Ich liebe den Geruch frischer Elfenbeintasten
am Morgen

Wie unser Held einmal fast der fünfte Beatle geworden wäre und das Gäste-Séparée des französischen Präsidenten zerlegte. Bonus: Schmidt singt.

Herr Schmidt, Sie spielen leidenschaftlich Klavier. Hätte es Sie gereizt, Weltklassepianist statt Bundeskanzler zu werden?

Es gibt Menschen, für die beides zutrifft. Sie sollten mit mehr Fingerspitzengefühl fragen.

Welche Musik haben Sie als junger Mann gern gehört?

»Lili Marleen« hatte ich sehr gemocht, jeden Abend im Reichssender Belgrad. Später dann Mozart, und noch mehr Salieri. Ich komponiere hin und wieder auch selbst. Übrigens habe ich gerade etwas Neues fertiggestellt, ein 287-teiliges Quodlibet nach der Melodie »Drei Chinesen mit dem Kontrabass«. Wollen Sie mal hören?

Später sehr gern. Mich würde interessieren, wann Sie zum ersten Mal öffentlich als Pianist aufgetreten sind. Gab es einmal den ganz jungen Musiker Helmut Schmidt?

Ich hatte noch während meiner Zeit als Polizeisenator ab und zu in Reeperbahnlokalen Klavier gespielt, auch mal mit vier jungen Musikern aus England. Die fanden meine Lili-Marleen-Variationen absolut splendid. Für einen Moment hatte ich mir überlegt, der fünfte Mann in ihrer Band zu werden. Doch daran war ja nicht ernsthaft zu denken. Ich musste als junger Familienvater Geld verdienen. Außerdem kam ich mit einem von denen überhaupt nicht zurecht. Das war ein klugscheißerischer Kurzsichtiger, der anfing, mich als Militarist zu beschimpfen.

Das ist ja ein völlig unbekannter Teil Ihrer Biografie! Was passierte denn später mit diesen jungen Engländern?

Tja, der mit der Nickelbrille ist tot, einer wurde Esoteriker und starb trotzdem, und einer hat eine schmutzige Scheidung hinter sich. Von dem vierten hört man gar nichts mehr. Das sind genau die Karrieren, von denen ich mich immer ferngehalten habe.

Herr Schmidt, haben Sie denn irgendwann auch mal modernere Sachen als Lili Marleen gehört? Jazz?

Ja, Louis Armstrong und Band zum Beispiel. Dazu haben Loki und ich manchmal im Wohnzimmer getanzt. Ich fand die Trompetensoli ein bisschen aufdringlich, aber sonst war’s ganz in Ordnung. Armstrong war ja ein Schwarzer, wie Sie vielleicht wissen. Die hatten es damals in den Staaten nicht leicht.

Nun ja, heute würde man allerdings Afroamerikaner oder Men of Colour sagen.

Ich nicht. Ich sage auch immer noch Obervolta und Doppelzentner und warmer Bruder.

Herr Schmihid, wollen wir nicht lieber bei unserem schönen Thema bleiben? Ich habe das extra ausgesucht, um Sie unseren Lesern auch einmal von Ihrer besonders sympathischen Seite zu zeigen. Vielleicht erzählen Sie uns etwas über den wunderschönen Konzertflügel, der in Ihrem Wohnzimmer steht.

Ich liebe vor allem die echten Elfenbeintasten. Elfenbein! Selbst Marc Aurel würde bei diesem Wort romantische Anwandlungen spüren.

Da müssen wir unsere Leser aber schnell beruhigen – die Elfenbeintasten stammen doch sicherlich aus grauer Vorzeit, als kein Mensch an Tierschutz dachte.

Nee, im Gegenteil, die sind fast neu. Ein Geschenk des spanischen Königs Juan Carlos zu meinem Neunzigsten.

Herr Schmidt, wenn ich ganz kurz intervenieren darf –

Aber das heißt nicht, dass er nur Elefanten schießt. Er selbst besitzt übrigens selbst einen sehr schönen Flügel mit Applikationen aus Babyrobbenfell.

… wir müssen jetzt leider ganz schnell zum Ende kommen; Ihre Zigaretten sind alle, das Mittagessen ruft, außerdem muss Ihr Rollstuhl jetzt sofort zum TÜV

Wie viele heterosexuelle Einwohner von San Francisco braucht man, um einen Flügel in den ersten Stock zu tragen? Alle vier! Der Lieblingswitz meines alten Freundes Henry Kissinger! Er und Deng Xiaoping – das sind die Menschen, die ich wirklich für ihren Humor liebe.

Herr Schmidt, Millionen Leute halten Sie für einen Halbgott statt für einen reaktionären Knochen. Verstehen Sie das?

Möglicherweise beschreiben Sie da ein intellektuelles Problem. Das liegt aber nicht bei mir.

Sind Sie eigentlich jemals in Ihrem langen Leben wild gewesen? Gab es nicht irgendwann mal ein bisschen Rock ’n’ Roll? Einen klitzekleinen Kontrollverlust? Als junger Musiker , haben Sie damals vielleicht ein Hotelzimmer zerlegt?

Als junger Musiker nicht. Als Bundeskanzler durchaus. Genaugenommen war es kein Hotelzimmer, sondern das Gäste-Séparée des französischen Präsidenten. Ich wollte dort nur ein Bild geraderücken, das schief hing, und dabei hatte ich eine kleine Marmorstatue mit dem Ellenbogen erwischt, die ihrerseits in die Mingvase – irgendwie kam da eins zum anderen. Sie wissen doch, wie viel Nippes in französischen Zimmern rumsteht. Die Szene wurde später verfilmt, und zwar mit beachtlichem Erfolg.

Oh Gott. Und wie hat der Präsident reagiert?

Der war ganz Diplomat. Hat nichts erwähnt, nicht mal den Watteau, sondern einfach nur die Rechnung an Genscher geschickt. Sie sehen, Herr Arrabiata, von wegen menschliche Seite und so weiter – die Leute lieben mich genau so, wie ich bin.

(Singt) I see skies of blue/red roses, too

I see them bloom

For me and – Arrabiater, schneller!

And I think to myself

What a wonderful world

And I think to myself

What a wonderful wooorld.

Das Gespräch wurde im Arbeitszimmer geführt.