13

Thalias hatte von Anfang an geahnt, dass Thrawns Plan zum Scheitern verdammt war. Ihre blaue Haut stand in krassem Kontrast zu der bernsteingelben Haut und dem schwarzen Stoppelhaar der einheimischen Bevölkerung, ganz zu schweigen von dem Kontrast zwischen rot glühenden Chiss-Augen und den mattbraunen Augen der Vaks. Die Kapuzenmäntel, die viele der Leute hier trugen, konnten zwar einen Teil dieser Unterschiede verbergen, aber Thalias machte sich keine Illusionen; auf lange Sicht würde sie das nicht retten. Das hatte sie auch Thrawn gesagt. Wie viele der Einheimischen würden schon die Kapuze über das Gesicht ziehen, anstatt es von Sonne und Wind küssen zu lassen?

Wie sich herausstellte, lautete die Antwort: beinahe alle.

»Sie können von Glück reden, dass es heute regnet«, murmelte sie, während sie Thrawn über die Straße folgte. Der leichte Regen trommelte in beständigem Rhythmus auf ihre Kapuze und rann in kleinen Wasserfällen vor ihrem Gesicht herab.

»Glück hat nichts damit zu tun«, entgegnete er. »Bislang wurden wir immer in Fahrzeugen durch die Stadt gefahren, sodass Kapuzen unnötig waren. Aber mir ist aufgefallen, dass die Passanten sie fast immer über den Kopf ziehen, und das nicht nur zum Schutz gegen Regen, sondern auch gegen das Sonnenlicht.«

»Es wäre also nur gefährlich geworden, wenn es heute bewölkt wäre?«

Er lachte kurz. »Selbst dann wäre das Tragen der Kapuzen nicht so ungewöhnlich gewesen, dass es Aufmerksamkeit erregt hätte.«

Thalias spähte unter dem Rand ihrer Kapuze zu dem Restaurant hinüber, an dem sie gerade vorbeigingen. Die Vaks im Inneren hatten ihre Mäntel alle abgelegt. »Hier draußen mag es funktionieren«, sagte sie. »Aber wir können nicht ewig auf der Straße bleiben. Was, wenn wir ein Haus betreten müssen?«

»Lassen Sie es uns herausfinden?« Thrawn nahm sie am Arm und führte sie auf eine Tür mit einem verblassten Schild zu. »Hier herein.«

»Was ist das für ein Ort?«, fragte Thalias, den Blick auf das Schild gerichtet. Sie hatte versucht, während der letzten Tage die Grundzüge der Vak-Schrift zu lernen, aber sie war weit davon entfernt, ganze Sätze lesen zu können.

»Einer, an dem wir hoffentlich Antworten finden«, sagte Thrawn nur.

Einen Moment später hatte er bereits die Tür aufgezogen und sie hindurchgeschoben. Thalias senkte kurz den Kopf, damit das Wasser von ihrer Kapuze auf die Matte zu ihren Füßen tropfen konnte, dann blickte sie auf … und blinzelte.

Sie befanden sich in einer Kunstgalerie.

Thrawn war bereits ein paar Schritte weitergegangen, und die Rückseite seiner Kapuze bewegte sich rhythmisch, während er den Kopf von einer Seite auf die andere drehte und alles um ihn herum studierte. Thalias folgte ihm langsam, und ihre Blicke galten vor allem der Handvoll Vaks, die zwischen den Podesten und Staffeleien dahinschlenderten oder zu Gobelins und Gemälden an den Wänden hochstarrten. Ein paar von ihnen trugen Mäntel, aber alle hatten ihre Kapuzen zurückgeschlagen. Würde ihnen auffallen, dass sie und Thrawn ihre Kapuzen nicht abnahmen? Wichtiger noch, würde es sie misstrauisch stimmen?

Offenbar schon. Hinter ihnen stieß eine barsche Stimme einen Schwall unverständlicher Worte aus.

»Guten Tag«, sagte Thrawn in gelassenem Minnisiat, ohne sich umzudrehen. »Ich fürchte, ich verstehe Ihre Sprache nicht. Sprechen Sie meine?«

Thalias schnitte eine Grimasse. Die anderen Besucher starrten neugierig zu ihnen herüber. So viel zu ihrem Plan, unbemerkt zu bleiben.

»Ja«, antwortete die Stimme. »Ich spreche Minnisiat. Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?«

»Ich wollte mir die Kunst der Vaks ansehen, um ihre Kultur besser zu verstehen«, erklärte Thrawn. »Und was die Frage nach unserer Identität angeht?« Er schlug die Kapuze nach hinten und drehte sich herum. »Wir sind Freunde.«

Jemand stieß ein würgendes Geräusch aus. Zwei oder drei andere Besucher gaben erstaunt klingende Worte von sich, und Thalias hörte auch ein gewispertes Chiss .

»Die Vaks haben keine Freunde«, sagte derweil die Stimme hinter ihr. »Weder jetzt noch irgendwann zuvor.«

Thalias nahm nun ebenfalls ihre Kapuze ab und wandte sich dem Sprecher zu. Es war eine Vak – eine Frau, wie Thalias anhand ihrer lose sitzenden Tunika-Rock-Kombination schloss. Sie trug eine breite Schärpe vor der Brust, verziert mit zwei Reihen kunstvoll geschnitzter hölzerner Anstecker. Vermutlich wies das auf irgendeine offizielle Funktion hin. War sie womöglich die Kuratorin der Galerie?

»Das kann nicht stimmen«, erwiderte Thrawn. »Was ist mit Yiv dem Wohlwollenden? Er behauptet doch, ein Freund der Vaks zu sein?«

»Die Leute behaupten vieles«, sagte die Kuratorin. »Sie haben ebenfalls behauptet, Freunde zu sein. Und doch sehe ich keinen Beweis dafür.«

»Hat Yiv denn einen Beweis erbracht?«

»Warum fragen Sie das?«, konterte die Kuratorin. »Wollen Sie Zwietracht unter den Vaks säen?«

Thrawn schüttelte den Kopf. »Ich suche Informationen. Die Anführer des Vak-Kombinats scheinen von Yiv beeindruckt zu sein. Sie sehen seine Macht und halten die Nikardun für ehrenvoll und hoch angesehen. Sie glauben, sich mit ihnen zusammenzutun, würde ihnen den Respekt ihres Volkes einbringen.« Er hob die Hand. »Ich möchte lediglich wissen, ob die normalen Bürger auch so denken.«

»Was wissen Sie schon über die normalen Bürger?«, schnaubte die Kuratorin.

»Nicht viel«, gestand Thrawn. »Ich kann sehen, was in Ihrer Kunst zum Ausdruck kommt: dass die Vaks Einheit suchen, aber gleichzeitig das Individuum ehren. Eine gute Philosophie. Aber ich möchte verstehen, wie das die Leben der Vaks beeinflusst.«

»Dann suchen Sie anderswo nach Ihren Antworten«, sagte die Kuratorin. »Dies ist ein Ort der Meditation und Wertschätzung. Ich werde mich nicht mit Fremden in eine Diskussion über Dinge hineinziehen lassen, die nur uns Vaks angehen.«

»Ich verstehe, und ich beuge mich Ihren Wünschen.« Thrawn nahm Thalias am Arm. »Möge Ihre Zukunft voller Sonnenlicht und Frieden sein.«

Eine Minute später standen die beiden Chiss wieder im ­Regen. »Ich weiß nicht, was Sie da drin zu erreichen ver­suchten«, seufzte Thalias, »aber ich bezweifle, dass es geklappt hat.«

»Wie gesagt, ich wollte mehr über die Vaks erfahren«, erwiderte Thrawn. »Und sie daran erinnern, dass sie die Chiss nicht vergessen sollten, wenn sie über ihre zukünftige Beziehung zu den Nikardun entscheiden.«

Thalias schüttelte den Kopf. »Nicht dass das Syndicure je ­einen Finger krümmen würde, um ihnen zu helfen. Und wenn wir weiter so in der Stadt herumwandern, können wir Yiv ebenso gut selbst anrufen und ihm sagen, wo er uns finden kann.«

»Eine Reaktion ist jedenfalls wahrscheinlich«, nickte Thrawn. »Aber das könnte uns zum Vorteil gereichen. Falls die Nikardun bei ihrer Suche grob genug vorgehen, werden die Vaks sehen, dass ihre Präsenz auf Primea weniger mit Freundschaft und mehr mit Dominanz zu tun hat.«

»Nur falls ihre Anführer davon erfahren«, widersprach Thalias. »Ich bezweifle, dass die Besucher von Kunstgalerien großen Einfluss in der planetaren Politik genießen.«

Thrawn beugte sich unter seiner Kapuze vor und blickte sie verwirrt an. »Verstehen Sie nicht?«

»Was soll ich verstehen?«

Er richtete sich wieder auf und schwieg mehrere Schritte lang. »Ich habe der Kuratorin gesagt, dass die Vaks Einheit suchen und das Individuum ehren. Das stimmt auch. Das Problem ist nur, ihre Anführer haben es mit dieser Philosophie zu weit getrieben. Sie verbringen so viel Zeit damit, allen Argumenten zu lauschen – Gedankenketten, so nennen sie es, glaube ich –, dass sie nur sehr langsam, falls überhaupt, zu klaren Entscheidungen gelangen.«

»Sie können unmöglich alle Argumente meinen«, entgegnete Thalias. »Es muss doch Milliarden Vaks gehen. Sie können nicht alle gleich wichtig sein.«

»Doch, theoretisch sind sie das«, erklärte Thrawn. »In der Praxis muss die Zahl der berücksichtigten Stimmen natürlich eingeschränkt werden. Nichtsdestotrotz ist der Prozess der Entscheidungsfindung bei den Vaks länger als bei den meisten anderen Spezies. Dieses Zögern, wenn sie alle Meinungen einholen und abwägen? Es lässt ihre Anführer schwach erscheinen.«

»Dieses Problem werden sie nicht mehr lange haben, wenn die Nikardun erst das Kommando übernehmen«, murmelte Thalias grimmig. »Dann zählt nur noch eine Meinung, nämlich die von Yiv.«

»Korrekt«, stimmte Thrawn zu. »Wir werden versuchen, diese Botschaft noch ein paar weiteren Vaks zu vermitteln, bevor Yiv oder der einheimische Sicherheitsdienst herausfindet, dass wir hier sind. Danach – oder vielleicht schon davor, sollte es nötig werden – ziehen wir uns in das Versteck zurück, das ich vor zwei Tagen eingerichtet habe. Und dann warten wir auf Admiral Ar’alani.«

»Ich hoffe, es ist ein netter, ruhiger Ort weit entfernt vom Raumhafen«, sagte Thalias. »Yivs erster Verdacht dürfte sein, dass wir dorthin wollen, um ein Schiff zu stehlen.«

»Das sehe ich auch so.«

»Also, wohin gehen wir?«

Thrawn beugte sich vor und bedachte sie unter den Schatten seiner Kapuze mit einem schmalen Lächeln. »Zum Raumhafen«, antwortete er. »Um ein Schiff zu stehlen.«

Thalias hatte erwartet, dass sie sich verstohlen zwischen den Lagerhäusern am Rande des Raumhafens hindurchschleichen würden – oder dass sie, so schnell sie nur konnten, zum Sicherheitszaun stürmen würden. Beide Szenarios endeten an einer mentalen Mauer, weil sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie sie den Zaun selbst überwinden sollten.

Letztlich erreichten sie ihr Ziel weder schleichend noch in wildem Sprint … sondern in einer Kiste.

Und nicht in irgendeiner Kiste. Im Grunde war es ein mittelgroßer Frachtcontainer, und er stand gemeinsam mit einem Dutzend anderer Behälter vor einem der Eingangstore des Raumhafens. Thrawn blickte sich sorgfältig um, nachdem sie ihn erreicht hatten, dann klappte er eine Tür in der Seitenwand auf und winkte Thalias ins Innere.

Angesichts der Größe des Containers hatte sie bereits damit gerechnet, dass darin mehr als genug Platz für zwei Chiss wäre. Womit sie hingegen nicht gerechnet hatte, waren die Sitzkissen, die Vorräte an Essen und Trinken und die krude, aber funktionstüchtige, wenn auch potenziell peinliche Reisetoilette.

»Verzeihen Sie die Umstände«, sagte Thrawn, während er die Tür von innen wieder zuzog und verschloss. Thalias konnte nirgends eine Lampe entdecken, aber sorgsam verborgene Schlitze an allen vier Wänden ließen Luft und Licht herein. »Ich war nicht sicher, wie lange wir brauchen würden, um hierherzugelangen, oder ob wir unterwegs auf Patrouillen stoßen würden, darum habe ich Anweisung gegeben, dass der Container zuerst transportiert werden soll.«

»Schon in Ordnung«, murmelte Thalias, wobei sie sich erneut umblickte. »Ist immer noch besser als eine Arrestzelle auf einem nikardunischen Schlachtschiff.«

»Oder als tot durchs All zu treiben.«

Thalias schnitt eine Grimasse. »Ja. Glauben Sie, das war Yivs Plan?«

Thrawn zog die Schultern hoch. »Bei unserem Treffen war er sehr von sich überzeugt. Das legt den Schluss nahe, dass er mich umbringen wollte, nachdem er mich befragt hatte. Andererseits haben wir eines seiner Schiffe aufgebracht, und vielleicht gibt es bei den Nikardun strikte Regeln, was Vergeltung angeht. Ich bräuchte mehr Informationen, um eine Theorie aufzustellen.«

»Also haben Sie sich gesagt, Vorsicht ist besser als Nachsicht«, murmelte Thalias. »Aber wie haben Sie überhaupt diese Kiste gefunden?«

»Ich habe sie nicht gefunden, ich habe sie anfertigen lassen«, korrigierte Thrawn. »Oder genauer, Verteidigungslord Frangelic hat sie herstellen lassen. Wie Sie sich vielleicht noch erinnern, bat ich ihn, einen Frachtcontainer mit auf die Reise zu nehmen.«

»Ah«, machte Thalias, als ihr dieses Detail wieder einfiel. »Sie meinten, Sie bräuchten ihn für den Rückweg.«

»Und genauso ist es auch«, nickte Thrawn. »Wir haben den Container während der Reise nach Primea präpariert, und nachdem wir uns über die Frachtprotokolle der Vaks informiert hatten, haben wir ihn für einen zeitlich passenden Flug eingetragen.«

»Das klingt, als würden Sie so etwas nicht zum ersten Mal machen.«

Thrawn lächelte. »Nein. Es erschien mir einfach die direkteste Lösung.«

Sofern es funktioniert , dachte Thalias. »Und wohin werden wir verschifft?«

»Zunächst einmal nur auf die andere Seite des Zauns«, erklärte Thrawn. »Das Schiff, das uns an Bord nehmen soll, ist noch nicht hier, und es wird auch nur kurz auf Primea landen, bevor er weiterfliegt. Die Standardprozedur der Vaks in solchen Fällen ist, sämtliche Frachtcontainer nahe der zugewiesenen Landestelle aufzustellen, damit sie möglichst schnell verladen werden können.«

»Gut.« Thalias zog die Brauen zusammen. »Wir fliegen also zu einer anderen Welt?«

»Mitnichten«, winkte Thrawn ab. »Sobald wir durch die Sicherheitszone sind, werden wir auf einen günstigen Moment warten. Dann schleichen wir uns an Bord eines der Sternjäger, die nahe dem Zaun aufgereiht sind. Die Schiffe der Raumkon­trolle sind für lange Patrouillenflüge ausgelegt, es sollte also genug Platz geben, um dort auf die Ankunft des Admirals zu warten.«

»Und dann? Fliegen wir einfach zu ihr hoch?«

»Mehr oder weniger«, sagte Thrawn. »Natürlich müssen wir mit der ein oder anderen Komplikation rechnen.«

»Zum Beispiel, wenn jemand anderes an Bord kommt, um eine Patrouille zu fliegen?«

»In dem Fall werden wir die Person überzeugen, uns in Ruhe zu lassen.«

»Notfalls auch mit Gewalt, nehme ich an.«

»Keine Sorge, wir werden niemanden verletzen«, versicherte er ihr. »Ihre Zurückhaltung in solchen Dingen spricht für Sie.«

»Ich bin nur dagegen, jemanden auf seiner eigenen Welt zusammenzuschlagen«, bemerkte Thalias leise. »Vor allem angesichts der Nichteinmischungspolitik der Aszendenz.«

»Genau das meinte ich, als ich über Ihre Zurückhaltung sprach«, erwiderte Thrawn. »Jedenfalls sollte das kein Problem werden. Ich habe eine kleine Dose mit Tava-Gas – mehr als genug, um das Cockpit eines Sternjägers zu füllen.«

Thalias runzelte die Stirn. »Das ist die Schlafwandler-Droge, richtig?«

Nun war es an Thrawn, die Stirn in Falten zu legen. »Wer nennt es denn so?«

»Die Studenten an meiner alten Schule«, erklärte Thalias, und die Erinnerung ließ sie die Augen verdrehen. »Ein paar von ihnen haben mal eine kleine Dosis im Klassenzimmer freigesetzt, nur weil sie sehen wollten, wie sich alle für ein paar Stunden in sabbernde Mondköpfe verwandeln. Was manche Leute eben so unterhaltsam finden.«

»Die Wirkung hält maximal eine Stunde an«, korrigierte Thrawn. »Aber es ist harmlos.«

»Es sei denn, die Person tut gerade etwas, wofür sie im Vollbesitz ihrer Sinne sein muss«, fügte Thalias an. »Zum Beispiel, einen Sternjäger zu fliegen.«

»So weit wird es nicht kommen«, versprach er ihr. »Und ich habe Filtermasken für uns, damit wir vor dem Gas geschützt sind.«

»Wie praktisch.« Thalias musterte ihn kritisch. »Tragen Sie all dieses Zeug immer mit sich herum?«

»In einer ungewissen Situation ist es immer von Vorteil, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen«, erwiderte Thrawn. »Ich wusste, dass wir ein Schiff stehlen müssen, also traf ich die entsprechenden Vorkehrungen. Keine Sorge, wir werden sicher zurückkehren.«

»Fein«, murmelte Thalias. Sie teilte Thrawns Zuversicht nicht, aber sie war bereit, ihm zu vertrauen. »Kann ich jetzt diese Schminke abwischen? Das Zeug wiegt ein halbes Kilogramm.«

»Höchstens dreihundert Gramm«, korrigierte er. »Und es wäre besser, Sie würden es zunächst belassen. Wir können nicht ausschließen, dass jemand uns entdeckt, und in dem Fall müssen Sie weiter Ihre Rolle spielen.«

»Na schön«, seufzte sie. Wenn sie ehrlich sein sollte, hatte sie sich – abgesehen von dem störenden Gewicht – beinahe schon an die verhärtete Paste gewöhnt, aber sie hasste, was die Schminke repräsentierte. Hasste es, die nervöse Geisel ­spielen zu müssen. »Also müssen wir noch anderthalb Tage hier drinnen warten. Sie haben nicht zufällig Karten mitgebracht?«

»Ich habe tatsächlich Karten dabei«, erwiderte Thrawn. »Aber zuerst wollte ich Sie etwas fragen.«

»Was denn?«

»Warum wollten Sie an Bord der Springhawk kommen?«

Eine Alarmglocke schrillte in Thalias’ Hinterkopf. »Um mich um Che’ri zu kümmern«, antwortete sie vorsichtig.

»Deswegen waren Sie an Bord«, sagte Thrawn. »Aber das war nicht der Grund, weswegen Sie an Bord kommen wollten . Einer meiner Offiziere informierte mich, dass die Mitth Sie geschickt hätten, um meine Leistung als Kommandant der Springhawk zu beurteilen. Ist das korrekt?«

Thalias’ Hand ballte sich zu einer Faust. »Ich nehme mal an, das war Mid-Captain Samakro.«

»Der Ursprung der Information ändert nichts an ihrem Inhalt.«

»Vielleicht doch«, entgegnete sie. »Warum hat er Ihnen das erzählt? Hat er einen Grund angegeben?«

»Keinen konkreten«, räumte Thrawn ein. »Ich glaube, er war besorgt, dass eine familienpolitische Einmischung die Kommandostruktur stören könnte.«

»Das hat er vielleicht gesagt«, brummte Thalias. »Aber ich glaube eher, er wollte ein wenig familienpolitische Einmischung.«

»Inwiefern?«

»Falls die Mitth entscheiden, dass Sie die Springhawk nicht kommandieren sollten, und das Expansionskommando Sie ­woanders hinschickt, würde Samakro wieder das Kommando über sein Schiff erhalten«, erklärte Thalias. »Das käme ihm sehr entgegen.«

»Ihre Analyse enthält mehrere logische Fehler«, tadelte Thrawn. »Zum einen haben die Neun Familien keinen direkten Einfluss auf militärische Missionen. Zweitens hat Mid-Captain Samakro keinen Grund, auf dem Kommando über die Springhawk zu bestehen. Bei seiner Erfahrung und seinem Talent wird man ihm sicher schon bald ein prestigeträchtigeres Kommando anbieten, wenn er weiter nach den Regeln spielt.«

»Ich glaube, Sie unterschätzen den Ruf der Springhawk «, entgegnete Thalias. »Aber selbst wenn sie nicht berühmt wäre, würde die Ufsa-Familie das Schiff zurückhaben wollen. Man hat es ihr weggenommen, und die Ufsa sind bekannt dafür, jede politische Benachteiligung persönlich zu nehmen.«

»Ich verstehe«, sagte Thrawn.

Thalias musterte ihn im schwachen Licht, und die Falten um seine Augen verrieten ihr, dass er gar nichts verstand. »Aber um Ihre Frage zu beantworten: Nein, die Mitth haben mich nicht geschickt«, erklärte sie, jedes Wort sorgsam abgewogen. »Tatsächlich haben sie von Anfang an versucht, mich aufzuhalten. Ich wollte ursprünglich als Familienbeobachterin an Bord, aber das haben sie verhindert. Dass noch eine Hüterin für Che’ri gesucht wurde, war ein glücklicher Zufall.«

»Interessant«, bemerkte Thrawn. »Warum wollte man Sie nicht als Beobachterin?«

»Sie haben keinen Grund genannt«, antwortete sie. »Sie haben mir einfach nur immer neue Steine in den Weg gelegt. Neue Formulare, die ich plötzlich auszufüllen hatte, neue Beamte auf Csilla oder Naporar, bei denen ich einen Antrag einreichen musste. Und so weiter.«

»Vielleicht hielt man sie nicht für ausreichend qualifiziert«, mutmaßte Thrawn. »Oder vielleicht gab es eine Einmischung durch andere Familien.«

»Falls andere Familien im Spiel waren, habe ich nie auch nur einen Pieps von ihnen gehört«, entgegnete Thalias säuerlich. »Und was meine Qualifikationen angeht: Meine Augen, meine Ohren und mein Gehirn funktionieren einwandfrei. Oder braucht man sonst noch etwas, um als Beobachter zugelassen zu werden?«

»Das müssen Sie schon die Familie fragen«, wehrte Thrawn ab. »Aber es führt uns zurück zu meiner ursprünglichen Frage. Falls die Familie Sie nicht an Bord haben wollte, warum sind Sie dann trotzdem gekommen?«

Thalias atmete tief ein. Sie hatte gehofft, diese Frage zu vermeiden, aber tief in ihrem Inneren hatte sie gewusst, dass sie sich früher oder später damit würde auseinandersetzen müssen.

Sie hatte sich mehrere plausibel klingende Lügen zurechtgelegt, und einen Moment lang war sie versucht, es mit einer davon zu versuchen. Aber je länger sie ihm gegenübersaß und seiner ruhigen Stimme lauschte, desto klarer wurde ihr, dass es sinnlos wäre. »Sie werden mich für töricht halten«, murmelte sie.

»Danke für die Warnung. Fahren Sie bitte fort.«

Thalias straffte die Schultern. »Ich wollte Sie wiedersehen«, sagte sie. »Sie haben mein Leben verändert, und ich … ich wollte Sie wiedersehen, das ist alles.«

Er runzelte die Stirn. »Wirklich? Wie genau habe ich Ihr Leben verändert?«

»Wir sind uns schon einmal begegnet.« Es fühlte sich schrecklich peinlich an, ihm davon zu erzählen. Sie hätte sich denken sollen, dass er sich nicht an eine so unbedeutende Interaktion erinnern würde. »Vor langer Zeit, während meiner letzten Reise als Himmelsläuferin.«

»Ah, natürlich«, nickte Thrawn, noch immer mit gefurchter Stirn. »An Bord der Tomra , als ich ein Kadett war.«

»Richtig«, sagte Thalias, und sie atmete erleichtert aus. Er erinnerte sich also doch . Das machte die Sache zumindest ein wenig leichter. »Captain Vorlip kam dazu, als wir uns unterhielten, und …«

»Und sie drehte mich im Kreis, um zu sehen, ob ich wirklich ein so gutes Gespür für das Schiff hatte, wie ich behauptete.«

»Ja«, erwiderte Thalias. »Sie haben sie schwer beeindruckt.«

»Wirklich?«

»Natürlich. Sie hat mir danach erzählt, dass …«

»Sie hat bei Taharim eine offizielle Beschwerde gegen mich eingereicht.«

Thalias Augen weiteten sich. »Was? Wieso?«

»Wegen unbefugten Eindringens in den Kommandobereich der Tomra «, erklärte Thrawn. »Ich musste die ersten drei Monate an der Akademie Strafdienst leisten.«

»Aber … aber«, stammelte Thalias. »Aber sie war von Ihnen beeindruckt

»Vielleicht auf einer persönlichen Ebene«, vermutete Thrawn. »Vielleicht sogar als Raumfahrerin. Aber als Offizierin der Chiss-Aszendenz hatte sie die Pflicht, die Regeln einzuhalten.«

»Aber es war doch nur ein Versehen.«

»Absicht und Motivation sind irrelevant«, entgegnete er. »Letztlich zählen nur die Taten.«

»Wenn Sie das sagen«, murmelte Thalias, und ihr Magen zog sich zusammen. Dann würde seine Erinnerung an sie also für immer mit der ersten Negativerfahrung seiner Laufbahn verbunden sein. Na großartig!

»Wie genau hat unsere Begegnung Ihr Leben verändert?«

Sie seufzte. Weiter über dieses Thema zu reden, war so ziemlich das Letzte, was sie wollte. Aber sie hatte beschlossen, ihm die Wahrheit zu sagen – jetzt gab es kein Zurück mehr. »Sie gaben mir Hoffnung«, begann sie. Laut ausgesprochen klangen die Worte schrecklich töricht. »Ich meine … ich war dreizehn. Ich dachte, mein Leben wäre vorbei. Sie sagten, es gäbe neue Möglichkeiten und dass ich selbst entscheiden könnte, wie es mit mir weitergeht.«

»Ja«, sagte Thrawn nachdenklich. Nicht mitfühlend, nicht aufmunternd, nicht mal wirklich zugänglich. Einfach nur nachdenklich.

Thalias hatte sich diesen Moment schon oft ausgemalt. Sie hatte sich vorgestellt, was er sagen würde, was sie sagen würde, wie ihr dieses Gespräch eine neue Perspektive auf ihr Leben und ihre Zukunft eröffnen würde.

Und jetzt: nichts. Er war nachdenklich, mehr nicht.

Sie schloss die Augen und wünschte, sie wäre an irgendeinem anderen Ort in der Galaxis. Sie hätte Thrawn niemals aufsuchen sollen …

»Ich habe eine ältere Schwester«, sagte Thrawn so leise, dass sie die Worte kaum verstehen konnte. »Sie war fünf, als sie verschwand. Meine Eltern haben mir nie erzählt, was mit ihr geschah.«

Thalias öffnete die Augen. Er saß ihr noch immer im schwachen Licht gegenüber, noch immer mit diesem nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht.

Aber in seinen Augen schimmerte das Echo eines gut verborgenen, aber nie überwundenen Schmerzes. »Wie alt waren Sie?«, fragte Thalias.

»Drei«, antwortete er. »Viele Jahre nahm ich an, dass sie tot wäre und ich sie nie wiedersehen würde. Erst als ich den Rang eines Brückenoffiziers erreichte, erfuhr ich von den Himmelsläuferinnen, und da wurde mir klar, was mit ihr geschehen sein musste.« Er lächelte schmal, aber ein trauriger Schatten lag auf seinen Lippen. »Und ich werde sie trotzdem nie wiedersehen.«

»Vielleicht doch.« Aus irgendeinem Grund verspürte Thalias den Wunsch, ihn zu trösten. »Irgendwo muss es Aufzeichnungen geben.«

»Gewiss«, sagte Thrawn. »Aber für gewöhnlich wollen Himmelsläuferinnen jegliche Verbindung zu ihrer Vergangenheit ­abbrechen, sobald ihre Dienstzeit beendet ist, und in der Regel gewährt ihnen die Aszendenz diesen Wunsch.« Er hob eine Hand. »Wir alle haben Dinge, die wir bedauern, und Hoffnungen, die sich nie erfüllen werden. Der Schlüssel zu einem erfüllten Leben ist, die Dinge zu akzeptieren, die wir nicht ändern können, und uns auf die zu konzentrieren, auf die wir tatsächlich einen Einfluss haben.«

»Ja«, murmelte Thalias. Aber nur, weil sich etwas nicht ändern ließ, hieß das nicht, dass man sich nicht trotzdem damit auseinandersetzen konnte. Es gab immer irgendwelche Geheimnisse, die man ans Licht bringen konnte. Selbst jemand wie Thrawn konnte sich mal irren.

»Fürs Erste sollten wir uns ausruhen und an unserer Strategie feilen«, fuhr Thrawn fort, dann zog er einen Satz Karten aus seiner Tasche. »Welche Spiele kennen Sie denn?«