ERINNERUNG VII

Thrawn schüttelte den Kopf. »Das ist inakzeptabel«, erklärte er. »Vollkommen inakzeptabel.«

Ziaras Jahre bei der Expansiven Verteidigungsflotte hatten sie gelehrt, Emotionen zu verbergen und sie nicht in ihrer Miene oder Haltung zu zeigen. Doch diesmal musste selbst sie sich zusammenreißen, um nicht das Gesicht zu verziehen. Ein Junior-Commander – ganz gleich, wie beeindruckend seine Leistungen auch sein mochten – hatte kein Recht, so mit einem ranghöheren Offizier zu sprechen. Es würde ihm ganz recht geschehen, falls Ba’kif ihn geradewegs zu Boden schleuderte.

Doch zum Glück für Thrawn verfügte der General über schier endlose Geduld. »Muss ich zitieren, was zum Thema Erstschläge in den Protokollen steht?«, fragte er mit ruhiger Stimme.

»Nein, Sir«, sagte Thrawn. Zumindest hatte er diesmal ein Sir angehängt, dachte Ziara. »Ich verstehe nur nicht, wie das auf diesen Fall zutreffen soll. Die Schiffe waren von lioaoischem Bautyp, sie benutzten lioaoische Dockanlagen, und sie verfolgten uns von der Hauptwelt des Regimes. Damit steht meiner Meinung nach außer Frage, dass die Piraten unter direkter Kontrolle oder zumindest unter der Aufsicht der Lioaoi stehen.«

»Das Regime hat jegliche Beteiligung kategorisch bestritten«, entgegnete Ba’kif.

»Das Regime lügt.«

»Vielleicht«, seufzte der General. »Aber das ist alles, was wir haben: Indizien und eine offizielle Leugnung.«

»Dann lassen wir sie ungeschoren weitermachen?«, fragte Thrawn.

»Was schlagen Sie denn vor?«, brummte Ba’kif. »Sollen wir die gesamte Kriegsflotte zu ihrer Hauptwelt schicken und jede Militär- und Regierungseinrichtung zerstören, die wir finden können?«

Kurz presste Thrawn die Lippen zusammen. »Dafür bräuchten wir nicht die ganze Flotte«, bemerkte er.

»Darum geht es hier nicht«, beharrte Ba’kif. »Lassen Sie es mich klarer ausdrücken. Würden Sie einem Volk schaden, es womöglich sogar zum Tode verurteilen, nur weil seine Regierung möglicherweise ein Verbrechen begangen haben könnte

»Was ist mit unserem Volk?«, konterte Thrawn. »Die Chiss haben ebenfalls materielle Schäden und persön­liche Verluste erlitten.«

»Und die Verantwortlichen wurden getötet oder bestraft.«

»Vielleicht diejenigen, die die Überfälle durchgeführt haben. Aber nicht die, die sie geschickt haben.«

»Wie gesagt, Sie haben keine Beweise.«

Thrawns Blick huschte zu Ziara. »Dann geben Sie mir die Gelegenheit, Beweise zu besorgen«, schlug er vor. »Lassen Sie mich das Regime als Händler oder Diplomat besuchen, und ich werde mir Zugang zu ihren Archiven verschaffen. Offizielle Befehle oder Daten über die Verteilung der Beute …«

»Genug«, schnappte Ba’kif. Nun war selbst er mit seiner Geduld am Ende. »Hören Sie zu, Commander, hören Sie gut zu. Die Aszendenz greift keine anderen Systeme an, es sei denn, wir haben Beweise, dass sie uns zuerst angegriffen haben. Wir unternehmen keine militärischen, diplomatischen, subversiven, geheimen oder psychologischen Schritte gegen Mächte, die nicht zuerst Schritte gegen uns unternommen haben. Ist das klar?«

»Jawohl, General.« Thrawns Stimme war ebenso steif wie seine Haltung.

»Gut«, brummte Ba’kif, dann atmete er tief durch. »Jetzt zu dem anderen Punkt, den ich mit Ihnen beiden besprechen wollte.« Er sah kurz zu Ziara herüber, bevor er wieder Thrawn anblickte. »Sie haben bei der Planung und Durchführung Ihrer Mission eine makellose Leistung erbracht, Junior-Commander Thrawn, und dafür befördere ich Sie hiermit zum Senior-Commander.«

Ein Schatten der Verwirrung huschte über Thrawns Miene. »Zwei Ränge, Sir?«

»Zwei Ränge.« Ba’kif nickte. »Ja, ich weiß. Aber Ihr ­Erfolg gegen die Piraten hat Sie zu einem Liebling des Volkes gemacht, und die Aszendenz würdigt ihre Helden. Außerdem sind Sie natürlich ein Mitth.«

Thrawns Mundwinkel schienen unmerklich nach unten zu wandern. »Ja. Danke, Sir.«

Ba’kif drehte den Kopf erneut zu Ziara herum. »Und Sie, Mid-Captain Ziara, sind hiermit ebenfalls befördert – zum Senior-Captain.«

»Ich danke Ihnen, Sir«, sagte sie, und sie hatte das Gefühl, als würde sich ihre Brust um ihr Herz zusammenzuziehen. Noch eine Beförderung, und sie würde den Rang eines Commodore erreichen.

Den Rang, bei dem sich alles änderte.

»Ich gratuliere Ihnen beiden«, fuhr Ba’kif fort. »Ihre neuen Abzeichen und Plaketten können Sie beim Quartiermeister abholen. Sie können gehen, Thrawn. Ziara, falls Sie noch einen Moment Zeit hätten.«

Er wartete schweigend, bis Thrawn das Büro verlassen hatte. »Ihre Einschätzung, Senior-Captain?«, fragte er dann mit einem Nicken in Richtung geschlossene Tür.

»Er ist brillant, Sir«, antwortete Ziara. »Ein ausgezeichneter Stratege und Taktiker.«

»Und sein politisches Verständnis.«

»Schlecht bis nicht existent.«

»Das sehe ich auch so«, sagte Ba’kif. »Er braucht eine ruhige Hand, die ihn führt und verhindert, dass er ständig die falschen Leute gegen sich aufbringt.«

Einmal mehr hatte Ziara Mühe, keine Grimasse zu schneiden. »Muss ich raten, Sir?«

»Wohl kaum.« Er setzte ein angespanntes Lächeln auf. »Ich werde Ihnen Thrawn als dritten Offizier zuweisen.« Er warf einen Blick auf seinen Questis. »Übrigens: Ab jetzt ist der Patrouillenkreuzer Parala Ihr Schiff.«

»Ich verstehe, Sir.« Ziara straffte die Schultern noch ein wenig weiter. Patrouillenkreuzer waren normalerweise außerhalb der Grenzen der Aszendenz unterwegs, um Informationen zu sammeln und potenzielle Bedrohungen im Auge zu behalten. Ein interessantes und heiß begehrtes Kommando. »Vielen Dank, Sir.«

»Sie haben es sich verdient«, winkte Ba’kif ab. »Ich weiß, Sie werden alles Nötige tun, um die Aszendenz zu schützen und zu verteidigen.« Er richtete sich in seinem Sessel auf. »Sie dürfen wegtreten, Senior-Captain. Viel Erfolg.«

Ziara hatte erwartet, dass Thrawn bereits fort wäre, doch stattdessen wartete er vor dem Büro des Generals auf sie. »Schwierigkeiten?«, fragte er.

»Nein. Ich bekomme das Kommando über die Parala , und Sie sind mein neuer dritter Offizier.«

Wieder ein kurzer Moment der Verwirrung. »Wirklich?«

»Wirklich«, sagte sie, während sie den Korridor hinabschritt. »Zum Quartiermeister geht es hier entlang.«

Er schloss schnell zu ihr auf. »Meinen Glückwunsch. Die Parala steht in dem Ruf, ein ausgezeichnetes Schiff zu sein.«

»Das habe ich auch gehört«, erwiderte Ziara. »Und ich beglückwünsche Sie ebenfalls. Auf einen Schlag um zwei Ränge befördert zu werden … So etwas geschieht nur höchst selten.«

»Das habe ich auch gehört«, murmelte Thrawn. Sein Tonfall klang abwesend. »Aber was einem gegeben wird, kann einem auch wieder genommen werden.«

Ziara beugte den Kopf vor, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Stimmt etwas nicht?«

Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, bevor er die Augen wieder nach vorne richtete. »Die Lioaoi haben sich nicht einfach aus Langeweile der Piraterie zugewandt«, sagte er. »Das Regime hat offensichtlich ernste finanzielle Schwierigkeiten.«

»Was schlagen Sie vor? Sollen wir für sie sammeln?«

Als er sie diesmal anblickte, konnte sie einen Hauch von Verärgerung auf seinen Zügen erkennen. »Sie werden nicht noch einmal versuchen, die Aszendenz zu überfallen«, erklärte er. »Aber das Problem bleibt bestehen, und sobald sie sich erholt und die zerstörten Schiffe ersetzt haben, werden sie Händlern aus anderen Systemen auflauern. Was geschieht mit diesen Systemen?«

Ziara zog die Schultern hoch. »Sie werden auf ihre eigene Weise mit den Lioaoi fertigwerden müssen.«

»Was, falls sie nicht stark genug dafür sind?«, beharrte Thrawn. »Sollen wir einfach nichts tun und zusehen, wie sie leiden?«

Ziara sah ihm direkt in die Augen. »Ja.«

Einen Moment lang kreuzten sich ihre Blicke, dann drehte Thrawn den Kopf weg. »Weil wir uns nicht in die Angelegenheiten anderer Völker einmischen.«

»Wäre es Ihnen lieber, die Aszendenz würde sich zum Wächter des gesamten Chaos aufschwingen?«, fragte Ziara. »Denn genau das ist der Pfad, auf den Sie uns führen würden. Wir würden einem System helfen, dann noch einem und noch einem, bis wir allein als Bollwerk gegen tausend verschiedene Aggressoren stehen würden. Halten Sie das wirklich für eine gute Strategie?«

»Nein, natürlich nicht«, erwiderte er. »Aber es muss einen Mittelweg geben.«

Ein paar Schritte herrschte Schweigen, bis Ziara schließlich sagte: »Falls es Ihnen hilft – ich weiß, was Sie meinen. Und sollten Sie eines Tages zum Oberhaupt der Aristokra und der Aszendenz aufsteigen, dann werde ich Ihnen helfen, eine Lösung zu finden.«

Thrawn stieß leise den Atem aus. »Es gibt keinen Grund, sarkastisch zu werden.«

»Wer sagt, dass das Sarkasmus war?«, entgegnete sie. »Die Mitth sind eine wichtige Familie, und wie General Ba’kif sagte: Sie sind ein Liebling des Volkes. Aber im Moment schreiben die Protokolle der Aszendenz nun einmal strikte Nichteinmischung vor. Und bis sich das ändert, müssen wir unsere Befehle akzeptieren und unsere Pflicht erfüllen.« Sie griff nach seinem Arm, und als er stehen blieb, sah sie ihm fest in die Augen. »Nicht mehr und nicht weniger, verstehen Sie?«

Ein schmales Lächeln zupfte an seinen Lippen. »Natürlich, Senior-Captain Ziara.«

»Und zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber, dass der Einfluss Ihrer Familie etwas mit Ihrer Beförderung zu tun haben könnte«, fügte sie an. »Versuchen Sie gar nicht, es zu leugnen. Ich habe es in Ihrem Gesicht gesehen. Die Beziehungen der Mitth haben sicher nicht geschadet, aber der Rat beschließt so etwas nicht, nur weil ein paar Syndics dafür eintreten. Andernfalls hätte man mich nämlich um drei Ränge befördert.«

»Und Sie hätten es verdient«, sagte Thrawn.

Sie lächelte, aber dann erkannte sie, dass er es ernst meinte. »Wohl kaum.«

»Da muss ich widersprechen.« Thrawn schien kurz zu überlegen. »Natürlich respektvoll «, schob er nach. »Ich bin sicher, Sie werden es zum Admiral bringen. Der Rat hätte Sie gleich befördern und sich die Zeit sparen können.«

»Ich weiß Ihre Zuversicht zu schätzen«, sagte Ziara, bevor sie sich abwandte und weiterging. »Aber mir ist der lange, langsamere Weg lieber.«

Admiral. Ja, an den Titel könnte sie sich gewöhnen. Vorausgesetzt natürlich, sie war wirklich so gut, wie Thrawn zu glauben schien.

Und vorausgesetzt, dass er als ihr dritter Offizier nichts tat, was ihre Karriere zerstören würde.