Kapitel 6

P ain rasselte eine Adresse aus dem Gedächtnis runter, die Agony ins Navigationssystem eingab und sie beobachteten die sich aufbauende Route.

»Warum hast du mir gesagt, ich soll weiter nach Norden fahren?«, erkundigte sie sich genervt. »Unser neues Ziel liegt acht Kilometer südlich von unserem Ausgangspunkt im Noir

»Gewohnheit.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich fahre immer nach Norden, wenn ich kein bestimmtes Ziel im Kopf habe. Man weiß nie, wie lange es dauert, sich zu entscheiden und Kanada scheint immer eine gute Option zu sein. Wenn mir nichts einfällt, wenn ich dort ankomme, kann ich genauso gut weiterfahren. Es gibt dort eine Stadt, in die ich schon seit ein paar Jahrzehnten zurückkehren möchte. Warst du schon mal in Kanada? Oder in Gander?« Er lächelte wehmütig. »Mann, ich liebe diese Stadt.«

»Nein. Das war ich noch nie.« Tatsächlich war sie noch nie in einem Land gewesen, dessen Name nicht mit United begann und mit America endete. Aber da sie in der Stadt aufgewachsen war, hatte sie gelernt, dass sie nur ein paar Häuserblocks in eine beliebige Richtung gehen musste, um sich in einem Viertel wiederzufinden, für das man keinen Reisepass brauchte, um sich wie in einem anderen Land zu fühlen.

»Ich habe noch nie von Gander gehört.« Sie hoffte, dass sie den Namen richtig verstanden hatte. »Toronto, Montreal, Quebec, ja, aber wo zum Teufel ist Gander? Das klingt wie eines dieser Käffer in der Nähe der kanadischen Rocky Mountains, die sich auf Skipisten spezialisiert haben.« Sie plauderte höflich vor sich hin, während sie eine Abzweigung fand und wieder Richtung Süden fuhr.

»Die Rockies? Nein.« Es war schwer zu sagen, was der Blick in seinen Augen bedeutete. »Es liegt in Neufundland an der Ostküste. Als Teenager war ich einmal für drei Tage dort. Ich wollte schon immer mal wieder hinfahren.«

»Du hast dich in eine Ortschaft verliebt, in der du nur drei Tage verbracht hast? Das müssen drei verdammt tolle Tage gewesen sein.«

»Das waren sie. Ich war auf dem Rückflug von einem Sommerpraktikum in England, aber unser Flug wurde umgeleitet und wir mussten eine Notlandung machen, also landete das Flugzeug in Gander.«

Sie gluckste. »Ein Flugzeug voller Highschool-Schüler? Ich nehme an, sie haben euch alle in einem Hotel untergebracht und dann war plötzlich Party angesagt, oder?«

Seine Augen waren jetzt unleserlich. »Es war nicht genug Platz in den Hotels vorhanden. Die ganze Stadt hatte nur elftausend Einwohner, also ist es nicht so, dass sie eine Menge Hotels hatten.«

»Nicht einmal genug, um einen kompletten Flieger unterzubringen?«

»An diesem einen Tag landeten achtunddreißig Flugzeuge mit fast siebentausend Passagieren an Bord. Die Einwohnerzahl der Stadt hat sich über Nacht praktisch verdoppelt. Alle Einheimischen öffneten ihre Türen, um die gestrandeten Passagiere aufzunehmen.«

Agony lachte: »Bist du sicher, dass du deinen Sommer in England und nicht in Amsterdam verbracht hast? Wann zum Teufel hat das alles stattgefunden?«

Er sah aus dem Fenster und richtete seinen Blick auf die Skyline. »11. September 2001.«

»Oh …«

»Ich habe drei Tage im Haus von Mister Everett Adams und seiner Frau verbracht. Immer wenn ich zu sehr über Tod, Zerstörung und Chaos nachdenke, versuche ich, mir ihre ehrlichen, offenen Gesichter vorzustellen, in denen nichts als Freundlichkeit stand.«

Sie erinnerte sich daran, wo sie an diesem Tag gewesen war und fuhr schweigend weiter, um die schwerwiegende Erinnerung auf sich wirken zu lassen.

»Also sag es mir«, sagte Pain ein paar Minuten später. Er beschloss, dass er derjenige war, der die ehrfürchtige Stille verursacht hatte und dass er nun die Pflicht hatte, sie zu brechen. Außerdem hatten sie noch zwanzig Minuten Zeit, bis sie an ihrem Ziel ankamen. »Wenn du keine Fußballmama bist, warum wählst du dann so ein schickes Transportmittel?«

»Manchmal«, antwortete sie mit einem Lächeln, »muss man die Praktikabilität dem Stil vorziehen. Ich hätte heute mit meinem Fiat fahren können, aber wo hättest du deine Sachen hingeschmissen? Oder hättest du die Tasche einfach an den hinteren Kotflügel gebunden und sie hinter uns herhüpfen lassen?« Sie klopfte auf das Armaturenbrett. »Außerdem sind Bertha und ich wie Schwestern.«

Er lehnte sich gegen das Fenster und warf einen kurzen Blick auf ihren Körper, bevor er den Kopf schüttelte. »Tut mir leid, ich sehe es nicht.«

»Was siehst du nicht?«

»Dass dein Hintern groß genug ist, um eine der Butt-Schwestern zu sein.«

Vielleicht würde sie ihm am Ende eine Kugel oder zumindest eine Faust direkt zwischen die Augen jagen, aber das wäre dann nicht wegen seines zweifelhaften Musikgeschmacks. Für den Moment beschloss sie, sich darauf zu konzentrieren, der blauen Linie auf dem Navi zu folgen, bis es ihr schließlich mitteilte: »Dein Ziel liegt auf der linken Seite.«

Agony parkte, stieg aus und starrte über die Straße auf die Außenseite des ›Imperial Palace‹.

»Ein Massagesalon?« Sie konnte ihre Ungläubigkeit nicht unterdrücken. »Unser sicherer Ort ist ein verdammter Massagesalon? Vielleicht hast du es nicht mitbekommen, Kumpel, aber sich irgendwo zu verstecken, wo die Jungs in Blau jeden Moment eine Razzia durchführen könnten, ist im Moment nicht meine Vorstellung von Sicherheit.«

»Man kann es dir einfach nicht recht machen, oder?«

Pain holte seinen Werkzeugkoffer und umrundete das Fahrzeug, während sie darauf achtete, das Auto zuzusperren und die Alarmanlage einzuschalten, in der Hoffnung, dass ihr fahrbarer Untersatz noch rollen würde, wenn sie zurückkam.

»Du bringst deine Ausrüstung mit rein?«

»Glaubst du wirklich, dass es sicher wäre, wenn ich den Kram in Bertha lassen würde?«

In ihrer Zeit als Polizistin – oder auch in jeder anderen Zeit – war Laster eine Sache. Der Sexhandel fiel in einen ganz anderen Bereich. Nutten und Freier. Escorts und ihre Dates. Sie hatte ihre Verhaftungen im Rotlichtbereich nach Bedarf vorgenommen und versucht, ihre moralischen Urteile für sich zu behalten. Jeder hatte Bedürfnisse, aber mit den Zuhältern hatte sie kein Mitleid.

Einige von ihnen beobachteten die Bus- und Bahnhöfe und hielten Ausschau nach den Ausreißerinnen oder Ballköniginnen, die ›einfach wussten‹, dass ihr Weg zu echtem Ruhm in der Stadt lag. Sie versprachen den arglosen Mädchen, ihnen dabei zu helfen, ihre Träume in der großen Stadt zu verwirklichen, während sie sie mit Drogen versorgten und sie so lange ausnutzten, wie sie noch Gewinn machen konnten, bevor sie sie auf der Straße aussetzten.

Aber die Zuhälter von Massagesalons, die sich als legitime Geschäftsinhaber ausgaben, hatten sich immer weiter ausgebreitet und so etwas wie Sexhandelsringe gegründet. Sie konnte nicht einmal erahnen, was für Geschäfte und Versprechungen gemacht wurden, als die mittellosen Familien auf der anderen Seite des Pazifiks ihre Kinder mit dem Versprechen auf ein besseres Leben auf die andere Seite des Ufers schickten.

Das bessere Leben endete damit, dass sie ihre Schulden auf eine Art und Weise abbezahlen mussten, die sich die Familien der Mädchen zu Hause niemals hätten vorstellen können.

Agony blieb einen Schritt zurück, als Pain durch die Türen des ›Imperial Palace‹ trat, als wäre es sein zweites Zuhause. Sie konnte den Instinkt nicht unterdrücken, jedes Warnzeichen zu katalogisieren, das darauf hindeutete, dass hier mehr als nur das Bedürfnis nach Schweiß oder einer abgekupferten Version der Shiatsu-Massage befriedigt wurde. Ehrlich gesagt hatte sie erwartet, eine Speisekarte an der Wand zu sehen, auf der die täglichen Massageangebote aufgelistet waren, mit dem Hinweis: ›Täglich wechselnde Happy-End-Angebote. Bitte frage den Manager nach den Preisen‹.

»Hör auf, wie eine Polizistin auszusehen«, murmelte er. Sie standen in der Lobby und warteten darauf, dass die attraktive Frau am Empfangstresen ihr Telefonat beendete, während sie einen Terminkalender aufschlug, um die verfügbaren Termine zu prüfen.

»Ich stehe nur hier«, antwortete seine Partnerin wider Willen schnippisch. »Und ich bin keine Polizistin – zumindest nicht mehr.«

»Sag das deinen Augen.« Seine Stimme war leise, aber fest. »Du wurdest mit Bullenaugen geboren und du wirst wahrscheinlich mit Bullenaugen sterben. Vielleicht solltest du mal in eine schicke Sonnenbrille investieren.«

Nach dem kurzen, aber intensiven Austausch nahm seine Stimme einen seltsam mitfühlenden Tonfall an, den sie bisher noch nicht von ihm gehört hatte. »Ich wette, du warst eine von den Guten.«

»Eine der besten«, antwortete sie und klang dabei weder stolz noch entschuldigend, obwohl das Ziehen in ihrer Brust sie an das feste Gefühl ihrer Polizeimarke erinnerte – eine Marke, die sie nicht mehr tragen durfte – vor allem, weil sie diese abgeben musste, als sie die Polizei verließ.

Sie verfielen in Schweigen. Pain wusste, wo sie waren und was sie erwartete, während sie alles in sich aufnahm und nach jeder Nuance suchte, die sie vielleicht übersehen hatte. Die Dame hinter dem Tresen, die immer noch telefonierte, sah auf und lächelte, als sie einen Finger hochhielt.

Agony konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie Dollarzeichen in den Augen der Frau sah. Ein Paar , hörte sie sie denken. Bei Paaren gibt es immer große Gewinne.

Eine andere junge Frau erschien von hinten, holte einen Stapel Papiere unter dem Tresen hervor und hielt sie der Empfangsdame vor die Nase. Die Frau warf einen flüchtigen Blick auf die Papiere und nickte, woraufhin die Angestellte in die hinteren Räume zurückkehrte.

So sehr sie sich auch bemühte, Agony konnte bei keiner der beiden Frauen Anzeichen von Not erkennen und fragte sich, ob sie zu argwöhnisch war und Misshandlungen sah, wo es keine gab. Die Nachbarschaft war vielleicht ein wenig zwielichtig und die Einrichtung hätte eine Überarbeitung verdient, aber das galt auch für neunzig Prozent der Restaurants und Bars, in denen ihre ehemaligen Kameraden in Blau oft verkehrten.

»Netter Ort«, murmelte sie verwirrt.

»Es ist ein schöner Ort für einen Besuch«, antwortete Pain mit einem Lächeln, das nicht zu deuten war, »aber ich würde hier nicht leben wollen.«

Sie war sich nicht sicher, was sie mehr überraschte – die Tatsache, dass sie ihre Einschätzung laut ausgesprochen hatte oder seine Antwort.

Die Gastgeberin telefonierte immer noch und machte sich Notizen im Terminkalender, als ein Mann mittleren Alters aus dem Hinterzimmer kam. Er war ostasiatischer Abstammung, so viel war klar, aber sie wäre vor jeder Wette zurückgeschreckt, bei der sie versucht hätte, herauszufinden, aus welchem Land oder von welcher Insel er stammte.

Da er einige Zentimeter kleiner war als sie, schätzte sie ihn auf etwa einen Meter siebzig, was mindestens zehn Zentimeter kleiner war als Pain. Der Mann war außerdem sehr dünn und der Kontrast zum muskulösen Aussehen ihres neuen Begleiters war fast beängstigend deutlich. Außerdem war er tadellos gekleidet, eine weitere Eigenschaft, die er und ihr geheimnisvoller Partner nicht teilten.

Agony hatte eine Blitzvorstellung im Kopf, dass der größere Mann ihn hochheben, übers Knie legen und in zwei Hälften brechen könnte, wenn das folgende Gespräch nicht nach seinem Geschmack verlaufen würde.

»Gotong«, grüßte der Neuankömmling mit einer leichten Verbeugung seines Kopfes und ohne eine Spur von Angst in seiner Stimme.

»Bora.« Pain erwiderte die Kopfverbeugung, als er antwortete. Da er keine offensichtlichen körperlichen Verrenkungen machte, schien es ihr, als gäbe es zwischen ihm und ihrem Gastgeber keinen Größenunterschied.

Nach ihrer letzten Begegnung mit Gus machte sie sich Sorgen, dass jeden Moment eine Waffe gezogen werden könnte. Sie wusste auch, dass ihr jetziger Partner keine Waffen besaß, also ließ sie eine Hand in ihrer Jackentasche. Falls sie plötzlich ihre Waffe ziehen musste, wollte sie bereit sein. Sie beobachtete ein paar Sekunden lang, wie sich die beiden Männer gegenüberstanden und keiner von ihnen einen Muskel bewegte.

›Gotong‹ und ›Bora‹ hatte sie noch nie gehört. Nach allem, was sie wusste, konnten diese beiden Wörter ›Fick dich‹ und ›Fick dich auch, Arschloch‹ bedeuten. Sie kannte zwar die Begrüßungsformeln der Camorra, wenn ein Treffen anstand, aber ansonsten waren ihre sprachlichen Erfahrungen eher begrenzt.

Sie runzelte die Stirn, als die beiden Männer sich plötzlich umarmten. Pain trat einen Schritt zurück und winkte ihr zu, während er einen Arm um die Schultern des dünnen Mannes legte.

»Bora«, sagte er, »ich möchte dir meine Freundin vorstellen … ähm …« Er trat einen weiteren Schritt zurück, als ihm klar wurde, dass er ihren richtigen Namen noch nicht kannte und begann mit der Vorstellung von vorne.

»Hey, neuer Freund.« Er zwinkerte ihr zu. »Das ist mein alter Freund, Bora. Er nennt mich Gotong. Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet, aber ich vermute sehr stark, dass es kein Kompliment ist.«

Als sie ihre Körpersprache beobachtete, hatte Agony keinen Zweifel daran, dass Pain genau wusste, was es bedeutete und wenn sie raten müsste, würde sie auf ›Arschgeige‹ tippen. Sie lächelte, denn nur gute Freunde beleidigen sich gegenseitig auf diese Weise.

Sie trat einen Schritt vor und neigte nach dem Ritual, das sie beobachtet hatte, leicht den Kopf, bevor sie einen halben Schritt zurücktrat.

»Mein Name«, sagte sie und streckte ihre Hand aus, wobei sie der westlichen Kultur nicht ganz entsagte, »ist Alicia Goni.«

Gewohnheitsmäßig hätte sie fast noch ›Privatdetektiv‹ hinzugefügt, aber bei dieser Vorstellung ging es um Namen, nicht um aktuelle oder frühere Arbeitsverhältnisse. Sie war mehr als nur ein bisschen überrascht, als Bora ihre Hand in seine beiden nahm und ihr den Handrücken küsste.

»Ahh, Alicia. So ein leichtfüßiger Name. Ich hoffe, dass ich dich eines Tages besser begrüßen kann.«

Er lächelte sie an und ließ ihre Hand los, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf ihren Begleiter richtete.

»Ahjoomenoni ist im Moment nicht erreichbar, aber ich werde sie wissen lassen, dass du zurückgekehrt bist und ihre Gesellschaft suchst. Ich muss dich allerdings warnen, dass sie dir immer noch nicht verziehen hat, dass du ihren König mit nur zwei Bauern gestürzt hast.«

»Bitte erinnere sie daran«, erwiderte Pain mit einem scharfen Nicken, »dass sie diejenige war, die ihren Springer nicht am richtigen Ort hatte.«

»Ich denke, ich überlasse es dir, diese Erinnerung zu überbringen.« Bora lächelte. »Dein Zimmer wurde nicht angerührt, seit du es verlassen hast. Ich nehme an, das ist der Grund, warum du hier bist?«

»Ja, Bora, du vermutest richtig, wie immer.«

Agony blieb weiterhin wachsam, als sie ihnen schweigend folgte. Ihr Partner zwinkerte ihr zu, als wollte er sagen ›Warte, bis du das siehst‹ und hielt seinen Koffer vor sich, während er weiterging.

Ihr Gastgeber führte sie zu einer Seitentür und eine steile Treppe hinunter in einen Keller. Der Raum war sauber, aber sie wunderte sich über die vielen Kisten, die sich fast bis zur Decke stapelten und zwischen denen nur ein paar schmale Gänge zu sehen waren. Bora schlängelte sich durch die Gänge und schob schließlich einen Kistenstapel geschickt zur Seite, sodass eine Schalttafel zum Vorschein kam.

Wenigstens weiß ich, wo die Schalter für die Sicherungen sind, falls das Licht plötzlich ausgeht . Als er auf das Paneel drückte, öffnete es sich und gab eine weitere Tür und ebenfalls eine Treppe frei, die noch weiter nach unten führte.

Er tätschelte Pains Bauch. »Es ist gut, dass du noch keinen Bauch hast, Gotong. Sonst bräuchte ich vielleicht ein Brecheisen, um dich zu befreien, falls dir der Weg zu eng wird und du stecken bleibst. Oder einen Eimer Vaseline.«

Auf der schmalen Treppe gab es keine Lichter, aber da Agony immer noch hinterherlief, wusste sie, dass sie nicht allzu weit fallen würde, wenn sie den Halt verlor, bevor ihr Pain den Weg versperrte. Als sie das Untergeschoss erreichten, knipste Bora ein Licht an und ihr Begleiter duckte sich, als er durch die Tür trat. Als sie eintrat, bemerkte sie, dass er höchstens zwei Zentimeter Abstand zwischen seinem Kopf und der Decke hatte.

Der Raum war zwar nicht geräumig, aber doch größer, als sie erwartet hatte. Es gab zwei Feldbetten an gegenüberliegenden Wänden, einen kleinen Tisch, ein paar Stühle aus rostfreiem Stahl und Metallregale, die an der gegenüberliegenden Wand verankert waren. Zwei Türen führten aus dem Raum hinaus, von denen eine so weit geöffnet war, um den Glanz und Charme einer alten, aber nicht allzu stark verschmutzten Toilette zu offenbaren.

»Ich werde dich jetzt verlassen.« Bora verbeugte sich. »Und ich werde Ahjoomenoni wissen lassen, dass du zurückgekehrt bist.«

»Danke.« Pain erwiderte die Verbeugung und der dünne Mann ging die Treppe hinauf.

Agony hatte nun etwas mehr Zeit, ihre Umgebung zu betrachten und war etwas überrascht von einem Abfluss in der Mitte des Raumes. Der Abfluss überraschte sie nicht, aber die vielen Verfärbungen auf dem Boden sahen so aus, als wäre Blut in den Abfluss gespült worden, bevor man die Flecken mit einem starken Reinigungsmittel und viel Ellbogenschmalz zumindest oberflächlich beseitigt hatte.

Sie stellte außerdem fest, dass einer der Stahlstühle Schrammen, Kratzer und sogar eine oder zwei Dellen an den Armen und Beinen aufwies. Das deutete darauf hin, dass Handschellen benutzt worden sein könnten, ebenso wie Klebeband und ein oder zwei Kabelbinder.

Instinktiv ließ sie ihre Hand in ihre Manteltasche gleiten, in der sich ihre Pistole befand. Pain bemerkte die Bewegung und warf ihr einen fragenden Blick zu.

»Man kann einem Mädchen nicht vorwerfen, dass es zu vorsichtig ist.«

Er nickte. »Vielleicht sollten wir uns hinsetzen und reden, Alicia.«

»Es heißt Agony. Niemand nennt mich Alicia und lebt danach weiter. Mit Ausnahme des netten Herrn, der uns gerade eben begrüßt hat. Es ist unhöflich, einen Gastgeber zu töten … zumindest, wenn man ihn zum ersten Mal trifft.«

Sie nickte in Richtung des Stuhls, der alle Merkmale eines Verhörs, einer Folterung oder – wenn man sich gedanklich ein paar weitere Modifikationen dazu dachte – einer Elektroschockbehandlung aufwies. »Du nimmst den da.«