Information. Letztlich, so überlegte Ar’alani, kam alles darauf an. Natürlich folgten danach noch Analyse, Interpretation und Reaktion – die Bausteine einer erfolgreichen Militäraktion. Aber alles begann mit Information.
Und falls die Information falsch war, dann stürzte der Rest in sich zusammen wie ein Eispalast über einem Scheiterhaufen.
Thrawn behauptete, dass er Yivs Gedankengänge verstand, dass er die Vaks verstand.
Aber er hatte auch geglaubt, dass er die Lioaoi und die Garwia verstand. Sein Irrtum hatte alte Rivalitäten und politische Konflikte angefacht, zahlreiche Wesen das Leben gekostet und die Aszendenz zwischen die Fronten eines Krieges manövriert. »Noch fünf Minuten bis zum Rücksprung«, meldete die Erste Offizierin der Vigilant . »Alle Systeme und Stationen einsatzbereit.«
»Danke, Senior-Captain«, sagte Ar’alani. »Gibt es sonst noch etwas?«
Wutroow presste die Lippen zusammen. »Ich hoffe, Ihnen ist bewusst, dass wir uns hier auf dünnem Eis bewegen, Admiral. Alles, was wir haben, ist Senior-Captain Thrawns Vermutung, dass die Vaks noch nicht vollständig auf der Seite der Nikardun stehen. Falls er sich irrt, werden uns zwei Feinde gegenüberstehen. Und solange sie uns nicht direkt angreifen, haben wir keine Berechtigung, das Feuer auf sie zu eröffnen.«
»Es wird noch schlimmer«, warnte Ar’alani. In Gedanken sah sie die Sternjäger vor sich, denen sie und Thrawn bei der lioaoischen Hauptwelt begegnet waren. »Falls die Vaks sich Yiv unterworfen haben, haben sie womöglich bereits nikardunische Offiziere an Bord ihrer Schlachtschiffe. Wir können also nicht mal sicher sein, wer wer ist, bis sie auf uns schießen.«
»Und bis sie schießen, können sie sich außerdem positionieren, wie immer sie wollen; sie können uns einkreisen, eine Sperrlinie zwischen uns und nikardunischen Schiffen bilden oder uns gemütlich ins Visier nehmen, ohne dass wir etwas dagegen tun können.« Wutroows Stimme war leise und grimmig.
»Na ja, vielleicht haben wir ja Glück, und die Vaks erklären uns den Krieg, sobald wir das System betreten«, schmunzelte Ar’alani. »Das würde die Sache einfacher machen.«
»Ja, Admiral.« Wutroow zögerte. »Dieser Energieschild, den Thrawn vom Rand des Chaos zurückgebracht hat? Wie gut ist der wirklich?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Ar’alani. »Ich war bei ein paar Tests dabei, nachdem sie herausgefunden hatten, wie sich der Schild an Chiss-Energiesysteme anschließen lässt, und ich muss sagen, er sieht ziemlich beeindruckend aus. Aber wie stark er ist oder wie lange er Dauerbeschuss standhalten wird …« Sie schüttelte den Kopf. »Das müssen wir selbst herausfinden.«
Wutroow stieß schnaubend den Atem aus. »Admiral, mit Ihrer Erlaubnis würde ich die Waffenmannschaften gern ein letztes Mal die Systeme überprüfen lassen. Ich nehme an, Sie haben Vorkehrungen getroffen, damit Himmelsläuferin Ab’begh sofort von der Brücke gebracht wird, wenn wir Primea erreichen?«
»Zwei Krieger werden sie zurück zu ihrer Suite bringen und bei ihr und ihrer Hüterin bleiben, bis die Schlacht vorbei ist.«
»Gute Idee«, kommentierte Wutroow. »Es war schlimm genug, dass Thrawn Che’ri verloren hat. Falls ein Enterkommando auch noch unsere Himmelsläuferin entführt, können wir ebenso gut gleich die Selbstzerstörung aktivieren.«
Ar’alani musste schmunzeln. »Falls das Ihre einzige Sorge ist, beneide ich Sie um Ihren Seelenfrieden.«
»Ich tue mein Bestes«, erwiderte Wutroow in unschuldigem Tonfall. »Mit Ihrer Erlaubnis kümmere ich mich dann um den Waffentest.«
Ein abschließender Impuls der Großen Präsenz ließ Qiloris Finger ein letztes Mal über die Kontrollen huschen, dann waren sie da.
»Ah«, sagte Thrawn, während der Pfadfinder sein die Sinne blockierendes Headset abnahm. »Ich sehe, General Yiv hat eine letzte Überraschung für uns vorbereitet.«
Qilori musste erst blinzeln, um seine trockenen Augen zu befeuchten, ehe er die vier gewaltigen Schlachtkreuzer sah, die dreißig Kilometer vor dem Bug des Frachters im Weltall hingen. »Warum, hat er gesagt, dass er auch unbewaffnet kommt?«, fragte er, und es fiel ihm schwer, die plötzliche Nervosität aus seiner Stimme zu verdrängen. Das war eine verdammt große Streitmacht da draußen; gut und gerne die Hälfte der Feuerkraft, die die Nikardun in dieser Region hatten.
Er hatte angenommen, dass Yiv sich damit begnügen würde, die Deathless zu ihrem Treffen mitzubringen, aber offenbar wollte der Wohlwollende bei dieser Sache kein Risiko eingehen.
»Nein, ich ging natürlich davon aus, dass er weitere Schiffe mitbringt«, erwiderte Thrawn. »Ich meine viel eher die Tatsache, dass dies nicht die Koordinaten sind, die er in seiner Nachricht erwähnte.«
»Ach nein?«, fragte Qilori mit vorgetäuschter Überraschung. Dies waren die Koordinaten, die Yiv ihm gegeben hatte, aber natürlich konnte Thrawn das nicht wissen. »Ich verstehe das nicht. Das sind die Koordinaten, die ich aus dem Schiffscomputer heruntergeladen habe, bevor wir von der Station aufbrachen.«
»Dann muss jemand sie ausgetauscht haben, nachdem wir sie an den Disponenten übermittelt hatten.« Thrawn deutete nach links, wo Primea als kleiner Punkt in der Ferne zu erkennen war. »Wir sollten eigentlich in einem hohen Orbit in den Normalraum zurückfallen. Aber offenbar möchte der General, dass wir unsere kleine Transaktion in einem weniger gut beobachteten Teil des Systems durchführen.«
Er drückte den Kommknopf an seinem Sessel. »General Yiv, hier ist Senior-Captain Thrawn. Ich hoffe, meine Begleiter sind unversehrt.«
Der Kommschirm leuchtete auf, und sie sahen Yiv auf seiner Brücke. Die Symbionten rekelten sich in ihrem unheimlichen Rhythmus auf seinen Schultern, und auf dem Deck vor ihm knieten seine beiden Gefangenen. Eine von ihnen war die Frau, die Qilori bei dem diplomatischen Empfang auf Primea gesehen hatte – die Frau, die der Chiss als seine Familiengeisel bezeichnete. Die andere war viel jünger, ein Kind noch, aber sie war auf dieselbe groteske Weise geschminkt wie ihre Begleiterin. Offenbar hatten die Chiss keine Altersbeschränkungen, was diese Geisel-Sache anging. »Hier, überzeugen Sie sich von der Unversehrtheit Ihrer Geiseln , Captain«, sagte Yiv, wobei er mit der Hand von einer Gefangenen zur anderen deutete. »Haben Sie Ihre Gegenleistung mitgebracht?«
»Das Geld befindet sich in einer Sonde«, antwortete Thrawn. »Ich werde sie zu Ihrem Schiff hinüberschicken, sobald meine Begleiterinnen an Bord eines Shuttles sind. Wir tauschen sie gleichzeitig aus.«
»Ich fürchte, da haben Sie mich falsch verstanden, Captain.« Der selbstgefällige, bedrohliche Ton von Yivs Stimme ließ Qilori schaudern. »Nicht das Geld ist die Gegenleistung, Sie sind es.«
»Ich verstehe«, erwiderte Thrawn ruhig. Falls Yivs List ihn überraschte, ließ er das weder in seiner Miene noch in seinem Tonfall erkennen. »Haben Sie vor, mich mit meinem Schiff zu zerstören?«
»Sie haben einen meiner Jäger gestohlen und eine meiner Mannschaften ermordet«, entgegnete Yiv. Jeglicher Humor war aus seiner Stimme gewichen. »Dafür haben Sie den Tod durch meine Hand verdient. Ich würde Sie lieber an Bord der Deathless bringen lassen, damit ich Ihnen beim Sterben zusehen kann, aber falls Sie darauf bestehen, schieße ich Sie gerne aus der Distanz ab.«
»Ich bestehe nicht darauf«, versicherte Thrawn ihm. »Da die Koordinaten unseres Treffens geändert wurden, kann ich wohl davon ausgehen, dass auch der Rest unserer ursprünglichen Vereinbarung nicht mehr gilt.«
»Richtig«, sagte Yiv. Nun, da er das Todesurteil mit der gebührenden Härte verkündet hatte, war die alte Arroganz in seine Stimme zurückgekehrt. Er genoss es einfach zu sehr, seinen Feind auf dem Richtblock zappeln zu sehen. »Haben Sie irgendwelche Einwände?«
»Lassen Sie mich Ihnen zunächst zur Verschiebung des Treffpunktes gratulieren«, begann Thrawn. »Der Orbit von Primea wäre eine zu öffentliche Bühne für eine Hinrichtung. Vor allem, da die Vaks nicht wissen sollen, wie viele Schlachtschiffe Sie in der Region haben.«
»Sie wären wohl kaum überrascht«, versicherte Yiv ihm. »Die Vaks haben diese Schiffe schon oft gesehen. Es geht nichts über einen Schlachtkreuzer, wenn man reibungslose Verhandlungen garantieren will, wissen Sie?«
»Das gilt vielleicht im Allgemeinen«, entgegnete Thrawn. »Aber bei einer Spezies wie den Vaks zeigt es vermutlich nur begrenzt Wirkung. Nun, immerhin waren Sie schlau genug, im Primea-System zu bleiben, anstatt uns weiter entfernt abzufangen. Auf diese Weise können Sie mit einem Mikrosprung innerhalb weniger Minuten bei Primea sein.«
»Nicht dass es nötig wäre«, sagte Yiv. Ein misstrauischer Unterton hatte sich in seine Worte gemischt, wie Qilori mit einem unbehaglichen Kribbeln auffiel. Wenn irgendjemand in dieser Situation besorgt sein sollte, dann müsste es doch Thrawn sein, oder? Warum also machte der Chiss weiter gelassen Konversation, noch dazu über so irrelevante Themen? »Oder erwarten Sie, dass die Regierung des Kombinats plötzlich um eine Unterredung mit mir bittet?«
»Nicht unbedingt«, antwortete Thrawn. »Aber ich habe mir erlaubt, selbst eine unserer Vereinbarungen zu ändern.«
»Und welche?«
»Die, dass ich alleine nach Primea komme«, erklärte Thrawn.
Der Hyperraumtunnel löste sich in weiße Linien auf, dann in Sterne, und die Springhawk war wieder im Normalraum.
»Dalvu: Sensorscan«, befahl Samakro, noch bevor er aus dem Aussichtsfenster blickte. Da draußen gab es jede Menge Aktivität: Schiffe aller Größen und Bautypen kreisten über Primea, und viele mehr hingen im Orbit, während sie auf ihre Landeerlaubnis warteten. Nicht weiter überraschend für ein wichtiges diplomatisches und Handelszentrum. Leider würde das rege Treiben ihre Aufgabe, den Feind auszumachen, deutlich erschweren.
Oder sie sogar unmöglich machen, falls die Nikardun andere Baumodelle benutzten als die, welche Thrawn ihnen beschrieben hatte. In dem Fall könnten sie Yivs Schiffe nicht aus der Menge herauspicken, und die Mission wäre vorbei, noch bevor sie richtig begonnen hatte.
Dann müsste Thrawn sich Yiv alleine entgegenstellen.
»Die Vigilant ist ebenfalls angekommen, Mid-Captain«, meldete Dalvu.
»Verstanden.« Samakro spähte zu dem Nightdragon-Kreuzer hinüber, der gerade in der Ferne vor der Springhawk erschienen war. Während er noch hinsah, tauchte auch der Rest von Ar’alanis Kampfverband aus dem Hyperraum auf. Die Kreuzer, Zerstörer und Raketenboote gingen rasch um ihr Flaggschiff herum in Abwehrposition. »Kharill, empfangen wir schon ihr Signal?«
»Wird gerade hergestellt«, erklärte Kharill. »Ein offener Kommruf an den Planeten und den Rest der Truppen.« Ein doppeltes Klicken ertönte …
»Primea-Zentralkommando, hier spricht Admiral Ar’alani von der Vorgelagerten Expansionsflotte der Chiss«, hörten sie Ar’alani sagen. »Ich nehme an, Sie haben die Nachricht von Senior-Captain Thrawn erhalten.«
»Hier Zentralkommando«, meldete sich prompt eine förmlich klingende Stimme. »Ja, wir haben seine Nachricht erhalten.«
»Und haben Sie über seinen Vorschlag nachgedacht?«
»Ja«, wiederholte der Vak. »Wir warten noch auf Ihre Informationen über die Anzahl und die Position der angeblichen Nikardun-Schiff in unserem System.«
»Unsere Offiziere sammeln gerade die entsprechenden Daten«, versicherte Ar’alani ihm.
»Dalvu«, sagte Samakro. »Jede Sekunde zählt.«
»Aber wir müssen gründlich sein«, entgegnete Kharill.
»Richtig.« Samakro rang seine Ungeduld nieder. Die nikardunischen Schiffe im Orbit hatten Yiv sicher schon berichtet, dass eine Chiss-Flotte eingetroffen war; vermutlich warteten sie gerade auf seine Befehle, und je länger der Sensorsuchlauf dauerte, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass Yiv einen Befehl zum Angriff geben würde.
Normalerweise wäre das kein Problem – im Gegenteil, es wäre genau der Vorwand, den die Chiss brauchten, um das Feuer zu erwidern. Doch falls es geschah, bevor sie die Vaks überzeugen könnten, hätten sie ihren potenziellen Verbündeten für immer verloren.
Trotzdem gab es für alles eine Grenze. Sie konnten nicht zulassen, dass ein feindliches Schiff zu nah herankam, egal, ob es zu den Nikardun oder einer der anderen Spezies gehörte. Die Sekunden verstrichen …
»Ich habe sie, Sir«, rief Dalvu mit sichtlicher Erleichterung. »Zweiunddreißig Kontakte, von Raketenbooten bis hin zu Zerstörern.«
»Die Vigilant schickt gerade ihre eigene Liste«, fügte der Kommoffizier an. »Die Grayshrike und die Whisperbird teilen ihre eigene Einschätzung.«
»Alle vier stimmen überein«, verkündete Dalvu ein paar Augenblicke später. »Ich wiederhole: Zweiunddreißig Feindschiffe sind bestätigt. Einsatzmuster … Na, so was!« Sie berührte eine Taste, und die Sensorkontakte der nikardunischen Schiffe erschienen auf dem Taktikdisplay.
»Sieh sich das einer an«, kommentierte Kharill mit gespielter Überraschung. »Ich würde fast sagen, das sieht nach einer Blockadeformation aus.«
»In der Tat«, nickte Samakro. Vermutlich hatten sie diese Formation bereits eingenommen, um zu verhindern, dass irgendwelche Schiffe aus dem allgemeinen Verkehrsstrom ausbrachen und zufällig Yivs Konfrontation mit Thrawn störten – wo immer sie stattfinden mochte. Doch natürlich würden die Vaks nicht wissen, dass das der Grund war.
»Die Vigilant übermittelt die Sensordaten an das Zentralkommando auf Primea«, meldete Kharill.
»Gut«, brummte Samakro. »Mal sehen, ob sie von sich aus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.«
»Sie sollten sich besser beeilen«, erwiderte Kharill. »Yiv hat sicherlich noch mehr Schiffe in der Nähe. Und ich für meinen Teil würde diese Blockade gerne zerstören, bevor er die großen Geschütze auffährt.«
»Admiral Ar’alani, hier spricht das Zentralkommando von Primea«, drang nun wieder die Vak-Stimme aus dem Lautsprecher. »Soll ich auf Grundlage Ihrer Daten annehmen, dass wir das Opfer einer nikardunischen Blockade sind?«
»Es sieht jedenfalls ganz so aus, Zentralkommando«, bestätigte Ar’alani. »Werden Sie Ihre Verteidigungsflotte zurückhalten, wenn wir gegen die Nikardun vorgehen?«
»Captain Thrawn hat dieselbe Frage gestellt«, erklärte der Vak. »Jetzt steht unsere Antwort fest. Wir werden nicht eingreifen.«
»Danke«, sagte Ar’alani. »Kampfverband, Sie haben Ihre Ziele. Einsatzfreigabe.«
»Sie haben den Admiral gehört«, rief Samakro, während er auf dem Display die zwei nächstgelegenen Nikardun-Schiffe markierte. »Wir fangen mit diesen beiden an. Azmordi, voller Schub voraus.«
»Nein«, hauchte Yiv, die Augen auf etwas gerichtet, das man auf dem Bildschirm nicht sehen konnte. Seine Selbstgefälligkeit war verschwunden, ersetzt durch Fassungslosigkeit und einen wachsenden Zorn, der sich auch in den Zuckungen seiner Symbionten widerspiegelte. »Das ist unmöglich. Sie sind nicht wichtig genug, dass die Chiss eine ganze Flotte schicken würden, nur um Sie zu retten.«
»Sie glauben, die Chiss haben meinetwegen eine Streitmacht entsandt?« Thrawn schüttelte den Kopf. »Ich glaube eher, das Vak-Kombinat hat die Aszendenz um Hilfe gebeten.«
»Das ist absurd«, schnappte Yiv. »Diese Narren würden nie eine solche Entscheidung treffen. Sie haben weder genug Informationen noch genug Zeit, um die gesamte Gedankenkette durchzuspielen.«
»Sie unterschätzen die Vaks, General«, erwiderte Thrawn. »Das wird Ihr Untergang sein. Möchten Sie wissen, was in der Nachricht stand, die ich ihnen geschickt habe?«
»Ich weiß , was in der Nachricht stand«, konterte Yiv. »Ich habe sie Ihrer Geisel abgenommen.«
»Und sie durch etwas Belangloses ersetzt«, nickte Thrawn. »Genau damit habe ich gerechnet. Darum habe ich auch eine andere Nachricht in den Computer des Sternjägers einprogrammiert. Möchten Sie wissen, was darinsteht?«
Yivs Blick huschte zwischen dem Kommschirm und diesem Punkt außerhalb des Erfassungsbereiches hin und her, und ein schreckliches Feuer loderte in seinen Augen. »Raus damit«, zischte er leise.
Thrawn räusperte sich. »›An das Zentralkommando von Primea. Ich bin Senior-Captain Thrawn, und ich habe meine Begleiterin, Thalias, mit einer Nachricht zu Ihnen geschickt. Nachfolgend finden Sie eine Kopie des Textes. Sollte er identisch mit der Nachricht sein, die Ihre Leute Ihnen übermittelt haben, können Sie über mein Angebot entscheiden, wie immer Sie möchten.
Sollte es hingegen nicht dieselbe Nachricht sein, ist davon ausgehen, dass einige Ihrer Offiziere und Soldaten Ihnen auf General Yivs Befehl hin die eigentliche Botschaft vorenthalten haben. Sollte das der Fall sein, bitte ich Sie, so schnell wie möglich eine Entscheidung zu treffen. Um Ihnen dabei zu helfen, habe ich Daten aus anderen Systemen beigefügt, welche mit den Nikardun in Kontakt kamen, außerdem Informationen über ein Schiff voller Flüchtlinge, das Yiv zerstören ließ. Ich oder ein anderer Vertreter der Chiss-Aszendenz wird in Kürze bei Primea eintreffen, um die Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen.‹«
Thrawn verstummte, und einen langen Moment starrte Yiv ihn einfach nur an. Dann, zu guter Letzt, sagte der Wohlwollende: »Das ist absurd. Die Vaks werden keine schnelle Entscheidung treffen. Dazu sind sie gar nicht imstande. Sie wollen immer erst alle Möglichkeiten abwägen. Alle Möglichkeiten …«
Thrawn schüttelte den Kopf. »Nein, nur die relevanten Möglichkeiten …«
»Seien Sie verflucht!«, schnitt Yiv ihm das Wort ab, und einmal mehr wandte er sich etwas zu, was man auf dem Schirm nicht sehen konnte. »Nein! Das ist unmöglich. Die Vaks …« Er knurrte etwas, und die Verbindung wurde unterbrochen.
»Was ist hier los?«, fragte Qilori mit zitternden Wangenlappen. Vor drei Minuten hatte der Wohlwollende noch alles unter Kontrolle gehabt. Was bei den Tiefen war geschehen?
»Ich vermute, die Vaks haben Admiral Ar’alani Erlaubnis erteilt, gegen die nikardunischen Blockadeschiffe vorzugehen«, antwortete Thrawn mit unerträglich ruhiger Stimme.
»Die Blockadeschiffe? Aber es gibt doch gar …« Qilori schluckte seinen instinktiven Protest hinunter. Er war nur ein angeheuerter Pfadfinder. Natürlich hatte Yiv ihm nicht alle Details seines Plans verraten. »Es gibt also eine Blockade?«
»Vermutlich sollte sie nur sicherstellen, dass niemand unser geheimes Treffen stört«, erklärte Thrawn ein wenig zu gelassen. »Aber natürlich wissen die Vaks das nicht. Sie sehen nur, dass Yiv ihnen relevante Informationen vorenthalten hat. Folglich laufen alle möglichen Szenarien darauf hinaus, dass er Primea seinen Willen aufzwingen will.«
Er drehte sich herum, und die Intensität seiner rot glühenden Augen ließ Qilori schaudern. »Verraten Sie mir eines, Pfadfinder: Glauben Sie, Yiv wird tatenlos danebenstehen, während seine Flotte über Primea zerstört wird?«
»I-ich weiß nicht«, stammelte Qilori hilflos. Was sollte er sagen? »Ich nehme an … Vermutlich kommt es darauf an, ob er es sich leisten kann, die Schiffe zu verlieren.«
»Sie gehen falsch an die Frage heran«, tadelte Thrawn. »Natürlich kann er es sich leisten, die Schiffe zu verlieren. Aber kann er es sich leisten, vor den Augen der Vaks eine Niederlage gegen die Chiss zu erleiden?«
»Sicher hat er nur kleinere Schiffe über Primea positioniert«, sagte Qilori. »Es ist keine Schande, mit kleinen Schiffen gegen große Schlachtschiffe zu verlieren.«
»Es sei denn, er hat große Schlachtschiffe in der Nähe und weigert sich nur, sie aufs Spiel zu setzen.«
»Vielleicht wissen die Vaks nicht von diesen Kreuzern.«
»Natürlich wissen sie davon«, entgegnete Thrawn in schulmeisterlichem Ton. »Er hat es vorhin doch selbst zugegeben.«
Qilori stieß einen lautlosen Fluch aus. Warum hatte Yiv damit angeben müssen, dass er seine Schlachtkreuzer in der Region patrouillieren ließ, um die Vaks einzuschüchtern? »Äh …«
»Aber das sind alles nur Details«, fuhr Thrawn fort, als hätte er nichts gehört. »Letztlich läuft es darauf hinaus, dass er vor den Vaks keine Schwäche zeigen darf.« Er nickte in Richtung Cockpitfenster. »Wie Sie ja sehen können.«
»Wie ich …?« Qiloris folgte Thrawns Blick zu den vier nikardunischen Schlachtkreuzern vor ihnen …
Von denen nur noch einer übrig war. Die Deathless schwebte nach wie vor an ihrer Position, ihre Ehrfurcht gebietenden Waffensysteme auf den kleinen Frachter gerichtet. Aber die drei anderen Schiffe waren verschwunden.
»Das sollte die Schlacht ein wenig interessanter machen«, kommentierte Thrawn, wobei er den Kommschalter umlegte. »Vorausgesetzt, Admiral Ar’alani hat die nikardunischen Blockade nicht schon zerschlagen. General, können Sie mich hören?«
»Ich höre Sie, Thrawn.« Das Display leuchtete unvermittelt auf und zeigte einmal mehr Yivs Gesicht.
Nur war es nicht länger der charismatische, charmante Wohlwollende, der Freund aller Völker, den er so gerne vor seinen potenziellen Untergebenen spielte. Es war auch nicht der leise drohende General, den Qilori schon viel zu oft erlebt hatte – und dessen Worte seine Wangenlappen zittern ließen, selbst wenn sie nicht an ihn gerichtet waren.
Nein, dies war ein Yiv, den er noch nie gesehen hatte. Ein Yiv, der vor unkontrolliertem Zorn brodelte.
»Dafür wird Ihre gesamte Spezies büßen«, grollte der Nikardun. »Ich werde nicht nur Sie umbringen. Ich werde nicht nur Ihre erbärmliche Flotte zermalmen. Ich werde alle Chiss auslöschen. Die Aszendenz wird verbrennen wie trockenes Gras. Bis zum letzten Kind werde ich sie abschlachten … Und bevor ich Sie gleich vernichte, sollen Sie wissen, dass Sie – und Sie allein – der Grund für den Untergang Ihres Volkes sind.«
»All das nur, weil ich Ihnen Primea als Basis vermasselt habe?«, fragte Thrawn. Sosehr Yivs Stimme vor Hass bebte, so gelassen war der Tonfall des Chiss. »Ich bitte Sie, General. Sie müssen sich nur zurückziehen und noch einmal von vorne beginnen.« Sein Gesicht wurde hart. »Ich würde aber vorschlagen, dass Sie sich beim nächsten Mal einen anderen Teil des Chaos aussuchen. Diese Region wird nämlich nicht noch einmal auf Ihr Lächeln und Ihre Versprechen hereinfallen.«
»Wie wenig Sie doch wissen, Chiss.«
»Dann klären Sie mich auf«, schlug Thrawn vor. »Verraten Sie mir, wem Sie dienen oder wer hinter Ihrer Expansionsflotte folgt. Es würde mich wirklich interessieren, ob Sie mehr zu bieten haben als nur Ihre Nikardun.«
Yivs Mund verzerrte sich zu einem Lächeln, das mindestens ebenso mordlüstern wirkte wie sein Blick. »Dann werden Ihre offenen Fragen Ihnen in der Hölle Gesellschaft leisten.« Langsam senkte er den Blick zu den beiden Frauen, die vor ihm knieten. »Aber bevor Sie aus diesem Leben scheiden, werde ich Ihnen noch zeigen, welches Schicksal Ihre gesamte Spezies erwartet.«
Die Springhawk hatte gerade ein Drittel ihrer Kanonenboote in das von Laserblitzen durchzuckte Vakuum entlassen, als drei Schlachtkreuzer aus dem Hyperraum auftauchten.
»Das sind sie also, die großen Geschütze«, kommentierte Kharill ruhig. »Das war ein beeindruckend präziser Mikrosprung.«
»Ich glaube, es war nur ein kleiner Hüpfer innerhalb des Systems«, entgegnete Azmordi von der Station des Steuermanns. »Kürzer und leichter als ein Mikrosprung.«
»Außerdem sind die Raumverwirbelungen nicht stark genug, um zu ermitteln, aus welcher Richtung sie kamen«, fügte Dalvu hinzu. »Selbst wenn Yiv sie von seiner Position aus losgeschickt hat, haben wir noch immer keine Ahnung, wo er ist.«
Sie konnten Thrawn also nicht zu Hilfe eilen. Der Senior-Captain blieb weiterhin auf sich allein gestellt, und sollte er irgendeinen Aspekt seines Plans falsch eingeschätzt haben, würde er dort draußen sterben.
Dann würde die Springhawk einen neuen Captain brauchen …
Hör auf!, tadelte Samakro sich. Thrawn war sein Vorgesetzter, der rechtmäßige Kommandant dieses Schiffes! Und Samakro würde seine Pflicht Ar’alani und der Aszendenz gegenüber erledigen und dafür sorgen, dass die Springhawk die Schlacht in bestmöglichem Zustand überlebte, egal, wer am Ende des Tages ihr Captain war.
Eine Aufgabe, die vor dreißig Sekunden noch deutlich leichter erschienen war. »Ihre Befehle, Admiral?«, fragte er.
»Wie treiben sie auseinander«, sagte Ar’alani. »Grayshrike, Whisperbird, Stingfly , Sie übernehmen den Kreuzer auf der Steuerbordseite. Ich kümmere mich um den auf der Backbordseite. Springhawk , Sie konzentrieren sich auf das mittlere Schiff. Gehen Sie keine unnötigen Risiken ein – wir wollen sie nur beschäftigen. Alle anderen Schiffe: Halten Sie uns den Rücken frei und dezimieren Sie weiter die Blockade.«
»Verstanden«, bestätigte Samakro. Die Springhawk sollte sich also allein gegen einen Schlachtkreuzer stellen? Na großartig!
»Immerhin erwartet sie nicht, dass wir den Feind zerstören«, bemerkte Kharill trocken. »Haben Sie eine Idee, wie wir so ein großes Biest beschäftigen sollen?«
Samakro lächelte. »Und ob ich eine Idee habe!«