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Es vergingen Wochen, wenn nicht sogar Monate, ohne dass ich es geschafft hätte, mir die Stimme des Fremden, geschweige denn den Geschmack seiner Lippen aus dem Kopf zu schlagen. Je mehr ich sein Bild in den letzten Winkel meines Herzens verbannte, desto mehr quälte es mich und desto höher loderte meine Verliebtheit. Das Ganze quälte mich sehr.

Und zwar so sehr, dass die Margiala einen neuen Waffenstillstand ausgerufen hatte. Vermutlich spürte sie meine inneren Qualen. Ich war furchtbar zerstreut und hörte auf, sie zu provozieren. Ohne es zu merken, ordnete ich die Teller der Größe nach, saß kerzengerade am Tisch, ohne die Ellbogen aufzustützen, und hängte die Hemden am Saum auf. Konsterniert stellte ich fest, dass ich auch diese Gewohnheiten – genau wie die Spitznamen, die Moral und alle anderen Regeln der Margiala – tief verinnerlicht hatte.

Trotz meiner Bemühungen, so weiterzuleben wie zuvor, wusste ich, dass es beim nächsten Wiedersehen mit Antonio kein Halten mehr geben würde. Ich ertappte mich dabei, öfter an ihn zu denken, als mir lieb war. Ich war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, mein braves Leben als junge Frau, die gern ein Junge gewesen wäre, fortzusetzen, und der Sehnsucht, in seinen Armen dahinzuschmelzen, mich ganz als Frau zu fühlen.

Heimlich rannte ich mehrmals zum Hafen, keuchend und wie in einer Art Delirium – immer auf der Suche nach dem Fremden, der mich völlig verwandelt hatte. Ich war mir nicht mehr sicher, wie er genau aussah. Ich hatte sein Bild so oft heraufbeschworen, dass ich Fantasie und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten konnte. Antonio war nicht mehr nur derjenige, den es wirklich gab, sondern auch der aus meinen Träumen, wenn ich in meinem winzigen Zimmer seufzend im Bett lag und mir jeden Zentimeter seines Gesichts vor Augen rief. Enttäuscht kehrte ich mit langsamen Schritten nach Hause zurück, nachdem ich mich dort stets allein wiedergefunden und vergeblich bei den Booten nach ihm Ausschau gehalten hatte. Doch dort konnte ich nur uralte Fischer mit wettergegerbten Gesichtern entdecken.

»Irgendwann wird er schon kommen«, sagte ich mir, in der festen Überzeugung, dass Liebende so etwas einfach spüren. Natürlich hätte ich auch zu ihm nach Hause gehen können. Aber naiv, wie ich war, wollte ich die Illusion haben, dass er nach mir suchte.

Eines Morgens, nachdem ich wieder einmal den Graben entlanggeeilt war – der Sommer neigte sich bereits dem Ende zu –, blieb ich kurz stehen, um zu verschnaufen, und schaute auf den Hafen. Die Luft flirrte, und der Himmel verschwamm mit dem glatt daliegenden Meer. Es sah aus wie ein schlafender Riese. Müde ließ ich mich auf einem am Strand angespülten Baumstamm nieder. Die salzige Luft hatte ihm zugesetzt, aber trotzdem war er kräftig und stabil. Ich musste an die Margiala denken und ärgerte mich, weil ich eigentlich sein Bild hatte heraufbeschwören wollen. Ich schlug die Hände vors Gesicht und schüttelte energisch den Kopf, während es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. Mit geschlossenen Augen spürte ich einem Schmerz nach, der nicht nur etwas mit dem Verlust des Fremden zu tun hatte. Da war eine noch viel größere Leere, ein Loch, das noch schwärzer war als Antonios pechschwarze Augen. Ich drängte die Tränen zurück, denn hätte ich einmal angefangen zu weinen, hätte ich nicht mehr damit aufhören können. Stattdessen blieb mein Blick an einem winzigen Krebs hängen, der gegen die Strömung ankämpfte, um auf seinen Felsen zurückzukehren. Fast musste ich lächeln, dass selbst so ein kleines Geschöpf wusste, wo es Zuflucht fand.

»Darf ich dir ein wenig Gesellschaft leisten?«

Ich schloss die Augen und schluckte mehrmals. Es pochte in meinen Schläfen, und das Herz schlug mir so laut, dass es bestimmt weithin zu hören war.

Ich wusste nicht, ob diese Stimme echt war. »Das ist nur ein Traum«, flüsterte ich – in der festen Überzeugung, dass auch diese nie ausgelebte Liebe nur Teil eines endlos langen Traums war.

Dann drehte ich mich um, in der Angst, alles durcheinanderzubringen. Was, wenn die Stimme einem ganz anderen Fremden mit pechschwarzen Augen und sonnengebräunter Haut gehörte?

Er sah mich mit funkelnden Augen an. Er konnte ja nicht wissen, wie oft meine Sehnsucht, ihn wiederzusehen, an einem einsamen Strand zerschellt war. Und auch nicht, wie oft ich ihn mir mit geschlossenen Augen vorgestellt hatte und mir mit der Zunge über die Lippen gefahren war, um ihn erneut schmecken zu können.

»Wie geht es dir?«, fragte er mit einem breiten Grinsen. »Gut«, sagte ich. Dabei kam mir meine Stimme ganz fremd vor, viel zu piepsig, als gehörte sie einer Fremden, zu einer Frau, die nur in seiner Gegenwart zum Vorschein kam. Er reichte mir die Hand, um mir beim Aufstehen zu helfen. Ich musterte die seine, bevor ich einschlug – voller Angst vor den Folgen, die diese erneute Berührung haben konnte.

Wir liefen los, ließen unsere Füße im Sand versinken, während wir uns unterhielten wie ein altes Liebespaar. Wir erreichten die im Hafen vertäuten Boote. Mit einem Kopfnicken begrüßte Antonio einige Fischer. Ich spürte ihre Blicke, doch zum ersten Mal wurde ich nicht verlegen – ganz im Gegenteil! Die Sache gefiel mir sogar.

Dann schlenderten wir langsam durch die Gassen der Altstadt, gingen an den üblichen Grüppchen von alten Männern vorbei, die sich wie immer dem Kartenspiel hingaben. Ich freute mich, dass alles genau so war wie beim letzten Mal. Auch sein Haus war noch genauso kahl und schmucklos, wie ich es in Erinnerung hatte, mit dem Fenster zum Meer, das immer offen stand. Als mich Antonio in seine Arme zog, verschwand der Kloß in meiner Kehle. Mein Herz schlug rascher, und die Knie wurden mir weich.

Er küsste mich so zärtlich, als wollte er sagen, dass ich ihm gefehlt, dass er auf mich gewartet hatte.

Ich hätte ihn mit einem süßen Geschmack auf den Lippen stehenlassen und das, was jeden Moment passieren konnte, vertagen können.

Aber das wollte ich nicht. Nicht mehr – und das wusste er ganz genau.

Er fasste mir unters Kleid, dorthin, wo eine intensive Wärme in mir aufstieg, die jede Faser meines Körpers erfasste. Und fand mein Höschen, das er langsam bis zu den Knöcheln hinunterzog. Ich schaute ihn lächelnd an, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt.

So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich hätte Angst haben müssen, stattdessen war mir, als hätte ich seit dem Tag, an dem Rosetta und Cornelia mir erklärt hatten, dass ich jetzt eine Frau war, auf nichts anderes gewartet. Er beugte sich vor, um es mir ganz abzustreifen, während seine rauen Hände wie Schmirgelpapier über meine Haut glitten und mich wohlig erschauern ließen.

Ich konnte nicht fassen, dass er ausgerechnet dort innehielt, um mich zu küssen, vor mir kniend, sein dunkler Schopf zwischen meinen Schenkeln. Ich bog den Rücken durch, und die Lust, die ich empfand, machte mich völlig wehrlos.

Meeresluft kam durchs Fenster hereingeweht, aber meine Nase gewöhnte sich an andere, mir bis dahin unbekannte Aromen, an trockenere, heißere.

Ich schloss die Augen, um zu spüren, wie sich die Wärme in meinem ganzen Körper ausbreitete, lauschte auf die Möwen, die ganz in der Nähe ihre Kreise zogen, auf das leise Stöhnen, das sich seinen klebrigen Lippen auf meiner Haut entrang.

Ich war nicht mehr im Hier und Jetzt, ich war nicht mehr ich selbst. Wie eine Jungfrau auf ihren Initiationsritus wartete ich darauf, dass seine erfahrenen Hände mich weiter erkundeten.

Ich wartete drauf, dass er mir das Kleid abstreifte und mich nackt bewunderte, meine runden Hüften, meinen gewölbten Bauch, meine üppigen, weichen Brüste.

Ich wartete darauf, dass er mich auf den kühlen Boden bettete, der nicht ausreichte, um mein inneres Feuer zu lindern.

»Ich habe das noch nie gemacht«, sagte ich nur und sah ihm in die Augen, während er sich vor mir auszog.

»Ich weiß. Mach dir keine Sorgen.«