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Voller Begeisterung hatte Mama schon vor Tagen damit begonnen, alles für dieses Fest vorzubereiten.

Die Verwandtschaft war relativ klein, denn es gab bloß meine Großeltern (Papas Eltern natürlich) und eine alte, stocktaube Tante. Letztere wurde bei Familientreffen von meiner mürrischen Oma allerdings eher wie eine in Ehren ergraute Trophäe herumgereicht, anstatt wie ein tatsächlicher Gast behandelt zu werden. Die Brüder meines Vaters waren alle in ferne Länder ausgewandert – nach Venezuela und in die Vereinigten Staaten –, und ihre Spuren hatten sich mehr oder weniger verloren. Papa war der Einzige, der nicht fortgegangen war, wenn auch nur der Margiala zuliebe, die fremde Länder fast so sehr hasste wie ihre Schwiegermutter. Die hätte ihr eigentlich die Füße dafür küssen müssen, dass sie den letzten, jüngsten Sohn davon überzeugt hatte, seine alten Eltern nicht im Stich zu lassen. Doch meiner Oma ging jede Dankbarkeit völlig ab, und sie hatte meine Mutter noch nie leiden können.

Zum einen, weil sich das für eine Schwiegermutter so gehörte, aber auch weil die Margiala eine Frau war, die sich so schnell nichts sagen ließ und die ihrem Mann an Intelligenz und Auffassungsgabe deutlich überlegen war. Und auch aus dem Grund, weil sie mit einem Sohn, der daheimgeblieben war, nicht die einsame, verlassene Mutter spielen konnte: Auch das gehört zu den Absurditäten des Südens, krampfhaft nach Anlässen für Unglück zu suchen. Das mag vielleicht seltsam klingen, aber für manche Frauen aus meiner Heimat existiert ein regelrechter »Katastrophen-Wettstreit«: Wer von besonders viel Unglück heimgesucht wird, darf sich Freunden und Verwandten gegenüber damit brüsten. Kann sein, dass auch das eine Folge von bitterer Armut ist.

Neben den Verwandten wurden auch Bekannte und Nachbarn zu unserem Fest erwartet. Die Frauen waren für uns alle Comari, die Männer Compari. Selbst wenn sie keine wirklichen Taufpaten waren, sorgte das dafür, dass man sich einander gleich viel verbundener fühlte. Sie gehörten praktisch mit zur Familie.

Meine Schwestern und ich hörten, wie Mama sich in ihrem Reich zu schaffen machte. Töpfe und Küchenutensilien klirrten, begleitet von einer langsamen Melodie, die an ein Schlaflied erinnerte und die die Margiala nur zu besonderen Anlässen anstimmte – solche, bei denen die gute Laune jede Falte in ihrem Gesicht glättete und sie erneut wie einen Engel, wie einen schwarzen Engel aussehen ließ.

Der Duft von gerösteten Mandeln breitete sich aus, dazu der stechend süße nach karamellisierter Zitrone – ein köstliches Mus, mit dem Mama leckere Butterplätzchen füllte. Nach dem Rösten wurden die Mandeln sorgfältig in einem Mörser zerrieben, um anschließend mit einer Handvoll Zucker zum Zitronenkompott gegeben zu werden.

Natürlich war das Zerreiben der Mandeln meine Aufgabe, weil ich die Jüngste war, während die Zubereitung des Teigs ausschließlich Rosetta vorbehalten war, da sie es als Einzige mit Mamas Geschick aufnehmen konnte. Cornelia dagegen kümmerte sich um die restliche Füllung.

Die Margiala war nicht so leicht zufriedenzustellen, und die Herstellung der Plätzchen sowie jede andere kulinarische Zubereitung waren Aufgaben, die mit extremer Sorgfalt angegangen werden mussten.

»Das ist eine Kunst, die eine gute Hausfrau beherrschen muss«, verkündete sie, wenn sie uns mal wieder eine von ihren Weisheiten mit auf den Weg gab. Cornelia gab nämlich aus ihrer Sicht stets zu viel oder zu wenig von der Füllung auf den Löffel.

Die Ärmste senkte den Blick und wurde noch röter. Sie schluckte schwer und hoffte inständig, irgendwann einmal doch noch Gnade bei der Margiala zu finden.

Nach den Plätzchen mit der Mandel-Zitronen-Füllung befahl Mama Rosetta, sich um den Teig für die zeppole zu kümmern, eine echte Spezialität, die auch unter dem Namen tortelli di San Giuseppe bekannt ist, weil man sie in meiner Heimat zum Fest des Heiligen Josef am 19. März isst.

Schon mehrmals hatte sich meine große Schwester um ihre schwierige Herstellung bemüht, war aber meist gescheitert.

Die Margiala beaufsichtigte sie streng, gab ihr aber auch Tipps, dank derer Rosetta inzwischen zur Expertin geworden war.

Das Schwierigste war die richtige Zusammensetzung des Brandteigs: Mehl, Eier, Wasser und ein Stich Butter mussten auf dem Herd energisch miteinander vermengt werden – zuerst das Wasser und die Butter, bis Letztere vollständig geschmolzen war. Dabei musste man extrem aufpassen, denn wenn das Wasser kochte, würden sich scheußliche Mehlklümpchen bilden, die den ganzen Teig ruinierten. Kurz bevor es zu heiß wurde, galt es, in einem Schwung energisch das Mehl unterzurühren, bis sich der Teig von der Topfwand löste.

Sobald die Konsistenz eines festen Klumpens erreicht war, gab man ihn auf ein Holzbrett und walkte ihn energisch, um ihn abkühlen zu lassen. Dann konnte er zu handtellergroßen Kringeln geformt werden, die anschließend frittiert und mit Vanillecreme gefüllt wurden.

Eine Kunst, die ich erst noch lernen musste, denn es war mit das Komplizierteste, bei dem ich Mama und Rosetta je beobachtet hatte. Ich bewunderte sie auf Zehenspitzen und mit offenem Mund, ließ mir keine ihrer energischen Gesten entgehen, die etwas unglaublich Weibliches hatten.

Noch immer musste ich oft an Pietro denken, und dann zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen und zwang mich, mehrmals zu schlucken.

Die Margiala spürte, was mit mir los war, und sah mich liebevoll an – so wie ihr das mit ihren eisblauen Augen überhaupt möglich war.

Das genügte, um mich zu trösten. Worüber ich allerdings wirklich traurig war, waren all die Dinge, die Pietro nie mehr erleben würde. Wenn ich darüber nachdachte, erschien mir sein Tod als eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, zugleich bekam ich aber auch eine Riesenwut auf den Zufall, auf das Schicksal oder wie man es sonst nennen will, das für all das Leid verantwortlich war.

»Die gestorbenen Kinder sitzen jetzt zwischen den Engeln«, tröstete mich Rosetta, und das beruhigte mich ein wenig, weil ich mir vorstellte, dass mein Schutzengel Pietro auf seinem Himmelsthron über mich wachte.

»Fang schon mal an, den Teig für den Calzone zu machen«, forderte mich die Margiala auf, während sie die tortelli mit luftiger Creme bestrich.

»Meinst du wirklich mich, Mama?« Ich riss ungläubig die Augen auf, weil mir bisher nur einfache Handlangertätigkeiten übertragen worden waren, nie Aufgaben einer echten Köchin.

»Das kannst du doch, oder? Wie oft hast du mir schon dabei zugeschaut?« Sie zwinkerte mir ebenso liebevoll wie streng zu.

»Cornelia, du schneidest die Zwiebeln.« Sie sah kurz zu meiner Schwester hinüber.

Die gehorchte widerspruchslos, obwohl das eine ziemlich unangenehme Tätigkeit war, die sie viele Tränen vergießen ließ.

Innerhalb kurzer Zeit war die Küche von unterschiedlichsten Gerüchen erfüllt. Der süße Duft der Creme vermischte sich mit dem scharfen, stechenden Geruch von frisch geschnittenen Zwiebeln sowie mit dem alles überlagernden Aroma frischer Bierhefe.

Die Margiala musste überstürzt hinauseilen, um frische Luft zu schnappen, da sie trotz ihres dicken Bauchs noch nicht ganz immun gegen die Launen ihres Magens war, der wie in den ersten Schwangerschaftsmonaten wieder verrücktspielte. Es fiel meiner Mutter nicht leicht zuzugeben, dass sie Probleme hatte: Sie war eine von den Frauen mit extrem harter Schale, die keine Schwäche zeigen können.

Wir Töchter dagegen, die in einer Art Symbiose mit ihr zusammenlebten, bekamen allerdings jede ihrer Stimmungsschwankungen oder körperlichen Veränderungen hautnah mit. Deshalb merkten wir gleich, wenn mit ihr etwas nicht stimmte.

Als Mama in den Garten stürmte, bedeutete Rosetta mir und Cornelia, mit unseren Aufgaben fortzufahren, und wir gehorchten.

Die mit Zwiebeln gefüllte Calzone war eines meiner Lieblingsgerichte. Besonders gern aß ich sie, wenn sie noch schön warm war und einem die Füllung regelrecht auf der Zunge zerging. Von meiner Mutter hatte ich gelernt, den Teig mit geballten Fäusten zu kneten.

»Du musst ihn richtig verprügeln«, erklärte mir die Margiala, um mir zu veranschaulichen, mit wie viel Kraft ich die Mischung aus Mehl, Wasser, Hefe und Öl walken sollte.

Mit meinen kleinen Fingerknöcheln durchlöcherte ich die Teigmasse. Ich mochte es, wenn dieses unförmige Etwas auf dem Holzbrett langsam die Gestalt eines gelblichen Brotes annahm, das fest und weich zugleich war.

Danach musste es hochgehoben und energisch fallengelassen, mit den Fäusten auseinandergezogen werden, damit es auch wirklich ganz durchgeknetet wurde. Erst dann wurde ein Kreuz eingeschnitten, woraufhin es, in warme Tücher gewickelt, mehrere Stunden ruhen musste.

Die Margiala kam genau in dem Moment zurück, als mein Meisterwerk beinahe fertig war. Ich sah sie gespannt an und wartete auf Lob. Doch sie musterte mich nur spöttisch wie eine, die weiß, wie es geht – aber auch wann der richtige Moment gekommen ist, anderen das Feld zu überlassen. Ich wusste, dass das das größte Lob war, das ich von ihr erwarten konnte, und strahlte zufrieden.