Anstelle eines Vorworts

Wenn ich mich zurückerinnere und überlege, was meine von Frauen geprägte Welt am besten beschreibt, eilen meine Gedanken sofort in die Kindheit zurück. Denn ein einziges Bild überstrahlt alles andere, mühsam Heraufbeschworene: Es zeigt die Frauen meiner Familie, die bei uns zuhause zusammengekommen sind, um für Weihnachten zu backen. Darf ich kurz vorstellen? Da ist meine Oma, Königin ohne Krone und Herrscherin ohne Thron – der Dreh- und Angelpunkt meiner Kindheit, ja meiner gesamten Welt. Da ist meine Mutter, eine sanftmütige Frau ohne große Erwartungen, die stets nur Zweitbeste ist, wenn es darum geht, etwas vorzubereiten oder zu kochen. (Die Beste ist meine jüngste Tante, das eigentliche kulinarische Genie unserer Familie). Und da sind die vielen anderen Tanten, die wegen ihres fortgeschrittenen Alters etwas mehr zu sagen haben. Ich weiß noch genau, wie es war, wenn die jüngste Tante eintraf: Ihren triumphalen Einzug schienen sogar noch die auf den Backpulvertütchen aufgedruckten Engel zu bejubeln. Sie kam stets als Letzte, herbeigesehnt wie ein Geschenk des Himmels – auch weil sie küchentechnisch am besten ausgestattet war. Sie brachte die »Eischneemaschine« mit, gegen die meine Oma allerdings eine tiefe, aufrichtige Abneigung hegte. Aus ihrer Sicht gab es keine Höllenmaschine, die es mit ihrem Paar Hände aufnehmen konnte. Daher ignorierte die Matriarchin das funkelnde Gerät, umschlang stattdessen die weiße Schüssel mit dem blauen Rand und vollbrachte das Wunder: Direkt vor meinen verzückten, wenn auch leicht glasigen Augen (weil es wirklich lange dauerte) verwandelte sich literweise klebrig-flüssiges Weiß in weiche Wattewolken. »Du musst immer in dieselbe Richtung rühren«, flüsterte sie mir stolz zu, wobei sie verstohlen nach links und rechts sah, als verriete sie mir ein Staatsgeheimnis. Ich sollte sie jedoch enttäuschen: Als moderne, emanzipierte Frau benutze ich stets einen elektrischen Handmixer. Aber noch habe ich nicht erklärt, welche Rolle ich in diesem Tohuwabohu aus Mehl, Eiern, Zucker und Zuwendung hatte:

Gar keine.

Es war mir bloß erlaubt zuzusehen. Denn das war die Regel Nummer eins für Frauen. Je früher ich lernte, mich mit einer reinen Statistenrolle abzufinden, desto besser. Jeder Versuch, sich in diese komplizierte Erwachsenenwelt vorzuwagen, und sei es nur auf Zehenspitzen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt – und wenn ich mir noch so sehr einbildete, ein Meisterwerk geschaffen zu haben. Die jüngste Tante spähte mir mit Argusaugen über die Schulter und wies mich unweigerlich darauf hin, dass ich noch nicht so weit sei und dass mein Gebäck noch einmal von vorn gemacht werden müsse.

»Du kannst das einfach nicht!«, beschied sie nicht ohne eine Portion Sadismus. »Aber wenn du erst mal groß bist, wird es so aussehen wie das hier.« Hämisch hielt sie mir reihenweise Ricotta-Täschchen, Butterplätzchen und apulische cartellate unter die Nase – eines perfekter als das andere.

Denn das war die Regel Nummer zwei für eine tadellose Hausfrau: Nachahmung. Als ich endlich alt genug war, mich nicht mehr auf Zehenspitzen stellen zu müssen, um bei der Zubereitung zuzusehen, begriff ich, dass ich nicht aufmerksam genug gewesen war: Völlig verzaubert vom Duft der frischgebackenen Plätzchen, hatte ich gar nicht mitbekommen, dass das, was sich da vor meinen Kinderaugen abspielte, ein grausamer Initiationsritus war.

Endloses Getuschel, verstohlene Blicke, spitze Zungen, dazu fleißige, niemals ruhende Hände: Die Frauen meiner Familie tuschelten, kicherten und tratschten wie verrückt. Und bei all dem Trubel war mir gar nicht aufgefallen, dass ihre ahnungslosen, ja sogar ganz zufriedenen Opfer ausschließlich die Männer waren.

»Die Kerle sind doch alle gleich«, murmelte meine Oma mit ergebener Leidensmiene.

Regel Nummer drei.

»Man muss sie austricksen, damit sie zufrieden sind«, bekräftigte meine Mutter.

Regel Nummer vier. Die jüngste Tante nickte, wobei sie sich keine Mühe gab, den mitleidigen Blick auf meine Wenigkeit zu verbergen: Ich ging hier schließlich nicht nur in die hohe Schule des Backens, sondern erhielt auch so etwas wie Einblicke in die Welt der Ehe.

»Der Mann ist ein Jäger«, lautete die Lieblingsweisheit der Königin.

Regel Nummer fünf.

»Man darf den Männern niemals die Wahrheit sagen. Sie würden sie gar nicht verstehen«, verkündete meine Mutter.

Regel Nummer sechs.

Da begriff ich, dass das gemeinsame Weihnachtsbacken ihre Methode war, mich auf meine Zukunft als Hausfrau und Mutter, als Herrscherin über mein kleines Reich vorzubereiten. Mein Opa, mein Vater und mein Onkel ahnten nichts von diesem Aufstand gegen das männliche Geschlecht, der gerade mal so lang dauerte, wie man sich einbildete, die eigenen Gefühle, das eigene Schicksal selbst in der Hand zu haben. Und der ein klägliches Ende fand, sobald mein Vater klirrend den Türriegel aufschob und die Küche ansteuerte. Dann erbleichte meine Mutter und sorgte rasch wieder für Ordnung.

»Psst, psst!«, flüsterte sie, »er kommt.«

Die Hausfrauen verstummten. Mein Vater warf einen Blick auf das Gebäck, genoss den köstlichen Plätzchenduft und gab mir einen zärtlichen Klaps auf die Wange – nicht ahnend, dass sich die braven Frauen wieder in Teufelinnen zurückverwandeln würden, kaum dass er gegangen war.

Denn dann begann Tante Diamante damit, ihre traurige Lebensgeschichte zu erzählen, und das war das Schönste an unserem Familientreffen – der Moment, den ich von Anfang an herbeigesehnt hatte.

Dazu gehörten zahlreiche Anekdoten. Manchmal waren sie leicht abgeändert, andere Male klangen sie genau gleich – doch alle begannen 1938, in ferner Vergangenheit, und erzählten von einem Haus mit Garten und von einem blühenden Oleander.