute Arbeit, Monsieur Lipaire!«, sagte Delphine.

»Das Kompliment kann ich nur zurückgeben, meine Liebe!«

»Kommt schon, weiter geht’s, ich muss doch jetzt endlich auf meine Position«, drängte von drinnen wieder Lizzys Stimme. Auch der Hund bellte wie auf Kommando dreimal hintereinander.

Seufzend schloss Delphine die Klapptüren des Transporters, dann stiegen sie wieder ein.


Der Ort, an dem Lizzy und Louis Quinze den Wagen verließen, war gut ausgewählt – es handelte sich um eine Engstelle der Straße, was für den geplanten Einsatz der alten Dame geradezu prädestiniert war. Nur eines hatten sie nicht bedacht: Es gab weit und breit keine Bank, auf der sie einigermaßen bequem warten konnte, bis es so weit war. Denn das konnte durchaus noch eine Weile dauern.

»Willst du vielleicht einen von den Gartenstühlen haben, Lizzy?«, bot Delphine an.

»Ach was, die braucht ihr beiden doch. Fahrt nur, ich komm schon klar. Und konzentriert euch schön auf eure Aufgaben, nicht auf Nebendinge, gell?«

»Keine Sorge, das machen wir!«, beruhigte sie Delphine. »Und jetzt toi, toi, toi für deinen Auftritt, Lizzy!«

Die Österreicherin nickte und winkte ihnen zu, als sich der klapprige Wagen wieder in Bewegung setzte. Sie waren noch keine fünfhundert Meter gefahren, da verlas Delphine bereits die erste SMS, die sie eben von Paul bekommen hatte: »Auf Pohsitjon.«

Jetzt ging es richtig los.