Der Angriff auf Csilla, die Heimatwelt der Chiss-Aszendenz, war schnell, unerwartet und – trotz seines geringen Umfangs – überraschend effizient.
Die drei großen Kriegsschiffe erschienen aus dem Hyperraum auf weit aufgefächerten Vektoren, und während sie Richtung Csilla vorstießen, entfesselten sie die ganze Energie ihrer Spektrallaser gegen die Defensivplattformen und die Kriegsschiffe der Chiss-Verteidigungsflotte im Orbit. Obwohl diese Plattformen und Schiffe vollkommen überrascht wurden, brauchten sie weniger als eine Minute, um den Beschuss zu erwidern. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Angreifer bereits die Richtung gewechselt; sie hielten nun auf eine Ansammlung von Lichtern auf der eisigen Oberfläche des Planeten zu – die Hauptstadt Csaplar. Die Laser setzten ihren Beschuss fort, und als sie bis auf Feuerreichweite heran waren, erweiterten sie ihre Kanonade um Raketensalven.
Letztlich war all das jedoch umsonst. Die Defensivplattformen holten die Raketen mühelos vom Himmel, während die Schlachtkreuzer die angreifenden Schiffe selbst ins Visier nahmen und sie in Fetzen schossen. Anschließend gingen sie sicher, dass keines der Trümmer groß genug war, um den Atmosphäreneintritt zu überstehen. Fünfzehn Minuten nachdem die Aggressoren aufgetaucht waren, war alles schon wieder vorbei.
Die Bedrohung war neutralisiert, dachte Supreme General Ba’kif grimmig, während er den zentralen Korridor zur Kuppel hinabschritt – dem Ort, wo sich die Aristokra versammelt hatten, nachdem sie wieder aus den Schutzbunkern gekommen waren.
Jetzt begann der richtige Feuersturm.
Und er versprach wirklich heiß zu werden. Als oberstes Regierungsorgan der Aszendenz hüllte sich das Syndicure gern in eine Aura aus Gewissenhaftigkeit, Edelmut und unangreifbarer Würde. Und die meiste Zeit über – abgesehen von den unvermeidbaren politischen Rangeleien – kam das der Wahrheit auch ziemlich nahe.
Nicht aber heute. Das Syndicure hatte eine Vollversammlung einberufen, und die Sprecher hatten für den Abend ihre privaten Treffen geplant, was bedeutete, dass fast alle hochrangigen Aristokra der Aszendenz in ihren Büros, in den Sitzungsräumen oder auf den Korridoren dazwischen gewesen waren, als der Alarm losgeplärrt hatte. Die Bunker unter der Kuppel waren relativ geräumig und boten ein Mindestmaß an Komfort, aber es war Jahrzehnte her, seit Csilla das letzte Mal Ziel eines direkten Angriffs geworden war, und Ba’kif bezweifelte, dass die aktuellen Regierungsvertreter jemals dort unten gewesen waren.
Und ihre Stimmung war auch ganz sicher nicht durch die beiden Stunden erzwungener Tatenlosigkeit verbessert worden, während das Verteidigungskommando abwartete, ob ein zweiter Angriff folgen würde. Ba’kif machte sich keine Illusionen, dass sie ihre Frustration gewissenhaft oder edelmütig oder würdevoll entladen würden.
Er sollte recht behalten.
»Was mich interessiert«, sagte der Sprecher der Ufsa-Familie, nachdem Ba’kif seinen Bericht beendet hatte, »ist, wer diese Fremdweltler sind, die glauben, sie könnten mit einem Angriff gegen uns durchkommen. Ein Name , General – wir wollen einen Namen.«
»Ich fürchte, den kann ich Ihnen nicht liefern, Sprecher«, erwiderte Ba’kif.
»Wieso nicht?«, wollte der Sprecher wissen. »Sie haben die Trümmer geborgen, oder nicht? Sie haben Datenaufzeichnungen und Leichen und Waffenprofile. Ausgehend von alldem können Sie uns doch sicher einen Namen nennen.«
»Die Aszendenz wurde angegriffen«, schaltete sich mit grimmigem Ton der Sprecher der Mitth-Familie ein – als wollte er sichergehen, dass den anderen diese Tatsache auch nicht entgangen war. »Um die Verantwortlichen für diese Arroganz zu bestrafen, müssen wir wissen, wer sie sind.«
»Genau«, pflichtete Ufsa bei, wobei er kurz den Tisch entlangblickte.
Ba’kif unterdrückte ein Seufzen. In vergangenen Zeiten hatten große Bedrohungen die Herrschenden Familien zusammengeschweißt und sie selbst über ihre politischen Grabenkämpfe hinwegblicken lassen. Er hatte die Hoffnung gehegt – die kleine Hoffnung –, dass der heutige Angriff eine ähnliche Reaktion nach sich ziehen würde.
Doch offensichtlich war dem nicht so. Insbesondere was die Ufsa und Mitth anging. Diese Familien befanden sich mitten in einem besonders verworrenen Wettstreit um ein neu erschlossenes Bergbaugebiet auf Thearterra, und der Ufsa war sichtlich verärgert, dass der Hauptrivale seiner Familie ihm nun einen Teil des Rampenlichts stahl. »Mehr noch«, fügte er mit blitzenden Augen hinzu, als wollte er den Mitth herausfordern, ihn noch einmal zu unterbrechen. »Wir brauchen Gewissheit, dass das Expansionskommando über die nötigen Ressourcen verfügt, um die Chiss gegen weitere Vorstöße dieser unbekannten Feinde zu schützen.«
Der Questis-Datenleser, der vor Ba’kif auf dem Tisch lag, blinkte; ein neuer Bericht war eingegangen. Er nahm das Gerät hoch und hielt es schräg in der linken Handfläche, während er mit dem Finger am Rand entlangfuhr, um durch den Text zu scrollen. »Das Syndicure muss keine Angst um seine Sicherheit haben«, sagte er. »Ich habe gerade erfahren, dass vier zusätzliche Kreuzer des Expansionskommandos von Naporar aufgebrochen sind, um die hier stationierten Schiffe des Verteidigungskommandos zu unterstützen.«
Innerlich schnitt er eine Grimasse. Junge Männer und Frauen, bereit, ihr Leben zum Schutz ihrer Heimatwelt zu opfern. Sie waren nobel und ehrenhaft … und würden sich völlig umsonst opfern, sollte es so weit kommen, wie Ba’kif und alle anderen in der Kuppel wussten.
»Und falls sie andere Welten innerhalb der Aszendenz überfallen?«, hakte der Ufsa nach.
»Andere Schiffe wurden bereits in die benachbarten Systeme entsandt, um auf die Eventualität von Folgeangriffen vorbereitet zu sein«, erklärte Ba’kif.
»Hat denn jemand Angriffe gemeldet oder feindliche Schiffe gesichtet?«, wollte der Sprecher der Clarr wissen.
»Noch nicht, Sprecher«, antwortete er. »Soweit wir bislang wissen, war dies ein isolierter Vorfall.«
Die Sprecherin der Familie Obbic stieß ein theatralisches Schnauben aus. »Das wage ich ernsthaft zu bezweifeln, General«, sagte sie. »Niemand entsendet aus einer Laune heraus Kriegsschiffe gegen die Aszendenz und geht dann einfach wieder nach Hause. Jemand dort draußen schmiedet ein Komplott gegen uns. Und wir müssen diesen Jemand finden und ihm eine Lektion erteilen.«
So ging es eine geschlagene Stunde weiter, wobei die Neun Herrschenden Familien – und einige der Großen Familien, die in diese elitäre Gruppe aufsteigen wollten – darauf achteten, dass ihre Empörung und Entschlossenheit auch angemessen im Protokoll festgehalten wurde.
Größtenteils war es eine Verschwendung von Ba’kifs Zeit. Zum Glück hatte ihn seine langjährige Erfahrung beim Militär gelehrt, wie man einem Politiker mit einem Ohr zuhört, während man sich im Geiste auf andere, dringendere Angelegenheiten konzentriert.
Die Sprecher und Syndics wollten wissen, wer die Aszendenz angegriffen hatte, aber sie konzentrierten sich auf die falschen Fragen.
Denn das Wer war längst nicht so interessant wie das Warum .
Der Obbic hatte recht: Niemand würde Csilla einfach nur zum Spaß angreifen; erst recht nicht, wenn dieser Angriff drei Großkampfschiffe kostete und keinerlei Wirkung zeigte. Entweder die Angreifer hatten sich auf fatale Weise verschätzt, oder sie verfolgten einen subtileren Plan.
Doch wie könnte dieser Plan aussehen?
Die Mehrheit des Syndicure ging offensichtlich davon aus, dass der Überfall das Vorspiel zu einer größeren, längeren Offensive war. Sobald sie genug davon hatten, sich hier gegenseitig in ihrer Entrüstung zu übertrumpfen, würden sie sicherlich fordern, dass das Verteidigungskommando seine Schiffe zum Schutz der Hauptsysteme zusammenzog. Mehr noch, vermutlich würden sie darauf bestehen, dass auch das Expansionskommando seine Flotte von den Grenzen zurückbeorderte, um diesen Verteidigungsring zu stärken.
War das vielleicht das Ziel? Dafür zu sorgen, dass die Chiss sich ganz nach innen wandten, nicht nach außen blickten? In dem Fall würden sie dem Feind direkt in die Hände spielen, sollten sie den Forderungen des Syndicure nachgeben. Falls die Syndics hingegen recht hatten – falls dies der Beginn einer groß angelegten Invasion war –, dann wäre es absolut fatal, die Expansionsflotte draußen im Chaos zu lassen. Was immer sie taten, es könnte die falsche Entscheidung sein, und wenn sie schließlich Gewissheit hätten, wäre es vermutlich schon zu spät, um einen Irrtum noch zu korrigieren.
Doch während Ba’kif die Optionen abwog, fiel ihm eine andere Möglichkeit ein. Vielleicht hatte der Angriff gar nicht darauf abgezielt, die Aszendenz von etwas abzulenken, was in Kürze beginnen würde? Was, falls es um etwas ging, was bereits begonnen hatte? Das wäre zumindest etwas, was er jetzt gleich überprüfen konnte. Unauffällig begann er, Suchbegriffe auf seinem Questis einzugeben.
Die Sitzung in der Kuppel setzte sich fort, er gab weiter brummende Geräusche von sich, während er so tat, als würde er zuhören. Und dann hatte er schließlich seine Antwort.
Nun, vielleicht.
Einer von Ba’kifs Adjutanten erwartete ihn bereits, als er schließlich in sein Büro zurückkehrte. »Konnten Sie ihn erreichen?«, fragte Ba’kif.
»Ja, Sir«, bestätigte der Adjutant. »Er ist auf Naporar; er beendet dort gerade die Behandlung seiner Verletzungen aus dem Kampf gegen die Vagaari-Piraten.«
Ba’kif zog die Brauen zusammen. Nach rein militärischen Maßstäben war diese Operation ein Erfolg gewesen, auf politischer Ebene jedoch ein absolutes Fiasko. Selbst jetzt noch, viele Monate später, war ein Großteil der Aristokra mit den Folgen dieses Debakels beschäftigt. »Wann ist er wieder einsatzbereit?«
»Wann immer Sie wünschen, Sir«, erwiderte der Adjutant. »Er sagte, er wartet nur auf Ihren Befehl.«
»Gut.« Ba’kif blickte auf sein Chrono. Es würde eine halbe Stunde dauern, die Whirlwind startbereit zu machen, danach vier Stunden Flug, um Naporar zu erreichen, eine weitere halbe Stunde, um einen Shuttle zum Medizentrum des Chiss-Expansionskommandos zu schicken … »Informieren Sie ihn, dass er fünf Stunden hat, sich vorzubereiten.«
»Jawohl, Sir.« Der Adjutant zögerte. »Soll ich den Befehl in den Akten verzeichnen, oder ist das ein privater Flug?«
»Verzeichnen Sie ihn«, sagte Ba’kif. Die Aristokra würden nicht glücklich sein, wenn sie von dieser Sache erführen – das Syndicure könnte vielleicht sogar ein Tribunal einberufen und noch mehr seiner Zeit mit nutzlosen Fragen vergeuden –, aber er war entschlossen, strikt nach Vorschrift zu handeln. »Befehl von Supreme General Ba’kif«, diktierte er, wobei seine Stimme eine Oktave tiefer wurde – wie immer, wenn er formelle Befehle gab. »Ich requiriere ein Schiff für mich und Captain Mitth’raw’nuruodo. Ziel: Dioya. Zweck: Untersuchung eines verlassenen Schiffes, das vor zwei Tagen in den äußeren Systemen gefunden wurde.«
»Jawohl, Sir«, bestätigte sein Adjutant hastig. Sein Tonfall war von einstudierter Neutralität und gab nichts von seinen eigenen Gefühlen preis. Ba’kif wusste aber, dass Captain Thrawn nicht nur bei den Mitgliedern der Aristokra einen zweifelhaften Ruf genoss.
Doch im Moment scherte Ba’kif sich nicht darum. Er hatte den ersten Teil der Frage nach dem Warum beantwortet.
Und er kannte nur eine Person, die den zweiten Teil enträtseln könnte.