Die große Sitzung im Haus begann nicht pünktlich. Mitten auf dem stumpfen Parkett des großen Saals stand der große Konferenztisch, um den viele Stühle noch leer waren. Die große Rolltafel an der Seite war mit Fotos, Skizzen und Gebietsplänen der laufenden Ermittlung bestückt. Auch Kriminalrat Lüdke befand sich noch im Wartemodus und saß gut organisiert an der Stirnseite. Er war ganz in dichte Qualmwolken gehüllt, weil er sich gerade mit großer Flamme seine dicke Zigarre angezündet hatte. Das machte er immer, bevor er mit einer Sitzung begann, konnte er sich so besser konzentrieren. Überhaupt war Sitzungsrauchen Lüdkes Erfindung und ein wichtiges Ritual, das irgendwann alle in der Abteilung übernommen hatten, bis auf Sekretär Klaussner, der Nichtraucher war und als Protokollant bereits in seiner Nähe saß.
»Klaussner, Sie Schüler! Mütze ab!«, maßregelte ihn Lüdke.
Einige Herren der Abteilung kamen im Schlendergang und erreichten, mit Aktenordnern und Rauchutensilien bewaffnet, den Saal. Man setzte sich und redete über Belangloses. Die Ranghohen ließen sowieso immer auf sich warten, aber auch Zach fehlte noch. Lüdke betete, dass er sich nicht zum sonntäglichen Frühschoppen in einer der Trinkhallen hatte hinreißen lassen.
»Obwohl ich mit Blick auf die Uhr gerne pünktlich beginnen würde, schlage ich vor, dass wir einigen fehlenden Mitgliedern der Sondersitzung noch Zeit geben«, warf Lüdke in die gemischten Gespräche ein. Mit einem freundlichen »Mahlzeit, Kollegen!« schlenderte schließlich auch Zach lässig durch die Tür. Mit Hut auf dem Kopf und Mantel am Finger suchte er sich einen freien Platz. Er wirkte wach und seine Augen waren nicht glasig, was schon die halbe Miete war. Lüdke musterte scharf seine Schritte, bis er beim korpulenten Kollegen, Willi Kuttnik, angekommen war. Schließlich schmiss Zach den Hut auf den Tisch, den Mantel lässig über die Stuhllehne und begann einen kurzen Kollegenplausch mit Tischnachbar Kuttnik.
»Wat hast’n mit deene Schuhe jemacht, Oscar? Biste übern Acker jeloofen?«
Auch wenn Kuttnik auf den ersten Blick rustikal und burschikos daherkam, wurde er im Kollegium von allen respektiert. Er war ein Bulle im wahrsten Sinne des Wortes, arbeitete vorrangig im Innendienst und war ein sympathischer Kerl. Bei ihm wusste man, dass es nie die Runde machte, was man ihm anvertraute. Zudem war Kutti , wie ihn alle bis auf seine Vorgesetzten nannten, ein grandioses Organisationstalent und konnte alles beschaffen, was es auf der Welt oder zumindest im Großraum Berlin gab: Essbares, Hochprozentiges, Fahrzeuge, Werkzeuge, aber auch Informationen aus jedem Winkel der Stadt.
»Und, Oscar? Wat machste jetze mit die große Wohnung? Isse schon ausjezojen?«, flüsterte Kuttnik zu Zach, der ihm auch antworten wollte, wenn nicht plötzlich alle stuhlqietschend wie gehorsame Soldaten aufgesprungen wären, weil der Chef des Amtes, Reichskriminaldirektor Arthur Nebe, den Raum betrat. Das Oberhaupt der Polizei des Deutschen Reiches. Eisernes Kreuz der ersten und zweiten Klasse 1914, Verwundetenabzeichen 1918, Medaille zur Erinnerung an den 1. Oktober 1938, Kriegsverdienstkreuz, Dienstauszeichnung der NSDAP sowie noch drei weitere Polizeidienstauszeichnungen inklusive Reichssportabzeichen.
»Meine Herren, bleiben Sie doch sitzen! Mein lieber Lüdke, ich grüße Sie!«
Vor versammelter Mannschaft folgte ein zangenhafter Händedruck, bei dem sogar Lüdkes kräftige Pranke Schwierigkeiten hatte, mitzuhalten.
»Wie ich sehe, läuft hier alles auf Hochtouren«, sprach Nebe. »Sehr ordentlich!« Dabei blickte er zwar durch den Raum, sah aber an allen nur vorbei. Von außen wirkte er in der stahlblauen Polizeiuniform mit den vielen Abzeichen freundlich und vertrauensselig. Es war dieses ständig lächelnde Großvatergesicht und das weiße Haar, das ihn zu einem netten älteren Herrn machte. Doch war man sich nie sicher, ob sich hinter der freundlichen Fassade nicht Kalkül verbarg. Es war bekannt, dass Nebe von Beginn an ein nationalsozialistischer Mittäter ersten Ranges war. Sein Karrierestart hatte begonnen, als er Propaganda gegen Juden in der Polizei machte. So wurde er zum Leibwächter von Göring, seinem zweitbesten Freund, und kurze Zeit später Chef der Reichspolizei, befördert durch Reichsinnenminister Himmler, heute sein bester Freund.
»Herr Kriminaldirektor! Zigarre vielleicht? Hilft beim Denken! Mir jedenfalls«, öffnete Lüdke das dickledrige Täschchen mit den drei Reservoirs und bot ihm eine an.
»Nee, Lüdke, lassen Sie mal! Der Magen!«
Plötzlich standen zwei Uniformierte im Türrahmen – und obwohl sie erwartet wurden, hatte es den Anschein, als wollten sie den Saal durchsuchen, so überheblich traten sie mit lauten Stiefelschritten ein. Der eine, ein großer, blonder junger Mann in einfacher Uniform, war Harald Schiller – im echten Leben nicht aus Zufall der Sohn von Hartmanns Sekretärin, Eva Schiller. Er gehörte zur Verfügungstruppe der SS und seine Dienstbezeichnung war kürzlich erst erfunden worden. Er war Assistent des Ogruf , die Abkürzung für Obergruppenführer und einer der vielen Titel des Mannes, der wie eine uniformierte Vampirgestalt mit breiter Narbe über dem Auge, Totenkopfmütze und geöffnetem Ledermantel hinter ihm erschien. Kurt Eugen Görnitz, der politische Polizeikommandeur der Sipo und oberste Dienstvertretung hier im Kriminalamt am Werderschen Markt. Ein Überzeugungstäter, der mit inhumanen Maßnahmen frei von Gewissen agierte. Nur er wusste, wie man mit einer Verbindung aus Skrupellosigkeit, karrieristischem Denken und Effizienz die fanatischen Ideologien in den normalen Alltag brachte. Unter den vielen Speichelleckern war er einer der Fähigsten im Männerbund der Massenmörder: Ein Manager des Bösen, der Klassenbeste, die Supernova.
»Heil Hitler, die Herrschaften!«, rief er in den Raum, zog sich Finger für Finger die schweinsledernen Handschuhe aus und ließ sich vom Gehilfen Schiller den schweren Mantel wie ein Sonnenkönig abnehmen. Alle wiederholten den Deutschen Gruß deutlich, da es unter Höchststrafe stand, sich dem zu verweigern. Bis auf Lüdke: der schummelte sich, wie immer, mit einem murmelnden »Drei Liter!« aus der Affäre und begrüßte Görnitz kühl, fast eisig, indem er ihn weder mit Titel ansprach, noch sich bemühte, sich zu erheben.
»Görnitz! Schön, dass Sie noch für uns Zeit gefunden haben. Wir haben sehnsüchtig gewartet und wollten schon ohne Sie anfangen. Sitzungsbeginn war ja vor knapp acht Minuten. Ich möchte nicht pingelig sein, aber ich denke, wir haben nicht ewig Zeit! Es ist Sonntag und die Kollegen haben Familie, im Vergleich zu manch anderem hier!« Auch jetzt ließ Lüdke ihn spüren, wie sehr er ihn verachtete, konnte er mit dem ganzen Getue, der Uniform und den Schikanen dieses aalglatten Typen nichts anfangen. Alles Mumpitz, wie er immer sagte, weil es in seinen Augen diesem verkleideten Blutsauger nur darum ging, seiner Abteilung die Nährstoffe zu entziehen. Lüdke wusste, dass Görnitz so ein Fossil wie ihn am liebsten mit einer vom Führer signierten Dankessurkunde entsorgt hätte, doch wusste er auch, dass man auf ihn nicht verzichten konnte. In keinem Archiv fand man mehr Informationen als in seinem Kopf.
»Lüdke, Sie altmodischer Idealist!«, begann Görnitz nicht ohne Verachtung in der Stimme und mit dem Gesichtsausdruck eines bösen Gorillas. »Ich bin ja heute sehr gespannt, was mir die Fachmänner für Unsittlichkeit und ihr vorzeitlicher Dinosaurier heute wieder für spannende Geschichten liefern werden.«
Lüdke überhörte das bewusst, legte in aller Ruhe seine angekaute Zigarre in den Aschenbecher und griff zum Zeigestock.
»Somit begrüße ich heute alle aus ernstem Anlass zur Sondersitzung. Wir hatten es in der Nacht zum ersten Mal mit Mord zu tun. Unser Täter hat sein erstes Mordopfer auf dem Gewissen und wir müssen davon ausgehen, dass es nicht sein letztes sein wird. Er probt hier sein System, und …«
Die bereits geschlossene Tür wurde erneut aufgerissen und Hartmann und Adler drückten sich verspätet durch den schmalen Spalt. Schnell schlichen sie auf Zehenspitzen zu den zwei für sie freigehaltenen Plätzen.
»’Tschul-di-gung!«, zischelte Hartmann in die Runde und Adler hinter ihr nickte freundlich und folgte ihr auf Schritt und Tritt. Sie merkte, dass die Blicke jetzt an ihr klebten, war sie doch für viele ein noch unbekanntes Gesicht. Lüdke kommentierte indes weiter die Karten der Gleisanlagen, des Laubengeländes und des Betriebsbahnhofes. Er gab relevante Zeugenaussagen wieder, beschrieb die Erkenntnisse der Gerichtsmedizin und nebenbei hörte man das schnelle Bleistiftkratzen von Protokollant Klaussner.
»Die Gewaltspirale dreht sich und wir erleben einen Anstieg in der Qualität der Taten«, sprach Lüdke eindringlich. »Es kam zu Misshandlungen der Opfer, nachdem sie erst mit der Taschenlampe angeleuchtet und im Dunkeln belästigt wurden. Später wurden sie gewürgt, mit einem Messer verletzt, erhielten schwere Schläge mit einem Gegenstand aus Metall oder gleich alles auf einmal. Einige Frauen erinnern sich an eine Uniform und an eine Kopfbedeckung mit Hoheitsadler, doch davon haben wir viele im Reich. Ich hatte es schon mit vielen Sexualstraftätern zu tun. Das hier lässt ganz deutlich auf die Psychologie eines Einzeltäters schließen. Er agiert allein, ohne Komplizen. Mit dissozialer Persönlichkeit, mangelnder Triebkontrolle und, ganz wichtig, mit Blutgruppe 0.«
Lüdke umfuhr mit dem Zeigestock noch einmal das Gebiet, das auf einem der Pläne markiert war.
»Vermutlich kommt er aus der unmittelbaren Region, mit besonderem Augenmerk auf den Stadtteil Karlshorst, den Laubenkolonien westlich davon und dem Betriebswerk Rummelsburg im Zentrum. Seit Monaten fischen wir im Trüben, weil wir Stillschweigen bewahren sollen. Jetzt wird es Zeit, an die Öffentlichkeit zu gehen: mit Aushängen, Belohnungen, Phantombildern, Zeitungsmeldungen und, und, und …«
»Nun bohren Sie hier mal nicht so dicke Bretter, Lüdke!«, keifte plötzlich Sipo -Chef Görnitz vorlaut dazwischen. »Nach Ihrem kilometerlangen Vortrag frage ich mich, warum ich mir das wieder anhören musste, können Sie mir das eventuell beantworten? Wir sind im Krieg, die Reichshauptstadt wird bombardiert und Staatsfeinde verstecken sich in jeder Arschritze Berlins. Da ist kein einzelner Triebhafter am Werk, sondern Staatsfeinde der übelsten Prägung, von England geschickt. Kein Mensch glaubt doch jemals, dass da ein Einzelner im müden Karlshorst rumläuft, um ein paar öden Weibern die Fresse zu polieren.«
In diesem stattlichen Eigenheim nebst Arztpraxis hatten sich Dr. Hedwig Ebauer und Marianne Finck mittlerweile in Karlshorst, in der Dorotheastraße 13, am biederen und bürgerlichen Rande der Straße eingelebt – auch wenn es ihnen immer noch nicht leichtfiel. Marianne und sie mussten immer auf der Hut sein, sie hätten sich sonst beide verraten und es hätte die Runde gemacht. Eine nette Umarmung, womöglich ein schneller Kuss im Vorübergehen, es wäre fatal gewesen. Beziehungen dieser Art standen unter Strafe und bedeuteten Gefängnis oder sogar mehr:
Lesbische Frauen sind als Prostituierte zu betrachten. Sie werden aus Gründen der Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus inhaftiert.
Heinrich Himmler, Reichsführer-SS
Viele dachten, Marianne sei ihre jüngere Schwester, einige vermuteten sogar, sie sei ihre erwachsene Tochter, aber niemand ahnte, wer oder was Marianne in Wirklichkeit war, nämlich ihre Liebe und ihr Leben.
Um sich in ihre zweite Leidenschaft, die Töpferkunst, zu vertiefen, die schon ihre Großmutter beherrschte und ihr als Kind beigebracht hatte, hatte sich Hedwig Ebauer unten im Keller einen kleinen Zufluchtsort eingerichtet. Ihn als Werkstatt zu bezeichnen, wäre übertrieben gewesen, aber hier bekam sie den nötigen Abstand nach der herausfordernden Sechs-Tage-Woche.
Sie verknotete ihr langes geordnetes Haar zu einem unordentlichen Zopf und genoss das kühle Nass zwischen den Fingern. Ein Schwämmchen, etwas Wasser und den Klumpen Ton, mehr brauchte es nicht, um für die Welt etwas Neues entstehen zu lassen und mit den Händen zu erschaffen. Es war ganz das Gegenteil von dem, was sie sonst tat. Als Allgemeinmedizinerin hatte sie unter der Woche oben viel zu tun. Im November standen die Patienten sogar draußen Schlange und mussten bei Kälte krank vor der Eingangstür warten, weil ihr Wartezimmer viel zu klein für den zu großen Andrang war.
Vor nun mehr als einem Jahr, im Januar 1939, hatte sie dieses Haus mit Praxis übernommen, nachdem der langjährige Vorbesitzer, Dr. Simon Blumberg, von heute auf morgen unbekannt verzogen war. Man erzählte sich in der Nachbarschaft, er kam wohl nach den Ereignissen im November 1938 ins KZ Sachsenhausen, mehr wusste man nicht.
Sie legte den Tonklumpen in die Mitte der Töpferscheibe, trieb sie unten mit nackten Füßen an und bildete mit ihrer Hand eine Kuhle in der feuchten Masse. Marianne unterstützte sie oft in der Praxis, obwohl sie als Krankenschwester im Kreuzberger Bethanien-Krankenhaus nicht nur gefordert, sondern ganz und gar überfordert war. Der Krieg hatte viele Opfer in der Stadt gefordert.
Sie drehte die Scheibe mit den Füßen weiter voran. Niemand durfte jetzt stören, außer Marianne, die durfte alles. Sie durfte sogar mit ihr dabei zusehen, wie gerade die Welt unterging. Doch wenn sie mit Marianne unterging, war es kein echtes Problem – Liebe ist halt ein großes Gefühl.
Nach wenigen Augenblicken entstand aus dem Klumpen ein Gefäß mit dünnen Wänden und eleganten Proportionen. Sie schaffte es immer in einem Zug. Marianne sagte immer, wenn sie mal hier unten war, und das war sie selten, dass viel zu viele unfertige Dinge hier auf den staubigen Regalbrettern standen. Rohlinge von Schüsseln, Tassen und Kannen, alle noch stumpf und spröde. Am liebsten hätte Hedwig die Gefäße mit besonderen Mustern bemalt. Sie mochte kleine weiße Punkte in einer perlenkettenartigen Anordnung, jedoch kam sie einfach zu selten dazu, die Stücke fertigzustellen.
»Darf ich dich kurz stören, Hedwig?«, fragte das schemenhafte Gesicht durch das trübe Rauchglas der Tür.
»Komm doch rein, Schatz!«
Mit Schürze bekleidet und einem gefüllten Tablett kam sie rein – mit ihrem dichten dunklen Haar und dem freundlichen Gesicht, in das Hedwig gerne schaute. Am meisten mochte sie Mariannes schlanken, stabilen Nacken. Er war nicht nur schön anzusehen, sondern konnte so manche Belastungen aushalten.
»Mein liebes Fräulein Finck, du bist einfach verrückt!«
»Wieso verrückt? Ich dachte, jemand hier braucht heißen Tee und ich bin mir sicher, dass du dieser Jemand bist!« Marianne schenkte gleich ein, reichte ihr eine dampfende Teetasse aus zartem Porzellan und rückte ein Schälchen Plätzchen zurecht.
»Du bist eine wahre Hellseherin, Marianne. Kein Gold der Welt ließe sich mit dir aufwiegen! Schau nur, was ich hier in der Zeit für Unsinn erschaffen habe!«
Sie zeigte auf ihr jüngstes Werk.
»Oh, schön!«, sprach Marianne. »Eine Vase, oder? Nein, eine Kanne! Oder ist es ein Kochtopf?«
»Kochtopf aus Ton. Eine reizende Erfindung.«
»Wieso nicht?«, sprach Marianne amüsiert. »Im Krieg verbringen wir lange Abende der Finsternis mit Ersatzkeksen, trinken dazu Ersatztee und du erfindest halt den Ersatzkochtopf, der auch nix wert ist. Kratz doch noch ein Hakenkreuz rein, dann verkaufen wir viele davon und werden reich!«
Beide kicherten, nippten an ihren Tassen und aßen weiter Ersatzbutterplätzchen ohne Butter.
»Geniale Vorstellung, du Erfinderin«, sprach die Ärztin, mit dem Mund voller Krümel.
»Ich finde übrigens, hier stehen zu viele unfertige Dinge auf deinen Regalbrettern. Du solltest mal nachdenken, sie zu verschenken!«
Hedwig reagierte mit spitzem Grinsen, erstaunt darüber, dass sie es erst jetzt aussprach. Marianne zog indes einen kleinen Zettel aus der Schürzentasche.
»Ich habe nun eine gute und eine schlechte Nachricht, Frau Doktor!«
»Ich brauche immer erst die Gute, Marianne, Liebes! Was ist die Gute?«
»Ich habe meine Nachtschichten mit Schwester Christa getauscht und muss heute Nacht noch einmal in die Klinik, habe dann aber die ganze nächste Woche frei. Ich helfe dir dann in der Praxis, abgemacht?«
»Wirklich? Ach, das freut mich. Du bist ein wahrer Schatz! Aber ich ahne schlechte Nachrichten. Wer zerstört unseren schönen Sonntag und hat sich nun schon wieder angekündigt?«
»Ein Notfall. Frau Golzow. Du kennst sie. Die Frau von diesem Bahnarbeiter, der dir immer ellenlang vom jüdischen Arzt erzählt und was er ihm angetan hat. Sie kommt nachher noch einmal mit ihren beiden Kindern. Angeblich ist sie gestern ganz dumm in der Wohnung über ihre Tochter gestürzt. Sieht wohl nicht gut aus und sie möchte sich versichern, dass bei ihrer Tochter nichts gebrochen ist. Sie wollte gleich zu dir, aber ich habe ihr gesagt, sie soll am späten Nachmittag noch mal klingeln, weil du beschäftigt bist. Wenn ich nur gewusst hätte, dass du Reichsersatzkochtöpfe für Volk und Führer erfindest, hätte ich sie natürlich für heute ganz abgewimmelt.«
Hedwig kramte in ihrem Gedächtnis und trank den letzten Schluck aus der Tasse.
»Golzow? Golzow. Ja, ich erinnere mich. War sie nicht schon wegen ähnlicher Geschichten bei mir?«