2

Der Personaloffizier schüttelte den Kopf. »Anfrage abgelehnt«, sagte er knapp. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.«

Mitth’ali’astow blinzelte. »Was soll das heißen, abgelehnt?«, fragte sie. »Ich habe alle nötigen Daten dabei.«

»Ja, ich weiß«, erwiderte er. »Aber leider war die Abgabefrist vor vier Tagen.«

Thalias presste die Kiefer zusammen. Sie hatte mit aller Kraft gegen die Bürokratie der Mitth-Familie ankämpfen müssen, um an diesen Punkt zu gelangen. Zu spät erkannte sie nun, warum ihr Widerstand plötzlich erlahmt war und sie ihrer Bitte nachgegeben hatten. »Ich verstehe nicht«, sagte sie, nachdem sie den Zorn auf die Familie hinuntergeschluckt hatte. Der Mann vor ihr war der Einzige, der ihr einen Platz an Bord der Springhawk verschaffen konnte; sie brauchte ihn auf ihrer Seite. »Ich bin ein Mitglied der Mitth-Familie, die Springhawk wird von einem Mitglied der Mitth-Familie kommandiert, und ich dachte, die Flotte erkennt mein Beobachtungsrecht an.«

»Ja, das tut sie«, bestätigte der Offizier. »Aber das Beobachtungsrecht hat seine Grenzen.« Er tippte seinen Questis an. »Zum Beispiel, was feste Fristen angeht.«

»Das ist mir inzwischen klar«, erwiderte Thalias. »Aber leider hat die Familie mich nicht darüber informiert. Typisch. Es muss doch irgendetwas geben, was ich jetzt noch tun kann.«

»Ich fürchte, nein«, sagte er etwas weniger schroff als noch zuvor. Indem sie die Schuld an der Situation auf ihre Familie schob und nicht auf ihn, hatte sie sich offenbar ein kleines Maß an Mitgefühl verdient. »Es gibt einen festen Prozess für diese Dinge. Vor allem, da die Familien der leitenden Offiziere ein Vetorecht haben.«

»Ja«, seufzte Thalias. »Das letzte Wort haben immer die Familien, nicht wahr?«

»Diesen Eindruck kann man manchmal wirklich gewinnen«, sagte der Offizier, und die Steifheit wich ein bisschen mehr aus seiner Haltung.

»Nun, wenn ich nicht als Beobachterin an Bord darf, dann vielleicht in einer anderen Funktion?«, hakte Thalias nach. »Es gibt doch sicher etwas, was ich tun könnte. Ich habe Erfahrung mit Computern, Datenanalyse …«

»Tut mir leid.« Er unterbrach sie mit erhobener Hand. »Sie sind eine Zivilistin, und auf der Springhawk gibt es keine Position für Zivilisten.« Unvermittelt zog er die Brauen zusammen. »Es sei denn … einen Moment.«

Er aktivierte seinen Questis und scrollte sich durch mehrere Seiten. Thalias versuchte, von der anderen Seite des Schreib­tisches mitzulesen, aber der Text stand auf dem Kopf, außerdem benutzte die Verteidigungsflotte für ihre Dateien eine Schriftart, die nur schwer zu lesen war, wenn man nicht direkt auf den Schirm blickte.

»Da ist es ja.« Der Offizier hob den Kopf. »Vielleicht gibt es tatsächlich eine Aufgabe, die Sie übernehmen könnten. Die Springhawk hat für diese Mission eine Himmelsläuferin angefordert, aber ihr wurde noch keine Hüterin zugewiesen. Haben Sie Erfahrung oder Qualifikationen, was den Umgang mit Kindern angeht?«

»Nicht wirklich«, antwortete Thalias. »Aber ich war selbst mal eine Himmelsläuferin. Zählt das?«

Seine Augen weiteten sich. »Sie waren eine Himmelsläuferin ? Wirklich?«

»Wirklich«, versicherte sie ihm.

»Interessant«, murmelte er. Seine Augen schrumpften auf ihre normale Größe zusammen – vielleicht wurden sie sogar noch ein wenig schmaler. »Ich habe gehört, vor hundert Jahren sollen alle Hüterinnen ehemalige Himmelsläuferinnen gewesen sein.«

»Das ist ja faszinierend«, kommentierte Thalias. Das war ihre Chance.

Falls sie es wirklich tun wollte.

Dieser Teil ihres Lebens lag weit hinter ihr. Und er war voll von Erinnerungen, die sie lieber nicht wieder ausgraben wollte.

Natürlich hatte ein Großteil dieser unliebsamen Erinnerungen direkt mit den Frauen zu tun, die während ihrer Reisen auf sie aufgepasst hatten. Einige Hüterinnen waren mitfühlend gewesen; andere hatten sie einfach nicht verstehen wollen. Diesmal würde Thalias aber auf der anderen Seite dieser Beziehung stehen; das sollte die Sache deutlich einfacher machen.

Oder auch nicht. Wenn sie ehrlich sein sollte, musste sie zugeben, dass sie für ihre Hüterinnen vermutlich nicht der einfachste Schützling gewesen war. Ein Großteil jener Jahre war verblasst und verschwommen, aber sie konnte sich noch genau an tagelanges Schmollen und ein paar ausgewachsene Wutanfälle voller Gekreische und geworfener Einrichtungsgegenstände erinnern.

Nun selbst in diese Rolle zu schlüpfen – sich um eine Himmelsläuferin zu kümmern, mit allem, was dazugehörte … Ihr Möglichstes zu tun, um einem kleinen Mädchen das Leben leichter zu machen …

Sie straffte die Schultern. Es würde nicht einfach sein, sich den dunklen Teilen ihrer Vergangenheit zu stellen. Aber dies könnte ihre einzige Chance sein, Thrawn wiederzusehen. Und es wäre ganz sicher ihre einzige Chance, ihn eingehend zu beobachten. »Also gut«, sagte sie. »Ja, ich mache es.«

»Immer langsam«, entgegnete der Offizier. »So einfach ist es nicht. Sie brauchen trotzdem noch …«

Er brach ab, als sich die Tür hinter Thalias öffnete. Sie drehte sich um und sah einen Mann mittleren Alters das Büro betreten. Er trug eine gelbe Robe, und die aufgehende Sonne der Mitth-Familie war an den Stoff geheftet. »Ah, ich komme also noch rechtzeitig«, sagte der Syndic. »Mitth’ali’astow, nehme ich an?«

»Ja«, bestätigte sie mit einem Stirnrunzeln. »Und Sie sind?«

»Syndic Mitth’urf’ianico«, stellte der Mann sich vorbei, wobei sein Blick von ihr zu dem Offizier wanderte. »Ich höre, die junge Dame versucht, einen Platz an Bord der Springhawk zu ergattern?«

»In der Tat, Syndic«, bestätigte der Offizier, und seine Augen wurden noch schmaler. »Verzeihen Sie bitte, aber das ist Sache der Flotte, nicht der Aristokra.«

»Nicht wenn sie als Beobachterin der Mitth-Familie an Bord geht«, entgegnete Thurfian.

Der Offizier schüttelte den Kopf. »Sie ist keine Beobachterin. Sie hat den Antrag nicht rechtzeitig eingereicht.«

»Jemand in der Familie hat den Prozess aufgehalten«, fügte Thalias an.

»Ich verstehe«, brummte Thurfian. »Und es gibt nichts, was noch getan werden kann?«

»Es gibt noch eine offene Position an Bord«, erklärte Thalias. »Als Hüterin. Wir haben uns gerade darüber unterhalten.«

»Perfekt.« Thurfians Züge erhellten sich. »Was kann ich tun, um den Prozess zu beschleunigen?«

»So einfach ist das nicht«, protestierte der Offizier.

»Ich finde schon«, beharrte Thurfian. »Es gibt eine offene ­Position, und die Mitth-Familie hat noch immer das Beobachtungsrecht.«

»Die Familie muss erst ihr offizielles Einverständnis erklären.«

»Ich erteile es hiermit«, sagte Thurfian.

Der Offizier schüttelte den Kopf. »Bei allem Respekt, Syndic …«

»Ja, bei allem Respekt«, unterbrach ihn Thurfian. Er spannte die Schultern …

Und Thalias bekam einen kurzen Eindruck von der wahren Macht des Syndicure. Diese Macht ging weit über politische Autorität hinaus, war tief in der Chiss-Historie verankert. »Die ­Aszendenz wird durch unbekannte Angreifer bedroht«, fuhr Thurfian in leisem, düsterem Tonfall fort. »Das Verteidigungs- und das Expansionskommando müssen in voller Bereitschaft sein. Das bedeutet, wenn ein Schiff eine Himmelsläuferin braucht, dann bekommt es auch eine Himmelsläuferin. Und eine Himmelsläuferin braucht eine Hüterin. Die Springhawk bricht in vier Stunden von Naporar zu einem Kampfeinsatz auf. Wir – Sie  – haben keine Zeit, hier herumzutrödeln.«

Er atmete tief ein, und Thalias hatte den Eindruck, als würden seine Haltung und seine Miene ein wenig offener werden. »Sie ist bereit und willens, diese Mission als Hüterin zu begleiten. Ich gebe im Namen unserer Familie die Erlaubnis, sie an Bord zu lassen. Jetzt müssen nur noch Sie Ihren Part erfüllen, um der Springhawk zu den Ressourcen zu verhelfen, die sie dringend braucht.«

Einen Moment lang starrten er und der Offizier sich schweigend an. Die Rivalität zwischen der Flotte und der Aristokra …

Aber die Zeit drängte, Thurfians Argument war logisch, und der Offizier wusste beides. »Also gut«, sagte er, während er sich wieder seinem Questis widmete. »In Ordnung.« Er sah Thalias an. »Ihre Befehle, Instruktionen und Ermächtigungen finden Sie auf Ihrem Questis. Lesen Sie sich alles gut durch und finden Sie sich zur angegebenen Zeit am angegebenen Ort ein.« Nur kurz huschte sein Blick zu Thurfian hinüber. »Wie der Syndic schon sagte, die Springhawk startet in vier Stunden.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Thalias.

»Gern geschehen.« Er lächelte trocken. »Willkommen beim Expansionskommando, Hüterin Thalias. Und viel Glück mit dieser Himmelsläuferin.«

Einen Moment später waren Thalias und Thurfian wieder draußen auf dem Korridor. »Danke«, sagte Thalias. »Sie kamen gerade noch rechtzeitig.«

»Es freut mich, dass ich helfen konnte«, erwiderte der Syndic mit einem Lächeln. »Sie sind wirklich eine bemerkenswerte Person, Thalias.«

Hitze stieg ihr ins Gesicht. »Danke«, wiederholte sie.

»Und jetzt, da ich Ihnen geholfen habe«, fuhr Thurfian fort, »gibt es etwas, was Sie für mich tun können.«

Sie machte einen Schritt zurück. »Verzeihung?«, fragte sie verunsichert.

»Die Zeit drängt«, betonte er, dann nahm er sie am Arm. »Kommen Sie. Ich erklärte Ihnen alles auf dem Weg zu Ihrem Schiff.«

Es waren zwei Jahrzehnte vergangen, seit Thalias das letzte Mal militärische Zeitpläne gelesen hatte, geschweige denn an sie gebunden gewesen war. Zum Glück kehrten die alten Reflexe und Gewohnheiten schnell zurück, nachdem der anfängliche Schock nachgelassen hatte, und sie erreichte die Springhawk nicht nur pünktlich, sondern sogar zu früh.

Als sie den Aufenthaltsraum der Himmelsläufer-Suite betrat, wurde sie dort bereits von einem jungen Mädchen erwartet, das sich in einem viel zu großen Sessel ausgestreckt hatte und ein Klick-Spiel auf ihrem Questis spielte. Sie wirkte, als wäre sie neun oder zehn Jahre alt, aber Himmelsläufer waren meistens eher klein und zierlich, insofern konnte Thalias ihr Alter also nur schätzen. Das Mädchen hob den Kopf und musterte sie mit einem skeptisch wirkenden Blick, bevor sie sich wieder auf ihr Spiel konzentrierte. Thalias öffnete den Mund, um sich vorzustellen, aber dann fiel ihr ein, wie unsicher sie selbst gewesen war, wann immer ihr eine neue Hüterin zugewiesen wurde. Also nahm sie lediglich ihr Gepäck und brachte es in ihren Teil der Suite.

Sie ließ sich Zeit beim Auspacken, und als sie schließlich wieder in den Aufenthaltsraum zurückkehrte, hatte das Mädchen den Questis neben sich auf den Sessel gelegt. Stattdessen starrte es nun mürrisch auf die Reihe von Bildschirmen, die nahe der Kochecke in die Wand eingelassen waren. »Sind wir schon gestartet?«, fragte Thalias.

Das Mädchen nickte. »Vor einer Weile schon«, sagte es. Nach einem kurzen Zögern blickte sie verstohlen zu Thalias hinüber. »Bist du meine neue Mamisch?«

»Ich bin deine neue Hüterin«, antwortete Thalias mit einem Stirnrunzeln. Mamisch? War das der neue offizielle Begriff für ihre Position, oder hatte die Kleine sich den Namen selbst ausgedacht? »Ich werde mich um dich kümmern, während wir an Bord der Springhawk sind«, fuhr sie fort, als sie zu einem der Sessel hinüberging und sich setzte. »Mein Name ist Thalias. Und wie heißt du?«

»Solltest du das nicht bereits wissen?«

»Ich habe diese Aufgabe sehr kurzfristig übernommen«, gestand Thalias. »Ich musste mich beeilen, um noch rechtzeitig den Raumhafen zu erreichen, da konnte ich mich nicht vorbereiten.«

»Oh«, machte das Mädchen ein wenig verwirrt. Vermutlich war sie diszipliniertere – und kompetentere – Hüterinnen gewohnt. »Ich bin Che’ri.«

»Schön, dich kennenzulernen, Che’ri«, lächelte Thalias. »Was für ein Spiel hast du gespielt?«

»Was? Oh.« Das Mädchen berührte seinen Questis. »Ich habe nicht gespielt. Ich habe gemalt.«

»Wirklich?« Innerlich schnitt Thalias eine Grimasse. Che’ri malte also gern, und sie selbst hatte Mühe, ein Ende eines Stilus vom anderen zu unterscheiden. Das war schon mal ein Punkt, den sie nicht gemein hatten. »Ich wusste nicht, dass man Kunstwerke heute klicken kann.«

»Es ist nicht wirklich Kunst«, saget Che’ri. Sie klang ein wenig verlegen. »Ich nehme einfach Elemente, die bereits auf dem Questis gespeichert sind, und füge sie neu zusammen.«

»Das klingt interessant«, erwiderte Thalias. »Wie eine Collage. Darf ich es sehen?«

»Nein.« Che’ri griff nach dem Questis und presste ihn an ihre Brust. »Ich zeige es niemandem.«

»Das ist völlig in Ordnung«, versicherte Thalias ihr hastig. »Aber solltest du je deine Meinung ändern, würde ich es mir gerne ansehen.«

»Malst du denn gerne?«, wollte Che’ri wissen.

»Ich bin bei solchen Sachen nicht sehr gut«, erklärte Thalias. »Aber ich sehe mir gerne Kunst an.«

»Du findest nicht, dass es dumm ist zu malen?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete sie. »Es ist gut, so ein Talent zu haben.«

»Ich male nicht wirklich«, murmelte Che’ri. »Ich hab’s doch schon gesagt, ich setze nur Teile zusammen.«

»Auch das ist ein Talent«, beharrte Thalias. »Und Talente sind nie dumm.«

Che’ri schlug die Augen nieder. »Meine letzte Mamisch fand es dumm.«

»Dann hat sich deine letzte Mamisch geirrt.«

Das Mädchen schnaubte leise. »Sie hat geglaubt, dass sie immer recht hat.«

»Ich hatte auch schon mit solchen Mamisches zu tun«, erwiderte Thalias, »und du kannst mir glauben, wenn ich sage, dass keine von ihnen immer recht hatte.«

»Na gut.« Che’ri linste zu ihr herüber. »Du bist nicht wie die anderen.«

»Die anderen Mamisches?« Thalias versuchte es mit einem kleinen Lächeln. »Vermutlich nicht. Wie viele hattest du denn schon?«

Che’ri senkte wieder den Kopf. Ihre Stimme war kaum hörbar, als sie sprach. »Acht.«

Da war so viel Schmerz in diesem einen Wort, dass Thalias unwillkürlich zusammenzuckte. »Das muss hart gewesen sein«, sagte sie sanft.

Das Mädchen schnaubte erneut. »Woher willst du das denn wissen?«

»Weil ich vier hatte«, antwortete Thalias.

Che’ris Augen waren groß, als sie den Kopf hob. »Du bist eine Himmelsläuferin

»Ich war eine«, korrigierte sie. »Und ich weiß noch, wie verletzt ich jedes Mal war, wenn sie mir eine Hüterin weggenommen und eine neue geschickt haben.«

Che’ri ließ den Kopf und die Schultern hängen. »Ich weiß nicht mal, was ich falsch gemacht habe.«

»Vermutlich gar nichts. Ich habe auch viel darüber nach­gedacht, und mir wollte nie ein Grund einfallen. Na gut, in einem Fall vielleicht schon, da habe ich mich mit der Hüterin nicht gut verstanden. Das könnte etwas damit zu tun gehabt haben.«

»Sie verstehen es nicht.« Che’ri schluckte hart. »Keine von ihnen versteht es.«

»Weil keine von ihnen je eine Himmelsläuferin war«, sagte Thalias – obwohl das nicht immer so gewesen war, falls der Personaloffizier recht hatte. Einen kurzen Moment lang fragte sie sich, warum man dieses Kriterium wohl geändert hatte. »Wenn wir das Programm verlassen, kehren die meisten von uns nie wieder zurück.«

»Und warum bist du dann hier?«

Thalias zuckte mit den Schultern. Das war nicht der richtige Moment, um dem Kind zu erklären, dass sie nur hier war, um jemanden wiederzusehen, dem sie nur ein Mal als kleines Mädchen begegnet war. »Ich weiß, wie schwer es ist, eine Himmelsläuferin zu sein. Ich dachte mir, jemand, der selbst mal in dieser Situation war, ist vielleicht eine bessere Hüterin.«

»Bis du wieder gehst«, murmelte Che’ri. »Sie gehen alle wieder.«

»Aber nicht unbedingt, weil sie es wollen«, entgegnete Thalias. »Es gibt viele Gründe, warum Hüterinnen versetzt werden. Manchmal verstehen sich Himmelsläuferin und Hüterin einfach nicht, so wie du und deine letzte Hüterin oder ich und die eine, von der ich gesprochen habe. Aber es gibt auch andere Gründe. Manchmal wird eine spezielle Hüterin gebraucht, um sich um eine neue Himmelsläuferin zu kümmern. Manchmal spielen auch Familiendispute eine Rolle – Dispute zwischen den großen Familien, meine ich.« Sie spürte, wie ihre Lippe zuckte. »Und manchmal liegt es auch daran, dass kurzsichtige Idioten das Kommando haben.«

»Kurzsichtig? Können sie nicht gut sehen?«

»Nein, sie haben das Gehirn einer Hüpfkröte«, sagte Thalias. »Ich bin sicher, du hast auch schon solche Leute getroffen.«

Che’ri lächelte unsicher. »Ich sollte nicht so über Leute sprechen.«

»Du hast recht«, nickte Thalias. »Und ich sollte auch nicht so reden. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass sie das Gehirn einer Hüpfkröte haben.«

»Vermutlich.« Che’ri blickte sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Wie lange warst du eine Himmelsläuferin?«

»Ich war sieben, als ich das erste Mal ein Schiff steuerte, und beim letzten Mal war ich dreizehn.«

»Mir haben sie gesagt, man würde bis vierzehn Himmelsläuferin bleiben.«

»Das ist auch das normale Alter«, antwortete Thalias. »Mein Viertes Auge hat mich zu früh im Stich gelassen. Wie alt bist du?« Nun kniff sie ebenfalls die Augen zusammen, während sie das Mädchen von Kopf bis Fuß musterte. »Acht?«

»Neuneinhalb.« Das Mädchen überlegte. »Nein, dreiviertel.«

»Ah«, sagte Thalias, »dann hast du ja schon jede Menge Erfahrung. Das ist gut.«

»Vermutlich«, murmelte Che’ri. »Fliegen wir in die Schlacht?«

Thalias zögerte. Es gab Dinge, die Erwachsene Himmelsläufern nicht sagen sollten, Dinge, die sie aufwühlen könnten – oder eher: Dinge, von denen der Rat in seiner endlosen Weisheit glaubte, dass sie ein Kind aufwühlen könnten. »Ich weiß es nicht, aber darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Vor allem nicht an Bord der Springhawk . Senior-Captain Thrawn hat hier das Kommando, und er ist einer der besten Krieger in der gesamten Aszendenz.«

»Mir wollte nämlich niemand sagen, warum ich hier bin«, fuhr Che’ri fort. »Es gibt doch niemanden da draußen, gegen den wir kämpfen müssen, oder? Es heißt, wir verlassen die Aszendenz nicht, um zu kämpfen. Und wenn man innerhalb der Aszendenz kämpft, braucht man keine Himmelsläuferin.«

»Gut mitgedacht«, sagte Thalias, obwohl sich ein unbehagliches Gefühl in ihrer Magengrube ausbreitete. Falls der Kampfverband zu einer Art Vergeltungsschlag unterwegs war, könnten die Schiffe auch mit Mikrosprüngen große Distanzen zurücklegen; sie müssten keine Himmelsläuferin in Gefahr bringen. Also, warum waren sie und Che’ri an Bord? »Nun, wie immer die Mission lautet, Senior-Captain Thrawn wird uns wieder sicher zurückbringen.«

»Woher willst du das wissen?«

»Ich habe viel über ihn gelesen.« Thalias holte ihren Questis hervor. »Liest du auch? Möchtest du mehr über seine Laufbahn wissen?«

Che’ri zog die Nase kraus. »Ich male lieber«, sagte sie.

»Malen ist auch gut«, erwiderte Thalias, dann übermittelte sie Thrawns Datei an den Questis des Mädchens. »Du kannst es dir ja später ansehen.«

»Ist gut«, sagte Che’ri skeptisch, während sie auf ihren Questis blickte. »Das ist aber ziemlich viel.«

»Ja, das stimmt«, winkte Thalias in wenig verlegen ab. Zu ihrer Zeit als Himmelsläuferin hatte sie es geliebt zu lesen, und aus irgendeinem Grund war sie davon ausgegangen, dass Che’ri diese Vorliebe teilte. »Weißt du, was? Ich werde es später zusammenfassen und dir eine kürzere Version schicken. Nur mit den aufregendsten Abenteuern, die er erlebt hat.«

»In Ordnung«, nickte Che’ri, noch immer ohne echte Begeisterung.

»Gut.« Sie überlegte, worüber sie sich als Nächstes unterhalten könnten. Aber sie spürte, dass da noch immer eine Mauer zwischen ihnen war, und sie erinnerte sich, wie launisch sie selbst in diesem Alter gewesen war. Also entschied sie, es nicht zu übertreiben, und stand auf. »Dann lass ich dich mal weitermalen«, sagte sie. »Ich muss mich jetzt beim Ersten Offizier melden.«

»Ist gut«, murmelte Che’ri. »Soll ich mir mein Mittagessen selbst machen?«

»Nein, nein, darum kümmere ich mich schon«, versicherte Thalias ihr. »Hast du denn Hunger?«

Che’ri zog die Schultern hoch. »Ich kann noch warten.«

Das war nicht wirklich eine Antwort. »Soll ich dir gleich etwas machen?«

»Ich kann warten«, wiederholte das Mädchen.

Thalias biss die Zähne zusammen. »In Ordnung. Dann mache ich jetzt kurz Meldung. Bis ich zurück bin, kannst du dir ja überlegen, was du essen möchtest.«

Ein weiteres Achselzucken. »Ist mir egal.«

»Na, überleg dir trotzdem was«, sagte Thalias. »Ich bin bald wieder da.«

Sie schnitt eine Grimasse, als sie auf den Korridor trat, aber sie war vor allem auf sich selbst wütend. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, diese Aufgabe zu übernehmen.

Andererseits hatten sie und Che’ri sich gerade erst kennengelernt. Da war es nicht verwunderlich, dass das Mädchen sich verschlossen gab.

Also würde Thalias der Kleinen Zeit geben und Freiraum und am besten noch mehr Zeit. Früher oder später würde Che’ri sich ihr schon öffnen. Oder zumindest hoffte sie das.

Und falls sie noch immer nicht wusste, was sie essen wollte, wenn Thalias zurückkehrte, dann würde es eben Brötchen mit Erdnusspaste geben. Che’ri las vielleicht nicht gern, aber jedes Kind mochte Erdnusspaste, richtig?

Thrawn war größer, als Samakro erwartet hatte, und er bewegte sich mit fließenden, selbstsicheren Schritten. Es war offensichtlich, dass er sich an Bord der Springhawk auskannte, und er begegnete den Offizieren und Kriegern mit Respekt. Doch davon abgesehen war Samakro nicht wirklich beeindruckt.

Und jetzt verspätete Thrawn sich auch noch.

»Wir nähern uns dem Zielsystem«, meldete Kharill. »Ankunft in dreißig Sekunden.«

»Verstanden«, sagte Samakro, dann blickte er sich auf der Brücke um. Alle Waffensysteme waren einsatzbereit, einschließlich des klobigen Zielcomputers für die Plasmasphäre, der ihnen während der vergangenen Tage noch Probleme bereitet hatte. Alle Schotten waren versiegelt, um Schäden durch Lecks zu minimieren. Die elektrostatische Barriere, die die Hülle der Springhawk umschloss, zeigte maximale Energieleistung, und alle Krieger saßen an ihren Stationen.

Beeindruckend, aber wohl kaum notwendig. Soweit Samakro die Situation beurteilen konnte, war diese Mission nur einen kleinen Schritt von einem Flottenmanöver entfernt. Sie hatten die Vigilant , ein voll ausgestattetes Großkampfschiff der Nightdragon-Klasse, außerdem gehörten neben der Springhawk noch fünf weitere Kreuzer zu Admiral Ar’alanis Kampfverband. Wenn sie mit dieser geballten Feuerkraft über der Heimatwelt der Paataatu auftauchten, würde es sicher niemand wagen, ihnen offen Widerstand zu leisten.

Das hieß aber nicht, dass die Springhawk und ihre Mannschaft nicht mit absoluter Professionalität operieren sollten – einschließlich des Captains. Falls Thrawn nicht auf der Brücke war, wenn sie aus dem Hyperraum zurücksprangen, würde ­Samakro selbst das Kommando …

»Bereithalten«, ertönte eine gefasste Stimme hinter ihm.

Samakro musste an sich halten, um nicht zusammenzu­zucken. Wie beim Großen Chaos hatte Thrawn die Brücke betreten können, ohne dass er das Zischen der aufgleitenden Tür gehört hatte? »Captain«, begrüßte er seinen Vorgesetzten. »Ich war schon in Sorge, dass Sie den Alarm überhört hätten.«

»Ich bin seit einer Stunde hier«, erwiderte Thrawn. Er klang nur milde überrascht, dass Samakro ihn nicht bemerkt hatte. »Ich habe die Arbeiten am Zielcomputer der Plasmasphäre überwacht.«

Samakro blickte zur Kontrollkonsole der Sphäre hinüber, gerade als zwei Techniker dahinter auftauchten. »Ah … ich sehe, der Zielcomputer ist einsatzbereit.«

»In der Tat«, nickte Thrawn. »Die Leistung der Reparatur- und Wartungsmannschaften an Bord hat sich spürbar verbessert, seit Sie das Kommando über die Springhawk übernommen haben.«

Samakros Augen wurden schmal. War das ein Kompliment? Oder wollte Thrawn ihn nur daran erinnern, dass er jetzt der Captain des Schiffes war?

»Irgendwelche letzten Mitteilungen von der Vigilant ?«, erkundigte Thrawn sich.

»Nicht seit dem letzten Sprung«, antwortete Samakro. Vermutlich ein Kompliment, entschied er. Thrawn schien ihm nicht der Typ für Schadenfreude und Sticheleien zu sein. »Und auch da war es nur Ar’alanis übliche Warnung, dass wir auf alles vorbereitet sein sollen.«

»Ich denke, das sind wir«, sagte Thrawn. »Rücksprung einleiten … jetzt.«

Vor dem Aussichtsfenster zogen sich die Sternlinien zu kleinen Lichtpunkten zusammen. Die Springhawk war wieder im Normalraum.

Ein Sturm aus Laserfeuer hieß sie willkommen.

»Feindliche Jäger!«, schnappte Kharill. »Vektor … Sie sind überall, Captain. Sie fallen über uns her. Über den gesamten Kampfverband.«

Samakro stieß einen gezischten Fluch aus. Kharill hatte recht: Da draußen waren mindestens fünfzig Sternjäger, und sie schwirrten wie Stechmücken um den Chiss-Verband herum, während ihre Laser Linien aus blassgrünem Licht durch den interplanetaren Staub zeichneten.

Der Vergleich mit Stechmücken ergab auch in anderer Hinsicht Sinn. Ein Stich war nicht genug, um die elektrostatischen Barrieren der Springhawk zu durchbrechen, aber eine dauerhafte Kanonade würde die Verteidigungssysteme überlasten und sich geradewegs durch die Hülle fressen.

»Verstanden«, sagte Thrawn ruhig. »Sphäre Eins: Feuern Sie auf den Angreifer, der meinem Vektor am nächsten ist.«

»Sphäre Eins feuert.« Eine Plasmakugel löste sich aus dem Abwurfrohr an der Backbordseite des Kreuzers.

Und verfehlte ihr Ziel um Dutzende Meter.

»Sphären-Kontrolle!«, schnappte Samakro. »Schusswinkel korrigieren und noch mal versuchen!«

»Ignorieren Sie diesen Befehl«, übertönte ihn Thrawn. »Steuermann: Drehen Sie den Bug um neunzig Grad nach Backbord und feuern Sie Sphäre Zwei ab.«

»Nein, warten Sie!«, rief Samakro.

Zu spät. Die Springhawk neigte sich bereits den feindlichen Schiffen auf dieser Seite entgegen …

… fort von der Vigilant .

Bevor der Plasmawerfer auch nur in Feuerposition war, hatten sich die Jäger bereits neu positioniert, um Thrawns Fehler auszunutzen. Sie rasten heran und umschwirrten die Springhawk , während sie von den anderen Chiss-Schiffen fortschwenkte.

»Springhawk , zurück in Formation«, dröhnte Ar’alanis Stimme aus den Lautsprechern. »Thrawn?«

»Nicht antworten«, befahl Thrawn. »Sphäre Zwei, Feuer.«

Diesmal traf die Plasmasphäre ihr Ziel. Sie zerplatzte an dem anvisierten Sternjäger, und ein mehrfarbiger Blitz ionischer Energie zuckte über die Hülle des Feindes, als seine elektrostatische Barriere zusammenbrach und sämtliche Elektronik an Bord ausfiel. »Nachladen und auf Feuerbefehl warten«, sagte Thrawn.

»Sollten wir nicht wieder zum Rest des Verbandes zurückkehren?«, drängte Samakro. »Admiral Ar’alani …«

»Kurs halten«, unterbrach ihn Thrawn. »Sphäre Zwei, Feuerfreigabe. Barrierestärke um zwanzig Prozent senken.«

Samakros Lippen formten einen weiteren lautlosen Fluch. »Darf ich vorschlagen, dass wir Täuschkörper absetzen?«, rief er. »Das würde zumindest einen Teil des Feindbeschusses von uns fortlenken?«

»Ja, vermutlich«, stimmte Thrawn zu. »Trotzdem keine Täuschkörper. Um weitere fünf Grad nach Backbord wenden, dann drei Grad nach Steuerbord.«

Die Springhawk drehte sich erst in die eine Richtung, dann in die andere. Die Laser der Paataatu schlugen weiter auf die geschwächte elektrostatische Barriere ein, und jenseits des Aussichtsfensters konnte Samakro sehen, wie sich die Sternjäger neu formierten, um ihren Angriff auf den Kreuzer zu verstärken. »Captain, wir müssen zu den anderen zurück, andernfalls werden wir nicht mehr lange durchhalten«, warnte er mit leiser Stimme. Gleichzeitig fragte er sich, was nur aus dem Thrawn geworden war, der die Springhawk einst so berühmt gemacht hatte.

»Wir werden lange genug durchhalten, Mid-Captain«, erwiderte Thrawn. »Sehen Sie es denn nicht?«

Samakro hob in einer Geste der Verwirrung und Frustration die Hände.

Dann erstarrte er, als ihn unvermittelt die Erkenntnis traf. Wenn mehr Jäger die Springhawk angriffen, dann griffen weniger Jäger den Rest des Kampfverbands an. Weniger Angreifer bedeuteten bessere Zielbedingungen für die Kanoniere und die Triangulation. Sie konnten ihre Feinde organisiert und systematisch ausschalten.

Und diese systematische Zerstörung wiederum bedeutete …

Ein Sperrfeuer aus Laserblitzen, Raketen und Plasmakugeln von der Steuerbordseite der Springhawk brannte eine Schneise der Verwüstung durch den feindlichen Schwarm. Samakro blickte rasch auf seinen Schirm, und er sah, dass die Vigilant und die anderen Chiss-Schiffe in offensiver Keilformation auf sie zuhielten.

»Barriere wieder auf volle Leistung. Alle Waffen: Feuer frei«, befahl Thrawn. »Konzentrieren Sie sich auf die Feinde außerhalb des effektiven Schussfeldes unserer anderen Schiffe.«

Die Laser und Plasmawerfer der Springhawk eröffneten das Feuer, und gemeinsam mit dem Rest des Chiss-Kampfverbands verwandelten sie die Sternjäger zu Staub. Die Zahl der Feindschiffe nahm rasend schnell ab, und als Samakro wieder den Kopf hob, war die Streitmacht der Paataatu auf eine Handvoll Maschinen zusammengeschrumpft, die panisch die Flucht ergriffen. Zwei von Ar’alanis Kreuzern nahmen die Verfolgung auf. »Dann haben wir also die verwundete Beute gespielt, um den Feind zu uns zu locken«, sagte Samakro, während er zu Thrawn trat. »Damit der Rest des Verbandes sich sammeln und einen Gegenangriff einleiten konnte.«

»Ja.« Thrawn wirkte zufrieden, dass Samakro sein Kalkül durchschaut hatte, auch wenn diese Erkenntnis erst spät gekommen war. »Die Paataatu haben eine Schwarmmentalität. Dieses Denkmuster machte es wahrscheinlich, dass sie sich auf einen angeschlagenen Feind stürzen würden.«

»Sie erledigen zuerst den schwächsten Feind und arbeiten sich dann zum stärksten vor«, murmelte Samakro nickend.

»Exakt«, sagte Thrawn. »Angesichts der Größe der feindlichen Kräfte hielt ich es für die beste Option, möglichst viele Sternjäger von unseren anderen Schiffen fortzulocken, bevor sie ernste Schäden anrichten konnten.«

»Und weil sie sich auf ein Schiff konzentriert haben, flogen sie in engerer Formation, und unsere Zielcomputer konnten sie leichter erfassen.«

»Korrekt.« Thrawn lächelte trocken. »Mehrere Ziele gleichzeitig anzuvisieren ist nämlich unser Schwachpunkt. Aber ich bin sicher, die Techniker und Ausbilder der Flotte arbeiten daran, diese Schwäche auszumerzen.«

»Senior-Captain Thrawn?« Ar’alanis Stimme hallte aus dem Lautsprecher.

»Ja, Admiral?«, antwortete Thrawn.

»Gute Arbeit, Captain«, lobte Ar’alani, aber da war ein verärgerter Unterton in ihrer Stimme. »Nächstes Mal, wenn Sie einen cleveren Plan haben, teilen Sie ihn bitte vorher mir mit.«

»Ich werde es versuchen«, versprach Thrawn. »Sofern genug Zeit ist.«

»Und sofern Sie nichts dagegen haben, jeden Feind vorzuwarnen, der gerade mithört«, murmelte Samakro leise.

Leider nicht leise genug. »Sie glauben vielleicht, das wäre ein legitimer Vorwand, Mid-Captain, aber ich nicht«, sagte Ar’alani. »Ich bin sicher, Captain Thrawn wird in Zukunft Mittel und Wege finden, seinen Verbündeten die nötigen Informationen zukommen zu lassen, ohne dass der Feind davon erfährt.«

»Jawohl, Ma’am.« Samakro verzog das Gesicht. Er hatte Gerüchte gehört, dass Flaggschiffe über spezielle Erweiterungen ihrer Komms verfügten, damit sie mehr von den Vorgängen auf ihren Begleitschiffen hören konnten als normalerweise üblich. Offenbar waren es nicht nur Gerüchte.

»Captain Thrawn?«

»Admiral?«

»Ich denke, wir haben die Situation unter Kontrolle«, erklärte Ar’alani. »Sie können zu Ihrer nächsten Mission aufbrechen, wann immer Sie bereit sind.«

»Danke, Admiral«, erwiderte Thrawn. »Mit Ihrer Erlaubnis würde ich erst das Schiff überprüfen und etwaige Schäden reparieren, die wir erlitten haben.«

»Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen«, sagte Ar’alani. »Wir stoßen tiefer ins System vor, um mit den Anführern der Paataatu zu reden. Hoffentlich haben sie begriffen, wie sinnlos es ist, gegen die Chiss-Aszendenz zu kämpfen.«

»Da bin ich sicher«, erklärte Thrawn. »Eine Niederlage dieser Größenordnung hat ihre Expansionsgelüste gewiss gedämpft. Vermutlich werden sie innerhalb ihrer Grenzen bleiben, bis die nächste Generation die Macht übernimmt.«

»Abgesehen von ein paar vereinzelten Attacken gegen Csilla, meinen Sie wohl?«, entgegnete Ar’alani.

Thrawn schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass sie für diesen Überfall verantwortlich waren.«

Samakro versteifte sich. Nicht dass er die offizielle Geschichte glaubte … aber es gehörte sich einfach nicht für einen kommandierenden Offizier, lautstark Zweifel anzumelden. Insbesondere wenn der Großteil des Syndicure von dieser Geschichte überzeugt war.

»Mag sein«, sagte Ar’alani. Ihre Worte und ihr Tonfall waren von politisch akzeptabler Neutralität. »Aber das müssen andere ermitteln. Kümmern Sie sich um Ihre Reparaturen und lassen Sie mich wissen, wenn Sie aufbruchsbereit sind. Admiral Ar’alani, Ende.«

Diesen Worten folgte das Knacken einer unterbrochenen Verbindung. »Mid-Captain, veranlassen Sie eine vollständige Statusüberprüfung«, befahl Thrawn. »Mit besonderem Augenmerk auf die Waffen- und Verteidigungssysteme.«

»Ja, Sir«, bestätigte Samakro mit einem Anflug von Erleichterung. Es würde also keine politischen Diskussionen geben – zumindest diesmal nicht. »An die gesamte Mannschaft: Eine vollständige Überprüfung des Schiffes wurde angeordnet. Sektionsleiter, ich erwarte Ihre Berichte, sobald Sie fertig sind.«

Ein Chor von Stimmen bestätigte die Anweisung, dann verfiel die Brücke in konzentriertes Schweigen, und die Offiziere begannen mit ihren Scans. »Ich hoffe, Sie haben recht, was die Paataatu angeht«, sagte Samakro. »Nur weil die Angreifer bei Csilla andere Schiffe benutzten, heißt das nicht, dass sie nicht irgendwelche fremden Bautypen gewählt haben könnten, um ihre Identität zu verbergen.«

»Nein«, erwiderte Thrawn. »Sie haben ihre Taktik hier gesehen. Mit einer erdrückenden Überzahl auf den Feind einstürmen, das ist die Strategie der Paataatu. Das passt nicht zu dem Zwischenfall bei Csilla – einem halbherzigen Angriff, bei dem drei Schiffe zerstört wurden. Nein, hinter diesem Überfall steckt jemand anderes.«

»Vielleicht haben sie jemand anderen angeheuert, um uns anzugreifen«, überlegte Samakro, unwillig, die Paataatu nur wegen eines Bauchgefühls als Schuldige auszuschließen. Mehr schien Thrawn nämlich nicht zu haben. »Es gibt zahlreiche Piratenbanden dort draußen, die gegen entsprechende Bezahlung zu einem solchen Überfall bereit wären.«

»Der Zweck des Überfalls war, uns von etwas abzulenken«, erklärte Thrawn. »Aber nicht von diesem Teil der Grenze.« Kurz presste er die Lippen zusammen. »Sobald wir den Kampfverband verlassen haben, werde ich Sie und die anderen Offiziere genauer über die Mission informieren, von der Admiral Ar’alani gesprochen hat.«

»Jawohl, Sir«, sagte Samakro, wobei er seinen Vorgesetzten genau musterte. Streng geheime Missionen gefielen ihm beinahe ebenso wenig wie Rückschlüsse aufgrund eines Bauchgefühls. »Können Sie mir vielleicht jetzt schon etwas verraten?«

Thrawn bedachte ihn mit einem schmalen Lächeln. »Ich habe auch eine Abneigung gegen geheime Befehle«, sagte er. »Was ich Ihnen im Moment sagen kann, ist, dass sich außerhalb der Aszendenz eine neue Bedrohung regen könnte. Unsere Aufgabe ist es, diese Bedrohung zu finden, zu identifizieren und zu bewerten, bevor sie zu einer ernsten Gefahr für unsere Welten wird.«

»Ah«, machte Samakro. Darum hatte man ihnen also plötzlich eine Himmelsläuferin zugewiesen. Mikrosprünge waren keine sonderlich effektive Methode, wenn man große Distanzen durch das Chaos zurücklegen musste, und bei dieser Art von Mission konnte niemand sagen, wie tief sie ins Unbekannte vorstoßen würden. »Darf ich fragen, ob Sie im Verlauf dieser Mission mit Kampfhandlungen rechnen?«, fragte er, als ihm Thrawns Anweisung einfiel, die Waffen- und Verteidigungssysteme der Springhawk zu überprüfen.

»Diese Möglichkeit besteht immer«, erwiderte Thrawn. Als er den Ausdruck auf Samakros Gesicht sah, lächelte er erneut. »Keine Sorge, Captain. Man hat mir die Protokolle für Präventivangriffe in allen Details erläutert.«

»Ja, Sir«, murmelte Samakro. »Mit Ihrer Erlaubnis würde ich die Überprüfung der Barriere gern selbst leiten.«

»Natürlich, Captain«, nickte Thrawn. »Nur zu.«

Samakros Magen zog sich zu einem harten Klumpen zusammen, während er zur Verteidigungsstation hinüberging. Die elektrostatische Barriere der Springhawk war ihre erste Verteidigungslinie gegen Angreifer, und als solche musste sie in einwandfreiem Zustand sein.

Schließlich hatte Samakro die Geschichten über Thrawn gehört. Und nur weil man ihm die Protokolle erläutert hatte, hieß das noch lange nicht, dass er sich daran halten würde.