19

Thrawn und Che’ri waren beinahe fünf Wochen unterwegs, und mit jedem Tag starb Thalias’ Seele ein wenig mehr. Sie wusste, sie sollte bei ihnen sein, sich gemeinsam mit ihnen den Gefahren des Chaos stellen. Zugegeben, sie hatte Thurfian durch ihre Prüfungen von Thrawns Fährte fortgelockt, aber es fühlte sich nicht so an, als hätte sie ihm damit wirklich bei seiner Mission geholfen.

Und der Wunsch des Patriarchen, auf Thrawn aufzupassen, ließ ihr schlechtes Gewissen nur noch stärker an ihr nagen.

Dementsprechend groß war ihre Erleichterung, als Ar’alani sich schließlich bei ihr meldete und erklärte, dass das Aufklärungsschiff ins Csilla-System zurückgekehrt wäre. Fürs Erste wollte Thrawn sich aber von der Hauptwelt selbst fernhalten, darum schickte Ar’alani einen Shuttle, der Thalias zur Vigilant bringen sollte.

Wie sich herausstellte, war die unauffällige Rückkehr der Reisenden nur die erste in einer Reihe von Überraschungen.

»Das könnte alles verändern«, sagte Ar’alani.

Thalias nickte. Gedanken und Möglichkeiten wirbelten durch ihren Kopf, während sie auf ihrem Questis die technischen Daten des Energieschildes aus der Republik überflog, den Thrawn und Che’ri mitgebracht hatten. Und irgendwo in ihrem Hinterkopf wunderte sich eine leise Stimme darüber, dass Thrawn und Ar’alani dieses unglaubliche Geheimnis mit ihr teilten.

Andererseits wusste Che’ri natürlich auch davon, und Himmelsläuferinnen verbrachten nun mal viel Zeit mit ihren Hüterinnen. Vermutlich hatten die beiden Offiziere beschlossen, dass sie Thalias besser selbst alles erklärten, bevor sie es häppchenweise von einer Neunjährigen erfuhr.

»Diese Technologie ist unseren elektrostatischen Barrieren um Lichtjahre voraus«, fuhr Ar’alani fort. »Das verändert alles. Unsere Taktiken, unsere Flottenausrichtung, das gesamte Machtgleichgewicht. Einfach alles.«

»Aber es ist nur ein kurzzeitiger Vorteil«, warnte Thrawn. »Selbst wenn wir den Schild nachbauen können …«

»Das können wir«, versicherte Ar’alani ihm. »Wir müssen ganz einfach.«

»Selbst in dem Fall«, fuhr er fort, »bleibt eine neue Technologie nie lange exklusiv. Sobald andere von ihrer Existenz wissen, werden sie ihre eigene Version kreieren. Oder einfach das ursprüngliche Konzept stehlen.«

»Sicher nicht von uns.« Ar’alanis Lippe zuckte. »Aber wie Sie selbst bewiesen haben, ist es nicht allzu schwer, einen Schild von der Republik zu bekommen.« Nachdenklich tippte sie ihren Questis an. »Die eigentliche Frage ist, warum Yiv nicht längst im Besitz dieser Technologie ist. Sie sagten doch, dass eine Gruppe fremder Wesen mit den Separatisten zusammenarbeitet, oder?«

»Ja, aber ich habe keine Hinweise darauf entdeckt, dass sie unter dem Einfluss der Nikardun stehen«, entgegnete Thrawn. »Und falls doch, könnten sie die gleichen Vorbehalte haben wie wir. Sie wissen, falls sie solche Schilde im Chaos benutzen, werden die Aszendenz und alle anderen Spezies früher oder später ihre eigene Version davon haben.«

»Dann warten sie vielleicht auf den richtigen Moment, um uns mit dieser Technologie zu überraschen?«

»Genauso, wie wir es gerade erwägen«, sagte Thrawn. »Aber Sie haben recht: Im Gegensatz zu ihnen können wir nicht warten. Wir müssen die Schildtechnologie jetzt einsetzen, gegen Yiv, bevor er erfährt, dass wir sie besitzen.«

»Vielleicht weiß er es bereits«, gab Ar’alani zu bedenken. »Es klingt, als hätten Sie und dieser General Skywalker bei Ihrem kleinen Abenteuer jede Menge Staub aufgewirbelt.« Sie schüttelte den Kopf. »Skywalker . Was für ein bizarrer Zufall.«

»Soweit ich weiß, ist das in den Niederen Regionen kein ungewöhnlicher Name«, merkte Thrawn an. »Aber es stimmt, die Zwischenfälle auf Batuu und Mokivj werden sich sicher herumsprechen.«

Thalias verzog das Gesicht. Schlachten, Verhöre, Zerstörung von planetarer Größenordnung … und er nannte es Zwischenfälle .

»Also gut.« Ar’alani legte den Questis beiseite. »Sie haben offensichtlich einen Plan. Heraus damit.«

Thrawn antwortete nicht gleich, als müsste er erst seine ­Gedanken sammeln, und Thalias nutzte die Gelegenheit, um unauffällig zu Che’ri hinüberzublicken. Das Mädchen hatte sie mit einer Umarmung und Tränen begrüßt, wobei sie Letztere vermutlich teils aus echter Freude und teils aus Erleichterung vergossen hatte, weil sie wieder in ihrer vertrauten Welt war. Jedes kleine Mädchen, das die Aszendenz auf einer gefährlichen Mission begleitet hätte, würde auf diese Weise reagieren.

Doch als Thalias sie nun musterte, konnte sie sehen, dass Che’ri um mehr als nur ein paar Wochen gealtert war. Allerdings waren es nicht der Druck und die Anspannung wochenlanger ­Gefahren und Erschöpfung, die Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen hatten; vielmehr hatte sich ein reifer, selbstsicherer Ausdruck auf die Züge des Mädchens gelegt.

»Wir wissen, dass Yiv noch nicht bereit ist, die Aszendenz herauszufordern«, begann Thrawn. »Das wurde spätestens nach unserem ersten Besuch bei der Hauptwelt der Lioaoi offensichtlich. Seine Verbündeten hatten uns umzingelt, und ich bin ein Feind, den er unbedingt töten oder zumindest gefangen nehmen wollte.«

»Aber er hat nichts getan«, murmelte Ar’alani.

»Er hat uns friedlich ziehen lassen«, nickte Thrawn.

»Vielleicht war es einfach nur eine Frage des Zeitpunkts oder des Ortes«, überlegte der Admiral. »Aber gut, sagen wir, dass Sie recht haben. Weiter.«

»Wir wissen außerdem, dass Yiv die Vaks noch nicht vollends unter seiner Kontrolle hat«, fuhr Thrawn fort. »Das wurde deutlich, als Sie Thalias und mich von Primea zurückholten. Obwohl Yiv Zugriff auf die Truppen der Vaks hatte, zog er lioaoische Schiffe hinzu.«

»Das sehe ich genauso«, pflichtete Ar’alani ihm bei. »Vor allem, falls Ihre Einschätzung der Vaks zutrifft und sie immer erst alle Optionen in ihrer Gedankenkette abwägen wollen. In dem Fall hat Yiv vielleicht unerwartete Schwierigkeiten, die gesamte Regierung – und erst recht den gesamten Planeten – auf seine Seite zu ziehen.«

»Exakt«, sagte Thrawn. »Genau das ist unsere Gelegenheit. Falls wir zumindest einen Teil der Vaks überzeugen können, dass Yiv sie nicht unterstützen und fördern möchte, sondern sie lediglich als Kanonenfutter für seine Schlachten einsetzen wird, können wir vielleicht einen Keil zwischen sie treiben. Es wird seine Machenschaften vielleicht nicht ganz zum Stillstand bringen, aber es sollte uns zumindest genug Zeit verschaffen, um das Syndicure zu überzeugen, dass die Nikardun eine ernste Bedrohung darstellen, um die wir uns kümmern müssen.«

Che’ri hob die Hand. »Verzeihung«, piepste sie verlegen.

Thrawn und Ar’alani blickten sie an. »Ja?«, fragte Thrawn auffordernd.

»Was, wenn er Primea einfach verlässt und irgendwo anders hingeht?«, sagte das Mädchen. »Es gibt viele andere Völker in dieser Region.«

»Das könnte er tun, ja«, antwortete Thrawn. »Aber er hat bereits viel Zeit und Energie darauf verwendet, die Vaks für seine Sache zu gewinnen. Ich bezweifle, dass er sie einfach so aufgeben wird.«

»Und es geht nicht nur um die Vaks«, fügte Ar’alani an. »Was Handel und Diplomatie angeht, ist Primea der Knotenpunkt der gesamten Region. Die anderen Völker, die du erwähnt hast? Sie kommen alle dorthin, um Gespräche zu führen und Geschäfte zu machen. Falls Yiv die Anführer der Vaks auf seine Seite zieht – oder sie ihn einfach nur weiter auf Primea gewähren lassen –, hat er Zugriff auf Vertreter Dutzender Spezies, die er beschwatzen und manipulieren kann.«

»Wir haben bereits gesehen, dass er bei seiner Expansionsstrategie ebenso großen Wert auf Überzeugung legt wie auf gewaltsame Unterwerfung«, schob Thrawn nach. »Selbst sein Titel spiegelt beide Ansätze wider: General Yiv der Wohlwollende. Und ich glaube, wenn wir versuchen, ihn von Primea zu vertreiben, wird er bleiben und kämpfen.«

»Oder er geht in die Offensive«, mutmaßte Ar’alani. »Im Moment will er vielleicht noch mit seinem Angriff auf die Aszendenz warten, aber falls wir ihn ärgern, kommt er womöglich zu dem Schluss, dass er sofort gegen uns vorgehen muss.«

»Er würde uns nicht direkt angreifen«, erwiderte Thrawn. »Vermutlich würde er die Paataatu schicken.«

»Und inwiefern wäre das besser

»Für Yiv? Nun, er müsste nicht seine eigenen Truppen opfern«, antwortete Thrawn. »Und für uns wäre es besser, weil wir bereits wissen, wie die Paataatu zu schlagen sind.«

»Nun, Sie wissen es vielleicht«, murmelte Ar’alani. »Was den Rest der Flotte angeht, bin ich mir nicht so sicher.«

»Wir können sie schlagen«, versicherte Thrawn ihr. »Aber nein, Primea wird die entscheidende Schlacht sein. Falls wir Yivs Schwächen und seine Heuchelei ans Licht bringen, werden die Vaks sich womöglich von ihm abwenden.«

»Womöglich? Das klingt nicht gerade zuversichtlich«, brummte Ar’alani. »Aber ich schätze, es ist besser als ein direkter Angriff. Also, wie wollen Sie Yiv bloßstellen?«

Thrawn schien die Schultern zu straffen. »Wir bitten die Vaks um Hilfe.«

Anschließend weihte er sie in die Details seines Plans ein, und Thalias stellte fest, dass er noch einige Überraschungen mehr in petto hatte.

»Sie haben Zweifel«, sagte Thrawn.

Ar’alani war noch immer dabei, den Plan zu verarbeiten, den er ihr und den beiden jüngeren Frauen unterbreitet hatte. »Natürlich habe ich Zweifel«, sagte sie. »Die Sache ist in mindestens dreierlei Hinsicht illegal. Und verrückt ist sie obendrein.«

»Vielleicht«, erwiderte Thrawn. »Die Frage ist, sind Sie bereit, mich dabei zu unterstützen?«

»Habe ich denn eine Wahl?«

»Natürlich. Falls Sie nichts damit zu tun haben wollen, brauchen Sie es nur zu sagen, und wir machen allein weiter.«

»Wie denn?«, schnaubte Ar’alani. »Falls Yiv so reagiert, wie Sie es vermuten, wollen Sie dann zu dritt gegen die gesamte Streitmacht von Primea antreten?«

»Die Vaks werden uns helfen.«

»Sofern sie die Botschaft überhaupt erhalten. Oder sie entscheiden, sie einfach zu ignorieren.«

»Es gibt definitiv ein gewisses Maß an Misstrauen Yiv gegenüber«, beharrte Thrawn. »Die Botschaft wird ihnen eine weitere Option eröffnen, und ich bin sicher, ihre Kultur wird sie zwingen, diese Option zumindest durchzuspielen. Falls ich Yiv richtig eingeschätzt habe, wird seine Reaktion die öffentliche Meinung gegen ihn aufbringen.«

»Falls Sie ihn richtig eingeschätzt haben«, betonte Ar’alani. »Kommen Sie, Thrawn, das ist verrückt. Selbst für Ihre Verhältnisse.«

»Sehen Sie eine Alternative?«, konterte er. »Wir können nicht warten, während die Nikardun die Systeme in der Nachbarschaft der Aszendenz übernehmen und ihre Armeen immer weiter verstärken, bis wir allein gegen eine feindliche Übermacht stehen. Yiv muss aufgehalten werden, und wir werden keine bessere Gelegenheit bekommen als diese.«

»Aber was, falls Sie sich irren?«, wiederholte Ar’alani ihre Frage. »Was, falls Sie Yiv und die Vaks falsch einschätzen? Es ist nicht so, als hätten Sie sich noch nie geirrt, wissen Sie?«

Sie hätte es sicher diplomatischer ausdrücken können, und sie bereute ihre Wortwahl fast sofort. »Entschuldigen Sie«, murmelte sie, als ein Schatten alten Schmerzes über Thrawns Gesicht huschte.

»Nein, Sie haben recht«, sagte er. »Bei den Garwia habe ich versagt … Aber das hier ist etwas anderes. Hier geht es um Krieg, nicht um Politik.«

»Das sind zwei Seiten derselben Münze«, erwiderte Ar’alani. »Und was die politische Seite angeht, sind Sie vollkommen ahnungslos.«

»Ich weiß. Darum müssen wir dafür sorgen, dass die Münze die Kriegsseite zeigt.«

Ar’alani seufzte. Er hatte sich einmal geirrt – auf spektakuläre Weise –, und er hatte einen hohen Preis dafür bezahlt. Aber nicht einmal die Erinnerung daran schien ihn beirren zu können.

Davon abgesehen hatte er recht: Yiv und die Nikardun mussten in die Schranken gewiesen werden, und dies in einem System zu tun, das sie erobern wollten, war ihre beste Chance. »Ich weiß nicht, ob die Techniker schon mit dem Vak-Jäger fertig sind, den wir von Primea mitgebracht haben, aber Ba’kif kann vermutlich dafür sorgen, dass Ja’fosk ihn uns zur Verfügung stellt. Sind Sie sicher, dass Che’ri die Maschine fliegen kann?«

»Ja«, nickte Thrawn. »Die Kontrollen des Jägers sind nach einem ähnlichen Muster aufgebaut wie die des Aufklärungsschiffes. Ich muss nur einige Instrumente neu beschriften und ein paar Übungsstunden mit ihr absolvieren, dann sollte sie bereit sein.«

»Ich vermute mal, über diesen Teil des Plans werden Sie Ba’kif und Ja’fosk nicht informieren.«

»So verrückt bin ich nun auch wieder nicht«, erwiderte Thrawn mit einem trockenen Lächeln.

»Früher oder später werden sie es aber trotzdem erfahren«, gab Ar’alani zu bedenken. »Haben Sie schon darüber nachgedacht, was dann mit Ihnen passieren wird?«

Ein Muskel in Thrawns Kiefer zuckte. »Solange wir die Be­drohung durch Yiv neutralisieren, ist es unwichtig, was mit mir geschieht.« Er neigte den Kopf. »Meine einzige Sorge gilt Ihnen und den Konsequenzen, die dieser Plan für Sie haben könnte.«

»Ich bin ein Admiral«, erinnerte Ar’alani ihn. »Mich können sie nicht so einfach einsperren.«

»Aber sie werden es versuchen.«

»Nur falls wir scheitern. Wenn wir Erfolg haben …« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber die Zukunft liegt nicht in unserer Hand. Konzentrieren wir uns also wieder auf die Gegenwart. Schritt eins: Wir besorgen uns den Vak-Jäger und machen ihn startklar. Schritt zwei: Sie bringen Che’ri bei, wie man den Jäger fliegt. Schritt drei: der umgebaute Frachter, von dem Sie gesprochen haben. Schritt vier: die Nachricht, die Sie den Vaks zukommen lassen wollen. Schritt fünf: Der Energieschild muss für unseren Überraschungsangriff bereit gemacht werden. Und Schritt sechs: Ich muss meine Flotte in Bereitschaft versetzen.«

»Das ist erst der siebte Schritt«, warf Thrawn ein. »Sie haben den Schritt vergessen, in dem wir Ba’kifs und Ja’fosks Erlaubnis einholen.«

»Damit wollte ich eigentlich warten, bis Che’ri und Thalias bereits abgeflogen sind«, erklärte Ar’alani. »Das wird keine angenehme Unterhaltung, darum wäre es sicherer, wenn sie den Jäger nicht mehr zurückrufen können. Und danach dann Schritt acht: Wir lassen die Hölle losbrechen.«

»Und hoffen, dass meine Einschätzung von General Yiv korrekt war.«

»Richtig«, murmelte Ar’alani. »Darauf sollten wir wirklich hoffen.«

»Sie rufen uns«, sagte Che’ri. »Das Lämpchen dort.«

»Ich sehe es.« Thalias nickte. Sie hatte das Gefühl, als würde ein tonnenschweres Gewicht auf ihr lasten – und das lag nicht an der verhärteten Schminkekruste auf ihrem Gesicht, die sie einmal mehr in eine Familiengeisel verwandelte. Vielmehr hatte es damit zu tun, dass die Präsenz der Nikardun und der Vaks praktisch das gesamte Primea-System in feindliches Territorium verwandelte.

Und sie und Che’ri waren mittendrin. Ganz allein.

Sie beobachtete, wie sich das Mädchen über die Kontrollen des Jägers beugte, ihre Augen schmal und konzentriert. Eine Hälfte ihres Gesichts war von der gleichen Schminke bedeckt, die auch Thalias trug, aber sie konnte keine Anspannung oder Nervosität darunter entdecken. Spürte das Mädchen denn nicht die Zweifel, mit denen ihre Hüterin rang? »Du wirkst ziemlich ruhig«, kommentierte sie.

»Warum denn nicht?«, fragte Che’ri mit einem verwirrten Blick in ihre Richtung. »Es ist doch alles unter Kontrolle, oder?«

»Ähm … ja, sicher«, sagte Thalias. »Es ist nur …«

»Du vertraust ihm doch, oder?«, hakte Che’ri nach.

»Ja, ich denke, schon.«

»Wir haben beide gesehen, wie er die unmöglichsten Sachen geschafft hat«, fuhr Che’ri fort, noch immer mit diesem verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht. »Er hat den Schildgenerator besorgt, er hat dich von Primea gerettet, und dann die Schlachten und all die anderen Sachen …«

»Richtig«, erwiderte Thalias. »Aber diesmal …«

»Diesmal ist es auch nicht anders«, beharrte Che’ri. »Alles ist unter Kontrolle.«

»Ich finde, es gibt schon einen Unterschied«, entgegnete Thalias. »Früher war Thrawn immer bei uns. Falls etwas schiefging, konnte er es in Ordnung bringen und sich einen neuen Plan einfallen lassen.« Sie machte eine Handbewegung, die das gesamte Cockpit einschloss. »Aber jetzt, Che’ri … jetzt sind wir auf uns allein gestellt.«

»Aber wir haben seine Anweisungen«, sagte das Mädchen. »Wir wissen, was wir tun sollen.«

»Ich weiß«, murmelte Thalias. »Ich sage ja nur, es ist nicht dasselbe.«

»Oh.« Der Teil von Che’ris Gesicht, den sie sehen konnte, erhellte sich plötzlich. »Dann ist es also nicht so, dass du Thrawn nicht traust. Du traust dir selbst nicht.«

»Natürlich«, presste Thalias hervor, und Verbitterung schwang in ihren Worten mit. Da war dieses vage Gefühl, das sie erfüllte, seitdem Thrawn seinen Plan dargelegt hatte. Sie hatte lange gebraucht, um es sich einzugestehen, und jetzt, da sie es laut ausgesprochen hatte, spürte sie eine Woge von Zweifeln und Verunsicherung. »Wie könnte ich auch? Was habe ich je getan, um ihm – oder sonst irgendjemandem – den Eindruck zu vermitteln, dass ich für eine so wichtige Mission geeignet bin?«

»Na ja, du bist hier «, entgegnete Che’ri. »Das bedeutet, dass er dir vertraut.«

»Aber das allein ist keine Begründung.«

»Es gibt nicht immer eine Begründung«, sagte Che’ri ernst. »Er hat etwas in dir gesehen, und das hat ihm gereicht. Er vertraut dir.« Sie machte eine Pause. »Und ich vertraue dir auch, falls das hilft.«

Thalias atmete tief ein und blickte in die Augen des Mädchens. Diese plötzliche Reife, die sie an Bord der Vigilant gespürt hatte, wurde ihr jetzt noch viel deutlicher bewusst, und sie musste daran denken, wie ironisch es war, dass eine Neunjährige eine Erwachsene tröstete. »Als ich in deinem Alter war, hatte ich unglaubliche Angst vor der Zukunft«, murmelte sie. »Sie war so groß, so unbekannt, und ich hatte keine Ahnung, welche Rolle ich darin spielen würde.«

»Ich hab mich auch oft so gefühlt«, erwiderte Che’ri. »Aber jetzt nicht mehr so.«

»Ich verstehe es nicht«, gestand Thalias. »Die Zukunft, die jetzt vor dir liegt – vor uns beiden –, ist viel ungewisser und gefährlicher als alles, was ich mir in meinen schlimmsten Träumen ausgemalt habe.«

»Das ist das Schlüsselwort«, sagte das Mädchen. »Träume. Ich wusste nie, wovon ich träumen soll. Ich meine, ich bin nur eine Himmelsläuferin. Ich hatte keine Ahnung, ob ich je irgendwas anderes tun könnte.«

Sie deutete auf die Konsole vor ihr. »Aber dann hat Thrawn mir beigebracht, wie man fliegt. Es hat nur ein paar Wochen gedauert, und danach konnte ich fliegen .« Sie lächelte, und sie strahlte vor Freude und Stolz. »Wenn ich das lernen kann, kann ich alles lernen. Verstehst du, was ich meine?«

»Ja, und ich freue mich für dich.« Thalias atmete ein weiteres Mal durch, um die Anspannung zu vertreiben. Ein gerissener Krieger wie Thrawn, eine begabte Pilotin wie Che’ri – und beide vertrauten sie ihr. Also würde sie zumindest versuchen, sich selbst ebenfalls zu vertrauen. »Die Vaks haben uns also kontaktiert. Müssen wir ihnen antworten?«

»Besser ja.« Che’ri deutete auf das Mikrofon. »Weißt du, was du sagen sollst?«

»Ich habe Thrawns kleine Ansprache auswendig gelernt«, erklärte Thalias mit einem erzwungenen Lächeln. »Reicht das?«

»Bestimmt.« Che’ri drückte einen Knopf. »Jetzt.«

Thalias spannte die Schultern an. »Ich grüße das Volk von Primea«, verkündete sie auf Minnisiat. »Ich bin Thalias, die Begleiterin von Senior-Captain Thrawn aus der Chiss-Aszendenz. Er musste vor einiger Zeit von ihrem Planeten fliehen, und dabei hat er einen Ihrer Sternjäger mitgenommen. Es war nicht seine Absicht, Ihr Volk zu bestehlen, darum hat er das Schiff ­reparieren lassen und mich und meine Pilotin geschickt, um es zurückzugeben.«

»Sie haben das Vak-Kombinat bestohlen«, antwortete eine harsche Stimme in derselben Sprache. »Wie kommen Sie darauf, dass wir Sie nicht für Ihr Verbrechen bestrafen werden?«

»Ich bitte das Kombinat untertänig, meinen Besuch und die Rückgabe des Jägers als Zeichen unseres guten Willens zu ­akzeptieren«, sagte Thalias. »Ich bin sicher, ich kann Ihnen die Beweggründe für Thrawns Handeln erklären, falls Sie mir Gelegenheit dazu geben.«

»Es gibt keine Entschuldigung für Diebstahl«, sagte der Vak nach einer Pause, aber er klang ein wenig verunsichert.

Genau diese Reaktion hatte Thrawn vorausgesehen. »Ich bitte Sie, mir eine Chance zu geben. Ich habe eine schriftliche Erklärung und ein Friedensangebot des Senior-Captains dabei. Falls Sie mir Landeerlaubnis erteilen, würde ich Ihrer militärischen Führung gerne dieses Angebot vorlegen.«

Eine weitere Pause, dann: »Sie dürfen landen. Ich habe ein Navigationssignal aktiviert, das Sie zu einer Andockplattform führen wird.«

»Che’ri?«, wisperte Thalias.

Das Mädchen nickte. »Ich habe das Signal auf dem Schirm … ändere jetzt den Kurs.«

»Danke«, sagte Thalias, wieder dem Mikrofon zugewandt. »Ich habe Anweisung, Senior-Captain Thrawns Schreiben persönlich Ihrem militärischen Anführer zu überreichen. Ich bitte Sie untertänigst, mich diese Pflicht erfüllen zu lassen.«

»Landen Sie erst mal«, brummte der Vak. »Nachdem wir den Jäger auf Schäden und Manipulation überprüft haben, können wir über Ihr Dokument sprechen.«

»Danke. Wir freuen uns darauf, Ihnen persönlich gegenüberzutreten.«

Ein Klicken war zu hören, als der Vak die Verbindung unterbrach. »So weit, so gut«, kommentierte Thalias, wobei sie sich um einen gelassenen Tonfall bemühte.

»Es wird funktionieren«, versicherte Che’ri ihr. Der Jäger neigte sich den Lichtern der fernen Stadt unter ihnen entgegen. »Thrawn weiß, was er tut. Wir wissen, was wir tun.«

Thalias nickte. Sie hatte noch immer ihre Zweifel, aber Thrawns Fähigkeiten standen außer Frage.

Sie konnte sich jedenfalls nicht erinnern, dass er schon mal falschgelegen hatte.