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Als es Sommer wurde, bekam Giuseppe Fronturlaub. Bei seiner Rückkehr ging er ganz gebeugt, so sehr war er in sich zusammengefallen; nur noch Haut und Knochen.

»Bekommst du dort überhaupt was zu essen?« war das Erste, was Mama zu ihm sagte. Er lächelte nur, froh, wieder zu Hause zu sein. Er war extrem schwach, und an seinen geröteten Augen war zu sehen, dass er Fieber hatte. Man hatte ihn heimgeschickt, damit er sich wieder erholte, denn in seinem Zustand würde er bald sterben.

»Rosetta, geh in den Garten und pflück ein paar Renetten! Und du Lorbeer- und Minzblätter, Diamante. Cornelia, hol den Bottich aus der Küche und spül ihn gründlich aus. Danach füllen wir ihn mit frischem Wasser aus der Zisterne.«

Giuseppe trug nur noch Lumpen.

»So schickt man euch in den Krieg?«

»Ja, Mama«, sagte er nur und ließ sich auf den Sessel im Flur sinken.

»Jetzt befreien wir dich von diesen Fetzen und päppeln dich wieder auf!«, rief sie voller Genugtuung, indem sie sich über ihr straff zurückgebundenes Haar fuhr und die Blusenärmel hochkrempelte, die sie auch im Sommer lang trug.

Die Margiala bereitete einen Auszug aus Renetten und Lorbeerblättern zu, der eine Viertelstunde lang kochen musste. Als die Flüssigkeit so richtig brodelte, gab sie sie zusammen mit frischer Minze in eine Tasse.

»Trink das noch heiß, das wird dich wieder auf die Beine bringen.«

Giuseppe gehorchte wie ein kleines Kind und lehnte sich schwer an den Tisch, als wollte er gleich einschlafen.

»Nein, nein, bevor du schlafen gehst, senken wir erst noch dein Fieber.« Sie befahl uns drei Schwestern, zu unserer Arbeit zurückzukehren. Nur der kleine Francesco bekam die Erlaubnis dabeizubleiben. Dann zog sie ihren Sohn aus und betrachtete ihn wie schon lange nicht mehr – so nackt, wie sie ihn geboren hatte. Er ließ sie gewähren, wohl wissend, dass es nur zu seinem Besten war.

Sekundenlang betrachtete sie ihn reglos und überzeugte sich davon, wie sehr die paar Monate ihrem Sohn körperlich zugesetzt hatten – vielleicht auch, um nach einer Erklärung für die hohlen Wangen und das spitze Kinn zu suchen, die allein schon seine einstige Schönheit ausgelöscht hatten.

»Verdammter Krieg. Verdammter Mussolini.«

»Mama!«, sagte er erschrocken.

»Was ist? Glaubst du, diese dreckigen Faschisten können uns selbst hier noch hören? In meinem Haus?«

Er schüttelte nur den Kopf und ließ sich zitternd ins kalte Wasser gleiten. Blau gefroren, kauerte er sich zusammen.

»Sei ein Mann und nimm dich zusammen. Das Fieber wird gleich sinken. Morgen bist du wie neugeboren.« Sie begann, Giuseppe mit einem Schwamm abzutupfen, den sie vorher in Essig getaucht hatte. Als sie damit fertig war, hüllte sie ihn in ein großes Leintuch und zog ihn in ihr Zimmer. Dort sollte er schlafen, als wäre er der Hausherr, neben dem inzwischen verblassten Foto von Nonna Diamante und dem noch sehr lebendigen Andenken an Papa Agostino. Daneben wiederum wachte eine stets brennende Kerze, die der wie ständig lodernden Wachsamkeit der Margiala glich.

Als ich mich an diesem Abend schlafen legte, war ich seltsam nervös.

»Wie ist der Krieg so, was glaubst du?«, fragte ich Cornelia mehrmals, bevor mich der Schlaf übermannte.

Doch keine ihrer Antworten konnte mich zufriedenstellen.

»Eine Sauerei«, piepste es leise unter ihrer Bettdecke hervor.

»Das sagt die Mama immer. Und was meinst du?«

»Ich weiß nicht. Er muss schrecklich sein. Ganz schrecklich.«

»Ja, aber wie ist es wohl für Giuseppe? Wie ist es für ihn, in diesem Krieg kämpfen zu müssen? Muss er andere Soldaten töten? Wie das wohl ist, Menschen töten?«

»Über so etwas solltest du nicht nachdenken. Das ist nichts für eine Frau.«

»Weil Frauen nicht in den Krieg ziehen, oder warum?« Ich wurde laut. »Mama sagt immer, dass wir jetzt alle im Krieg sind, ob nun zu Hause oder an der Front«, sagte ich gereizt.

»Sag ich doch, einfach eine Sauerei. Eine Riesensauerei hätte ich sagen sollen, damit du endlich zufrieden bist.« Dann kehrte sie mir den Rücken zu, als wollte sie mir sagen, ich solle sie doch mit meinen philosophischen Fragen in Ruhe lassen.

Das Thema hatte mich unruhig gemacht, und nicht nur weil ich Giuseppe in diesem Zustand gesehen hatte. Irgendetwas nagte an mir, sagte mir, dass da etwas nicht stimmte, dass mir ein entscheidendes Element fehlte, um das mit dem Krieg verstehen zu können. Vielleicht war es auch mein schlechtes Gewissen, weil ich behauptet hatte, mit Mussolini verwandt zu sein. Den würde ich nicht mehr ins Spiel bringen, so viel war mir klar.

Nervös und nassgeschwitzt, setzte ich mich im Bett auf, um dann die Treppe hinunterzueilen – barfuß, damit mir der nackte Marmor etwas Abkühlung brachte. Aus Mamas Schlafzimmer drang etwas Licht, das längliche, gespenstische Schatten an die Flurwände warf. Es war merkwürdig still im Haus, sogar Francesco schlief tief und fest.

Ich ging zur Tür des großen Schlafzimmers, um den reglosen Körper meines Bruders zu betrachten. Er sah so anders aus als der selbstbewusste, freimütige junge Mann, den ich so oft beneidet hatte. Jetzt hatte er sich zusammengerollt wie ein kleines Kind, das gerade eine Tracht Prügel bezogen hat – gezeichnet von seiner Krankheit und einem Los, das er sich selbst ausgesucht hatte. Ich ließ den Blick zu dem makabren kleinen Altar schweifen, der mir seit jeher nicht ganz geheuer war, und musterte Mamas Umrisse. Ich hatte erst gar nicht gesehen, dass sie sich in Giuseppes Nähe hingelegt hatte. Auch sie hatte sich zusammengerollt, aber auf dem Sessel, der sonst am Fußende des Bettes stand. Sie hatte ihn neben die Gebetbank geschoben.

Sie trug immer noch das lange schwarze Kleid, das sie schon tagsüber getragen hatte, die Ärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt. Ich sah, dass sie eine Hand zwischen die Schenkel geschoben hatte, genau wie ich, wenn ich mich in den Schlaf wiegte, während die andere ein Foto an die Brust presste. Ich sah zum Altar hinüber. Von ihrem verblassten Foto musterte mich Nonna Diamante, die Hände in die Hüften gestemmt und mit Augen, die so funkelten, als wären sie noch lebendig und könnten einen verurteilen oder durchbohren.

Mama hatte das Foto von Papa an sich gepresst. Eine graumelierte Strähne lag auf einer Brust und verdeckte einen Teil des Rahmens. Hin und wieder zuckten ihre Lippen. Vielleicht sprach sie im Schlaf mit jemandem, vielleicht mit Agostino, vielleicht besuchte sie ihn ja im Traum.

Ansonsten nagte sie an ihrer Unterlippe, mit Zähnen, die im flackernden Licht der brennenden Kerze blendend weiß schimmerten.

In diesem Moment wallte eine heftige Zärtlichkeit für sie in mir auf. Ich empfand weder Wut noch Hass, weil ich nicht die sittsame junge Frau war, die sie sich wünschte, weil ich die Kleider nicht so bügelte, wie sie es haben wollte, weil ich das Geschirr nicht exakt nach ihrem Ritual abspülte, das immer genau gleich sein musste. Ich nahm ihr keine der absurden Vorschriften übel, mit deren Hilfe sie über ihr kleines Reich herrschte. In diesem Moment herrschte zwischen ihr und mir nur ein Liebeskampf.

Ich habe diesen Anblick meiner Mutter nie mehr vergessen, auch nicht die Tränen, die mir übers Gesicht liefen und die ich vergeblich zurückzuhalten versuchte. Zu gern hätte ich die verschwommenen Umrisse meiner beiden Schutzengel wahrgenommen, damit sie mir ins Ohr flüsterten: der eine, um mir zu sagen, dass ich stark bleiben müsse, und der andere, um mir eine seiner Geschichten vom Meer zu erzählen oder ein freches Lied vorzusingen. Ich sah erst zur einen Schulter und dann zur anderen, um Pietros und Papas Stimmen zu hören, aber diesmal waren auch sie es leid zu lügen.