ERINNERUNG IV

General Ba’kif hatte Ziara gesagt, dass sie über gute Instinkte verfügte. Aber sie hatte schnell lernen müssen, dass gut nicht perfekt bedeutete.

Die erste Lektion ließ nicht lange auf sich warten. An dem Wochenende, nachdem die Vorwürfe gegen Thrawn fallen gelassen wurden, lud er sie ein, seinen Verbleib an der Akademie zu feiern – eine Art Dankeschön für ihre Hilfe. Er sprach voller Enthusiasmus von dem Abend, und Ziara erwartete Musik und gutes Essen, vielleicht eine kleine Aufführung und ganz sicher ein paar Drinks.

Was sie stattdessen erwartete …

Sie blickte von den schweigsamen Besuchern zu den gedämpften Farben der Wände, von den Gemälden zu den Skulpturen, von den Reliefs zu den Wandteppichen. »Eine Kunstgalerie«, sagte sie tonlos. »Sie haben mich in eine Kunstgalerie eingeladen?«

»Natürlich«, erwiderte er mit einem verwirrten Blick. »Was hatten Sie denn erwartet?«

»Sie sprachen von Dramatik und Aufregung und neuen Horizonten«, erinnerte sie ihn.

»Sicher.« Er deutete den Korridor entlang. »Die Geschichte der Aszendenz ist in diesen Sälen zusammengefasst. Einige der Stücke stammen sogar aus der Zeit, als die Chiss noch an den Kriegen zwischen der Galaktischen Republik und dem Sith-Imperium teilnahmen.«

»Falls ich mich nicht irre, war das nicht gerade eine der ruhmreichsten Stunden der Aszendenz.«

»Korrekt«, pflichtete Thrawn ihr bei. »Aber bedenken Sie nur, wie sich unsere Taktiken und Strategien seitdem entwickelt haben.«

Ziara runzelte die Stirn. »Verzeihung?«

»Unsere Taktiken und Strategien«, wiederholte Thrawn, ebenfalls mit einem Stirnrunzeln.

»Das habe ich verstanden«, sagte Ziara. »Aber warum reden wir in einer Kunstgalerie über Strategie?«

»Weil sich das eine stets im anderen widerspiegelt«, erklärte Thrawn. »Kunst ist ein Spiegel der Seele, und aus der erwächst auch jede Strategie. Wenn man ein Gemälde oder eine Skulptur studiert, sieht man darin die Stärken und Schwächen der Schöpfer. Und wenn man eine ausreichende Bandbreite an Kunstwerken zur Verfügung hat, kann man daraus die Mentalität und die Taktiken der gesamten Kultur ableiten.«

Ziara merkte, dass ihr Mund offen stand. »Das … ist sehr interessant«, brachte sie hervor. Vielleicht, überlegte sie, hätte sie sich doch nicht so viel Mühe geben sollen, Thrawns Hals aus der Schlinge zu ziehen.

»Sie glauben mir nicht«, stellte er fest. »Na schön. Zwei Säle weiter sind Kunstwerke fremder Spezies ausgestellt. Wählen Sie eine beliebige Kultur, und ich werde Ihnen zeigen, wie man ihre Strategien erkennt.«

Ziara war noch nie in einem Saal für fremde Kunst gewesen, weder in dieser Galerie noch in einer anderen. Es gab nur ein fremdes Artefakt, dem sie je mehr als nur flüchtige Beachtung geschenkt hatte, und das war ein Wrackteil von einem Paataatu-Kriegsschiff gewesen, das in der Heimstatt der Irizi-Familie auf Csilla ausgestellt war. »Wo stammt das alles her?«, fragte sie nun, als Thrawn sie durch eine hohe Bogentür in einen Raum voller Reliefs und Skulpturen führte.

»Das meiste wurde von Händlern gekauft und anschließend der Galerie gespendet«, informierte er sie. »Einige Stücke stammen von Spezies, mit denen wir noch immer Kontakt haben, aber das meiste entstammt Kulturen, denen wir während der Sith-Kriege begegnet sind – bevor wir uns hinter unsere Grenzen zurückzogen. Lassen Sie uns beginnen.«

Er blieb vor einem Schaukasten mit mehreren durchsichtigen Flaschen und Tellern stehen. »Formelles Tafel­geschirr eines Skofti-Regierungsregimes, ungefähr hundert Jahre alt«, sagte Thrawn. »Was sehen Sie?«

Ziara zog die Schultern hoch. »Sie sind hübsch. Vor allem diese Farbwirbel im Glas.«

»Was ist mit der Belastbarkeit?«, fragte er. »Sehen diese Stücke stabil aus?«

Ziara sah genauer hin. Jetzt, da er es erwähnte … »Sofern das Material nicht deutlich härter ist, als es aussieht – nein.«

»Exakt.« Thrawn nickte. »Die Regierungen der Skofti wechseln häufig, oft auf gewaltsame Weise oder zumindest unter Androhung von Gewalt. Und neue Anführer neigen dazu, den Palast der Präfektur neu einzurichten bis hin zum Dekor und dem Geschirr. Darum sehen die Kunsthandwerker keinen Grund, etwas für ihre Herrscher herzustellen, was länger als ein Jahr hält. Im Gegenteil, es gibt einen starken Anreiz, alles möglichst zerbrechlich zu gestalten, weil neue Anführer gerne ein öffentliches Schauspiel daraus machen, die Besitztümer ihrer Vorgänger zu zerstören.«

»Aha.« Ziara musterte ihn misstrauisch. »Stimmt das wirklich? Oder raten Sie einfach?«

»Wir hatten während der letzten zwanzig Jahre sporadischen Kontakt mit den Skofti«, erwiderte Thrawn. »Und unsere Daten stützen diese Einschätzung. Aber ich hatte meine Rückschlüsse bereits gezogen, bevor ich die Berichte las.«

»Hmm.« Ziara betrachtete noch einen Moment die Ausstellungsstücke. »Also gut, weiter.«

Thrawn blickte sich um. »Das hier ist ein interessantes Beispiel.« Er deutete auf eine weitere Vitrine. »Dieses Volk nannte sich selbst die Brodihi.«

»Nannte?«, fragte Ziara, während sie hinübergingen. »Heißt das, es gibt sie nicht mehr?«

»Um ehrlich zu sein, wir wissen es nicht«, antwortete Thrawn. »Diese Artefakte wurden vor über dreihundert Jahren aus dem Wrack eines abgestürzten Schiffes geborgen. Wir haben noch immer keine Ahnung, wer sie waren, wo sie herkamen oder ob sie noch existieren.«

Ziara nickte und ließ den Blick kurz über den Inhalt des Schaukastens schweifen. Mehr Geschirr und Besteck – Teller, lang gezogene Schalen, Messer, Gabeln, Löffel, allesamt mit geschwungenen bunten Streifen verziert – und ein paar Werkzeuge. Im hinteren Teil der Vitrine befand sich zudem das Bild eines Wesens mit langer Schnauze und zwei Hörnern, die oben aus seinem Schädel ragten. Eine Tafel daneben enthielt eine Beschreibung der Kreaturen und der Umstände ihrer Entdeckung. »Also gut, was können Sie mir hierüber erzählen?«

»Sicher sind Ihnen die länglichen Farbstreifen auf dem Geschirr und dem Besteck aufgefallen«, sagte Thrawn. »Damit die Linien übereinstimmen, muss man die Löffel und Gabeln schräg auf dem Tisch platzieren, zur Tischmitte gedreht.«

Ziara nickte. »Wie ein Paar aufgeklappter Flügel.«

»Oder …?«, fragte Thrawn auffordernd.

Sie runzelte die Stirn und sah sich noch einmal das Bild des Außerirdischen an. »Oder wie die Form ihrer Hörner.«

»Das war auch meine Schlussfolgerung«, bestätigte Thrawn. »Beachten Sie außerdem, dass die Messer in die andere Richtung zeigen müssen, zum Tischrand hin, damit die Farbstreifen zusammenpassen. Was sagt uns das?«

Ziara versuchte sich vorzustellen, wie eine dieser Kreaturen an einem Tisch saß und darauf wartete, dass man das Essen auftrug. »Messer sind bessere Waffen als Gabeln oder Löffel«, murmelte sie gedehnt. »Indem man die Messerspitze auf sich selbst richtet, zeigt man, dass man den anderen am Tisch nichts Böses will.«

»Sehr gut«, lobte Thrawn. »Aber sehen Sie, wenn man das Messer wendet, ist das Muster genau seitenverkehrt. Wenn man es so anordnet, würde die Spitze nicht vom Tisch fort, sondern zur Tischmitte zeigen. Wie erklären Sie sich das?«

Ziara lächelte. Ihre eigene Kultur gab die Antwort auf diese Frage. »Es deutet auf eine soziale oder politische ­Hierarchie hin«, sagte sie. »Je nachdem, ob man über oder unter den anderen Personen am Tisch steht, dreht man das Messer auf die eine oder die andere Seite.«

»Das war ebenfalls meine Vermutung«, nickte Thrawn. »Eine Sache noch. Beachten Sie die Länge dieser Löffel und Gabeln. Es scheint, als hätten diese Wesen ihre ­Speisen weit in den hinteren Teil ihres Rachens geschoben.«

»Das ist komisch«, murmelte Ziara. »Die Geschmacksrezeptoren der meisten Wesen befinden sich im vorderen Teil ihres Mundes, auf der Zunge oder dem jeweiligen Äquivalent.«

»Das ist das generelle biologische Strickmuster«, stimmte Thrawn zu. »Deswegen glaube ich, dass ihre Zähne ihre traditionelle Waffe waren. Ihr Mund hat sich so entwickelt, dass sie einen Feind beißen konnten, ohne sein Fleisch oder sein Blut zu schmecken.«

Ziara verzog das Gesicht. »Das ist widerlich.«

»Sicher«, erwiderte Thrawn. »Aber sollten wir ihnen je begegnen, hätten wir bereits eine Vorstellung von ihren Taktiken. Waffen wie Messer und Zähne deuten auf eine Vorliebe für den Nahkampf hin. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass der Einsatz von Fernkampfwaffen für ehrlos gehalten wird.«

»Nicht zu vergessen, dass sie eine starre Hierarchie haben, in der Gewalt eine allgegenwärtige, unterschwellige Bedrohung ist«, fügte Ziara mit einem Nicken hinzu. »Interessant. Wohin jetzt?«

»Sie möchten noch mehr sehen?« Thrawn zog unmerklich die Brauen zusammen.

Ziara zuckte mit den Achseln. »Jetzt, da wir schon so lange hier sind, können wir auch den Rest des Abends bleiben.«

Es dauerte nicht lange, bis sie diese Worte bereute. Thrawn führte sie von Vitrine zu Vitrine, und als sie eine Stunde später schließlich eine Auszeit einforderte, war ihr ganz schwindelig vor Namen und Bildern und taktischen Rückschlüssen. »Das ist ja alles wirklich sehr interessant«, sagte sie, »aber reine Theorie. Bei den Spezies, die wir kennen, hätten Sie einfach die Geschichtsbücher wälzen und Ihre Analyse an die Fakten anpassen können.«

»Ich sagte doch bereits, dass ich das nicht getan habe.«

»Nun, vielleicht haben Sie irgendwann einmal etwas gelesen, als Sie noch jünger waren, und dann haben Sie ganz vergessen, dass Sie es wussten«, überlegte Ziara. »Mir ist so was auch schon passiert. Und bei den Spezies, über die wir nichts wissen, werden wir vermutlich nie herausfinden, wie richtig oder falsch Sie mit Ihren Vermutungen liegen.«

»Ich verstehe«, sagte Thrawn, plötzlich mit kühler Stimme. »Ich … ich dachte, Sie würden das vielleicht interessant finden. Entschuldigen Sie, falls ich Ihre Zeit verschwendet habe.«

»Das habe ich nicht gesagt«, protestierte Ziara, und während sie ihn noch musterte, kam ihr eine Idee. »Ich bin einfach nur praktisch veranlagt, und wenn ich eine neue Theorie höre, stelle ich sie gern auf die Probe.«

»Sollen wir die Aszendenz bitten, einer dieser Spezies den Krieg zu erklären?«

»Ich hatte etwas weniger Aufwendiges im Sinn«, erwiderte sie. »Kommen Sie.«

»Wohin gehen wir?«, fragte Thrawn, als sie sich Richtung Ausgang in Bewegung setzte.

»Zu meiner Unterkunft«, antwortete Ziara. »In meiner Freizeit fertige ich Drahtskulpturen an, um mich zu entspannen. Sie können sie studieren, dann werden wir ja sehen, wie exakt Sie meine persönlichen Strategien und Taktiken einzuschätzen in der Lage sind.«

Thrawn schwieg mehrere Schritte. »Glauben Sie, dass wir beide eines Tages im Krieg miteinander stehen werden?«

»Ja, und zwar früher, als Sie glauben«, sagte Ziara mit einem Lächeln. »Denn sobald Sie fertig sind, werden wir runter ins Dojo gehen und ein paar Runden sparren.«

»Ich verstehe«, erwiderte Thrawn. »Faustkampf oder mit Stöcken?«

Ziara ließ ihn entscheiden. Er wählte die Stöcke.

»Also gut«, sagte sie, nachdem sie ein paar tänzelnde Schritte auf der Matte gemacht und die beiden kurzen Übungsstöcke durch die Luft gewirbelt hatte, um ihre Handgelenke zu lockern. Der leichte Gesichts- und Brustschutz schränkte sie nicht in ihrer Bewegungsfreiheit ein, und die Stöcke fühlten sich trotz des weichen Überzugs hart in ihren Händen an. Gewicht und Schwerpunkt waren identisch mit echten Kampfstöcken. »Sollten Sie irgendwo Aufzeichnungen meiner Turnierkämpfe gesehen haben, sagen Sie es lieber gleich, bevor ich Sie einen Betrüger nenne.«

»Ich habe Sie nie kämpfen gesehen«, versicherte Thrawn ihr. »Sie entscheiden, wann wir beginnen.«

»Danke«, sagte Ziara. »Und da war ihr erster … Fehler !« Das letzte Wort verwandelte sich in einen Schrei, als sie vorsprang. Eine schnelle Kopf-Rippen-Kopf-Kombination sollte den Kampf beenden, bevor er sein Gesicht verlor.

Doch Thrawn blockte alle drei Attacken. Seine Stöcke waren genau im richtigen Moment an genau der richtigen Stelle. Ihre nächste Rippen-Kopf-Ellbogen-Rippen-Kombination kam auch nicht durch. Und ebenso wenig ihre Finte-Finte-Hüfte-Rippen-Finte-Magen-Kombination.

Sie presste die Lippen zusammen und machte einen Schritt zurück, um sich zu sammeln. Es war offensichtlich, dass er nur Anfängerglück hatte, trotzdem wurde es allmählich ärgerlich. Vor allem, da er einfach nur dastand, während er ihre Angriffe abblockte, und selbst keinerlei Anstalten machte, in die Offensive zu gehen. Es war Zeit, den Druck ein wenig zu erhöhen; sie würde ihn zu einem Gegenangriff zwingen – oder zumindest dazu, seine verfluchten Füße zu bewegen. Kurz entschlossen sprang sie wieder vor und holte zu einem angetäuschten Hieb gegen seine Rippen aus …

Nur hörte er diesmal nach der ersten Finte plötzlich auf, passiv dazustehen. Er schnellte durch die Lücke in ihrer Verteidigung und schlug ihren anderen Arm zur Seite, dann wirbelte er einmal um die eigene Achse … und tippte mit der Spitze seines Stocks sachte gegen ihren Kopfschutz. Noch während sie versuchte, ihre eigenen Stöcke wieder zurückzuziehen, machte er einen schnellen Schritt nach hinten, und schon war er wieder außer Reichweite.

Sie setzte ihm nach und versuchte, ihn zu treffen, bevor er sich wieder sammeln konnte. Aber er war schneller und parierte ihren Doppelangriff.

Ziara zog sich zurück, um ein paarmal keuchend durchzuatmen. Thrawn blieb, wo er war.

Es war offensichtlich, dass ihre bevorzugten Kampftechniken bei ihm nicht wirkten. Aber nur weil sie diese Tak­tiken mochte, hieß das nicht, dass man ihr nicht auch andere beigebracht hatte. Zeit für ein wenig Abwechslung.

Anstatt es mit einer neuen Fintenkombination zu versuchen, kam sie diesmal direkt auf ihn zu und stieß mit beiden Stöcken zu, einen auf Thrawns Brust gerichtet, den anderen auf seinen Kopf. Er blockte einen Stock, aber der andere stieß mit einem befriedigenden Knall gegen seinen Brustschutz. Ziara wirbelte vor, bereit, einen zweiten Treffer folgen zu lassen.

Einmal mehr war Thrawn schneller; er wich flink außer Reichweite zurück. Ziara machte einen weiteren Schritt nach vorne und schlug noch einmal zu und noch einmal, und jedes Mal durchstieß einer ihrer Stöcke seine Abwehr. Noch einmal, entschied sie, dann würde sie ihren kleinen Kampf beenden. Sie sprang vor …

Und fand sich in einem Wirbel von Stockhieben wieder, als Thrawn in die Offensive ging.

Jetzt war sie es, die zurückweichen musste, und sie fluchte leise, während sie Hieb um Hieb blockte. Sie suchte nach einer Möglichkeit für einen Konter, aber er gab ihr keine Chance. Die Textur der Matte unter ihren Füßen änderte sich, und sie erkannte, dass sie sich dem Rand näherte.

Thrawn sah es ebenfalls. Er hielt inne, damit sie sich fangen konnte, bevor sie gegen die Wand prallte.

Ein weiterer Fehler. Die Pause war lange genug, um sie wieder die Initiative ergreifen zu lassen, und sie beharkte ihn mit einer Serie von Schlägen. Thrawn ging wieder in die Defensive, aber zu ihrer endlosen Frustration wehrte er einmal mehr sämtliche Hiebe und Stöße ab.

Ziara unterbrach ihren Angriff, und einen langen Moment standen sie sich reglos gegenüber. Bevor er sein Gesicht verliert , hallte der Gedanke von vorhin durch ihren Kopf. Von wegen! »Würde es Sinn ergeben weiterzukämpfen?«, fragte sie.

Thrawn zuckte mit den Schultern. »Ihre Entscheidung.«

Kurz drängten sie Stolz und Entschlossenheit weiterzumachen, aber letztlich gewann die Logik die Oberhand. »Wie haben Sie das gemacht?«, fragte sie, während sie ihre Stöcke senkte und zu ihm hinüberging.

»Ihre Skulpturen lassen auf einen Hang zu weitflächigen Kombinationen schließen«, erklärte Thrawn. Er senkte die Stöcke ebenfalls. »Insbesondere drei- oder vierstufige Muster. Ihre bevorzugten Motive – Wüsten­­löwen, Dragonellen und Raubvögel – zeichnen sich durch kurze Angriffe, Täuschungsmanöver und aggressives Vorgehen aus. Die Lücken und freien Flächen in Ihren Werken lassen Rückschlüsse darauf zu, wie Sie Finten in Ihre Kombinationen einfügen, und der kantige Stil verriet mir, dass ich Sie mit einem wirbelnden Angriff genug aus dem Konzept bringen könnte, um Ihre Reaktion zu verlangsamen.«

Ja, das war seine erste erfolgreiche Attacke gewesen, erinnerte sie sich. »Interessant.«

»Aber was danach folgte, war ebenso lehrreich«, fuhr Thrawn fort. Er zog die Augenbrauen hoch – eine Einladung an sie, den Faden aufzunehmen.

Ziara spürte eine Woge der Verärgerung in sich hochsteigen. Sie war hier die Seniorkadettin, nicht er. Falls hier jemand Taktiken analysieren und Schlüsse ziehen sollte, dann sie, nicht er.

Aber einen Moment später wurde ihr bewusst, wie dumm dieser Gedanke war. Nur ein Narr glaubte, dass er nichts mehr lernen konnte. »Ich erkannte, dass Sie mein Angriffsmuster durchschaut haben, also änderte ich meine Taktik«, sagte sie. »Und es funktionierte, zumindest während der ersten Attacken. Aber als Sie zur Offensive übergingen, konnte ich keinen Treffer mehr landen.«

»Wissen Sie, warum?«

Sie zog die Brauen zusammen und ließ den Kampf noch einmal Revue passieren. »Ich fiel in meine alten Muster zurück«, erkannte sie mit einem trockenen Lächeln. »Die Muster, auf die Sie sich bereits eingestellt hatten.«

»Exakt.« Thrawn erwiderte ihr Lächeln. »Wenn wir plötzlich unter Druck geraten oder unsicher sind, flüchten wir uns oft in das Bekannte und Tröstliche.«

»M-hm«, machte Ziara, während sie ihn musterte. Er war in Reichweite ihrer Stöcke, und sie hatte nie ausdrücklich gesagt, dass der Kampf vorbei war …

Doch der Augenblick der Versuchung ging vorbei. Es wäre einfach nicht fair, ihn so zu übertölpeln. Thrawn hatte sich ehrenvoll verhalten, also würde sie das Gleiche tun.

»Die Mühe, die Sie in Ihre Skulpturen gesteckt haben, hat mir außerdem gezeigt, dass Sie zu viel Ehre haben, um schmutzige Tricks gegen einen Sparringpartner einzusetzen«, fügte Thrawn an.

Ihre Wangen wurden heiß. »Sind Sie da sicher?«

»Ja.«

Einen Moment lang kehrte die Versuchung zurück, doch letztlich wirbelte Ziara auf dem Absatz herum und stapfte über die Matte davon, um die Stöcke zurück an die Wand zu hängen. »Na schön«, sagte sie über die Schulter, während sie den Körperschutz abnahm. »Ich bin beeindruckt. Und Sie glauben wirklich, Sie können Kultur und Taktik fremder Spezies auf dieselbe Weise analysieren?«

»Allerdings«, erklärte Thrawn. »Ich hoffe, eines Tages habe ich die Chance, es Ihnen zu beweisen.«