Mama und ich bereiteten Kohl in einer Sauce aus Karotten, Zwiebeln und Staudensellerie zu. Ich mochte keinen Kohl, aber es war sinnlos, das der Margiala mitzuteilen. Außerdem wusste ich, dass sie mir absichtlich besonders große Portionen von dem aufgab, was mir nicht schmeckte – vielleicht um mich zu provozieren oder um mir zu zeigen, dass sie bestimmte, wo es langging. Damit wollte sie ihre Macht demonstrieren.
Also tat ich so, als genösse ich den Essensduft. Ich wusste jetzt schon, dass ich meine Abneigung gegen Kohl einfach mit Unmengen von in die Sauce getunktem Brot ausgleichen würde. An Appetit mangelte es mir jedenfalls nicht, auch wenn mir vieles nicht schmeckte. Ich aß eindeutig zu viel Brot, denn daran fehlte es bei uns nie. Manchmal aß ich auch einfach zum Zeitvertreib und weniger, um echten Hunger zu stillen. Vielleicht füllte ich damit ja eine innere Leere, ohne dass ich gewusst hätte, was sie verursachte.
Deshalb war ich ein wenig aus dem Leim gegangen. Mein Hintern war zu groß für mein Alter und Schenkel und Waden ziemlich stämmig. Ich besaß also nicht ansatzweise die Anmut einer Rosetta oder einer Margiala und war auch nicht so schmal und elegant wie Cornelia. Das schien jedoch allein mein Problem zu sein, denn selbst Mama, die wirklich nicht mit Vorwürfen geizte, sagte nichts zu meinem Übergewicht.
Im Grunde war das etwas, was mich erst seit Kurzem quälte – seit ich gemerkt hatte, dass auch ich eine Frau war oder besser gesagt eines Tages eine werden sollte, genau wie Mama oder Rosetta. Ein Gedanke, der mich anekelte und mir Angst machte. Indem ich mich hässlich machte, hoffte ich, diesen Moment hinauszuzögern, um mich ja nicht dem fügen zu müssen, was sozusagen das natürliche Los der Frau war, sprich die Mühsal, die Erniedrigungen und all die anderen unangenehmen Dinge, die uns seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden auferlegt waren.
Auch das Wachstum meiner Brüste wollte ich hinauszögern, damit sie für immer zwei kleine Knospen unterm Kleid bleiben würden, genauso den hüftwiegenden Gang, die Qualen und Schmerzen.
Cornelia hatte mir erklärt, dass im Körper der Frau einmal im Monat bestimmte Dinge vor sich gehen: Die Brüste verhärten sich und tun weh, man bekommt furchtbare Bauchschmerzen, die es einem manchmal unmöglich machen, das Bett zu verlassen, aber das Schrecklichste ist, dass man auch noch »da unten« blutet. Als sie mir das anvertraut hatte, war ich entsetzt gewesen. Mama sprach nie mit mir über solche Dinge.
»Und du, woher weißt du das?«
»Weil ich es selbst schon erlebt habe. Beim ersten Mal habe ich die ganze Nacht geweint. Ich dachte, ich muss sterben. Das Blut hat meine Unterhose und das Bett befleckt, es hörte gar nicht mehr auf, genauso wie die Bauchschmerzen. Es hat Tage gedauert.«
Ich hatte mehrmals schlucken müssen und war instinktiv davongerannt, um meine Unterhose herunterzuziehen und mich zwischen den Schenkeln zu inspizieren. Als ich feststellte, dass es bei mir noch nicht so weit war, seufzte ich erleichtert auf.
»Aber woher willst du wissen, dass das bei allen Frauen so ist? Bist du wirklich sicher, dass du nicht krank bist?«
»Mama hat mir gesagt, dass das ganz normal ist, dass das in meinem Alter alle bekommen. Dann hat mir Rosetta erklärt, dass man von da an eine Frau ist und daher aufpassen muss. Du wirst mir nicht glauben, was ich dir jetzt erzähle, doch sie hat mir geschworen, dass Frauen eben wegen diesem Blut Kinder kriegen können!«
»Aufpassen? Aber worauf denn?«
»Keine Ahnung, einfach aufpassen.«
Ich sah sie verblüfft an, weil das Thema zu schwierig für mich wurde und es nicht einmal die Möglichkeit gab, bei der Margiala nachzufragen. Ich schwor mir allerdings, der Sache auf den Grund zu gehen, denn wenn mein Körper eines Tages Blut verlieren sollte, wollte ich genau wissen, warum.
Rosetta! Ich würde sie fragen!
Wie geplant, wischte ich den Teller mit reichlich Brot aus, während Rosetta höchstens daran knabberte. Sie war immer noch ganz verstört von der Begegnung, die ich ihr geschildert hatte. Ab und zu schaute sie auf und schielte zu Mama hinüber – in Erwartung einer Antwort, die nicht kam. Die Margiala konnte auch nicht alles wissen, damit mussten wir uns abfinden.
»Gibt es irgendwelche Gerüchte? Über den Krieg?«, fragte Mama Giuseppe. Der Krieg war reine Männersache, und er wusste bestimmt, ob man wirklich darüber sprach.
»Krieg?« Er schluckte ein großes, hartes Stück Brot hinunter. »Davon weiß ich nichts. Wieso fragst du?«
»Nur so. Deine Schwester hat erzählt, dass ein paar Männer auf dem Markt davon sprachen.«
»Und was haben die gesagt?«
Ich versuchte, etwas zu sagen, aber die Margiala gebot mir zu schweigen und sprach weiter.
»Dass vielleicht auch Italien in diesen Krieg eintritt.«
»Bei uns auf der Baustelle reden die Männer über andere Themen.« Er zwinkerte Rosetta zu und lachte laut. Mama beruhigte sich wieder. Solange die Männer von Röcken redeten, hinter denen sie her waren und die ihnen schlaflose Nächte bereiteten, gab es keinen echten Grund zur Sorge. Sie vergaß das Problem und begann abzudecken. An diesem Tag kam sonst nichts mehr auf den Tisch, aber bis zum Abend würde es reichen.
»Ich muss heute Nachmittag fort«, verkündete sie, während sie das Geschirr in die Spüle stellte. »Die Schwiegertochter von Comare Nenna liegt in den Wehen. Rosetta, sag du deinen Schwestern, was zu tun ist.«
Dann legte sie die Schürze ab und eilte davon, wobei sie sich den Dutt ordnete.
»Na gut, ich geh dann auch raus«, teilte uns Giuseppe mit, der es keine Sekunde allein mit uns Frauen in diesem Haus aushielt. »Und du siehst zu, dass du bald groß wirst«, sagte er zu dem Kleinen, der auf einem Stuhlkissen schlief. »Dann zeig ich dir die Welt.«
Ein Satz, der mich wie ein Schlag ins Gesicht traf.
Die Welt zeigen – was sollte das heißen? Wie die Welt wohl aussah, aus Männersicht? Welches Machtgefühl verlieh sie ihnen?
Alles Fragen, die mich so sehr quälten, dass ich Kopfschmerzen bekam. Die Enttäuschung darüber, dass mir das alles nicht zugänglich war, gärte in mir. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und vergällte mir die Freude am eingetunkten Brot. Das war eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, an der ich schier erstickte.
Ich konnte von Glück sagen, dass ich wenigstens das Meer gesehen hatte; sogar das hatte die Margiala sich versagt. Wovor fürchtete sie sich eigentlich? Dass es ihren Erwartungen nicht standhielt?
Ich hörte auf zu grübeln und machte mich an den Abwasch. Cornelia holte den Reisigbesen und fegte die Küche, während Rosetta einen Eimer mit Wasser füllte.
»Ich putze draußen«, sagte sie.
Diese Grübeleien drohten mich schier zu zerreißen, sie machten mir Bauchschmerzen und sorgten für schlechte Laune. Die Margiala kannte die Gefahren, die mit meinem Charakter einhergingen. Bestimmt wusste sie auch, dass es einen harten, unnachgiebigen Kern tief in meinem Innern gab, den nicht einmal sie nach Belieben formen konnte. Ich setzte mich oft über ihre Grenzen hinweg, und bestimmt litt sie darunter, dass ich mehr oder weniger bewusst gegen jede ihrer Regeln verstieß.