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»Mama ist Hausfrau«, rang er sich schließlich ab, »und Papa ist arbeitslos.« Skandalös war das nicht, es gab viele Väter ohne Arbeit, auch wenn sich hinter dem Wort »arbeits­los« alles Mögliche verbergen konnte.

»Ihr kennt doch den Spitznamen der Familie Straziota?«, fuhr der Lehrer fort und ließ den Zeigefinger in der Luft kreisen.

Ich betrachtete Michele, der ungeschickt versuchte, den Kopf zwischen die massigen Schultern zu ziehen, sich hinter der für seine Leibesfülle viel zu kleinen Bank zu verstecken. Wir antworteten im Chor, indem wir verneinend mit der Zunge schnalzten; diesmal hatte Caggiano nichts daran auszusetzen, obwohl er es uns sonst als ordinär und ungehörig verbot.

»Möchtest du es uns verraten, Michele?« Er näherte sich unserer Bank in der ersten Reihe, und seine Augen blitzten dermaßen, dass ich zum ersten Mal bemerkte, wie hell sie waren: kristallblau.

Er hat dieselben Augen wie Papa, dachte ich im Stillen, und das ist gar nicht gut.

»Dann erzähl ich es eben deinen Mitschülern«, fuhr er zufrieden fort.

Er begann, zwischen den Bankreihen auf und ab zu laufen, um es noch spannender zu machen. Alle schwiegen gebannt, sogar Mimmiù und Pasquale, die sonst nie still sein konnten.

»Habt ihr schon mal von den Senzasagne gehört?«, fragte er schließlich und stützte sich mit den Händen aufs Lehrerpult. Ein bestürztes Raunen erhob sich im Klassenzimmer, und ohne es zu wollen, sahen wir einander von der ersten bis zur letzten Bank entgeistert an, blickten dann zum Lehrer, der wiederum Michele anschaute und mit verschränkten Armen auf seine Reaktion wartete. Wir starrten auf die Fenster, ja sogar auf die Wände, als würden bei der Erwähnung dieses Namens noch die leblosesten Gegenstände aus ihrer Starre gerissen und zum Leben erweckt werden. Insgeheim vergegenwärtigte ich mir all das, was ich in meinem bisherigen Leben über die Senzasagne gehört hatte. Trotzdem hatte keiner von uns gewusst, dass auch Michele zu dieser Familie zählte. Erst später sollte ich erfahren, dass er sich für seine Herkunft schämte. Micheles Urgroßmutter – das wusste ich von meinem Vater, und das erzählte man sich im Viertel – war im Krieg Witwe geworden. Sie lebte damals allein und völlig mittellos in einem baufälligen Haus. In den Zimmern stank es nach Rauch, der Putz bröckelte von den Wänden, Spinnweben hingen in jeder Ecke, und die Möbel, die eher als Brennholz taugten, waren mit Schmutz und Kaffee vollgesogen. Als sie es leid war, sich aufzureiben, Böden zu wischen und mit den Fingernägeln Hühnerdreck abzukratzen, hatte sie ihren damaligen Arbeitgeber, einen Wursthändler um die fünfzig, der selbst jung verwitwet war, ohne jede Vorwarnung gepackt und ihm mit dem Messer, mit dem er den Schinken zerlegte, die Kehle aufgeschlitzt. Zudem hatte sie ihm einen sauberen Längsschnitt beigebracht, der in der Brustmitte begann und bis zum Nabel reichte, das Geld, das er in einer Keksdose aufbewahrte, genommen und davon bestes Fleisch gekauft, ganz saftiges, um ihren Kindern Geschnetzeltes zuzubereiten. Es hieß, sie sei sehr hübsch gewesen, mit schwarzen, sinnlichen Mandelaugen, die an feinste Seide erinnerten, mit vollen Lippen und – was damals selten war – blendend weißen und geraden, gesunden Zähnen. Obwohl ihre Schuld nie bewiesen wurde, hieß Marisa bei allen Senzasagne: blutlos wie ein Tintenfisch, zu keiner menschlichen Regung fähig. Und obwohl sie Witwe und wunderschön war, wagte es keiner, ihr den Hof zu machen und ihr seine Gesellschaft anzutragen. Näherte sich ihr ein Fremder, überhäufte er sie mit Komplimenten und Aufmerksamkeiten. Blieb er mit seinen Augen an ihr kleben wie Fliegen an einer Kuh, reagierte sie genauso verärgert wie bei einem Insekt: Sie verscheuchte ihn mit einem dermaßen vernichtenden Blick, dass sein Feuer sofort erlosch. Die gesamte Sippe wurde zu Senzasagne: drei Söhne und eine ebenfalls wunderschöne Tochter, die schließlich Nicola Senzasagne, Micheles Vater, zur Welt bringen sollte – ein dicker, plumper Mann mit einem Quadratschädel und rötlichem Haarschopf.

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