Am nächsten Morgen nahm er die Straßenbahn durch den Regen ins Ministerium. Dort angekommen, hängte er Hut und Mantel hinter die Tür seines Büros, bestellte sich Tee und etwas Reis und bereitete den ganzen Tag lang einen Brief auf Deutsch an die Universum Film AG vor, den er aus selbst ihm etwas übertrieben erscheinenden Sicherheitsgründen nicht seiner adretten (leider etwas kurzbeinigen) deutschen Sekretärin aus dem Schreibpool des Außenministeriums diktierte, sondern selbst verfaßte, auf der Schreibmaschine, mit bleichen, sauber manikürten, zu zwei gekrümmten Bögen über der Tastatur erhobenen Zeigefingern.
Es war, wie Amakasu mit einiger Zufriedenheit feststellte, ein Meisterwerk der Manipulation. Selbsterniedrigungen wechselten sich mit Schmeicheleien ab, zurückhaltende Forderungen mit völlig unhaltbaren Versprechungen.
Er regte an, man möge doch bitte rasch aus Deutschland Fachleute schicken, die bereit seien, mit den exzellenten Objektiven von Carl Zeiss und dem allem überlegenen Agfa-Filmverfahren in Japan zu wirken, hier zu drehen, zu produzieren, und so dem – wenn man das so sagen könne – allmächtig erscheinenden US-amerikanischen Kulturimperialismus entgegenzuarbeiten, dessen Ausformungen sich virengleich über das Kaiserreich der Showa-Herrschaft ausgebreitet hätten, vor allem im Kino, und dadurch natürlich auf der Straße und im Volk. So habe man beispielsweise unlängst eine Quote eingeführt, um das drangsalierte japanische Kino zu schützen und zu fördern.
Auslöser seiner Entscheidung, schrieb er, sich dem großen Filmland Deutschland annähern zu wollen, sei ein geheimes Treffen mit Vertretern der Motion Picture Producers and Distributors Association und einem amerikanischen Generalkonsul gewesen, bei dem man Amakasu nahelegt habe, man möge den sich durch die Einführung besagter Quote verschließenden, heimischen (dies betraf selbstverständlich auch die alten Kolonien Korea, Taiwan sowie Manchukuo, den neuen Überseebesitz) Filmmarkt für amerikanische Filme wieder öffnen, ansonsten sähe man sich leider gezwungen, in Zukunft nicht nur alle Schurken, sondern auch generell die negativ konnotierten Figuren sämtlicher US-Produktionen ausschließlich mit japanischstämmigen Schauspielern zu besetzen.
Obgleich dies, so schrieb Amakasu, ein recht eleganter Schachzug gewesen sei, dessen sich Japan in der Position der Amerikaner ganz gewiß selbst auch bedient hätte, wären die heimischen Filmproduktionen, mit denen man den asiatischen Markt bedienen wolle, leider bei weitem nicht so wirkungsmächtig wie jene Hollywoods. Es fehle ihnen an narrativer Zeitlosigkeit, an Exportfähigkeit, an allgemeingültig zu verstehendem Handwerk; japanische Filme seien, wenn man es so vereinfacht sagen könne, nicht gut genug, um mit den Amerikanern mitzuhalten. Und deshalb der zwingende Gedanke, sich mit Deutschland zu verbünden, mit dem einzigen Land, dessen Kulturboden man achten könne wie den eigenen, daher der hiermit offiziell formulierte Wunsch (ihm widerstrebte es, so einen Unsinn tatsächlich zu Papier zu bringen), eine zelluloidene Achse zu bauen zwischen Tokio und Berlin.
Und nun kam die Essenz, das eigentlich Wichtige hinter all der Konfitüre: Man solle ihm doch, wenn er bitten dürfe, einen deutschen Regisseur schicken, gerne auch mehrere, aber er denke da zuvorderst an Arnold Fanck, dessen Stürme über dem Mont Blanc er sich mit tiefer Bewunderung angesehen habe. Es werde da etwas hinter den Dingen gezeigt, das ihn an der Seele antaste, eine verbotene, geheimnisvolle, hölderlinsche Zone werde dort von Fanck mit der Kamera betreten, dieser Hallraum sei ganz und gar deutsch, aber eben auch universell, sei auch von ihm als Japaner ganz eindeutig einzusehen.
Er sei einmal so frei und schreibe es ganz unverblümt: wenn Fanck nicht verfügbar sei, dürfe er dann auf Fritz Lang hoffen? Friedrich Murnau und Karl Freund seien ja leider bereits unrettbar und unwiederbringbar in Hollywood, Murnau sogar dort kürzlich bei einem Autounfall verstorben. Ach, auch der Streifen Mädchen in Uniform habe ihn außerordentlich beeindruckt und ihn, wenn er das persönlich anmerken dürfe, an seine eigene Internatszeit erinnert, die Realisierung eines so radikalen und gleichzeitig so persönlichen Films sei ja hierzulande gar nicht möglich.
Man könne ihm gerne auch österreichische oder niederländische Regisseure senden; Hotelspesen, Reisekosten, Per Diems, Pauschalhonorare, alles würde vom Ministerium übernommen werden. Daß dieser kulturelle Austausch von höchster Seite unterstützt werde, verstehe sich ganz von selbst, und sollten gewisse deutsche Funktionäre gerne mitreisen und dadurch das japanische Kaiserreich in all seiner Vollendung kennenlernen wollen, so wären auch sie aufs Allerherzlichste willkommen.
Er lege dem Brief einen kleinen, bescheidenen Film zum tieferen Verständnis Japans bei, in der offenen und aufrichtigen Hoffnung, das Interesse der Universum Film AG und damit der bewundernswerten, großen Nation der Deutschen hiermit geweckt zu haben.
Als er das Schriftstück beendet und auf der allerletzten Seite unten mit spröden, aber doch elegant ausgeformten, zeremoniellen Buchstaben A-ma-ka-su signiert hatte, tauschte er das Farbband aus und legte das gebrauchte zur späteren Verbrennung zusammen mit dem Brief und der Filmrolle, die er in einem ministerialen Umschlag mit Wachs versiegelt hatte, in seine Aktentasche.
Das kleine Paket wurde noch am selben Tag mit der diplomatischen Post nach Berlin versandt, zu Händen des Direktors der UFA, wo es eine Woche später, nach weitgehend ereignislosen Flügen über Schanghai, Kalkutta und Istanbul in der japanischen Gesandtschaft in Empfang genommen und mittels eines Fahrers über die ebenmäßigen Avenuen Berlins kutschiert wurde, dann aber bei der Filmgesellschaft erst einmal in einem überaus direktorialen, mit Mahagoni geschürztem und mit einem dezenten Messingschild versehenen Postfach liegen blieb; der Herr Direktor Hugenberg war nämlich verreist, auf Gletscherski-Urlaub in der Schweiz.