45

Der Lärm in dem kleinen Transporter war ohrenbetäubend. Während Paul die scheppernde Blechkiste mit durchgedrücktem Gaspedal die Uferstraße entlang nach Port Grimaud steuerte, riefen alle wild durcheinander, um die Fahrgeräusche zu übertönen: »Putain , wir haben die Urkunde zweimal ausgetauscht, versteht ihr das jetzt endlich?« Guillaumes Stimme überschlug sich, als er mit dieser Erkenntnis gegen den Lärm anschrie. Schlagartig verstummten die anderen. »Alles, was wir gemacht haben, hat geklappt, kapiert?« Er machte eine Pause. »Und doch haben wir nichts erreicht.«

»Du meinst, alles war umsonst?« Karim blickte ihn aus feuchten Augen an.

»Das darf nicht sein!« Lizzy schüttelte kraftlos den Kopf und wirkte auf einmal so alt, wie sie wirklich war. Sie hielt ihren Hund fest umklammert. Der Vierbeiner hechelte mit heraushängender Zunge und blickte ängstlich zu seinem Frauchen.

Jacqueline vergrub ihren Kopf in den Händen. »Das kann doch nicht wahr sein. Haben wir echt schon wieder versagt?«

»Was heißt wir ?« Delphine deutete mit dem Kopf in Richtung des Fahrersitzes.

Paul schien zu spüren, dass er gemeint war, denn er kiekste: »Ich hab das Ding ausgetauscht wie abgemacht. Wenn ihr nicht Plan B aktiviert hättet …«

Guillaume hob die Hand. »Hört auf! Es bringt nichts, wenn wir uns gegenseitig die Schuld zuschieben.«

Plötzlich klatschte Delphine ihre Hände auf die Oberschenkel. »Nein! Ich geb nicht auf. Diese verdammten Vicomtes sollen nicht schon wieder gewinnen. Wir holen uns diese Urkunde und lassen sie ein für alle Mal verschwinden. Und wenn es das Letzte ist, was ich mache!«

»Aber was können wir denn noch tun?«, fragte Lizzy verzweifelt.

»Wir müssen improvisieren«, antwortete Jacqueline kämpferisch. »Das ist wie beim Film. Wenn das Drehbuch schlecht ist …«

»Das Drehbuch war aber nicht schlecht«, protestierte Guillaume.

»Na gut, wenn das Drehbuch kein befriedigendes Ende hat, dann wird oft aus einer Improvisation was Neues entwickelt.«

Karim nickte heftig. »Ja, genau.«

»Ach, kennst du dich auf einmal mit so etwas aus?«, fragte Guillaume.

»Nein, aber ich finde, sie hat recht. So machen wir’s. Haben wir denn genug Zeit, was Neues zu entwickeln?«

»Ach was, Zeit!« Delphine klopfte ihm auf die Schulter. »Jetzt zählen nur noch Taten. Wir fahren auf den Marktplatz, schnappen uns das Ding, wenn sie es ausladen, und dann …«

Lipaire fiel ihr ins Wort. »Wir können nicht hinfahren, da ist alles abgesperrt, überall sind Massen von Leuten. Und das Fernsehen filmt uns, während wir zuschlagen.«

»Dann gehen wir eben eine Weile ins Gefängnis, wenn’s sein muss«, schloss Jacqueline. »Für die gute Sache lohnt es sich. Wir vernichten die Urkunde und werden zu Helden des Volkes. Wir, die Unverbesserlichen!« Sie reckte die Faust in die Höhe, doch niemand tat es ihr gleich.

»Bei dir hakt’s wohl.« Delphine tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Ich habe zwei Kinder daheim, ich kann nirgendwohin gehen, am allerwenigsten ins Gefängnis.«

In diesem Moment stoppte Paul den Wagen. »Wir sind da, alle raus!«, befahl er.

Quenot war durch das Portal bis kurz vor jene große Brücke gefahren, die ins Städtchen und weiter auf den Marktplatz führte, wo gleich das große Spektakel stattfinden sollte. Weiter hinein ging es heute nicht.

Delphine lief voraus und winkte den anderen. »Los, kommt schon.«

Mühsam drängten sie sich durch die immer dichter werdende Menge an Menschen, die mit Fähnchen, T-Shirts und Schildmützen in Grün und Weiß auf den Beginn der Zeremonie warteten.

Als die sechs Freunde endlich am Marktplatz angekommen waren, hielten sie erstaunt inne. »Mein lieber Herr Gesangsverein!«, entfuhr es Lipaire.

»Ich sehe gar keinen Chor.« Paul blickte sich suchend um.

»Das ist bloß eine deutsche Redensart. Ich will damit sagen, dass ich beeindruckt bin, was die Vicomtes auf die Beine gestellt haben.« Er wies mit dem Finger zur Mitte des Marktplatzes, auf dem ein in den Farben der Fürstenfamilie geschmücktes Podium errichtet worden war. Bis dorthin führte von der Anlegestelle, an der bis vor Kurzem noch die Wassertaxis festgemacht hatten, ein roter Teppich. Auf dem Podium saßen auf zwei thronartigen Stühlen Marie Vicomte und der alte Chevalier nebeneinander. Hinter ihnen standen die restlichen Familienmitglieder aufgereiht, die Guillaume nur allzu gut kannte: Maries Mann Lucas, ihre Tochter Isabelle, ihr Sohn Clément und ihr Neffe, der Lackaffe Yves. Nur Henri fehlte, er steuerte schließlich die Comtesse . Vor den künftigen Alleinherrschern schmetterte eine junge Frau die offizielle Hymne des Fürstentums ins Mikrofon.

Guillaume kniff die Augen zusammen. »Ist das nicht diese …?«

»Klar, das ist die vom Song Contest!« Jacqueline hüpfte immer wieder, um über die Köpfe einen besseren Blick auf die Sängerin zu erhaschen.

Karim nickte ehrfürchtig. »Da haben sie aber ganz schön tief in die Tasche gegriffen.«

Die Hymne endete, und das Publikum brach in Applaus aus.

Dann enterte ein Fernsehteam die Bühne, und sie konnten sehen, wie Marie Interviews gab. Die Bilder wurden auf eine große Leinwand neben der Bühne übertragen.

»Schau mal, Jacky, dein Vater.« Karim deutete aufs Podium.

»Ja, ich hab’s gesehen«, brummte die junge Frau. »Und die Arnaque gleich dahinter. Tolle Gesellschaft, papa , gratuliere.«

Als hinter ihnen ein Signalhorn ertönte, fuhren sie erschrocken herum: Die Comtesse machte gerade an der Anlegestelle fest.

»Merde« , entfuhr es Paul. »Und jetzt?«

»Kommt, wir müssen näher ran«, zischte Lipaire.

Sie drängten sich weiter durch die Menschenmenge, die immer dichter wurde. Als sie nur noch etwa zwanzig Meter von der Segeljacht entfernt waren, gab es kein Durchkommen mehr. Sie reckten die Köpfe, um zu sehen, was am Kai vor sich ging. Paul hob Lizzy, die sich am schwersten tat, über die Menschen hinwegzusehen, kurzerhand mit einem Arm in die Höhe.

»Sie laden gerade die Urkunde aus«, keuchte sie.

Karim sprach aus, was alle dachten. »Das war’s dann wohl.«

Da setzte der Belgier Lizzy ab, atmete tief ein und erklärte mit grimmigem Gesichtsausdruck: »Nein. Wir greifen zu.«

Sie verstanden nicht.

»Wenn sie auf unserer Höhe sind, breche ich durch die Menge«, präzisierte der Ex-Soldat. »Ihr folgt mir. Aber passt auf, könnte sein, dass hinter mir ein paar Passanten am Boden liegen.«

Jacky hob die Hand. »Paul, ich weiß nicht …«

Der Belgier winkte ab. »Ich übernehme die Securityleute, und ihr holt euch die Kiste. Lizzy, du täuschst als Ablenkung wieder eine Ohnmacht vor. Verstanden?«

Delphine hob drohend den Zeigefinger. »Aber vermassle es nicht wieder, klar?«

»Ich hab gar nichts vermasselt, ich war nur …«

»Hört auf zu streiten«, fuhr Guillaume dazwischen. »Dazu haben wir nachher noch genug Gelegenheit. Jetzt schnappen wir uns erst mal die Urkunde.«

Da ließ eine Stimme hinter ihnen ihr Blut in den Adern gefrieren: »Ihr schnappt euch gar nichts, ihr Dilettanten. Wir schnappen euch!«

Mit eingezogenen Köpfen drehten sie sich um und blickten in das grinsende Gesicht von Henri Vicomte.

»Surprise!« , sagte er und winkte zwei Securitymännern, die sich ihnen mit grimmigen Mienen näherten. Einer schnappte sich Karim und drehte ihm den Arm auf den Rücken, bis der junge Mann vor Schmerz aufschrie. Der andere langte in die Seitentasche seiner Cargohose und zog ein Gerät hervor.

»Ein Taser«, keuchte Paul.

»Was bitte?«, fragte Lizzy.

»Ein Elektroschocker.«

Guillaume nickte langsam. »Wehrt euch nicht. Ich will nicht, dass jemand verletzt wird.« Dann stellte er sich erhobenen Hauptes vor Henri. »Was gedenken Sie, nun mit uns zu tun?«

»Ich gedenke, euch erst mal aus dem Verkehr zu ziehen, damit ihr die Zeremonie nicht stören könnt. Mitkommen.«

Er ging voraus, der Security-Mann mit Karim direkt hinterher. Lipaire und die anderen setzten sich in Bewegung. Den Abschluss ihrer kleinen Prozession bildete der Typ mit dem Elektroschocker.

»Bringen Sie uns jetzt zur Polizei?« Jacquelines Stimme klang kraftlos. »Mein Vater ist …«

»Der Bürgermeister, ich weiß.« Henri lächelte freundlich. »Und inzwischen ein Freund meiner Familie, wenn ich das so sagen darf. Aber nein, die Polizei wird momentan für wichtigere Aufgaben gebraucht. Ihr folgt mir erst mal ins Hotel.« Er zeigte auf das mehrstöckige Gebäude, das den Marktplatz auf der rechten Seite zum Kanal hin abschloss.

Ohne jede Gegenwehr trotteten sie hinter ihm her. Der Schreck, auf den letzten Metern doch noch gescheitert zu sein, saß tief und lähmte auch in Guillaume jeglichen Widerstandsgeist. Im Hotel stiegen sie die Treppe in den zweiten Stock hinauf, dann zog Henri Vicomte eine Schlüsselkarte und öffnete eine Tür. »Einer der Vorteile, wenn man Teilhaber dieses Etablissements ist«, beantwortete er ihre fragenden Blicke. Er ließ sie an sich vorbei in den Raum marschieren, dann trat er selbst ein. »Ihr haltet draußen Wache«, wies er die Sicherheitsmänner an, dann schloss er die Tür von innen.

Mit einer Mischung aus Verzweiflung und Furcht blickten sie den Adligen an. Delphine fand als Erste ihre Sprache wieder. »Was passiert denn jetzt mit uns? Bitte, ich habe Kinder, zwei Mädchen, die …«

»Lass gut sein, meine Liebe.« Guillaume hob die Hand, und sie verstummte. »Die können uns gar nichts. Wir haben schließlich nichts getan.«

»Nichts?« Henri wirkte immer noch amüsiert. »Und der Einbruch in die Sicherheitsfirma? Die Sabotage am Auto?«

»Das … na gut, dafür übernehme ich die alleinige Verantwortung. Delphine war ja nicht einmal dabei. Und sie hat auch von nichts gewusst.«

»Danke, Guillaume, aber ich stehe zu dem, was wir zusammen gemacht haben und …«

Weiter kam sie nicht, denn draußen erklang nun eine Fanfare.

»Lasst uns das später erörtern. Jetzt genießen wir erst einmal gemeinsam die Zeremonie, ja?« Henri zeigte auf die offen stehende Balkontür. »Ich habe maßgeblich an der Planung des Festaktes mitgewirkt, wie ich in aller Bescheidenheit anmerken darf. Dass ich weiß, wie man die Massen unterhält, trauen mir meine Familienmitglieder wenigstens zu. In diesem Sinne: nach euch. Vom Balkon hat man einen tollen Blick.«

Keiner von ihnen rührte sich. Sie hatten keine Lust, ihre Niederlage auch noch live miterleben zu müssen.

Doch Henri bestand darauf. »Das war keine Bitte. Raus jetzt!«

Widerwillig trotteten sie auf den Balkon. Immerhin: Von hier hatte man wirklich eine tolle Aussicht, das musste Guillaume zugeben: Man konnte das Wasser und den Marktplatz sehen.

Dort ergriff in diesem Moment Henri Vicomtes Halbschwester Marie das Wort. Die Lautsprecher übertrugen ihre Ansprache, die von den Umstehenden mit begeistertem Klatschen begleitet wurde, obwohl Marie trotz des feierlichen Anlasses eher kühl und distanziert wirkte.

»Sie alle werden heute Zeugen der Geburt eines neuen Staates«, erklang ihre schneidende Stimme aus den Lautsprechern. »Von diesem Tag werden Sie noch Ihren Enkeln erzählen.«

Applaus brandete auf. Delphine warf Guillaume einen Blick zu, in dem alle Verachtung für die Adelsfamilie lag, die sich im Laufe der letzten Monate bei ihr angesammelt hatte. Dann führte sie ihre Hände zum Hals und tat so, als würde sie sich selbst würgen, wobei sie lustige Grimassen schnitt. Jacqueline lachte, und auch Karim konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Guillaume wertete das als gutes Zeichen, dass sie alle aus dieser Sache nicht völlig deprimiert herausgehen würden.

»Wir werden verlässliche Partner für unsere Freunde in Europa und im Rest der Welt sein«, versprach Marie.

»Welche Freunde denn?« Lizzy blickte Henri böse an. »Entweder hatten Sie Angestellte oder Leute, die von Ihnen abhängig waren. Aber Freunde? Ich hatte viele, ich kenne mich da aus.«

»Aber bitte, da tun Sie uns unrecht.« Henri hatte noch immer sein süffisantes Grinsen von vorhin auf. »Vergessen Sie nicht die Menschen, die in unserer Schuld stehen.«

Guillaume hätte beinahe gelacht, denn er fand das eine wirklich zutreffende Bemerkung.

»Aber wir werden auch eine starke Stimme sein«, rief Marie in den Jubel der Umstehenden hinein, die wie wild ihre Fähnchen schwenkten. »Es wird ein echtes Privileg darstellen, hier zu wohnen, Sie können stolz darauf sein, zu diesem auserwählten Kreis zu gehören.«

»Ja, klar.« Delphine lachte bitter auf. »Höchstens die, die es sich noch leisten können. Wir sind dann schon lange weg.«

Sie nickten niedergeschlagen, hoben jedoch gleich wieder neugierig die Köpfe, als Marie erklärte: »Viele hatten Zweifel an unserem Vorhaben, auch an verantwortlichen Stellen hat man uns nicht immer ernst genommen. Das war ein Fehler. Denn wir haben das Dokument, das uns diesen Schritt heute ermöglicht, sorgfältig prüfen lassen. Wir wollten sicher sein, dass uns niemand unser Recht streitig machen kann. Ausgewiesene Experten haben zahlreiche Gutachten erstellt, eine Prüfung auf Herz und Nieren durchgeführt und kamen schließlich zu dem Schluss, dass unsere Ansprüche unanfechtbar sind.« Das Kreischen der Menge nahm frenetische Züge an.

Diese Schafe beklatschen ihren eigenen Untergang, dachte Lipaire.

»Unsere Ansprüche sind rechtens. Und das Dokument, das diese belegt, wird nun enthüllt und zum ersten und einzigen Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden. Isabelle, bitte.« Marie Vicomte drehte sich nicht um, als ihre Tochter sich gemessenen Schrittes zu der festlich geschmückten Transportbox begab, die Lipaire, Jacqueline und Paul erstmals im Büro der Sicherheitsfirma gesehen hatten. Und die heute immerhin zwei von ihnen schon in Händen gehalten hatten.

Doch zwei waren in diesem Fall einer zu viel gewesen, dachte Guillaume bitter und sog scharf die Luft ein, als Isabelle den Samtüberwurf zur Seite schob und die Box öffnete, was von der Kamera auf die Leinwand übertragen wurde.

Die Menge vor dem Podium verstummte.

»Hier sehen Sie die Grundfeste, auf der unser Fürstentum ruhen wird«, rief Marie Vicomte ins Mikrofon, und ihre Stimme zitterte vor Begeisterung. Mit großen Augen blickte sie auf die Menschen vor sich, die keinen Mucks mehr machten. Offenbar hatte sie sich deutlich mehr Begeisterung erhofft. Die Stille wich einem Raunen, das sich schnell ausbreitete und nach und nach in ein nervöses Lachen überging.

Damit hatte die selbst ernannte Fürstin wohl nicht gerechnet, denn sie blickte verunsichert zu ihrem Vater, zum Bürgermeister und Madame Arnaque. Erst dann drehte sie sich um – und erstarrte. Ebenso wie alle anderen auf dem Podium, während sich die johlende Menge davor gar nicht mehr beruhigen wollte.

Guillaume rieb sich die Augen, denn auch er konnte nicht glauben, was er da sah: In der Box prangte in einem pompösen Bilderrahmen nicht wie erwartet die Urkunde, sondern ein Plakat. Eines, das Lipaire kannte. Er selbst hatte es vor einigen Tagen noch »verschönert«: das Bildnis von Marie Vicomte und ihrem Vater, das er mit einem Hitlerbärtchen und Teufelshörnern verziert hatte.

Fantasierte er sich nur einen glücklichen Ausgang der Geschichte zusammen, um der grausamen Wirklichkeit zu entfliehen? Guillaume wandte sich um und sah, dass die anderen genauso ungläubig dreinblickten. Sogar der Hund schien zu merken, dass hier etwas nicht stimmte, und ließ ein leises Jaulen vernehmen.

»Aber wie …?« Lipaire musste sich räuspern, seine Stimme war belegt. »Wie ist das nur möglich?« Er erntete nur Achselzucken von seinen Mitstreitern.

»Ach, mir hat das Bild gleich so gut gefallen.« Wie von der Schnur gezogen wandten sie die Köpfe und blickten Henri Vicomte an, der genüsslich lächelnd hinter ihnen stand. »Ich fand es wirklich sehr gut getroffen. Ist der Künstler etwa einer von euch? Würde mich nicht wundern.«

Keiner sagte etwas.

Damit ließ Henri sie auf dem Balkon stehen und ging nach drinnen.

»Was zur Hölle ist hier los?«, kiekste Paul an Lipaire gewandt.

»Woher soll ich das denn wissen?«, entgegnete der.

»Aber das Bild da, das ist doch von dir.«

»Ja, schon, aber …«

Er wurde unterbrochen vom gleichzeitigen Piepsen all ihrer Handys. Benommen von den sich überschlagenden Ereignissen holten sie ihre Telefone heraus und blickten auf die Displays, auf denen eine Nachricht stand: Warum steht ihr da draußen wie die Ölgötzen herum? Kommt rein und lasst uns anstoßen, es gibt schließlich was zu feiern. Ein Freund.

Vorsichtig, als bewegten sie sich auf einer rutschigen Eisfläche, betraten sie wieder das Hotelzimmer. Dort stand Henri, in der einen Hand sein Mobiltelefon, in der anderen eine Flasche Champagner. Der Hund sprintete an ihnen vorbei und hüpfte schwanzwedelnd an den Beinen des Mannes hoch.

»Sie sind …?«, war alles, was Guillaume herausbrachte.

»Was dachtet ihr denn? Und ich glaube, so lange, wie wir uns kennen, können wir ruhig zum Du übergehen.«

»Du bist …?«, kam es da von Delphine. Dann wandte sie den Kopf, blickte Lipaire an und sagte: »Dann bist du also doch nicht …?«

Der Deutsche schüttelte den Kopf. »Enttäuscht?«

Sie grinste. »Eher erleichtert.«

Henri, der inzwischen den Champagner auf sieben Pappbecher verteilt hatte, hob einen an und sprach einen Toast: »Ihr seid vielleicht die Unverbesserlichen. Aber ich bin noch viel unverbesserlicher.« Als er den Becher wieder abgestellt hatte, sagte er: »Jetzt habe ich eine Überraschung für euch.«

»Noch eine?«, ächzte Delphine.

Doch Henri grinste nur, holte seine lederne Aktentasche und entnahm ihr ein vergilbtes Dokument. Eines, das sie alle nur zu gut kannten. Lipaire verschlug es den Atem, als Henri ein Feuerzeug herauszog, die Schriftrolle in einer Ecke anzündete und dann lichterloh brennend in den Sektkühler fallen ließ. Erneut hob er seinen Pappbecher und erklärte feierlich: »Vive la République!«