DIE EISERNE AUTOBAHN

Wenn man früher eine Lieferung nach Norden bringen wollte, mietete man sich einen Transporter und fuhr los. Heutzutage benutzen wir dafür FedEx . Das ist ein teurer Spaß, weil man ein paar Typen schmieren muss, um sich einen Van und ein paar Uniformen zu besorgen, aber dafür ist es narrensicher. Diese FedEx -Transporter sieht man überall, sie sind blau und weiß und allgegenwärtig und deswegen komplett unsichtbar, nur ein weiteres Stück Hintergrundrauschen. Außerdem sind sie straßentauglich, und man kann mit ihnen anstellen, was man will, und niemanden interessiert es. Parken in der zweiten Reihe oder auf einem Behindertenparkplatz oder gleich den ganzen Verkehr aufhalten? Es kümmert keinen. Es ist verdammt noch mal FedEx . Außerdem kann man mit diesen Vans kaum zu schnell fahren, und selbst wenn man es könnte, würden dir die Cops keinen Strick draus drehen, denn man ist nicht einfach nur jemand, der mit seinen Kindern und seiner vertrottelten Frau den New Jersey Turnpike heruntergerast kommt. Man hat einen Job zu erledigen, so wie sie, nichts anderes.
In dem Van sitzen zwei Typen auf einer Highway-Lieferung, und beide tragen Uniformen. Damit ist man sofort eine Autorität, genießt sofort Respekt. Nicht einfach nur zwei Typen bei ihrer Arbeit, sondern zwei Typen in Uniformen bei ihrer Arbeit. Und hinten im Van haben wir die fein säuberlich aufgestapelten Kisten – beschriftet, versiegelt und bereit, nach Saudi-Arabien geliefert zu werden, mit mehr Papierkram hintendran als ein Bundesgesetz.
Die Lieferung kann anhalten, wer will. Gerne doch. Da ist nichts dabei. Halten wir eben die Kiste an. Wenn sie einen Durchsuchungsbefehl haben sollten – und das ist ein Wenn mit einem großen Fragezeichen dahinter, so groß wie King Kong – was werden sie finden? Einen FedEx -Transporter mit korrektem Kennzeichen und korrekter Registrierung und hinten drin: Waffen. Neue Waffen. Legale Waffen. Vielleicht nicht legal für die Straße, aber in Ordnung, danke vielmals, für unsere Freunde und Alliierten in Übersee. Mit einem zweieinhalb Zentimeter dicken Stapel an Dokumenten, die das beweisen. Egal, wen sie anrufen – das FBI, ATF, State Troopers, irgendwelche dämlichen Ortspolizisten oder die Ghostbusters – Sie finden genau gar nichts. Nur eine lupenreine Lieferung von UniArms in den Hafen von Boston, und Das war's dann, Leute.
Dann verschwindet unser FedEx -Van irgendwo in den mächtigen Eingeweiden von NYC, während sich die Papiere auf eine andere Reise begeben, dieses Mal weiter nach Norden, wo sie eine andere Wagenladung decken sollen, die irgendwo in einem Vorort von Boston fein säuberlich mit den richtigen Gütern zusammengestellt wurde. Bereit, um zum Hafen gebracht zu werden, den Zoll zu durchlaufen und dann der Sonne, dem Sand und einer lustigen Baller-Surfari in Saudiland entgegen zu segeln.
Wenn man genau, sehr genau hinschaut, findet man ein paar Unstimmigkeiten. Aber wer sieht schon genau hin? Schließlich sind wir doch der Wahrheit verpflichtet, der Gerechtigkeit, dem American Way! Ich meine, die Saudis brauchen diese Waffen, damit sie dieses oder nächstes Mal all jene pulverisieren können, die wir gerade pulverisiert sehen wollen.
Die Behörden sind bei einem Waffendeal nicht das Problem. Eher sind es noch Diebe, falls ein paar Trottel die Eier haben, so etwas zu versuchen. Aber das echte Problem sind die Kunden. Was bedeutet, dass man sich den ganzen Ärger für irgendwelche Typen aufhalst, die sich dann dazu entschließen, für die Ware nicht bezahlen zu wollen. Was für eine wundervolle Welt. Aus diesem Grund sind wir vorsichtig und fahren auch dieses Mal in einer lustigen Autokolonne, mit einem Dodge Minivan und CK's Leuten irgendwo vorneweg, dann dem FedEx -Transporter und dann unserem Oldsmobile und dann noch ein Wagen, irgendwas Schnittiges, ein Speedster mit zwei weiteren von CK's Jungs darin, der wie eine zornige Hummel um die Kolonne herumsummt.
Wir sind nach Norden unterwegs, nördlich auf der Interstate 95, dem steinernen Rückgrat hinauf an die Ostküste, viel zu viele Meilen an Highway, die sich von Miami aus bis weit hinter Derry in Maine dahinwinden. Nach Norden, von Dirty City nach Manhattan, die I-95 bis zum New Jersey Turnpike und dann den Tunnel oder über die Brücke. Diese zweihundertfünfzig Meilen von D.C nach NYC nennt man auch Iron Highway – die eiserne Autobahn. Nicht der harten Straße wegen oder wegen der Autos und Laster, die darauf herumkurven, sondern wegen dem, was in den Wagen ist: den Waffen.
Denn New York in all seiner grimmigen und schmutzigen Fressen-oder-gefressen-werden-Pracht braucht diese Waffen, will diese Waffen, ist süchtig nach diesen Waffen. Sie ist die Stadt mit den meisten Waffen auf der ganzen Welt und den vielleicht strengsten Waffengesetzen der Welt. Es gibt ein Wort dafür, und das lautet Ironie. Die Ironie der Knarren.
Es gab mal eine Zeit, da kamen diese Waffen aus South Carolina, aber dann ging man dort härter dagegen vor, und nun kommen sie aus Virginia, und wenn sie uns hier das Leben schwer machen, dann ziehen wir eben weiter, nach Georgia oder Indiana. Aber wenn man derzeit in New York lebt und eine Waffe besitzen möchte, dann begibt man sich in diesen fernen Außenbezirk namens Virginia. Dem FBI zufolge wurden mehr als die Hälfte aller Waffen, die in Gewaltdelikten in Manhattan benutzt wurden, in Virginia gekauft. Kein Scheiß. Das ist mein Bundesland. Mein Revier. Das sind meine Kanonen, CK's Kanonen. Klar, es gibt hier und da auch noch ein paar Leute, die ihr eigenes Ding machen, und eine Menge Banden – Sie wissen schon: Komm, wir fahren nach Richmond raus und spielen das Strohmann-Spiel – aber bei UniArms sprechen wir von dem richtigen Geschäft.
Und wir haben rund um die Uhr geöffnet.
Heutzutage liefern wir unser Zeug nach New York. Keine Spotdeals mehr, und wir fahren auch nicht mehr in den Norden hoch, um einen Käufer zu finden. Die Käufer finden uns. Überzeugen uns von ihren ehrlichen Absichten. Leisten eine Anzahlung. Dann, und nur dann, liefern wir. Wie bei jedem anderen Händler auch – egal ob Männerklamotten, Melonen oder Maschinengewehre.
Und dieser Deal hier wird ganz allein auf das Konto der U Street Crew gehen. Wir werden den Jungs ein paarmal über den Weg laufen, aber ansonsten führt von ihnen keine Spur zu uns. Nur ein paar Wagen und ein paar Typen in einer U-Bahn nach LaGuardia. CK's Idee. Und soll ich Ihnen was sagen? Die Idee ist gut. Denn das Einzige, was noch verdächtiger wirkt als ein Auto mit vier Schwarzen darin, ist ein Wagen mit zwei Schwarzen und zwei Weißen an Bord.
Trotzdem mache ich mir Sorgen. Es ist mein Job, mir Sorgen zu machen. Gerade im Moment mache ich mir über drei Dinge Sorgen. Der gelbe Nigger ist gefährlich. Und er hat eine Bande von eiskalten Kids um sich geschart, die nichts zu verlieren haben. Außerdem ist er furchtlos, und da er bewaffnet ist, wird er das Ding früher oder später benutzen. Es ist mein Job, dafür zu sorgen, dass das erst später passiert, also nachdem der Job über die Bühne gegangen ist und er wieder mit Drive-By-Shootings oder Drogen-Kriegen oder Auftragsmorden oder was immer seine Aufgabe bei Doctor D sein mag, beschäftigt ist.
Und Doctor D's Halbbruder, dieser Juan E, scheint mir eine große Nummer in seiner Bruderschaft, aber ansonsten nicht die hellste Kerze auf der Torte zu sein. Er hält das Ganze für ein Spiel, eine nette Art, sich das Wochenende zu vertreiben. Einfach in Big Apple ein wenig Krawall machen, ein paar Red Bull trinken, die Sau rauslassen, oh, und ein paar 9 Bravos die Hand schütteln, klar. Aber so läuft das eben. Sie sind eben diejenigen, die heute das Sagen haben, die jungen Wilden. Die kriegen ihr Geld und ihre Pager und ihre Porsches, und früher oder später, für gewöhnlich eher früher, kriegen sie auch ihre Knarren. Denen gehört die Straße. Und sollte jemand auf dumme Gedanken kommen, ziehen sie sich einfach ihre Skimasken über und rechnen ab.
Mackie the Lackey fährt die Kiste, und das ist mir recht. Ich sehe mir wieder die Landschaft an und halte für den Rest der Unterhaltung die Klappe, denke an Fiona, während die Meilen an uns vorbeifliegen, und schlafe irgendwann ein.
Als CK mich mit einem Hieb gegen die Schulter aufweckt, sind wir an Vince Lombardis Rest Stop, und er hält einen zur Hälfte aufgegessenen Hamburger in der Hand.
He, Dornröschen. Über die Schulter ruft er Mackie und Renny Two Hand zu: Seht mal, wer wieder wach ist. Er schüttelt den Kopf, beugt sich nach vorn und flüstert:
Scheiße, Mann, wie schaffst du es nur, so locker zu bleiben? Nimmst du irgendwas?
Nein, sage ich und versuche den Schmerz unterhalb des Genicks loszuwerden. Ich nehme nichts. Und genauso wenig gebe ich auf deine blöden Kommentare.
Gegenüber auf dem Parkplatz kuschelt der FedEx -Transporter mit einer Herde Wohnmobile. Ein Stück davor fährt einer von Amerikas beliebtesten Minivans, ein Dodge Caravan, in eine Parklücke direkt neben einem Grand Cherokee Jeep mit Behindertenkennzeichen. Es ist beinahe zu einfach.
Mit einem Kopfnicken deute ich auf den Rasthof hinüber. Werd' mal die Örtlichkeiten aufsuchen, sage ich zu CK.
Mach das, sagt er. Aber lass dir nix weggucken.
Drinnen ringen die Touristen mit ihren Kids, den Straßenkarten und den Kartons mit gebratenem Hähnchen. Die beiden Kerle am Joghurtstand denken wahrscheinlich, dass ich sie nicht bemerkt hätte, aber die gehören so offensichtlich zur U Street, als hätten sie ihren Gang-Namen quer über der Brust stehen.
Dann ist da noch der Typ vom Sicherheitsdienst in Zivil am Zeitungsstand, der so tut, als würde er sich interessiert durch ein Esquire-Magazin blättern, und der Taschendieb, der die Herrentoilette umkreist.
Sie alle tun so, als würde niemand sie bemerken, obwohl man sie schon auf eine Meile Entfernung riechen kann.
Nach dem Pinkeln wasche ich mir die Hände und frage diesen mir völlig unbekannten Typen, der plötzlich neben mir auftaucht und sich die Haare kämmt, ob er weiß, wie spät es ist. Er weiß es.
Viertel vor drei, sagt der Typ, den ich nicht kenne.
Aber in Wirklichkeit kenne ich ihn natürlich doch, sein Name ist Rudy Martinez, und er gehört zu CK's Crew.
Das Treffen ist noch in vollem Gange.