P ain nahm den angegebenen Platz ein und streckte seine Beine aus. »Wo willst du anfangen?«
Agony behielt eine Hand in der Tasche mit der Pistole. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich setzen wollte oder ihrer Neugier nachgeben sollte, umherzugehen und nachzusehen, was in den Kisten in den Regalen war. Sie entschied sich dafür, erst einmal zu sitzen.
»Lass uns mit den Namen anfangen. Meinen kennst du jetzt, aber ich habe doch meine berechtigten Zweifel, dass dein Vorname Macarena ist.«
»Und warum bezweifelst du das? Vielleicht waren meine Eltern große Latin-Dance-Pop-Fans.«
»Weil der Song 1993 herauskam und ich schätze, dass deine Coming-out-Party ein paar Jahre früher war.«
»Verdammt, ich sehe langsam aus wie mein Alter, nicht wahr?«
»Und außerdem«, sagte sie, »ist Macarena ein Mädchenname.«
»Gutes Argument.«
»Was wäre, wenn mein Klingelton ›The Bertha Butt Boogie‹ gewesen wäre? Hättest du mir dann Bertha als Vornamen genannt?«
»Auf keinen Fall.«
»Und warum ist das so?«
»Weil Bertha mit einem ›B‹ anfängt. Ich nehme immer ein ›M‹, weil das meine erste Initiale ist.«
»Und wofür steht das ›M‹?«
»Das hängt von meiner Laune ab. Deshalb ändere ich meinen Vornamen immer wieder, je nachdem, wie ich mich gerade fühle.«
»Okay, du willst dich also mit deinem Vornamen zurückhalten. Was ist mit deinem Nachnamen? Pain. Also Schmerz. Wie nah an der Wahrheit ist das?«
»Extrem nah dran. Genau richtig, je nachdem, wie du es buchstabierst. P-a-i-n, P-a-y-n-e oder P-a-n-e … Verdammt, ich muss echt noch mal meine Geburtsurkunde überprüfen, bevor ich eine endgültige Antwort geben kann.«
Agony stand auf. Ihre Neugierde auf das, was in den Regalen gelagert wurde, hatte sie übermannt. »Mir ist aufgefallen, dass dein Hemd mehr als nur ein paar Einschusslöcher hat. Ich würde dich ja fragen, wie sie dahin gekommen sind, aber da ich dabei war, weiß ich es. Kevlar?«
»Kevlar ist so altmodisch.«
»Also keine Körpertreffer, wenn ich dich aufhalten will?«
»Es wäre eine Verschwendung von guten Kugeln.«
Sie hatte gedacht, es seien einfache Kartons in den Regalen, aber es waren alles solide Kisten, in denen jeweils ein Zahlenschloss eingebaut war. Sie schob ein paar davon halb aus dem Regal, sodass sie das Gewicht darin spürte.
»Ich nehme an, die sind nicht mit Pfadfinderinnen-Keksen gefüllt?«
»Vom Gewicht her zerhackte Pfadfinderinnenstücke vielleicht, aber nein. Keine Kekse.«
Agony holte eine Kiste herunter und stellte sie auf den Boden. Sie trat zurück, zog ihre Waffe und zielte auf das Schloss. Selbst die besten Kombinationsschlösser konnten mit ein paar gezielten Schüssen überwunden werden.
»Das würde ich dir nicht raten.« Ihr Begleiter klang ruhig, aber es lag ein Hauch von Sorge in seiner Stimme.
»Ach? Und warum ist das so?«
»Alle Koffer sind kugelsicher und wir befinden uns auf engem Raum. Kugeln prallen irgendwo ab und wenn du vorhast, mich zu erschießen, würde ich einen direkten Treffer bevorzugen und nicht irgendeinen zufälligen Querschläger.«
Sie stellte die Kiste hochkant und benutzte sie als Sitzgelegenheit, während sie das Magazin aus ihrer Smith & Wesson zog und die Patronen zählte. Er fand, dass das ein interessanter Schachzug von ihr war. Sie richtete die Waffe nicht direkt auf ihn, aber erinnerte ihn daran, dass sie allgegenwärtig war.
»Das Mädchen aus dem beigen Auto. Sie war offensichtlich hinter dir her und nicht hinter mir. Könntest du mich aufklären?«
»Diejenigen, die einen Anschlag auf dich verübt haben. Kannst du mir darüber etwas erzählen?«
»Ich habe zuerst gefragt.«
»Das hast du.« Er stieß einen langen Seufzer aus. »Was soll’s. Wir werden uns wahrscheinlich nie wieder sehen, also warum nicht? Du warst doch mal ein Cop, oder?«
»Die Betonung liegt auf ›war‹.« Sie nickte bedauernd.
»Und ich habe früher für die guten alten USA gearbeitet.«
»Lass mich raten. Hochmotivierter Postbeamter?«
»Ich wünschte, es wäre so einfach. Sieh mal, ich war – oder bin es vielleicht immer noch, obwohl mir in letzter Zeit niemand mehr einen Gehaltsscheck geschickt hat – ein Agent für einen nicht näher bezeichneten Zweig der amerikanischen Geheimdienstgemeinschaft.«
»Du bist bei der CIA?« Sie konnte es fast glauben, nur dass er jetzt auf amerikanischem Boden agierte, also schien das nicht ganz richtig zu sein.
»Nein. Wenn du mich fragst, finde ich, dass die Abkürzung für diese Behörde CYA – Cover Your Ass – lauten müsste und den Geheimdienst komplett aus der Gleichung herauslassen sollte. Aber ich war in einer ganz anderen Unterabteilung. Eine, bei der selbst das Klopapier auf den Mitarbeitertoiletten geschwärzt wurde.«
»Und was hat deine … äh, Unterabteilung gemacht?«
»Wir begannen mit verdeckter und offener Unterstützung auf verschiedenen Schauplätzen rund um den Globus und unterstützten eine Vielzahl von amerikanischen Militäroperationen. Schließlich landeten wir überall dort, wo wir hingeschickt wurden, egal ob wir dort eine etablierte militärische Präsenz hatten oder nicht, und taten, was von uns verlangt wurde.«
Er war sich nicht sicher, ob er noch mehr erklären wollte und wurde zumindest vorübergehend von Boras Stimme über einen Lautsprecher gerettet, den sie bisher nicht bemerkt hatte.
»Gotong und Freundin Alicia. Es ist schon spät und Kwan’s wird bald schließen. Wir wollen noch eine Bestellung aufgeben. Soll ich euch eine Bibimpap-Pizza aufschreiben?«
Agony hatte keine Mühe, das Leuchten in Pains Augen zu deuten, als er antwortete.
»Wenn du mir nicht eine mitbestellst«, sprach er in die Luft, »dann werde ich dich nicht nur aus meinem Testament streichen, sondern auch mein erstgeborenes Kind nicht nach dir benennen.«
»Ein Namensvetter wäre schön, aber ich rechne nicht damit, dass dieses glückliche Ereignis in nächster Zeit eintritt«, erwiderte der Mann. »Mit der Verlesung deines Testaments rechne ich aber immer in nächster Zukunft. Ich glaube, wenn du deinen Nachlass gleichmäßig unter all deinen Freunden aufteilst, sollte mein Anteil zwei Dollar und zehn Cent betragen und ich würde es bedauern, wenn ich auf diesen finanziellen Glücksfall verzichten müsste. Ich werde das Essen bringen lassen, sobald es eintrifft.«
»Zwei Dollar und zehn Cent für jeden deiner Freunde?« Sie war sich nicht sicher, was sie von dieser letzten Aussage halten sollte. »Wie viele Freunde hast du denn?«
»Ich war nie gut in Mathe.« Pain zuckte mit den Schultern. »Wie viel ist zwanzig Dollar geteilt durch zwei-zehn?«
Es war nicht der Tonfall in seiner Stimme, der sie dazu brachte, seine körperlichen Merkmale neu zu bewerten. Vielleicht lag es an der Enge des Raumes und dem Licht, aber ihr wurde plötzlich klar, dass sein Gesicht trotz seiner kräftigen Statur und seiner muskulösen Gesichtszüge sehr hager war und dass es schon eine Weile her sein könnte, dass er etwas Gutes gegessen hatte. Hey, wer könnte schon bei einer Pizza widersprechen?
Sie beendete die Fummelei an ihrer Waffe und steckte sie in ihre Tasche, während sie sich wieder ihren Fragen zuwandte.
»Ich habe gehört, wie du und deine Freundin vom Highway etwas über eine Schwester gesagt habt? Ist das jemand, den ich kennen könnte?«
Pain war versucht, zu seinem ursprünglichen Spitznamen für sie zurückzukehren, denn dem Miststück schienen die Fragen nie auszugehen. Er beschloss, dass er auch alles aussprechen könnte.
»Wir sprachen über eine Abteilung, die sich ›Strategische Interventionen zur Sicherung und zum Transport von entledigten Ressourcen‹ nennt. S-I-S-T-E-R. Daher das mit der Schwester. Die Eingeweihten nennen sie oft Big Sister, den bösen Zwilling des Big Brothers.«
»Aber in dem Buch von Orwell war der große Bruder böse.«
»Im echten Leben ist er ein Chorknabe, wenn man ihn mit seiner Schwester vergleicht.«
»Und was hat SISTER damit zu tun?«
Er konnte sich nicht noch mehr Ärger einhandeln, als er ohnehin schon hatte. »SISTER ist dafür verantwortlich, aktuelle und ehemalige Agenten aufzuspüren und zu beseitigen, die die Regierung aus irgendeinem Grund vom Spielfeld haben will, ohne Spuren zu hinterlassen, dass sie jemals existiert haben.«
Agony ließ das ein paar Augenblicke auf sich wirken, bevor sie plötzlich von der Kiste aufstand, auf der sie gesessen hatte und deutlich machte, dass sie ihre Waffe jetzt fest in ihrer Manteltasche hatte.
»Agenten, die beseitigt werden müssen? Zum Beispiel solche, die abtrünnig geworden sind … oder noch schlimmer, Verräter?«
Pain verstand ihr plötzliches Misstrauen und nahm es ihr nicht übel. »Es gibt viele Gründe, warum ein Agent bei den höheren Stellen in Ungnade fallen kann, genauso wie es viele Gründe gibt, warum auf jemanden, der einmal der ehrlichste Polizist war, jetzt ein Kopfgeld ausgesetzt ist.«
Sie zog ihre Hand aus der Tasche ihrer Waffe, schälte sich aus ihrem langen Mantel und drapierte ihn über die Kiste, die sie verlassen hatte, bevor sie sich auf dem Stahlstuhl ihm gegenüber niederließ.
»Ich glaube«, sagte sie schließlich, »dass die einzig angemessene Antwort auf diese Bemerkung ›Touché‹ ist.«
Er nickte ihr Friedensangebot ab.
»Also«, fuhr sie fort, »ich vermute, deine Geschichte hat kein Happy End, aber ich würde sie gerne hören.«
»Verdammt. Wie lange dauert es, eine Pizza geliefert zu bekommen?«
»Willst du mich weiter hinhalten oder muss ich wieder zu meiner Waffe greifen?«
Mit einem Seufzer hörte er auf, sie hinzuhalten und zwar nicht, weil er jemals Angst vor ihrer Waffe gehabt hätte. »In meinem Fall, so simpel es auch klingt, war es ein einfacher Schreibfehler.«
»Ein verdammter Papierkram-Fehler?«
»Die Agentur hatte gerade einen Führungswechsel hinter sich, als in einem südamerikanischen Regime mal wieder ein Wechsel der Diktatur stattfand. Der neue Anführer war kein Freund von Uncle Sam und wir – das heißt mein Partner und ich – hätten angewiesen werden sollen, uns sofort zurückzuziehen. Wir nahmen an, dass die Nachricht nicht rechtzeitig an uns weitergeleitet wurde und wir gerieten in eine Situation, die nicht zu unseren Gunsten war.«
Agony war froh, dass sie sich ihres Mantels entledigt hatte. Sie schwitzte schon beim bloßen Zuhören.
»Wir haben zwei Fluchtwege ausgemacht und beschlossen, uns aufzuteilen und jeder nahm einen anderen Weg. Unser Gedanke war, dass mindestens einer von uns zurückkehren und berichten musste, was passiert war. Indem wir uns aufteilten, dachten wir, dass wir eine bessere Chance hätten, nicht in dieselbe Falle zu tappen und dass zumindest einer von uns durchkommen würde. Einer von uns schaffte es, einer nicht. Aber bevor ich meinen Bericht abgeben konnte, entschied die Behörde, dass es viel einfacher sei, unsere beiden Namen und Akten zu löschen, als der Weltöffentlichkeit das komplette Versagen unserer Regierung in dieser verkackten Bananenrepublik am Arsch der Welt zu erklären.«
»Und da kam SISTER ins Spiel?«
»Und da blieb sie dann auch. Verdammt! Ich werde hungrig. Du?«
Sie ließ ihn mit dieser Ablenkung davonkommen. Er hatte sich bewundernswert bemüht, so zu tun, als sei die ganze Episode nur ein normaler Arbeitstag gewesen, aber sie merkte, dass er diese Fassade nicht länger aufrechterhalten wollte.
»Ich bin am Verhungern«, antwortete sie und merkte, dass sie nicht gelogen hatte. »Oh und übrigens, was ist auf einer Bimiminiara-Pizza?«
»Bibimpap«, korrigierte er sie, als sich die Tür zum Untergeschoss öffnete und Bora erschien.
»Wo soll ich es hinstellen?«
Pain zog eine Kiste aus einem Regal und stellte sie zwischen sich und Agony auf den Boden. Der andere Mann stellte den Pizzakarton zusammen mit einer Papiertüte mit Utensilien und Servietten ab. »Ich habe Kwan gesagt, dass es für dich und einen Gast ist. Die eine Hälfte ist nach deinem Geschmack gewürzt.« Er sah Alicia an und lächelte. »Vielleicht solltest du lieber von der Seite essen, die er nicht sofort bearbeitet.«
Damit zog er sich zurück und war froh, dass Gotong einen Tischnachbarn hatte, mit dem er die Freude des Essens teilen konnte.
Er wusste, dass er die Pizza eine Weile abkühlen lassen musste, bevor er den Karton öffnen konnte, also beschloss er, selbst ein paar Fragen zu stellen.
»Ich habe dir meine Geschichte erzählt, jetzt bist du dran, mir deine zu erzählen, Miss Vorzeige-Cop.«
Die Pizza roch wunderbar, aber sie beschloss, die Höflichkeit zu erwidern und begann nach einigem Zögern, ihre Geschichte zu erzählen. Wenigstens war er ein Mann, der sie verstehen würde.
»Ich hatte mal einen Partner – und als ich mich bei der Polizei hochgearbeitet habe, hatte ich jede Menge davon. Manche waren gut, andere haben sich einfach durchgesoffen, bis sie in Rente gehen konnten. Aber als ich Detective wurde, wurde ich einen guten Kollegen zugeteilt. Noah Merckowitz.« Sie lächelte bei der Erinnerung. »Wir nannten ihn Merk und er war nicht nur ein Partner. Er war mein Mentor und hat mir drei Jahre lang alles beigebracht, was ich noch nicht wusste. Er hat mich darüber hinaus mit viel mehr Respekt behandelt, als jeder andere bei der Polizei es je getan hat.«
»Es tut mir leid.«
Sie konnte das Mitgefühl in seinen Augen sehen. »Was tut dir leid?«
»Für deinen Verlust. Er scheint einer der Guten gewesen zu sein.«
»Das war er und das ist er immer noch.« Sie lachte. »Mit zweiundsechzig Jahren ist er in den Ruhestand gegangen und hat sich mit seinem Freund Raphael auf seinem Boot in Belize seinen Traum erfüllt. Jeden Tag nehmen sie Touristen mit, um die Wunder des Schnorchelns im größten Riff diesseits des australischen Great Barrier Reef zu erkunden und er hat den Spaß seines Lebens.«
Er sah verwirrt aus. In der kurzen Zeit, in der sie ihn kannte, hatte sie ihn noch nie verwirrt gesehen und merkte, dass sie von ihrer süßen Erinnerung abgelenkt worden war.
»Als Merk in den Ruhestand ging, wurde mir ein neuer Partner zugeteilt. Sein Name war Alejandro Infante und sein Spitzname bei der Polizei war All-In. Der Mann hatte einen Motor, der nie stillstand. Ich nannte ihn Alex.«
Pain verstand. »All-In ist der, den du verloren hast?«
Agony nickte auf seine Frage, die eigentlich gar keine Frage war.
»Wir steckten mitten in einer Untersuchung – einer dieser Aufträge, der eine Karriere entweder nach vorne katapultieren oder zerstören kann – und wir waren nah dran. Wir waren so verdammt nah dran. Wir hatten Feierabend gemacht und waren auf dem Weg nach Hause. Ich schaffte es zu meinem, aber Alex schaffte es nicht zu seinem.«
Oh ja. Pain wusste genau, worauf sie hinauswollte.
»Anstatt den Fall mit mehr Personal zu bearbeiten, wurde mir ein neuer Fall zugeteilt und die Ermittlungen wurden eingestellt, als ob sie nie stattgefunden hätten. Ich habe Druck gemacht und nichts als Ablehnung erfahren. Dann habe ich noch mehr Druck ausgeübt und schließlich einen selbstgerechten Vorgesetzten vor dem ganzen Team zusammengeschrien.«
»Ich nehme an, das hat ihm nicht so gut gefallen?«
Agony stand auf und machte die Bewegungen pantomimisch nach.
»Er schrie mich an und machte sich über mich lustig, weil ich seinem Führungsstil nicht traute, also brach ich ihm die Nase – vor Gott und allen anderen. Das war der beste Schlag, den ich je gemacht habe.« Sie setzte sich wieder. »Und die letzte Aktion, die ich als Polizistin unternommen habe.«
»Zeit zum Abgeben von Marke und Waffe, was?«
Sie nickte. »Mein Gewerkschaftsvertreter hat Wunder vollbracht, damit ich wenigstens eine Teilrente bekomme und nicht wegen des Angriffs auf einen Vorgesetzten ins Gefängnis musste. Es war einer dieser Hinterzimmer-Deals. Ich wurde aus dem Polizeidienst entlassen, damit ich nicht weiter die Aufmerksamkeit auf die dubiosen Vorgänge um den Tod meines Partners lenken konnte und sie alles unter den Teppich kehren konnten.«
»Du hast also den Deal angenommen?«
»Ich hatte einen Polizisten angegriffen und ein ganzes Revier war als Zeuge anwesend, also hatte ich gute Chancen auf eine Gefängnisstrafe. Es ist schwer, hinter Gittern weiter nach der Wahrheit zu suchen. Alex und die Familie, die er zurückgelassen hat, verdienen die Wahrheit.«
»Ich hoffe, sie verstehen es.« Pain war aufrichtig. »Um ihretwillen und um deinetwillen.«
Er konnte es nicht länger hinauszögern und öffnete die Schachtel von Kwan’s . Da war er, der fast zarte Reis, der zwischen zwei dünnen Blättern aus gebuttertem Teig gebacken und in acht quadratische Stücke geschnitten war. Kwan hatte mindestens fünf verschiedene Dip-Saucen beigelegt.
»Verzeih meine Unhöflichkeit, aber einer von uns muss etwas essen, sonst kippt er um.«
»Bediene dich, aber nimm nicht den letzten Bissen.«
Sie war wahrhaftig hungrig, aber sie wusste nicht genau, wie sie das Kunstwerk richtig essen sollte. Sie beschloss zu warten und seinem Beispiel zu folgen und so die Zeit zu überbrücken.
»Erzähl mir von deiner Mission oder Quest, wie du es nennst.«
Pain hielt einen Finger hoch, um zu zeigen, dass er nichts sagen würde, bevor er seinen ersten Bissen genossen hatte. Er tauchte sein Quadrat in eine der Soßen, schloss die Augen und stöhnte vor Vergnügen. Er ignorierte sie und tauchte es in eine andere Soße, die ihm ebenso gut zu schmecken schien. Schließlich wischte er sich den Mund mit einer der mitgelieferten Papierservietten ab und nahm sich die Zeit zu antworten, bevor er ein zweites Quadrat nahm.
»Es ist für niemanden außer mir wichtig und ich mache es mir nicht zur Gewohnheit, meine Probleme auf andere Leute abzuwälzen, wenn ich es vermeiden kann.«
»Was sollte dann dieser ganze ›Warte hier, ich muss meine Ausrüstung holen‹-Mist?«
Er schmunzelte, als er überlegte, welche Soße er als Nächstes probieren sollte: »Ich habe gesagt, wenn ich es verhindern kann.«
Ihr Telefon surrte – nicht ›Macarena‹, also vermutete er, dass es eine SMS war. Er wurde eines Besseren belehrt, als sie mehrere Nachrichten schnell durchlas, bevor sie aufblickte.
»Ich muss darauf antworten. Es wird keine Minute dauern.«
Sie las sie noch einmal durch. Sie waren alle von Jamal, einem dreißigjährigen Krankenpfleger, der gegenüber ihrer Wohnung wohnte und von dem sie vermutete, dass er seit dem Tag, an dem er vor einem Jahr eingezogen war, in sie verliebt war.
Die Polizei war dort eingetroffen und als sie sie nicht fanden, klopften sie an die Türen der Nachbarschaft. Sie sagten ihm, er solle sie benachrichtigen, wenn er sie nach Hause kommen sieht.
Bist du in Schwierigkeiten? Kann ich irgendetwas tun? , lautete seine letzte SMS.
Ich bin immer in Schwierigkeiten. Sie fügte ein Smiley-Gesicht hinzu. Nichts Ernstes. Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast. Wir reden, wenn ich zu Hause bin.
»Wenn du vorhast, länger hierzubleiben«, riet Pain ihr zwischen zwei Bissen, »musst du das Telefon wegwerfen. Wir können es uns nicht leisten, dass dich jemand hier aufspürt.«
»Verstanden«, antwortete sie und ignorierte ihn im Grunde.
Anstatt das Gerät auszuschalten, begann sie mit einer Intensität zu scrollen, die fast beängstigend war.
Agony erinnerte sich an das Handy des jungen Gangsters, auf das sie zugegriffen, die Daten geklont und auf ihren privaten Cloud-Server geschickt hatte. Jetzt rief sie sie auf und stöberte durch Porno- und Dating-Apps, während sie vage bemerkte, wie viele Dating-Profile der junge Bock für sich eingerichtet hatte. Komisch , dachte sie, als sie einen Blick auf eines davon warf, er sah nicht wie ein erfolgreicher Zahnarzt aus.
Nach einem Moment stieß sie ihre Faust in die Luft und wiederholte die Geste – ein sicheres Zeichen, dass sie etwas gefunden haben musste.
»Ja!«, rief sie.
»Willst du deinen Erfolg mit mir teilen?«, erkundigte er sich.
»Klar«, grinste sie. »Das ist ein todsicheres Rezept für Cannoli. Tut mir leid.« Sie sah auf und lächelte entschuldigend. »Es geht um meinen Vermisstenauftrag, der für jemanden wie dich wahrscheinlich eine Kleinigkeit ist.«
Sie legte das Telefon weg und nickte in Richtung der Pizza. »Darf ich?«
»Kwan wäre beleidigt, wenn du es nicht tun würdest.«
Mit mehr Vorsicht als wahrscheinlich nötig, nahm sie ein Stück, tauchte es in die milde Soße und nahm zögerlich einen Bissen. Das erste Stück war in dreißig Sekunden aufgegessen.
»Dein Vermisster mag für mich eine Kleinigkeit sein«, sagte er, während sie den Rest des Bibimbap verzehrten, »aber nicht für diejenigen, die ihn vermissen. Erzähl mir mehr, bitte.«
»Sicher«, räumte sie ein, »aber unterbrich mich, wenn es langweilig wird. Es ist wichtig für mich und ich möchte nicht, dass es trivialisiert wird.«
»Abgemacht.«
Agony fasste den Fall so zusammen, als würde sie ihn einem Vorgesetzten im Revier vortragen und begründen, warum sie ihn für verfolgenswert hielt. Der Mann war ein Mitglied der nigerianischen Gemeinschaft, das seit fast einer Woche verschwunden war. Gerüchten zufolge hielt die Polizei ihn für eine Person von Interesse im Zusammenhang mit dem Tod eines anderen Nigerianers, der mit ihm als Lieferfahrer für ein örtliches Lagerhaus gearbeitet hatte.
»Ich wurde zuerst von einem Ältesten der örtlichen Kirche kontaktiert – eines dieser Gotteshäuser mit einer kleinen, aber hingebungsvollen Gemeinde und der vermisste Mann war ihr Priester. Der Älteste Misoungo sagte mir, dass sie nicht nur hoffen, dass ich ihn finden kann, sondern auch, dass ich seinen Namen von jedem Verdacht reinwaschen kann.«
»Wenn er schon seit einer Woche weg ist, klingt das nach zwei sehr großen Aufträgen.« Pain versuchte, realistisch und gleichzeitig mitfühlend zu sein. Er beneidete sie nicht um diese Aufgabe. »Also, was sollte das mit dem Ein-Frau-Rollkommando im Club?«
»Der Grund, warum ich Zaza aufsuchte, war, dass ich während meiner anfänglichen Informationsbeschaffungsphase in der Gemeinde den Verdacht hatte, dass einige Mitglieder der nigerianischen Gangs in den Tod des Mannes verwickelt sein könnten. Ich hatte auch Gerüchte gehört, dass einige von Zazas jüngeren Leuten Kontakt zu den Nigerianern aufgenommen hatten und nach einer Möglichkeit suchten, die Kolumbianer zu unterbieten. Es schien ihnen vor allem, um Heroin zu gehen, das eine Spezialität der Nigerianer ist.«
»Und das war etwas, in das du dich einmischen wolltest?« Er wusste bereits, dass sie hart war, aber er hatte sie nicht für dumm gehalten. »Hast du einen Todeswunsch, von dem ich nichts weiß? Denn jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, es mir zu sagen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin zu Zaza gegangen, eben weil ich keine Todessehnsucht habe. Ich wollte ihn wissen lassen, dass ich an einem sehr speziellen Fall arbeite und dass nichts davon mit ihm und den Aktivitäten der Camorra zu tun hat.«
»Außer vielleicht der Drogenhandel«, erwiderte er, »der gefühlte achtundneunzig Prozent ihres Geschäfts ausmacht.«
»Ich hätte ihm sicherlich erklärt, wie unwichtig meine Nachforschungen sind, aber ich war abgelenkt, als die Waffen gezogen wurden. Ach, und übrigens: Danke, dass du mir das Leben gerettet hast.«
»Zweimal«, erinnerte er sie.
»Gut.« Sie schmollte beinahe. »Zweimal.«
»Gern geschehen.« Der Dank kam etwas spät, aber er nahm ihn mit einem gewissen Maß an Gnade an. »Du hast immer noch nicht erklärt, warum du vorhin gejubelt hast.«
»Ach, das.« Sie versuchte, es abzutun. »Ich hatte Glück. Während des ganzen Spaßes ist es mir gelungen, ein Telefon zu ergattern und seine Daten auf einen privaten Server zu übertragen. Ich werde dieses Telefon so bald wie möglich loswerden, wie du vorgeschlagen hast, aber ich habe eine ganze Reihe gespeicherter Texte und Anrufe zwischen Zazas jungem Kumpel und einem, den er als Afri-Ben bezeichnete, gefunden. Ich hoffe, dass Afri-Ben mir helfen kann, mehr über die nigerianische Gang und ihre Verbindungen zu dem verschwundenen Priester herauszufinden.«
Pain pickte die wenigen Krümel auf, die noch in der Schachtel von Kwan waren und schloss den Deckel ordentlich.
»Das Feldbett hinter mir gehört mir. Das Bett hinter dir gehört dir. Es war ein langer Tag und es ist zu spät, um jetzt noch etwas zu erreichen. Was hältst du davon, wenn wir morgen neu anfangen?«
»Wir?«
Er lächelte. »Vielleicht gibt es ja doch Überschneidungen in unseren Welten. Vielleicht kann ich mitkommen.«
»Ich kann mir dich nicht so richtig als Mitläufer vorstellen.«
»Hey.« Er schien beleidigt. »Wenn es der Anlass erfordert, kann ich auch ganz diskret im Hintergrund der Show eines anderen bleiben.«
»Ja.« Sie war sich nicht sicher, ob das die richtige Entscheidung war. »Ich habe deine Version von diskret gesehen. Aber das ist meine Show und ich brauche Leute, die mit mir reden, also können wir das Einschlagen von Fenstern mit Körpern und schwere Kopfverletzungen auf ein Minimum beschränken?«
»Ich biete dir meine Hilfe an und alles, was ich von dir bekomme, ist eine Erbsenzählerei nach der anderen«, murrte er.
»Oh, ich habe noch gar nicht angefangen kleinlich zu sein. Du solltest mich mal stricken sehen.« Sie lächelte über ihren Scherz, den er gar nicht verstehen konnte.