Qilori hatte nicht erwartet – und erst recht nicht gehofft –, dass der Chiss namens Thrawn je wieder den Himmel über ihm verdunkeln würde. Doch hier war er nun, in der Gildenstation 447, und er fragte ganz gezielt nach Qilori von Uandualon.
Nur war Thrawn jetzt Senior-Captain. Qilori wusste nicht viel über die militärischen Ränge der Chiss oder wie schnell man darin aufsteigen konnte, aber er hatte das sichere Gefühl, dass Thrawn jünger war als die meisten anderen Chiss, die diesen Titel erlangt hatten.
Nun, nach dem, was vor ein paar Jahren bei Kinoss geschehen war, sollte er vermutlich nicht überrascht sein.
»Es ist schön, Sie wiederzusehen, Qilori von Uandualon«, sagte Thrawn, als Qilori auf die Brücke seines Schiffes geführt wurde.
»Danke«, sagte er, während er sich umblickte. Er war noch nie an Bord eines Chiss-Schlachtschiffes gewesen, und der Unterschied zu ihren typischen Frachtern und diplomatischen Kreuzern war wie der Unterschied zwischen süß und sauer. Waffenkontrollen, Verteidigungskonsolen, Statustafeln, zahlreiche Bildschirme, ein ganzes Kontingent an schwarz uniformierten Blauhäuten …
»Sind Sie mit dem Rapacc-System vertraut?«, wollte Thrawn wissen.
Qiloris Kopf zuckte hoch, und er musste sich zusammenreißen, um seine Wangenlappen still zu halten. Rapacc. Das war einer der Orte, die Yiv der Wohlwollende belagerte, oder?
Ja … er war ganz sicher. Qilori hatte keine Ahnung, welche Pläne Yiv mit diesem System hatte; vielleicht wollte er es vollständig annektieren, vielleicht wollte er die Paccosh auch nur zu Vasallen machen. Aber so oder so, die Nikardun waren dort.
Was im Namen der Großen Präsenz könnte Thrawn auf Rapacc wollen?
»Pfadfinder?«, sagte Thrawn.
Erst jetzt fiel Qilori wieder ein, dass man ihm eine Frage gestellt hatte. »Ja, ich kenne das System«, brummte er, wobei er versuchte, seine Wangenlappen ruhig zu halten. »Aber es ist schwer, dorthin zu gelangen, und es gibt nichts in dem System, was die Reise wert wäre.«
»Ich glaube, da irren Sie sich«, erwiderte Thrawn. »In jedem Fall ist das unser Ziel.« Er deutete auf die Navigationskonsole. »Wann immer Sie bereit sind.«
Es gab nichts, was Qilori tun konnte. Zum einen waren da die Gildenregeln, zum anderen konnte er Thrawn ja wohl kaum erzählen, dass die Nikardun jeden ungebetenen Besucher brutal angreifen würden, egal, ob es nun ein Chiss-Schlachtschiff war oder nicht. Eine solche Warnung würde nämlich allerlei Fragen aufwerfen, zum Beispiel, warum Qilori so viel über Yiv und die Nikardun wusste oder woher er es wusste.
Also würde er die Chiss nach Rapacc bringen. Und er würde zur großen Präsenz beten, dass die Nikardun sich die Zeit nehmen würden, einen wertvollen und vollkommen unschuldigen Pfadfinder aus dem Wrack zu retten, bevor sie die vollständige Zerstörung des Schiffes befahlen.
Und je früher er mit dem Beten anfing, desto besser.
Stille herrschte auf der Brücke, als Samakro durch die Tür trat. Die einzigen besetzten Stationen waren die des Steuermanns, des Waffenoffiziers und des Verteidigungsoffiziers – und dann waren da natürlich noch der Navigator und die beiden mit Charrics bewaffneten Wachen neben dem Eingang, die ihn genau beobachteten.
Mid-Commander Elod’al’vumic saß auf dem Kommandosessel und trommelte ebenso rastlos wie lautlos mit den Fingerspitzen auf der Armlehne, während sie durch das Aussichtsfenster zum wirbelnden Blau des Hyperraums hinausstarrte. »Mid-Captain«, grüßte sie ihn.
»Mid-Commander«, erwiderte Samakro. »Gibt es irgendetwas zu vermelden?«
»Der Pfadfinder ist vor einer Stunde aus seiner Trance aufgewacht, dann hat er eine zehnminütige Pause gemacht und anschließend wieder sein Headset aufgesetzt«, berichtete Dalvu. »Er meinte, wir sollten Rapacc in drei Stunden erreichen. Während wir im Normalraum waren, haben wir einen Umgebungsscan durchgeführt, und es sieht aus, als wären wir an der richtigen Position.«
»Ich nehme an, Sie haben das alles dem Captain gemeldet?«
Dalvus Schultern zuckten leicht. »Ich habe ihm eine Nachricht geschickt. Ob er sie zur Kenntnis genommen hat, müssen Sie ihn selbst fragen.«
Samakros Augen wurden schmal. Es war ein respektloser Kommentar, aber nicht respektlos genug, um eine offizielle Rüge zu rechtfertigen.
Er kannte Dalvu gut genug, um zu wissen, dass sie solch eine Haltung nicht von sich aus entwickeln würde – und erst recht würde sie sie nicht laut aussprechen. Offenbar hatte Kharill seine Unzufriedenheit über die neue Kommandostruktur mit den anderen Offizieren geteilt. »Ich bin sicher, Captain Thrawn wird sich über die Situation auf dem Laufenden halten«, sagte er. »Warten Sie noch eine Stunde, dann beginnen Sie, die Springhawk in Kampfbereitschaft zu versetzen. Wenn wir unser Ziel erreichen, müssen wir in voller …«
»Kampfbereitschaft?«, unterbrach ihn Dalvu. Ihre Augen wurden groß. »Das ist ein Kampfeinsatz?«
»Ich will volle Bereitschaft, dreißig Minuten bevor wir Rapacc erreichen«, sagte Samakro.
»Für einen Kampf ?«
»Vermutlich«, erwiderte er. »Welchen anderen Grund hätten wir wohl, nach Rapacc zurückzukehren?«
Dalvus verzog die Lippen auf eine Weise, die beinahe – beinahe – verächtlich wirkte. »Ich war davon ausgegangen, dass Captain Thrawn etwas vergessen hätte und wir nur zurückfliegen, um es zu holen.«
Samakro zählte bis fünf, während er wortlos zu ihr hinabstarrte. Bei zwei war ihr Lächeln verschwunden, und als er bei fünf angelangt war, rutschte sie unbehaglich auf ihrem Sessel hin und her.
»Ich schlage vor, Sie behalten Ihre persönlichen Gedanken über den Captain für sich«, sagte er leise. »Es steht Ihnen nicht zu, an seinen Fähigkeiten zu zweifeln oder an seiner Autorität, dieses Schiff zu befehligen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt, Mid-Commander?«
»Ja, Sir«, sagte Dalvu kleinlaut. »Aber … haben wir überhaupt die Erlaubnis, gegen diese Leute zu kämpfen?«
»Wir brauchen keine Erlaubnis, um uns zu verteidigen«, erinnerte Samakro sie. »Und nach der Reaktion der Blockadeschiffe auf unseren letzten Anflug gehe ich fest davon aus, dass wir uns werden verteidigen müssen.«
»Ja, Sir«, murmelte sie mit gesenktem Blick.
Samakro presste die Lippen zusammen, aber seine Wut über Dalvu war längst verraucht. Sie hatte recht. Während ihres letzten Besuches in diesem System waren sie unversehrt geblieben, aber da hatten sich auch einen Nightdragon-Kreuzer im Rücken gehabt. Diesmal waren sie auf sich allein gestellt. »Sie waren während Thrawns ursprünglichem Kommando auf der Springhawk noch nicht hier, oder?«
»Nein, Sir«, antwortete Dalvu. »Aber ich habe Geschichten über seinen … Wagemut gehört.«
»Solche Geschichten sind immer mit Vorsicht zu genießen«, riet Samakro ihr. »Nur weil Thrawn nicht erst der gesamten Mannschaft seine Taktik erklärt, heißt das nicht, dass er blind drauflosschlägt. Er hat einen Plan, vertrauen Sie mir.«
Er atmete tief ein und blickte durch das Aussichtsfenster. »Und ich bin überzeugt, dass er funktionieren wird.«
Es war Zeit.
Der schimmernde Umriss der Großen Präsenz ragte vor Qiloris nichts sehenden Augen auf. Das pulsierende Grummeln hallte in seinen nichts hörenden Ohren wider. Er griff blind nach den Hyperraumkontrollen zu seiner Rechten, löste die Sicherung und schloss seine Finger um den Regler. Anschließend wartete er, bis die Präsenz sein gesamtes Blickfeld ausfüllte. Dann schob er den Regler sachte nach vorne. Er ließ sich Zeit, wollte das Gefühl ein letztes Mal auskosten, bevor er sein die Sinne blockierendes Headset abnahm.
Die Große Präsenz verschwand, und das leise Summen von Chiss-Stimmen drang an seine Ohren. Er blinzelte, während sich seine Augen an die gedämpfte Brückenbeleuchtung gewöhnten, dann spähte er durch das Aussichtsfenster.
Sie waren da.
Unauffällig blickte er sich um. Alle Stationen waren besetzt, aber keiner der Chiss schien ihn zu beobachten. Also griff er mit einer verstohlenen Bewegung in eine der kleinen Taschen, die in seine Schärpe eingenäht waren, und aktivierte sein Komm. Er hatte seine drei ersten Pausen während des Fluges damit verbracht, eine Nachricht für die Nikardun-Schiffe aufzunehmen, und während der letzten Pause hatte er sich in den Kurzstreckentransmitter des Schiffes eingeklinkt und seine Botschaft gesendet.
Ein scharfer Ruf von der Sensorstation schnitt durch das Stimmengesumme. Qiloris Blick huschte zu den Bildschirmen hoch, und seine Wangenlappen flatterten, als er das taktische Display entdeckte.
Drei Schiffe hatten Kurs auf die Springhawk genommen: eines von Steuerbord, die beiden anderen von hinten. Die Beschriftungen auf dem Display waren unleserliche Cheunh-Symbole, trotzdem wusste er sofort, dass es Nikardun-Schiffe sein mussten.
Seine Wangenlappen zuckten stärker. Falls die Angreifer seine Nachricht aufgeschnappt hatten – und der Kommandant der Blockade einen Navigator für wichtig genug hielt, um sein Leben zu verschonen –, dann würden sie ihre Beute vielleicht nicht zerstören, aber Qilori war sicher, dass man sie trotzdem vollkommen flugunfähig schießen würde.
Und falls der Kommandant kein so großes Herz hatte? Nun, dann hatte Qilori seinen letzten Sternenaufgang gesehen.
Das Deck erzitterte, und Qilori klammerte sich an der Konsole fest. Er erwartete, das Aufblitzen von Laserfeuer oder den Feuerball einer Raketenexplosion zu sehen, aber vor dem Aussichtsfenster blieb alles dunkel. Verwirrt blickte er zum taktischen Display hoch.
Seine Muskeln spannten sich an. Was das Schiff durchgeschüttelt hatte, war kein nikardunischer Angriff gewesen; stattdessen hatte sich ein Shuttle von der Flanke der Springhawk gelöst. Noch während Qilori zum Schirm hochstarrte, raste es mit maximaler Beschleunigung ins Systeminnere los, auf den fernen Planeten Rapacc zu.
Er biss die Zähne zusammen. Falls Thrawn hoffte, die Personen an Bord dieses Shuttles könnten entkommen, erwartete ihn eine unangenehme Erfahrung. Die beiden Verfolger hinter ihnen drehten ab und beschleunigten, um dem Shuttle nachzusetzen. Qilori konnte die Texteinblendungen neben den Geschwindigkeits-/Abfangkurven nicht lesen, aber falls er die Diagramme richtig interpretierte, würden die Schiffe ihr Ziel einholen, lange bevor es Rapacc oder auch nur die relative Sicherheit des Asteroiden-Clusters erreichte. Ja, sie würden es einholen und es mit einer Lasersalve atomisieren. Oder es mit einem Traktorstrahl erfassen und die Besatzung gefangen nehmen.
Auf dem taktischen Display sah er, dass sich die Springhawk vom inneren System und dem flüchtenden Shuttle fortdrehte. Zweifelsohne versuchten sie, das Trümmerfeld des Systems zu verlassen und in den Hyperraum zu springen, sobald sie freien Raum erreicht hatten. Doch Qilori sah auch, dass der dritte Verfolger ihrem Manöver folgte. Er würde in Schussweite sein, lange bevor sie entkommen konnten.
Er zog die Brauen zusammen. Der dritte Verfolger … Drei Nikardun-Schiffe hatten am Rückfallpunkt der Springhawk gewartet, bereit, sich auf jeden Eindringling zu stürzen.
War es einfach nur Pech, dass Thrawn sich für diesen Punkt entschieden hatte? Von einer Handvoll möglicher Anflugvektoren hatte er ausgerechnet den gewählt, der ihn direkt vor die Kanonen seiner Feinde führte.
Vielleicht wusste er einfach nicht genug über das System.
Aber in dem Fall wäre er doch schon viel weiter draußen aus dem Hyperraum gesprungen, um sich ein Bild von der Situation zu machen, bevor er näher heranflog, oder? Dann hätte zumindest sein Shuttle eine Chance gehabt zu entkommen, bevor es zerstört wurde.
Ein Gefühl wie tausend Insektenbeine lief über seinen Rücken. Nein, so kurzsichtig konnte Thrawn nicht sein. Nicht der Thrawn, dessen Kampftaktiken Qilori einst aus nächster Nähe beobachtet hatte – ein Tag, den er heute noch verfluchte.
Damit blieb eigentlich nur noch eine Erklärung: Thrawn würde an diesem Punkt auftauchen, weil er es wollte . Er wollte , dass die Nikardun ihn angriffen.
Qilori blickte zwischen den Displays hin und her und versuchte, die Situation zu begreifen. Waren sie womöglich nur hier, um den Feind abzulenken, damit der eigentliche Eindringling ungehindert ins Rapacc-System schlüpfen konnte? War irgendjemand dort draußen, der jetzt, in diesem Moment, auf die Asteroidenfelder zuflog, ganz heimlich und verstohlen, während die Nikardun auf die Springhawk und ihren Shuttle konzentriert waren?
Aber nichts auf den Displays deutete auf eine solche Möglichkeit hin. Sicher hätten die Chiss ihre eigenen Schiffe auf den Anzeigen markiert, selbst wenn sie getarnt und für die Nikardun unsichtbar wären. Aber er konnte keine anderen Schiffe erkennen, keine anderen Vektoren, keine Anzeichen irgendeiner anderen Präsenz im System.
Das Patrouillenschiff hinter ihnen beschleunigte abrupt, und Qilori beobachtete nervös, wie es bis auf Feuerreichweite herankam …
Die Springhawk vollzog eine scharfe Wende, fort von ihrem Verfolger, als wäre Thrawn das andere Schiff gerade erst aufgefallen. Die Nikardun eröffneten das Feuer mit ihren Spektrallasern, und ein großes Trümmerstück löste sich von der Flanke der Springhawk . Erneut änderten die Chiss ihren Kurs, diesmal aber nur um ein paar Grad – eine Bewegung, die ihre Feinde sofort imitierten.
Und in diesem Augenblick erkannte Qilori, was gespielt wurde. Das Objekt, das hinter der Springhawk davontrudelte, war kein Trümmerstück, das durch die Salve des Patrouillenschiffes abgebrochen war. Nein, es war ein weiterer Shuttle.
Und die Nikardun, die mit Maximalgeschwindigkeit hinter der Springhawk herjagten, würden geradewegs hineinrasen.
Qilori sah den Shuttle schon durch die überdimensionierten Brückenfenster bersten. Aber die Besatzung entdeckte das Hindernis gerade noch rechtzeitig, um das Steuer herumzureißen.
Leider war das Schiff zu schnell und zu träge. Der Shuttle traf zwar nicht die Brücke, aber er donnerte gegen den Waffenflügel auf der Backbordseite und zerfetzte eine ganze Reihe von Laserbatterien und Abschussrohren. Das Schiff begann, sich unkontrolliert um die eigene Längsachse zu drehen.
Eine Sekunde später konnte Qilori das Schauspiel sogar mit eigenen Augen beobachten, denn die Springhawk legte sich in eine scharfe Kehrtwende. Während er sich noch an seinen Armlehnen festkrallte und gegen das Schwindelgefühl ankämpfte, kam das Nikardun-Schiff vor dem Aussichtsfenster in Sicht, dann blitzte Laserfeuer auf, und das feurig gelbe Glühen der Triebwerksdüsen verblasste, als die beschädigten Triebwerke des Patrouillenschiffes den Geist aufgaben. Qilori hielt den Atem an und wartete auf die nächste Salve, die ihren hilflosen Feind in Staub verwandeln würde.
Doch es gab keine zweite Salve. Stattdessen bremste die Springhawk ab und wartete, während das Vorwärtsmoment der Nikardun diese näher herantrug. Das Chiss-Schiff stieg höher, manövrierte sich direkt über die Sensorphalanx des Patrouillenschiffes, wo keines der verbliebenen Waffensysteme sie treffen konnte. Auf dem taktischen Display blinkten zwei grüne Strahlen, die die Schiffe miteinander verbanden: Traktorstrahlen. Und zwischen den Traktorstrahlprojektoren senkte sich der dunstige Kreis eines Neutralisatornetzes von der Springhawk auf die Angreifer – ein elektrisches Feld, das eine Hochspannungsladung durch die Schiffshülle jagte. Jetzt konnten die Nikardun nicht mal mehr die Selbstzerstörung aktivieren.
Anschließend drehte sich die Springhawk dem Hyperraum entgegen, und die letzten Teile des Puzzles fielen an ihren Platz …
Der fliehende Shuttle, unbemannt und computergesteuert, war wirklich ein Ablenkungsmanöver gewesen, wie Qilori nun klar wurde, aber er hatte nicht von einem anderen Chiss-Schiff ablenken sollen. Nein, die Springhawk war das einzige Schiff hier, und Thrawn hatte sie exakt zu diesem Punkt geführt, weil er wollte, dass die Nikardun sie verfolgten. Es war nie um Tod, Zerstörung, Infiltration oder darum gegangen, Yiv eine Botschaft zu schicken. Thrawn hatte einfach ein Nikardun-Schiff erbeuten wollen.
Und er hatte es geschafft.
»Pfadfinder?«, ertönte Thrawns ruhige Stimme direkt hinter ihm.
Qilori zuckte zusammen. »Ja, Captain?«, stammelte er.
»Wir werden ein nahes System anfliegen, um unsere Beute zu übergeben«, erklärte Thrawn so beifällig, als ginge es um Einkäufe vom Laden an der Ecke. »Danach kehren wir zu Station Vier-Vier-Sieben zurück. Brauchen Sie ein wenig Zeit, um sich zu erholen, bevor wir aufbrechen?«
»Nein, nicht nötig«, presste Qilori hervor. Thrawn klang nicht, als hätte er es eilig, diese Gegend zu verlassen, aber Qilori wollte möglichst schnell möglichst viel Raum zwischen sich und das Rapacc-System bringen.
»Gut«, sagte Thrawn. »Ich hoffe, Sie fanden dieses kleine Episode interessant.«
Es kostete Qilori große Anstrengung, die Wangenlappen anzulegen. »Ja, Captain«, murmelte er. »Sehr interessant sogar.«
Es war nicht einfach, ein Schiff für den persönlichen Gebrauch zu mieten, nicht mal für einen Pfadfinder. Aber Qilori war schon lange genug in Gildenstation Vier-Vier-Sieben, um ein paar Gefallen einfordern zu können. Nicht zu vergessen seine bunte Sammlung an belastendem Material über einzelne Gildenmitglieder in Schlüsselpositionen. So brauchte er nicht lange, um sich mit Bitten und Drohungen einen Transporter zu sichern, und schon war er unterwegs zum Primea-System, dem Herzstück des Vak-Kombinats.
Fünfunddreißig Stunden später erreichte er sein Ziel.
Primea war gerade dabei, von den Nikardun übernommen zu werden, was bedeutete, dass Yiv noch hier war, um die planetaren Oberhäupter von den Vorzügen der Nikardun-Dynastie zu überzeugen und seine Schlachtschiffe als stille Warnung über ihren Welten kreisen zu lassen, wenn sie den nötigen Enthusiasmus vermissen ließen. Qilori nannte der ersten Patrouille, die ihn aufhielt, seinen Namen und erklärte, dass er in dringender Mission hier war, und dann wiederholte er dasselbe bei der zweiten Patrouille und bei der dritten. Sechs Stunden nach seiner Ankunft führte man ihn schließlich in Yivs Thronsaal an Bord des Schlachtkreuzers Deathless .
»Ah, Qilori«, rief Yiv. Seine dröhnende Stimme hallte in der erdrückenden Stille des Thronsaals laut wider. Die rankenartigen Auswüchse der seltsamen Kreaturen, die er als Symbionten angenommen hatte, hingen wie lebende Schulterstücke über seine Schulter, und sein viergeteilter Kiefer öffnete sich einen Spaltbreit, was bei den Nikardun als Lächeln durchging. Qilori selbst erinnerte es aber eher an ein Raubtier, das im Begriff war, seine Beute zu verschlingen.
Zumindest war Yiv bei guter Stimmung, dachte er mit einem Hauch von Erleichterung. Die Gespräche mit den Vaks machten wohl Fortschritte. »Komm. Welche Neuigkeiten bringst du mir von den Lippen der Großen Präsenz?«
Qilori schnitt eine Grimasse, während er zwischen zwei Reihen von wachsamen nikardunischen Soldaten hindurchschritt und sich hinkniete. Yiv verspottete ihn, so wie er alle verspottete, die nicht einzig und allein an seine Göttlichkeit glaubten. Aber im Moment machte Qilori sich weniger Sorgen um den berühmten Egoismus des Wohlwollenden, sondern eher um sein berüchtigtes Temperament.
Er hatte Yiv noch nie schlechte Nachrichten überbracht, und er hatte keine Ahnung, welches Schicksal solche Boten erwartete.
»Ich habe Neuigkeiten von Rapacc, Euer Erhabenheit«, sagte Qilori. Sein Rücken zuckte unter den Blicken und Gewehrmündungen, die zweifelsohne auf ihn gerichtet waren. »Ich vermute, Ihr habt bereits gehört, dass eine Eurer Blockadefregatten entführt wurde. Ich bin hier, um Euch den Namen des Wesens zu nennen, das dafür verantwortlich ist.«
»Warst du der Navigator auf diesem Schiff?«
»Ja, Euer Erhabenheit. Der Kommandant hat speziell nach mir verlangt.«
Einen langen Moment schwieg Yiv. Qilori blieb auf seinen Knien reglos und versuchte, das Kribbeln seiner Haut zu ignorieren. »Steh auf, Pfadfinder«, sagte der Wohlwollende schließlich. »Steh auf und erzähl mir mehr.«
Eine zweite Welle der Erleichterung hob Qilori auf die Beine. Dann spürte er einen kurzen, heftigen Stoß an seiner Schulter, und er kippte wieder auf die Knie. »Die Chiss heuerten mich an …«
»Der Kommandant, Qilori.« Yivs Stimme war ebenso sanft wie tödlich. »Ich weiß bereits, dass es Chiss waren. Wie heißt der Kommandant?«
Qiloris Wangenlappen flatterten. »Thrawn. Senior-Captain Thrawn.«
»Seinen ganzen Namen.«
Die Wangenlappen verkrampften. »Ich … weiß nicht«, keuchte er. »Ich habe seinen ganzen Namen nicht gehört.«
»Und du hast dir nicht die Mühe gemacht, danach zu fragen?«
»Es tut mir leid.« Qilori wagte nicht, zum freundlichen, makellosen Gesicht seines Gegenübers hochzublicken, und hielt die Augen starr auf Yivs Füße gerichtet. Er würde hier sterben, dessen war er sich mit einem Mal sicher. Die Große Präsenz erwartete ihn.
Würde er absorbiert werden und für immer vergehen? Oder würde die Präsenz ihn für würdig befinden, die Strömungen des Hyperraums zu reiten und zukünftige Pfadfinder durch das Chaos zu führen?
Einen langen Moment herrschte völlige Stille. »Du wirst ihn suchen und finden«, erklärte Yiv dann. »Und dann wirst du seinen vollständigen Namen für mich herausfinden.«
»Natürlich, Euer Erhabenheit, selbstverständlich«, ereiferte sich Qilori. Hoffnung keimte in ihm auf, aber sie war von Furcht durchzogen. Gnade? Von Yiv dem Wohlwollenden?
Nein, natürlich nicht. Qilori war einfach nur ein Werkzeug, das noch von Nutzen sein konnte.
Fürs Erste.
»Kehre zu deiner Station zurück«, wies Yiv ihn an. »Lenke deine Schiffe. Mach deine Arbeit. Leb dein erbärmliches Leben. Und bring mir seinen Namen.«
»Das werde ich«, versprach Qilori. »Solange mein Herz schlägt, werde ich Euch immer dienen.«
»Richtig«, erwiderte Yiv, und ein Funke seines üblichen Humors schimmerte durch die Düsternis. »Solange es schlägt.«