ERINNERUNG XIII

Ar’alani wusste, dass sie mit Thrawn über die Ereignisse auf Solitair sprechen musste, doch sie fand genug Ausreden und Vorwände, um diese Unterhaltung vor sich herzuschieben, bis sie fast wieder zu Hause waren.

Zu guter Letzt führte aber kein Weg mehr daran vorbei.

»Ich hätte es sehen sollen«, sagte Thrawn, den Blick fest auf eine leere Ecke von Ar’alanis Büro gerichtet. »Ich hätte die Zeichen erkennen müssen.«

»Nein«, entgegnete sie. »Ich hätte sie erkennen müssen, nicht Sie.«

»Weil Sie mehr Erfahrung haben als ich?«

»Weil Sie keine Ahnung von Politik haben«, verdeutlichte Ar’alani. »Positionsgerangel, Fehden, alte Rechnungen, Winkelzüge – für solche Dinge hatten Sie noch nie ein echtes Verständnis.«

»Aber warum nicht?«, fragte Thrawn. »Es ist nicht so, als wollte ich Ihnen widersprechen, aber letztlich geht es doch auch um Strategien und Taktiken. Es ist nur eine andere Form der Kriegsführung. Warum kann ich sie nicht verstehen?«

»Weil die Methoden der Kriegsführung vergleichsweise geradlinig sind«, erklärte Ar’alani. »Sie haben Ihr Ziel, Sie sammeln Verbündete und Ressourcen, dann entwickeln Sie eine Strategie und bekämpfen den Feind. In der Politik hingegen wechseln Bündnisse und Ziele tagtäglich. Und wenn man solche Veränderungen nicht vorhersehen kann, kann man sich auch nicht darauf vorbereiten.«

»Im Krieg wechseln Bündnisse ebenfalls.«

»Aber es dauert eine Weile, um Schiffe und Armeen neu auszurichten und Frontlinien anzupassen«, erwiderte sie. »Sie nutzen diese Zeit, um sich an die neuen Verhältnisse anzupassen. In der Politik entstehen Veränderungen durch Worte und Unterschriften. Eine halbstündige Unterhaltung – oder ein angemessenes Bestechungsgeld –, und nichts ist mehr wie vorher.«

»Ich verstehe.« Thrawn atmete langsam ein. »Dann muss ich diese Form der Kriegsführung studieren. Und meistern.«

»Das wäre hilfreich«, sagte Ar’alani.

Doch sie wusste, dass er nie ein politisches Verständnis entwickeln würde. Wenn die Welt der Politik ein subtiler, komplexer und letztlich eigennütziger Tanz war, dann war Thrawn ein Blinder mit zwei linken Füßen.

Sie konnte nur hoffen, dass seine Familie schlau genug war, ihn ausschließlich in der militärischen Arena antreten zu lassen. Dort – und nur dort – konnte er der Aszendenz von echtem, dauerhaftem Nutzen sein.

Thurfian hatte während seiner Jahre im Syndicure schon viele bittere Pillen schlucken müssen, aber dies war definitiv die bitterste.

»Ein Geprüfter?«, sagte er zu dem Mann, der ihn vom Bildschirm der Kommanlage aus anstarrte. »Nach dem Fiasko mit den Lioaoi und den Garwia machen Sie ihn zu einem Geprüften

»Wir hatten keine Wahl«, erklärte Sprecher Thistrian. »Die Irizi versuchen, ihn den Mitth abspenstig zu machen.«

»Es ist nicht das erste Mal«, winkte Thurfian ab. »Und er hat bereits zuvor abgelehnt.«

»Nicht offiziell«, entgegnete der Sprecher. »Außerdem boten sie ihm damals nur den Rang eines Geprüften an. Diesmal wollen sie ihn gleich zu einem Drittrangigen machen.«

Thurfians Augen weiteten sich. »Ein Drittrangiger ? Das ist absurd.«

»Vielleicht. Vielleicht nicht. Aber selbst Thrawn muss klar sein, welche politischen Vorteile ihm eine solche Position bringen würde. Wir müssen also hoffen, dass er lieber ein Geprüfter der Mitth ist als ein Drittrangiger der Irizi.«

»Sie bluffen«, beharrte Thurfian. »Sie wollen uns dazu bringen, ihn tiefer in der Familie zu verwurzeln. Je höher sein Rang ist, desto größer ist der Druck auf die Mitth, wenn er seinen nächsten großen Fehler macht.«

»Vielleicht gibt es keinen nächsten Fehler.«

»Keinen Fehler?« Er schnaubte. »Das glauben Sie ebenso wenig wie ich. Der Mann ist eine Bedrohung. Wenn man ihn einfach machen lässt, wird er sich früher oder später selbst zerstören. Und die Mitth vielleicht gleich mit.«

»Oder er führt die Aszendenz zu nie gekannten Höhen.«

Thurfian starrte den Bildschirm an. »Das soll ein Scherz sein, richtig? Zu nie gekannten Höhen? «

»Es ist möglich«, beharrte der Sprecher. »Und falls dieser Fall eintritt, sollen es nicht die Irizi sein, die sich im Ruhm seiner Taten sonnen.«

»Bei allem Respekt, Sprecher, er wird uns keinen Ruhm bringen«, sagte Thurfian. »Selbst der Rat scheint das bereits erkannt zu haben. Warum sonst hätten sie ihn wieder zum Mid-Captain degradiert?«

»Aber sie haben ihm auch ein anderes Schiff gegeben«, konterte Thistrian.

Zum zweiten Mal innerhalb der letzten sechzig Sekunden quollen Thurfian die Augen aus den Höhlen. »Sie haben … was

»Und diesmal ist es gleich ein schwerer Kreuzer – die Springhawk «, erläuterte der Sprecher. »Außerdem gibt es Überlegungen, ihn zum Kommandanten von Patrouillenverband Zwei zu machen.«

Ein eisiger Schauder rann über Thurfians Rücken, während er den Sprecher anstarrte. »Wer steckt dahinter?«, fragte er mit heiserer Stimme. »Nur jemand mit großem politischem Kapital könnte ihm ein Kommando verschaffen. Wer ist es?«

»Ich weiß es nicht.« Der Sprecher seufzte schwer. »Falls es jemand aus der Flotte ist, würde ich auf General Ba’kif oder vielleicht Admiral Ja’fosk tippen. Und bei den Mitth …« Er schüttelte den Kopf. »Da müsste es jemand im Dunstkreis des Patriarchen sein.«

»Oder vielleicht der Patriarch selbst?«

»Ich weiß nicht, wie wahrscheinlich das ist«, erwiderte Thistrian. »Aber ich würde es auch nicht ausschließen. Er scheint von Anfang an großes Interesse an Thrawns ­Leben und Karriere gezeigt zu haben.«

»Das Ganze ist Wahnsinn«, stöhnte Thurfian. »Seine Fehltritte überwiegen noch immer seine Erfolge.«

»Das sehe ich ähnlich, aber es gibt zwei Arten von Wahnsinn«, erklärte der Sprecher. »Ich habe mir die aktuelle Mission von Patrouillenverband Zwei angesehen. Wie sich herausstellte, überwacht er eine Zone am östlichen Rand der Aszendenz. Thrawn wäre dort also weit von der Politik der Aszendenz entfernt.«

Thurfian dachte darüber nach. Wenn man Thrawns politische Unfähigkeit bedachte, wäre das vermutlich wirklich ein geeignetes Einsatzfeld für ihn. »Und noch weiter entfernt von den Lioaoi und den Garwia«, fügte er an.

»Was ganz klar ein weiterer Vorteil ist«, pflichtete ihm der Sprecher bei. »Soweit ich weiß, gibt es dort draußen nur kleine Ein-System-Nationen, leeren Raum und Piraten.«

»Großartig«, bemerkte Thurfian in säuerlichem Ton. »Noch mehr Piraten.«

»Aber auf dieser Seite der Aszendenz sind die Paataatu die einzige Kultur, die groß genug ist, um eine Piratengruppe zu unterstützen«, sagte der Sprecher. »Das heißt, es gibt weniger Potenzial für politische Verwicklungen, falls er wieder auf Piratenjagd geht. Davon abgesehen hat er bereits demonstriert, dass er falls nötig kurzen Prozess mit den Paataatu machen kann – und sie wissen es ebenfalls.«

»Da ist was dran«, musste Thurfian eingestehen. »Trotzdem hätte der Rat ihn dorthin schicken können, ohne ihm ein Schiff zu geben.«

»Vielleicht. Aber die Springhawk ist alles andere als ein Prestigeobjekt. Auf diesem Schiff wird er keinen Ruhm ernten; dort erwarten ihn lediglich der Druck und die Verantwortung eines Kommandos. Ich würde sagen, alles in allem hätte es viel schlimmer kommen können.«

»Ach ja?« Thurfian schnaubte. Kommandant eines Kreuzers und Geprüfter der Mitth. Und das sollte nicht schlimm sein?

Aber diese Sache war noch nicht vorbei. Nicht mal ansatzweise. Falls Thrawn den Irizi noch einmal die kalte Schulter zeigte – und falls Sprecher Thistrian recht hatte, würde er genau das tun –, dann hätte Aristokra Zistalmu einen Grund mehr, seinen kleinen Feldzug gegen Thrawn weiter voranzutreiben. Gemeinsam würden sie einen Weg finden, seine Karriere zu beenden, bevor er etwas tat, von dem die Aszendenz sich nicht mehr erholen konnte.

Zugegeben, im Augenblick mochten sie nur zu zweit sein, aber Thurfian war sicher, dass sich ihnen in den kommenden Monaten und Jahren noch weitere Aristokra anschließen würden. Denn wenn es etwas gab, was sie alle teilten – über die Grenzen von Familienpolitik und Rivalitäten hinaus –, dann war es die Liebe zur Aszendenz.

»Versuchen Sie, das Positive zu sehen, Thurfian«, drang die Stimme des Sprechers in seine Gedanken. »Was ­immer Thrawn als Nächstes tut, es wird garantiert unterhaltsam.«

»Ja«, brummte Thurfian grimmig. »Ich hoffe nur, wir werden es alle überleben.«