Als mein Bruder ihr die Nachricht überbrachte, war die Margiala gerade beim Unkrautjäten im Garten: eine große, magere Gestalt mit schmalen Hüften und einem Gesicht, das mit der Zeit immer hagerer wurde. Der Saum ihres Kleides war mit der Schürze verknotet, sodass man ihre schlanken, aber muskulösen Beine sehen konnte und ihre nackten, fest auf dem Boden ruhenden Füße. Auch ihre Lippen waren mit der Zeit schmaler geworden und von kleinen Fältchen gesäumt. Seit sie abgenommen hatte, wirkte ihre Nase noch spitzer, aber es heißt ja, dass die Nase im Laufe eines Lebens weiterwächst, als einziger Körperteil länger wird, während der Rest unaufhaltsam schrumpft. Sie musterte die fünf Oleanderbäume, die einen Kranz aus grünen Zweigen bildeten. Hin und wieder schüttelte sie den Kopf, als staunte sie über dieses Wunder, und in den Verschnaufpausen legte sie sich die Hacke über die Schulter wie ein Gewehr. Sobald irgendein Unkraut ihre Aufmerksamkeit erregte, stellte sie sich breitbeinig hin und beugte sich vor. Sie bohrte die Hacke in die Erde und rüttelte am Griff, den sie mit beiden Händen hielt. Daraufhin löste sich die Wurzel, und die Margiala zog stolz das Unkraut heraus, warf es auf ein Tuch, das sie auf dem Boden ausgebreitet hatte.
Es war windstill und warm, und die ruhige Atmosphäre im Garten wirkte friedlich.
In meiner kindlichen Fantasie herrschte auch bei uns Frieden. Auch wenn anderswo gekämpft wurde, wusste ich, dass der Widerhall der Schreckensschreie noch nicht durch die dicken Mauern gedrungen war, die Papa um uns herum hochgezogen hatte.
In regelmäßigen Abständen wischte sich Mama mit dem Handballen über die Stirn und strich die eine oder andere Strähne zurück, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatte. Ihr feines dunkles Haar war zunehmend weißer geworden. Dass auch die Margiala altern konnte, war eigentlich unvorstellbar, und dennoch wies vieles darauf hin. Nicht nur ihre Haarfarbe verriet das, sondern auch die Falten an den Händen, die trockene, von Kälte und Sonne rau gewordene Haut, das immer verhärmtere Gesicht, die helle Farbe ihrer Augen, die mittlerweile schillerten wie das Meer im Winter, und die Brüste, die immer noch drall waren, auch nachdem sie Francesco abgestillt hatte.
Nicht, dass der Junge freiwillig auf Muttermilch verzichtet hätte, obwohl er schon groß war und aß wie ein kleiner Mann! Doch irgendwann war es Mama einfach leid gewesen, vor Schmerz zu stöhnen, wenn der hungrige Kleine seine spitzen Zähne in ihre Brustwarzen bohrte und ihnen blutige Schrunden zufügte. Doch dreist, wie er war, merkte der kleine Gauner schnell, dass er seinen Hunger anderswo stillen konnte. So kam es, dass sich Rosetta nicht nur um ihren kleinen Sohn Vincenzo kümmerte, sondern auch um seinen frechen Milchbruder, der die üppigen, noch straffen Frauenbrüste seiner großen Schwester nicht verschmähte.
»Du wirst noch genauso schlimm wie dein Großvater«, schimpfte Mama und verfluchte die Frechheit des kleinen Schlaumeiers, der ihrer Meinung nach genauso ein Halunke werden würde wie ihr Schwiegervater. Der war ein unverbesserlicher Frauenheld – zum Leidwesen seiner Ehefrau, die zu sehr mit Klatsch und Hass beschäftigt war, um ihren Mann von anderen Röcken fernhalten zu können.
»Es ist furchtbar heiß heute«, sagte Giuseppe und kaute auf einem Grashalm.
»Stimmt«, erwiderte Mama nur.
Ich saß faul im Schatten des Zitronenbaums und kraulte den erneut trächtigen Tommaso.
»Wie kommt es, dass du heute nicht arbeitest?«
Verlegen wühlte mein Bruder mit der Schuhspitze in der Erde und ließ den Grashalm von einem Mundwinkel in den anderen wandern.
»Was ist, hat es dir die Sprache verschlagen?«
»Nein, ich muss dir bloß was sagen.«
»Du hast doch nicht etwa deine Arbeit verloren? Wir haben auch so schon genug Sorgen.«
»Ich habe sie nicht verloren. Ich muss nur woandershin.« Der Erdhaufen vor seinen Füßen wurde immer größer.
»Rückst du jetzt endlich raus mit der Sprache, oder soll ich es aus dir herausprügeln?«
Die Margiala hatte die Hacke weggelegt und sah ihrem Sohn direkt in die Augen.
»Ich habe mich zur Armee gemeldet. Ich werde in den Krieg ziehen.«
Da hielt der Fuß endlich inne. Mamas Augen wurden feucht. Kurz glaubte ich, sie würde anfangen zu weinen, laut schreien, zu ihrem Sohn rennen und ihn anflehen, nicht zu gehen.
Für eine Mutter wäre das ganz natürlich gewesen.
Doch sie tat nichts dergleichen. Sie leckte sich nur die trockenen Lippen und sah Giuseppe mit leerem Blick an, als wollte sie sich einprägen, wie er zum letzten Mal glücklich aussah.
Er kratzte sich im Nacken und steckte anschließend die Hände in die Hosentaschen, wohl wissend, welchen Schmerz er seiner Mutter da zufügte. Er hätte sie für seine Entscheidung um Verzeihung bitten, ihr sagen müssen, wie leid es ihm tue, dass der einzige Mann im Haus wer weiß wohin ging und versuchte, ein Held zu werden. Aber es war nun mal verdammt schwierig, der Margiala etwas zu erklären.
»Und wie ist das so, in den Krieg ziehen?«, lautete meine nicht sehr intelligente Frage.
»Das weiß ich noch nicht. Wenn ich zurückkehre, werde ich es dir erzählen können.«
In diesem Moment hielt ich es für ganz normal, ja für selbstverständlich, dass er heil zurückkehren würde. Die Möglichkeit, dass er gar nicht mehr zurückkommen könnte, kam mir gar nicht in den Sinn. Dabei kannte ich sehr wohl die Geschichten von Leuten, die im Ersten Weltkrieg gewesen waren. Einige davon hatte man nie mehr wiedergesehen, so wie Mamas Großvater, der verschollen war.
Aber das war die Vergangenheit. Aus irgendeinem Grund dachte ich, dass dieser Krieg anders war und sowohl Hin- als auch Rückreise beinhaltete.
Die Margiala musterte Giuseppe noch eine ganze Weile, während er mit mir sprach und mir Antworten gab, über die er sich selbst nicht mal sicher war. Sie fuhr sich über Stirn und Augen, um den Schlag besser zu verkraften, griff dann erneut nach der Hacke und fuhr mit ihrer Arbeit fort.
Wenige Tage später brach Giuseppe auf. Sein Ziel war Taranto.