Als die Nachricht von Pietros Tod bis zu uns gelangte, saß ich längst weinend zu Hause, mit ganz verquollenen Augen und zitternden Händen.
Comare Antonietta war diejenige im Ort, die immer alles zuerst erfuhr, und daher die Überbringerin guter wie schlechter Nachrichten. Mama begrüßte sie stets freundlich, doch jeder außer ihr merkte, dass die Margiala sie in Wahrheit nicht ausstehen konnte.
Bei ihr hieß sie bloß »die alte Klatschtante«, weil sie stets den Mund aufriss, ohne vorher nachzudenken, weil sie es mit der Wahrheit nicht so genau nahm und diese lieber mit eigenen Geschichten ausschmückte.
»Der kleine Pietro ist tot«, hatte sie aufgeregt gegackert und dabei unablässig gegen unsere Haustür getrommelt. »Er ist vom schwarzen, unheimlichen Meer verschluckt worden. Vielleicht hat ihn ja ein großer Fisch hinabgezogen, meinten die Fischer am Hafen.« Damit machte sie ihrem Spitznamen alle Ehre und ließ wieder mal ihrer blühenden Fantasie freien Lauf – vermutlich weil ihr die nackte Wahrheit nicht interessant genug vorkam.
Natürlich gab es keinen Fisch mit so einem Riesenschlund, auch wenn man in schäumenden Wellen mit viel gutem Willen ein schreckliches Seeungeheuer mit weit aufgerissenem schwarzen Maul erkennen könnte.
Meine Schwester Rosetta war zur Tür gestürzt, um ihr aufzumachen, während die Margiala nach wie vor damit beschäftigt war, mich zu beruhigen – zusammen mit meiner anderen, mittleren Schwester Cornelia.
Als wir noch kleiner waren, hatte ich Cornelia immer die Haare kämmen dürfen. Weich und kupferfarben wie dunkler Honig fielen sie ihr in langen Wellen auf die Schultern. Cornelia war die Einzige, die nicht die markanten Züge der Margiala geerbt hatte. Ihre Schönheit war eleganter und glich eher der von Papa.
Alle im Dorf sagten, dass Vater, wäre er denn woanders zur Welt gekommen, längst für eine von diesen romantischen, patriotischen Heldenrollen verpflichtet worden wäre, wie sie in den Propagandafilmen eines Luigi Freddi vorkommen. Jemand behauptete sogar, dass er Osvaldo Valenti ähnlich sehe, den arroganten Schauspieler aber an Schönheit und vor allem an Freundlichkeit übertreffe. Immer wenn das Kinomobil auf den Dorfplatz fuhr, stolzierte Papa zwischen den grobschlächtigen, nicht gerade von Schönheit gekrönten Kerlen umher und spielte den Filmstar. Er fühlte sich als etwas Besseres als diese armen Teufel. Dann murmelte er unverständliches Zeug in einem Italienisch, das gebildet klingen sollte, und ließ den Zahnstocher von einem Mundwinkel in den anderen wandern. Lässig an die Mauer eines der niedrigen Häuser an der Piazza gelehnt, die Hände in den Hosentaschen, sah er aus wie ein ewiger Jugendlicher – eine echte Künstlerpose, fand die Margiala, die er sich tatsächlich von Valenti abgeschaut hatte. Er gefiel den Frauen im Ort sichtlich, die sich zu einem koketten Lächeln hinreißen ließen, sich gegenseitig in die Seite knufften und es sogar wagten, leise Bemerkungen über meinen Vater zu machen.
Die Margiala wusste, dass sie für ihn schwärmten, weil er der klassische Schönling war. Doch da sie wusste, dass Papa nur an ihren Lippen und an ihrem Rockzipfel hing, kümmerte sie das nicht weiter.
Aber jetzt, wo Comare Antonietta anklopfte, war es Cornelia, die mich kämmte. Mit langsamen, behutsamen Bewegungen, als würde sie einem Neugeborenen über den Kopf streichen – auch so etwas, was sie von der Margiala gelernt hatte. Wir waren alle ihre gelehrigen Schülerinnen, wenn es darum ging, andere zu manipulieren, Kräutermischungen oder Rezepturen zusammenzustellen. Etwas, worauf Mama besonders stolz war, war ihre Gabe, körperliche wie seelische Beschwerden mit den Händen zu lindern. Eine Art primitive Pranotherapie, die die Margiala mit dem Begriff bezeichnete, den auch alle in Cerignola für die Fähigkeiten ihrer Mutter Diamante verwendeten, nämlich als »Magie«.
»Mach du auf, Cornelia! Das ist die alte Klatschtante.« Sie verdrehte die Augen und verfluchte diesen schrecklichen Tag.
Comare Antonietta stürmte ins große Schlafzimmer, in dem ich auf einem einfachen Holzstuhl saß und wie betäubt in den in die Schranktür eingelassenen Rauchglasspiegel starrte.
Eine zerzauste Strähne fiel mir auf die linke Schulter, während die andere bereits zu einem dicken Zopf geflochten war, aus dem jedoch noch widerspenstige Haare hervorstanden wie dornige Ähren.
Niemand schaffte es, sie zu bändigen. Nicht einmal der Margiala gelang das, deren Öle gegen meine wilde Mähne einfach nicht ankamen.
»Das muss tiefer liegende Ursachen haben«, brummte sie, nachdem auch der x-te selbst gemachte Haarbalsam versagt hatte. »Das sind nicht nur deine Haare … Da ist etwas, tief in deinem Herzen, das nie jemand zähmen wird.«
Wenn sie solche Sachen sagte, machte mir die Margiala fast ein wenig Angst. Dann waren ihre kühlen blauen Augen ins Leere gerichtet, als schaute sie in eine andere Dimension.
Vielleicht war es ihre Augenfarbe, ein unvergleichlich helles, fast schon kristallklares Blau, die ihr etwas Engelhaftes verlieh, so als wäre sie nicht ganz von dieser Welt. Eine Art Gleißen, das von ihrem langen, lockigen rabenschwarzen Haar allerdings wieder ausgeglichen wurde. Letzteres bekamen nur wir Mädchen zu Gesicht, alle anderen kannten sie nur mit einem ordentlichen Dutt im Nacken.
Ein schwarzer Engel, genau das war meine Mutter!
»Ein paar Fischer haben ihn am Hafen gefunden. Wer weiß, wie lange er schon tot ist«, plapperte die alte Comare aufgeregt.
»Seit etwa einer Stunde«, erwiderte die Margiala trocken.
»Seit einer Stunde? Woher weißt du das?«, fragte Comare Antonietta fast schon vorwurfsvoll, dass vor ihr schon jemand anders diese Neuigkeit überbracht hatte.
Ich schluchzte noch eine Weile leise vor mich hin, dann musste ich wieder laut und vollkommen unkontrolliert weinen – dicke Tränen, die ich mit der Zungenspitze auffing, wenn sie mir nicht auf die Haare und die feine Bluse kullerten, zwischen den Falten meiner Kleidung verschwanden oder auf die zitternden Hände tropften, auf die ich verzweifelt starrte.
Comare Antonietta sah mich fragend an.
»Diamante war dabei. Sie hat alles mit angesehen«, sagte die Margiala schließlich und drehte sich zur offenen Haustür.