B eide hatten in ihrer Berufslaufbahn schon schreckliche Szenen gesehen, aber der Keller, in dem sie sich jetzt befanden, übertraf sie alle. Die Frau, die Agony in ihren Armen hielt, war entweder mit in dem Blutbad involviert oder ein verängstigtes Opfer. Dies war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt, um jemandem einfach so zu vertrauen.
»Sie weint.« Seine Partnerin schaute Pain von ihrer knienden Position auf dem Boden aus vorwurfsvoll an, während sie die kleine Frau in den Armen hielt.
»Die Fähigkeit, bei Bedarf zu weinen, hat schon vielen Schauspielern und Schauspielerinnen einen Oscar eingebracht«, erklärte er, als er sich vorsichtig näherte und sich neben sie kniete. »Kümmere dich um sie«, empfahl er, »aber gib ihr keine Chance, ein Messer oder eine Waffe zu ziehen.«
Sie verstand die Notwendigkeit der Vorsicht und nickte, als er sich etwas vorbeugte.
»Wie heißt du und warum bist du hier?«, fragte er und der kleine Körper wurde schlaff.
»Ich heiße Lucy«, antwortete die zitternde Stimme.
»Ich werde mich jetzt zu ihr setzen«, sagte sie ihm leise. »Frag ruhig weiter.«
Pain hatte genug über seine Partnerin gelernt, um ihren Instinkten zu vertrauen und hockte sich etwas entfernt auf den Boden, damit sie alle auf gleicher Augenhöhe sein konnten.
»Lucy?«, begann er mit seiner sanften Stimme. »Was ist hier passiert?«
Die Überlebende sah zuerst zu der Frau, die ihre Flucht verhindert hatte.
»Er hat dich etwas gefragt.« Ihre Stimme war in diesem Moment nichts anderes als mitfühlend. »Bitte, beantworte seine Fragen.«
Die Frau ließ den Kopf hängen und vermied jeden Blickkontakt. Agony schaute Pain lange genug an, um ihm mitzuteilen, dass sie dachte, dass die Frau, die sie in ihren Armen hielt, wirklich Angst hatte. Das war gut genug für ihn.
»Lucy?« Mit einem sanften Finger hob er den Kopf des Opfers so weit an, dass sie seine Augen sehen konnte und wiederholte seine Frage. »Was ist hier passiert?«
Sie schaute von einem zum anderen und ließ ihre Ängste los. Die Geschichte, die sie erzählte, war eine schmerzhafte Geschichte.
»Meinen Eltern«, begann sie, »gehört der Laden und sie nutzen das zweite Obergeschoss des Gebäudes als Lager. Ein Mann von einer Bande kam herein und sagte, dass sie den Keller benutzen wollen.«
»Woher wusste er von dem Keller?« Er hielt Augenkontakt.
»Wir stellen viele Leute ein. Jeder, der jemals für meine Eltern gearbeitet hat, weiß von dem Keller. Papa hat gefragt, warum sie ihn haben wollen und ihm wurde gesagt, dass ihn das nichts angeht, aber dass sein Geschäft Schaden nehmen könnte, wenn er nicht ja sagt.«
»Er hat also ja gesagt?« Er konnte sich die Vorgehensweise des Gangsters vorstellen.
Lucy nickte. »Er hatte keine Wahl. Sie benutzten immer die Hintertür und wir sahen sie nicht mehr, außer mir.«
Agony fuhr dem Mädchen sanft mit der Hand über den Kopf: »Warum hast du sie wiedergesehen?«
»Sie brauchten Essen« Die Frau drehte sich so, dass sie die ehemalige Polizistin ansehen konnte. »Sie zwangen mich, ihnen Essen, Wasser und Bier zu bringen. Wenn ich das tue, tun sie weder dem Laden noch meinen Eltern weh.«
»Wie viele waren es?« Agony übernahm nun die Befragung.
»Immer vier, aber nicht immer die gleichen vier. Vier Gangmitglieder und der Priester. Doro«, fügte sie hinzu. »Sein Name war Doro. Er war nicht als Freiwilliger hier.«
»Er war eine Geisel?«
»Geisel, ja.« Lucy nickte. »Wie ein Gefangener. Er brauchte auch Essen und Wasser, also komme ich zweimal am Tag und sorge dafür, dass der heilige Mann etwas isst.«
»Hat Doro mit dir gesprochen?« Agony hoffte auf mehr Hinweise, aber das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Nur beim ersten Mal. Er sagte, es wäre gefährlich für mich, wenn ich zu viel wüsste, also hat er danach immer nur Danke gesagt.«
Sie sah sich die Leichen an, allesamt Nigerianer und zeigte auf einen. »Er – Samuel – sorgte dafür, dass die anderen Männer der Gang mich in Ruhe ließen, wenn ich das Essen serviert habe. Ich bin niemand, der leichtfertig flirtet, aber er sagte einmal, dass er mein Lächeln mochte, also habe ich ihn hin und wieder angelächelt. Aber er hat mir Angst gemacht. Einmal sagte er, er wolle mich treffen, wenn sie im Keller fertig sind. Zur Sicherheit meiner Familie habe ich so getan, als würde ich ihn auch mögen … vielleicht war das ein wenig zu viel.«
»Du warst sehr mutig.« Agony ermutigte sie mit einem weiteren Streicheln ihrer Haare. »Was ist heute Abend passiert?«
»Heute früh erhielten sie die Nachricht, dass der heilige Mann woanders hingebracht werden muss, aber sie müssen warten, bis andere Männer kommen und ihn mitnehmen. Also kommen alle Wächter für eine letzte Nacht zusammen. Ich habe viel Essen gemacht. Die Musik spielte und der Fernseher war an, als ich mit den Mahlzeiten die Treppe herunterkam.«
Die unfreiwilligen Partner schwiegen, während Lucy sich die Zeit nahm, die sie brauchte, um sich ihrer Erinnerung zu stellen.
»Ich stellte das Essen auf den Tresen und servierte zwei Abendessen. Ich trug gerade einen Teller für Samuel, als diese anderen Leute die Treppe herunterstürmten und Schüsse abfeuerten. Der Teller, den ich in der Hand hielt, zerbrach und ich stürzte auf den Boden. Viele Gewehre. Samuel fiel auf mich drauf. Blut – so viel Blut. Ich hielt still und betete, dass sie denken, dass etwas von dem Blut meins war.«
»Wurde einer der Männer, die hinuntergestürzt kamen, erschossen?«
»Alle wurden beschossen. Ich habe gehört, wie einige der Neuankömmlinge vor Schmerzen geschrien haben.« Sie sah sich in dem Raum um. »Aber ich sehe hier keine ihrer Leichen, also können sie nicht getötet worden sein. Sie schnappten sich den heiligen Mann, Doro. Er war verletzt, konnte aber noch laufen und sie brachten ihn die Treppe hinauf. Unter Samuel konnte ich nicht viel sehen, aber ich sah, wie einer der neuen Männer etwas an die Wand schmierte.«
»Bist du sicher, dass es einer der Neuankömmlinge war, der das gemalt hat?« Pain wollte sie nicht unterbrechen, aber er musste es wissen. »Wie kannst du dir sicher sein?«
»Genauso wie ich sicher bin, dass keiner der neuen Männer hier gestorben ist. Nur Nigerianer sind tot. Keine weißen Männer. Die Haut des Mannes war weiß, der das Zeichen angebracht hat.«
Er ließ den Kopf hängen und murmelte: »Ich wusste es. Noch mehr Verwirrung und Irreführung.«
Nach einem Moment legte er seine starken Hände auf die Schultern des jungen Mädchens, in der Hoffnung, dass sie etwas von dieser Kraft aufnehmen konnte, während er ihr gegenübersaß. »Lucy? Sieh mich an«, sagte er mit einer Sanftheit, die nicht zu seinem Körper passte, also musste sie irgendwo aus seinem Inneren kommen. Lucy sah auf und begegnete seinen Augen.
»Du bist sehr mutig und freundlich. Deine Eltern werden sehr stolz auf dich sein. Hast du ein Handy, damit du sie anrufen kannst?«
Das Mädchen musste sich ein wenig winden, zog aber ein Handy aus einer Gesäßtasche und hielt es hoch.
»Gut.« Er lächelte. »Wir müssen jetzt los. Du musst neun-eins-eins anrufen und dann deine Eltern. Erzähl ihnen alles, was du uns erzählt hast.«
»Was soll ich ihnen sagen, wenn sie nach dir fragen?«
Pain sah Agony an, während sie beide krampfhaft versuchten, sich daran zu erinnern, ob sie den Namen des jeweils anderen laut ausgesprochen hatten. Zum Glück hatten sie das nicht.
»Sag ihnen, dass zwei Fremde einen Quickie in der Gasse hatten und zufällig die Treppe hinunter gestolpert sind und dich gefunden haben.«
Er wusste, dass er sich dafür von seiner Partnerin noch einiges würde anhören dürfen, aber hey, man muss sich ja amüsieren, solange man dazu in der Lage war.
Mit einem ernsten Blick auf ihn vergewisserte sich Agony, dass Lucy aus der Schockstarre heraus war und wählen konnte. Sie eilten die Treppe hinauf und zum Buick.
»In welcher Richtung ist Norden?«, fragte er, als er sich hinter das Lenkrad setzte.
»Bei dir ist es wirklich immer Norden, nicht wahr?«
»Es hat mich noch nie im Stich gelassen.«
»Fahr bis zum Ende der Gasse und bieg rechts ab.«
Pain folgte dem Vorschlag und sie waren fünf Blocks entfernt, bevor sie in der Ferne die Sirenen hörten.
»Nur damit du es weißt«, sagte sie, wobei sich ihr Unmut in ihrem Tonfall widerspiegelte, »ich stehe nicht auf Quickies.«
»Ich auch nicht.« Er richtete seinen Blick auf die Straße, in der Annahme, dass es ihr dadurch schwerer fallen würde, ihm eine Kugel zwischen die Augen zu jagen. »Deshalb war es eine so perfekte Tarnung.«
»Sag mir«, fragte er nach einem Moment, »ob es einen Fehler in meinem Denken gibt.«
»Oh, mir fallen hundert verschiedene Fehler in deinem Denken ein und ich kenne dich erst seit zwei Tagen.«
»Ich meine über die Ereignisse, die zu heute Abend geführt haben.«
»Ich höre zu.«
»Wir haben Bennie, den Hosenscheißer, aufgegriffen, aber ein paar seiner Jungs noch lebend auf dem Bürgersteig zurückgelassen. Einer von ihnen hat es geschafft, die neuen Spieler zu kontaktieren und ihnen zu sagen, dass der Prediger vielleicht woanders hingebracht werden muss. Die neuen Jungs – die, soweit wir sie kennen, nicht erfreut darüber sind, dass die Nigerianer einen einfachen Auftrag zum zweiten Mal vermasselt haben – beschlossen, den Prediger selbst zu holen.«
»Doro.« Agony hatte sich angewöhnt, die Namen der Opfer zu wiederholen. Das half ihr, sich daran zu erinnern, dass sie nicht nur eine bloße Nummer in einer Kriminalstatistik waren.
»Doro.« Er nickte verständnisvoll. »Aber sie wussten, dass sie damit das Risiko eingingen, dass die Nigerianer ihre gesamte Operation gefährden würden, um Vergeltung zu üben.«
»Das Totenkopfsymbol war nichts weiter als ein Ablenkungsmanöver.« Sie konnte es jetzt genauso gut sehen wie Pain. »Sie haben die ganze Kellerszene als nichts weiter als eine Bandenrivalität inszeniert.«
»Die Schwarze Axt gegen den Obersten Eiye .« Er war froh, dass sie bisher keine Fehler in seiner Theorie gefunden hatte. »Die beiden Gangs werden so sehr aufeinander fixiert sein, dass sie alles über den …« Er fing sich. »Sie werden alles über Doro vergessen.«
»Und was bedeutet das für uns?« Agonys Gehirn arbeitete auf Hochtouren, als sie sah, wie sich die Teile des Puzzles vor ihnen ausbreiteten.
»Deine Zielperson, Doro, ist noch am Leben, aber verwundet.« Pain merkte, dass die Straße, auf der sie fuhren, schräg zum Raster der Straßenblöcke angelegt war und sie daher mehr nach Nordosten als nach Norden fuhren, aber er beschloss, das zu ignorieren. »Außerdem wissen wir, dass mindestens einer aus der Bande des Wandbildmalers ebenfalls verwundet ist. Du kennst die Stadt besser als ich. Fällt dir ein Ort ein, an dem sie auf Abruf versorgt werden können? Irgendwo, wo sie sich keine Sorgen machen müssen, dass sie den Behörden Bericht erstatten müssen, wenn sie dort Schusswunden behandeln?«
Sie brauchte sich nicht lange den Kopf zu zerbrechen, um eine Vermutung zu äußern. »Da käme mir einer in den Sinn.«
* * *
»Scheiße«, fluchte Pain, nachdem er anderthalb Stunden lang Agonys Wegbeschreibung gefolgt war, die sie von der Karten-App ihres Handys ablas. »Ich hatte auf ein Waffelhaus gehofft.«
»Wenn du nur den Freeway genommen hättest«, erwiderte sie, »anstatt darauf zu bestehen, dass wir uns durch die Straßen schlängeln, wären wir schon vor einer Stunde da gewesen. Das Frühstück wird warten müssen.«
Sie hatte ihm den Weg zu Miles & Ignatius Funeral Home and Mortuary gewiesen und ihm war mit einem Blick auf das Bestattungsunternehmen klar, dass keine Spiegeleier auf dem Speiseplan stehen würden, auch wenn die Sonne schon bald ihre tägliche Reise über den Horizont begann. Er dreht eine Runde um den Block.
»Du bist dran«, war alles, was er sagte, während sich der Tacho kein bisschen über fünf Stundenkilometer bewegte.
Wo soll ich anfangen? »Douglas Miles.« Sie entschied sich für den Partner, dessen Name zuerst auf dem Briefpapier und dem Schild des Geschäfts stand. »Er war einst ein vertrauenswürdiger Apotheker, der seinen eigenen Laden führte. Seine Probleme begannen, als er anfing, seine Waren regelmäßig zu probieren.«
»Ich nehme an, er hat am Ende seine Lizenz verloren?«
Sie nickte. »Er hat seine Lizenz verloren, aber nicht alle seine Verbindungen zu den Lieferanten, zu denen er Beziehungen aufgebaut hatte.«
»Und Iggy?«
»Jules Ignatius war einst ein angesehener Gerichtsmediziner in der Stadt. Miles’ Schwäche waren die Pillen. Iggys Schwäche waren die Pferdewetten.«
»Sie klingen wie ein charmantes Duo.« Ihm fiel nichts Diplomatischeres ein, um sie zu beschreiben. »Und jetzt bereitet Iggy die Leichen vor und Mister Miles ist was? Der Bestattungsunternehmer?«
Agony musste bei der Vorstellung von Douglas Miles als Geschäftsführer eines Bestattungsunternehmens fast lachen. Das letzte Mal, als sie ihn gesehen hatte, war er 1,70 m groß und hatte Nasenhaare, die er als Schnurrbart benutzen konnte, wenn er sich jemals die Zeit nehmen würde, zu lernen, wie man sie richtig wachst und die Enden glättet.
»Niemand bringt jemals eine Leiche hierher. Ein Körper, der noch nicht ganz tot ist und zusammengeflickt werden muss? Ja. Wenn Iggy nicht helfen kann, ist der Anbau hinter dem Haus ein Krematorium. Das spart die Kosten für einen Sarg und niemand macht einen DNA-Test mit der Asche.«
Pain hatte die Runde um den Block beendet und parkte. »Trauma-Center und letzte Ölung, alles aus einer Hand«, murmelte er und musste den beiden ihren Unternehmergeist zugestehen. »Das gibt dem Begriff ›One-Stop-Shopping‹ eine ganz neue Bedeutung.«
»Wird das heute noch was?«, fragte sie ungeduldig, als er gemächlich den Buick einparkte.
»Vielleicht.« Er hielt einen Finger hoch, als er an mögliche Werbeslogans dachte. »Du hast gesagt, dass es hinten ein Krematorium gibt. Wie wäre es mit ›Wir brennen für Sie‹?«
Agony war froh zu hören, dass ihr Partner wider Willen zur Not auch als leidlicher Werbetexter irgendwo unterkommen könnte, aber das war ein Kompliment, das sie sich für einen anderen Tag aufheben würde. Schweigend saßen sie auf dem Parkplatz, auf dem vor Sonnenaufgang bereits drei Autos standen. Keiner von ihnen war ein Leichenwagen oder ein Krankenwagen. Hier waren sie richtig. In den vorderen Räumen des Gebäudes brannte kein Licht, aber ein Raum im hinteren Teil warf genug Licht, um seinen Schein auf die umliegenden Bäume zu werfen.
»Dein Auftritt. Deine Entscheidung.« Er war bereit, sie zu unterstützen, egal was sie vorhatte.
»Direkt durch die Vordertür.« Agony hatte ihre Einschätzung und Entscheidung bereits getroffen. »Aber lass uns unsere Ankunft nicht mit mehr Fanfare als nötig ankündigen.«
»Hast du schon mal gehört, wie leise eine Kirchenmaus sein kann?«
Großer Gott! Er könnte wirklich ein ehemaliger Seminarist sein .
Pain folgte stumm, als sie die Eingangstür drückte und diese sich ohne ein Quietschen öffnete.
Sie versuchte, nicht an die Blutflecken auf ihrer Hose oder die Reinigungskosten für das Blut auf ihrem Mantel zu denken, das sie sich beim Beruhigen von Lucy zugezogen hatte. Sie führte ihn einen vertrauten Gang entlang zu einem Hinterzimmer und hielt vor der Tür inne. Es handelte sich um eine Standardtür, die unten massiv war und oben ein Fenster hatte, das ihnen einen Blick auf den Operationssaal ermöglichte.
Agony brauchte sich nicht zu ducken, als sie durch das Fenster blickte, aber sie tat es. Pain schaute ihr über die Schulter. Jemand, von dem er annehmen musste, dass es Iggy war, arbeitete mit einem Skalpell am Bein eines verwundeten Mannes, der auf einem Tisch lag.
Ein anderer Mann, der nicht verwundet zu sein schien, stand an der Seite. Er hielt eine Pistole in der Hand und schien sich nicht davon abhalten zu können, unprofessionell mit ihr herumzufuchteln, wenn er sie nicht gerade mal wieder auf den Kopf des sogenannten Leichenbestatters richtete.
Pain tippte Agony auf die Schulter und winkte sie wieder von der Tür fort.
»Iggy ist derjenige mit dem Skalpell?«, erkundigte er sich mit leiser Stimme. Sie nickte und er flüsterte weiter: »Ich habe den Prediger nicht gesehen, du etwa?«
Sie schüttelte den Kopf und antwortete mit ihrer leisesten Stimme. »Nein. Ich habe Iggy mit einem weißen Typen auf dem Tisch gesehen und einen anderen weißen Kerl, der Wache stand, allerdings massiv mit Hummeln im Arsch.«
»Okay.« Pain begann, den nächsten Angriffsplan zu entwerfen. »Ich bin froh, dass wir das Gleiche gesehen haben. Du weißt, dass du mit Blut besudelt bist, oder?«
»Immer nur am Nörgeln.« Sie sah sich selbst an und dann ihn. »Heißt das, dass unser Abschlussball-Date verschoben werden muss, während ich mich umziehe?«
»Nein«, versicherte er ihr, als er sie hochhob und in seine Arme schloss, als wolle er sie über die Schwelle tragen. »Bleib so charmant und jungfräulich, wie du bist.«
Agony stieß einen Strom von Schimpfwörtern aus, von dem sie nicht wusste, dass sie dazu fähig war, als er die Tür aufstieß und mit der blutüberströmten Frau in seinen Armen schnell in den Raum hineinhastete.
»Ich habe noch einen für dich, Doc!«, rief er.
Der Terrorist, der Wache stand, drehte sich und schoss ihm dreimal in den Rücken, bevor Pain seinen Angreifer mit einem Rückwärtskick gegen einen Tisch mit medizinischen Instrumenten schleuderte. Als das Klappern in dem gefliesten Raum widerhallte, ließ er sein Bündel auf die Füße fallen und drehte sich, um den Schaden zu begutachten, den er angerichtet hatte.
Es dauerte nur einen Moment, bis der Gangster auf die Füße stolperte und keine Waffe mehr in der Hand hielt, sondern eine chirurgische Schere, die seitlich aus seinem Hals herausragte.
»Nicht!«, rief Pain, als der Mann nach der Schere griff.
»Was nicht? Dich damit zu Tode stechen?«
Er riss die Schere aus seinem Hals und stürzte sich auf Pain, während dunkelrotes Blut aus seiner Halsschlagader spritzte wie Wasser aus dem Grundablass eines Staudamms. Sein Angriff kam ins Stocken und er machte einen Schritt nach vorne, bevor er zusammenbrach.
Agony beschloss, ihr Versprechen, ihren Partner für seine Jungfrauen-Bemerkung zu erschießen, nicht einzulösen und wandte sich dem Arzt zu.
»Hey, Iggy«, sagte sie fröhlich. »Lange nicht mehr gesehen. Was hast du in letzter Zeit so getrieben?«
»Ich wünschte, deine Mutter wäre damals zu mir gekommen und hätte um eine Abtreibung gebeten.«
Sie benötigte keine Hilfe, um ihm einen Roundhouse-Kick gegen die Brust zu verpassen, der ihn in eine Ecke katapultierte, wo er zusammenbrach.
Sie wandten sich dem Mann zu, der auf einem Tisch lag und eine Kugel im Bein hatte, die noch nicht entfernt worden war.
»Ich habe eine medizinische Grundausbildung«, bot Pain an, als er sich dem Tisch näherte. »Wenn du Fragen hast, werde ich mein Bestes tun, um Mister Arschmade hier so lange am Leben zu erhalten, bis er sie beantworten kann.«
Agony nahm sein Angebot an und näherte sich dem Tisch auf der gegenüberliegenden Seite.
»Ich bin auf der Suche nach einem Prediger«, sagte sie.
»Dann solltest du vielleicht in einer Kirche anfangen zu suchen«, presste der Mann hervor, bevor seine Worte in Schreien umschlugen.
»Tut mir leid.« Ihr Partner sah sie über den Tisch hinweg an. »Kugeln lassen sich nicht so leicht herausziehen und ich bin vielleicht ein bisschen eingerostet.«
»Versuche bitte, ihn nicht umzubringen, während du versuchst, ihn zu retten«, antwortete sie laut genug, dass der Patient sie hören konnte, bevor sie ihre Befragung fortsetzte. »Ich bin auf der Suche nach einem Prediger – einem Nigerianer. Die Kugel in deinem Bein stammt von dem Moment, als du und deine Freunde ihn heute Abend wegbringen wolltet.« Sie schüttelte den Kopf und erinnerte sich daran, dass die Morgendämmerung bald anbrechen würde.
»Gestern Abend«, korrigierte sie sich, »wurdest du zu einem Prediger geschickt. Ja oder nein?«
Der Mann hörte ihre Frage und spürte einen leichten Stoß der Kugel, die noch in seinem Bein steckte.
»Der Afrikaner. Ja. Ich weiß nicht, warum er wichtig ist. Keiner von uns weiß, warum. Wir wissen nur, dass der Nigerianer Informationen hat.«
»Informationen über was?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen? Ich tue nur, was man mir sagt.«
Agony schaute über den Tisch und Pain nickte, um zu bestätigen, dass die Kugel immer noch in dem Bein steckte. Bis jetzt verursachte sie keine allzu großen Beschwerden, solange sie beim Herausziehen nicht zu sehr angestoßen wurde.
Nach ein paar weiteren ungeschickten Versuchen und dem Angebot einiger Schmerztabletten aus einer Flasche auf einem Rolltisch war der Mann endlich bereit zu reden. Er versicherte ihnen, dass er nur ein Fußsoldat sei und dass man den Soldaten nie mehr erzähle, als sie wissen müssten.
»Die Regierung hält einige politische Gefangene fest.«
»Du meinst Terroristen«, korrigierte ihn Pain.
»Wenn du das sagst. Wir sind Teil einer Gruppe, die hilft, ihre Freilassung auszuhandeln.«
»Indem ihr droht, die Wasserversorgung zu sabotieren?« Agony wollte sichergehen, dass die Geschichten, die sie zuvor gehört hatten, übereinstimmten.
»Ja … aua, Scheiße! Pillen … bitte!«
»Antworte zuerst.« Sie nahm ihrem Partner die Pillenflasche ab und er setzte seine Messerarbeit fort.
»Nur ein Gefangener ist wichtig. Alle anderen sind zur Verschleierung da.«
»Und warum ist dieser Mann wichtig?«
Sie war sich nicht sicher, ob er vor Schmerz in Ohnmacht fallen oder kotzen würde.
»Er weiß, wo eine gefährliche chemische Waffe versteckt ist.«
»Nicht die Chemikalien, um das Wasser zu vergiften? Du redest von einer echten Waffe?«
»Wie eine schmutzige Bombe?« Pain gab der Kugel einen leichten Druck.
»Ja, ja.« Er stöhnte. »Sehr schmutzig.«
»Ihr haltet den Priester also fest, um ihn zu zwingen, euch bei eurem Terroranschlag auf das Wasserwerk zu helfen.« Irgendetwas an dieser Sache kam ihr nicht geheuer vor. »Um einen Mann zu befreien, der euch helfen kann, einen noch größeren Terroranschlag zu planen?«
»Ja.« Der Mann schaute sehnsüchtig auf die Pillen. »Das wird alles aus politischen Gründen gemacht. Ich weiß aber nicht, welche, okay?«
Sie schaute wortlos über den Tisch zu ihrem Partner, der mit dem Kopf nickte und einen weiteren schmerzhaften Schrei beim Ziel ihres Verhörs auslöste.
»Die Gruppe, zu der ich gehöre, begann als einfache Aktivisten, aber wir haben uns weiterentwickelt. Bitte, gib mir jetzt die Tabletten und ich erzähle dir den Rest, den ich weiß.«
Pain zog sich mit dem Skalpell zurück. Der Mann drohte ohnmächtig zu werden und das war nicht der richtige Zeitpunkt, um einen Zeugen in die Bewusstlosigkeit zu schicken. Agony schüttelte ein paar Pillen aus und der Mann lehnte sich so weit hoch, dass er sie trocken schlucken konnte, bevor er den Kopf senkte, seufzte und die Augen schloss.
»Wir begannen mit Idealen und großen Plänen. Wir waren eine engagierte Gruppe, aber klein. Es dauerte eine Weile, aber schließlich lernten wir die Enttäuschung kennen, nicht genug Geld und nicht genug Gläubige oder finanzielle Unterstützer für unsere Sache zu haben. Aber bei unseren Bemühungen, Gelder aufzutreiben, lernten wir, dass man mit Terroristen, die man anheuern kann, gutes Geld verdienen kann.«
»Und wieder schlägt der gute alte Kapitalismus die Ideale.« Pain schüttelte abschätzig den Kopf.
»Unsere Gruppe wurde von einer anderen Gruppierung entdeckt, die mehr Geld hatte. Ich weiß nicht, wie sie sich nennen, aber sie haben uns angeheuert, um den Hauptangriff mit Chemikalien durchzuführen. Mehr Pillen, bitte.«
Pain hielt Agony davon ab, noch mehr anzubieten. Stattdessen hielt er das Skalpell hoch, damit der Mann es sehen konnte.
»Ich werde jetzt noch einmal nach der Kugel suchen, aber das ist schwierig, weil sie direkt neben deiner Oberschenkelarterie steckt. Ich vermute, dass du den Schmerz dem Tod vorziehst, wenn meine Hand abrutscht? Und das könnte passieren, wenn du weiter um die Wahrheit herumtanzt. Ich werde dann immer so unruhig. Verstehst du das?«
Der Mann nickte panisch und Agony nahm die Befragung wieder auf.
»Uns geht die Zeit und die Geduld aus. Bring es zu Ende.«
Ihr Partner gab der Kugel erneut einen leichten Druck und entlockte dem Besitzer des Beins einen weiteren Schrei.
»Die Dinge liefen aus dem Ruder, als eine der anderen Gruppen von den Behörden aufgegriffen wurde. Ich glaube, einer von ihnen war der Anführer ihrer Zelle. Alles, was ich weiß, ist, dass sie nach dem Captain suchen … ah, fuck … Budria!«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Pain, ohne einen Funken Aufrichtigkeit zu zeigen. »Ich hatte es fast geschafft, die Kugel rauszupuhlen.«
»Sie sagten Captain?« Agony schaute Pain durchdringend an, sie brauchte den Terroristen konzentriert auf die Sache.
»Ich weiß nicht, wie sie ihn nennen, aber er würde nie zulassen, dass sie sich mit einem Gefangenen in einer verlassenen Fabrik verstecken, die nach Brotschimmel riecht und von Ratten bevölkert ist. Ich weiß nur, dass ich Captain und Budria gehört habe. Ich weiß nicht, ob sie dieselbe Person sind oder nicht.«
Pain zog die Kugel heraus, als die Medikamente wirkten und der Mann lag nun still und murmelte sich in den Schlaf. Sie mussten sich dicht an ihn lehnen, aber sie hörten ihn sagen: »Die Ratten werden nicht mehr lange von Bedeutung sein. Die Zelle hat ihre Drohung mit dem Wasser ausgesprochen und die Stadt ist bereit, mitzuspielen. Ein freigelassener Terrorist im Austausch für sauberes Wasser. Zu schade für den Prediger. Er wird nicht mehr gebraucht.«
Und mit dieser letzten Aussage wurde der Patient ohnmächtig.