DÄMMERUNG
Irgendwann hinter der Staten Island Abfahrt übernehmen wir die Führung, und unser verstreuter Konvoi schlittert aus New Jersey heraus und taucht aus dem Lincoln Tunnel ins Halbdunkel Manhattans. Diese Stadt ist wie ein Ameisenhaufen, hier herrscht immer Betrieb, jedes dritte Auto ist ein Taxi, und man sieht nichts anderes als Menschen und Lichter, Menschen, Lichter und graue Gebäude, so breit und riesig, dass man nicht einmal mehr den Himmel sehen kann. Mackie lotst uns auf der Tenth Avenue nach Norden, und ich sehe nur Menschen, die umherlaufen, und rechteckige Lichter von den Ladenfronten und Bars und Hotels. Im Rückspiegel sehe ich das endlose Verkehrschaos aus PKWs und Taxen und Transportern, und der FedEx
-Van ist irgendwo hinter uns, oder es ist der links vor uns oder der andere, der da an dem Gehsteig parkt. An der nächsten Ampel streiten sich zwei Kids auf Spanisch, wedeln mit den Armen herum, und als sie die Straße überqueren, schubst der eine den anderen, und beide fluchen. Stop-and-go, Stop-and-go, die ganze Tenth Avenue entlang. Vorbei an den Weingeschäften, den Peepshows und den Feinkostläden, den Parkplätzen, den Autos und den Menschen, hauptsächlich den Menschen.
Früher oder später erreichen wir endlich die City Centre Garage. Fahren daran vorbei und halten am nächsten Hydranten. Wir warten im Wagen, warten und sehen zu, wie die anderen eintreffen und nacheinander in den Eingeweiden des Parkhauses verschwinden. Auf dem Gehsteig peilen in der Zwischenzeit CK's Leute die Lage. Eine Menge Gesichter. So wie's aussieht, hat CK seine ganze verdammte Crew mitgebracht: Rudy Martinez, Crimso, Toons und Fryer. Zu viele Gesichter. Dawkins, Quillen, Wood Williams. Ich fange an zu zählen und komme bis zwölf. Zwölf von unseren Leuten, und dann noch ich, macht dreizehn.
Meine Güte, sage ich zu CK. Wird das ein Geld-gegen-Waffen-Deal oder springen wir gleich an Bord einer C-130 und fallen noch mal in Hué ein?
CK unterhält sich mit Crimso, es geht irgendwie um Autos, und danach nimmt er Wood Williams einen Koffer ab und entschließt sich, mir zu antworten.
Viel hilft viel, sagt er. Und dann noch: Versuch', das Ganze doch mal aus meinem Blickwinkel zu sehen. Mr. Berenger will, dass die Sache hier richtiggemacht wird. Die 9 Bravos sind wie die tollwütige Ausgabe der U Street. Wir müssen sie an der Leine halten. Alles wird gut laufen. Ich denke, dass alles gut laufen wird. Aber, hey, wenn's dir nicht passt, kannst du beim nächsten Mal ja mit einem reinen Optimisten auf Tour gehen. Ansonsten weiß ich nicht, was ich dazu noch sagen soll, Burdon. Das ist vielleicht nicht dein Stil, aber weißt du was? Es ist auch nicht deine Entscheidung. Das hier ist mein Deal. Du bist ein guter Mann, und das hier wird eine doppelte Übergabe, von daher–
Ich weiß, ich weiß, sage ich. Der FedEx
-Transporter rumpelt vorbei, windet sich die Rampe hinunter und in das Parkhaus. Wir folgen ihm zu Fuß. Das Gebäude ist ein vierstöckiger Klotz, von dem sich drei Etagen unter der Erde befinden. Drinnen ist die Luft kühl und stickig von den Abgasen. Ich atme nur flach. Dieses Zeug kann einen umbringen. Als wir ganz unten ankommen, herrscht dort ziemlicher Trubel.
Yo, ruft CK, und in dem Parkhaus wird es still. Quillen, du und deine Jungs legen los.
Womit wahrscheinlich gemeint ist, das Gelände zu sichern. Der Übergabeort ist gut gewählt, mitten in einem Parkhaus, das wegen Umbaumaßnahmen geschlossen ist. Eine Zufahrt, aber da wir clevere Burschen sind, gibt es zwei Wege wieder hinaus. CK begibt sich mit mir in die zweite Etage und zeigt es mir: Dort im Dunkeln gibt es einen Heizkanal, tatsächlich einen kleinen Tunnel, für den Fall, dass wir uns aus dem Staub machen müssen. Quillen geht also rauf aufs Dach, zusammen mit ein paar guten Schützen, Crimso kümmert sich wahrscheinlich um die Autos, zwei Leute, die jeweils an einem Ende des Blocks parken, und Wood Williams wird eine sehr ruhige Nacht vor sich haben, denn er läuft die Etagen zwischen uns ab. Schöner Job, wenn man ihn ergattern kann.
Als wir wieder oben sind, lässt CK alle aufhorchen: Wir lassen uns hier nieder, sagt CK, also könnt ihr euch alle aufs Ohr hauen. Macht, was ihr wollt, aber für heute sind wir fertig.
Die Typen von der U Street und die anderen rotten sich zu losen Gruppen zusammen, ein paar Gruppen aus Schwarzen, ein paar aus Weißen, aber keine gemischten. Schlafsäcke werden ausgerollt. Kartenspiele ausgepackt, Geschichten aus dem Krieg erzählt, vielleicht wird hinterher auch noch ein wenig geschlafen. Das Übliche eben. In der Zwischenzeit hat CK ein paar Auserwählte um sich versammelt: Mackie the Lackey direkt neben ihm, dann ich, Juan E und der gelbe Nigger, dann noch Toons, Fryer und Dawkins.
Okay, sagt er. Hört zu. So wird's laufen. Morgen früh um sieben fahren wir mit den Wagen und den Taxen zum Excelsior Hotel, oben an der 110th
Street. Das da ist eure Gegend, Juan E.
Juan E zeigt ein breites Grinsen.
Der Van bleibt hier. Lane, du bleibst bei dem Transporter.
Alle drehen sich zu mir um. Ich kann förmlich die Kinderstimme hören, die ruft: Haha, angeschmiert! Aber was soll's, am Ende ist es das, wofür ich bezahlt werde.
Two Hand bleibt bei dir, sagt CK. Und Jeffers und Rose zur Bewachung.
Bevor ich ausspucken kann, dass wir dann ziemlich in der Unterzahl sind, erklärt er mir:
Du hast hier nur einen Eingang im Auge zu behalten. Und weißt du was, Lane? Ich habe vollstes Vertrauen in deine Glocks. Das Hotel ist 'ne andere Sache. Dort werden wir bezahlt. Deshalb brauchen wir dich dort, Juan E. Dich und deine Jungs. Damit wir sicherstellen, dass die 9 Bravos nicht einen auf Good Fellas
machen.
Juan E schnaubt verächtlich und sagt: Sollen sie mal versuchen, Mann. Interessiert mich einen Scheiß, klar? Da kommt keiner rein oder raus, wenn ich oder meine Leute es nicht wollen.
Genau das wollte ich hören, sagt CK. Nun, meine Jungs kümmern sich um die Lobby, das Dach und die Straße, damit da alles seinen Gang geht, aber ich will deine Leute drin haben, damit sie sich um die 9 Bravos kümmern können. Behaltet die Finger weit genug von den Abzügen entfernt, okay? Die Sache ist friedlich und soll auch friedlich bleiben. Du und ich, Mackie hier und ein paar von meinen besten Schützen, wir übernehmen das Treffen. Zehnter Stock. Zwei Bravos auf dem Zimmer. Nur zwei, so lautet die Regel. Zwei von denen, zwei von euch. Der Rest von ihnen, und wie ich hörte, werden das noch sechs oder sieben mehr sein, lassen wir bis auf den Flur, und – na ja, wie du sagtest, ihr seid diejenigen, die sie rein- und wieder rauslassen.
Geht klar, sagt Juan E.
Und jetzt wird's richtig interessant, sagt CK. Richtig, richtig gut. Wir schaffen 'ne ganze Menge Holz auf die Bank. Seht euch das an.
CK zieht ein Stück Papier aus seiner Hemdtasche und faltet es auseinander. Eine Fotokopie von irgendwelchen hochoffiziell aussehenden Dokumenten. Sehen aus wie Lizenzen oder Diplome, gravierte und mit schicken Borden verzierte Zertifikate, auf denen eine Menge Dinge geschrieben stehen, die aber im Kern nur eine Sache bedeuten: Zahltag.
Was ihr hier seht, ist eine hübsch geschwungene Zahl mit einer ganzen Menge Nullen hintendran, sagt CK. Zwei Millionen Dollar.
Um uns herum wird gemurmelt. Juan E schüttelt den Kopf, als musste er sich gerade einen uralten Witz anhören. Dann sagt CK:
Das hier ist eine Kopie von sogenannten Inhaberobligationen. Und diese Inhaberobligationen sind sauber, so wie gutes altes Bargeld. Es heißt, dass von denen nicht mehr so viele im Umlauf sind, weil sie nicht registriert sind, also nicht in den Büchern der Firma oder der Stadt oder von wem auch immer sie ausgestellt wurden, auftauchen. Was bedeutet, dass keiner weiß, wer sie besitzt. Soweit klar? Was ich damit sagen will, ist: Wer das Papier hat, dem gehört das Geld. Man nennt so was auch übertragbare Wertpapiere, wie ein riesiger Scheck, den man nicht unterschreiben muss. Ich meine, es ist noch nicht mal wie ein Scheck, eher wie ein riesiger Geldschein. Die werden nicht für jemand Bestimmten ausgestellt, sondern für den, der sie verdammt noch mal gerade besitzt
. Also demjenigen, der sie mit sich herumträgt. Ist das zu fassen? Demnach kann also jeder, der sie besitzt, sie auch … einlösen. Niemand wird Fragen stellen.
Und so wird das mit den Obligationen laufen: Wir werden in Teilbeträgen ausbezahlt. Vier Teile, jeweils eine halbe Million. Die erste haben wir als Anzahlung bekommen. Wenn wir uns mit den Bravos zusammensetzen, bekommen wir die zweite Zahlung und deren Leben in unsere gierigen Griffel gelegt, und sie kriegen dafür den Ort, wo die Schießeisen zu holen sind. Unserem Mr. Lane hier übergeben sie dann Zahlung Nummer Drei. Er gibt ihnen die Schlüssel zu dem Van, wir geben ihnen ihre Jungs zurück, und dann kriegen wir die vierte Zahlung. Dann gehen wir alle miteinander wieder nach Hause und gratulieren uns dafür, noch am Leben zu sein. Und reich.
Okay, wir haben das zehnte Stockwerk des Hotels für uns. Perfekt. Das Gebäude hat nicht mehr als achtzehn, maximal zwanzig Stockwerke, und über der fünften Etage wohnt kaum noch jemand. Der Rest verfällt, und was noch übrig ist, dient den Obdachlosen als Bleibe. Wir werden das Stockwerk durchkämmen, und dann werden meine Jungs die Ausgänge kontrollieren.
Er dreht sich wieder zu Juan E: Ich will, dass einer von deinen Jungs, ein Schütze, der zweitbeste nach ihm hier–
Juan E sieht an dem gelben Nigger vorbei. Das wäre Lil Ace, sagt er.
Okay, dann will ich, dass sich Lil Ace mit einem von meinen Jungs zusammentut – das wäre dann Meehan, sagt er zu Mackie – und die ganzen oberen Stockwerke überprüft, und die beiden dann vom Dach aus Ausschau halten. Soweit alles verstanden?
Alle nicken.
Wir haben Männer auf dem Dach, auf der Straße, in der Lobby, und wenn die 9 Bravos aufkreuzen, werden wir ziemlich schnell wissen, ob sie Probleme machen werden oder ob Zahltag ist. Wenn Zahltag ist, werden Juan E und seine Brüder mit den 9 Bravos das Brot brechen–
Juan E unterdrückt ein Lachen.
Sag deinen Leuten, dass sie cool bleiben sollen. Wenn euch einer von den 9 Bravos dumm anmacht, dann schluckt's runter. Wenn ihr wollt, könnt ihr die Kerle später aufmischen, wenn ihr wieder unter euch seid. Aber nicht, solange ich hier bin. Solange ich hier bin, spielen wir das verdammte Love Boat
. Verstanden?
Juan E nickt. Kein Problem, sagt er. Kapiert? Kein Problem. Es sei denn, die betteln darum, ins Gras zu beißen.
Eine kleine Sache noch, Boss, sagt der gelbe Nigger, und es ist entweder seine Stimme oder der Hauch von Spott, der darin liegt, der CK's Kopf ruckartig in seine Richtung schnellen lässt. Ich bleibe hier. Bei den Knarren.
Das war eine Feststellung, keine Frage. Und niemand sagt CK, was zu tun ist. Es sei denn, man ist dieser Kerl, dann vielleicht schon. Und vielleicht kommt man damit sogar durch.
CK sieht mich an, und ich setze mein Pokerface auf und zucke mit den Achseln. Schließlich bin ich ja ein guter Soldat, nicht wahr?
Aber CK will ein Spielchen spielen, denn CK kämpft immer mit harten Bandagen, also sagt er zu dem gelben Nigger: Ach, wirklich?
Ja, wirklich, sagt der. Das Hotel hat kein Monopol auf die 9 Bravos. Spielt ihr dort oben mal mit euren Obligationen rum, wir sitzen hier unten auf dem echten Stoff. Und es ist solange nicht vorbei, bis die nicht hier runterkommen und das Ding über die Bühne bringen. Und wenn die euch reinlegen wollen, tja, dann müssen sie das hier machen und nicht in dem verkackten Hotel. Also bleibe ich hier, und wenn die 9 Bravos gierig werden sollten, werden sie schnell feststellen müssen, dass sie sich mit dem falschen Nigga angelegt haben.
Juan E stimmt ihm zu: Mein Bruder hat recht. Ich will, dass mein Nigga hierbleibt.
Ende der Geschichte. Als ob das nicht sowieso genau das ist, was wir wollten: Dass der Schlimmste von allen, der gelbe Nigger, nicht bei der Konfrontation in dem Hotel dabei ist.
Damit ist unser kleines Gipfeltreffen auch schon beendet, und für mich ist es Zeit, mir CK kurz zur Seite zu nehmen.
Eine Sache, CK, sage ich.
Was?, fragt er.
Wenn die Bravos anrücken – woher weiß ich, dass sie mir die richtigen Papiere übergeben? Ich meine, was hält sie davon ab, mir was anzudrehen, was zwar offiziell aussieht und sich offiziell anfühlt, aber keine fünfhunderttausend in Inhaberobligationen wert ist?
CK seufzt und sagt: Weißt du was, Lane? Du solltest es wirklich ein wenig ruhiger angehen lassen. Manchmal denkst du einfach zu viel nach, und das hilft niemandem. Ich sage nur ein Wort, Lane: Vertrauen. Oder wie wäre es mit: Glauben.
Verstehe, sage ich. Aber du weißt, was Charlie Manson sagte: Absolute Paranoia bedeutet auch absolute Vorsicht. Lass mich wenigstens noch mal einen Blick auf die Fotokopie werfen. Ich will wissen, wie die Dokumente aussehen müssen. Ich möchte ungern nach Hause fahren und Jules ein paar Garantiezettel für Videorekorder überreichen.
CK lacht und sagt: Klar. He, pass auf, die haben diese CUSIP-Nummern. Wenn die übereinstimmen, ist alles okay. Siehst du, genau hier. Wenn du dir Sorgen machst, dann schreib dir die Nummern ab und sieh nach, ob sie übereinstimmen.
Er reicht mir die Kopie, und während ich mir diese ulkigen Dokumente ansehe und versuche, mir die CUSIP-Nummern einzuprägen, sage ich:
Oh, richtig, und da ist noch etwas. Vielleicht habe ich ja was übersehen, aber wo ist unser alternativer Treffpunkt?
CK sieht irgendwo hin und sagt: Bei dieser Fahrt gibt es nur einen Zwischenstopp auf dem Weg nach Hause, und der ist in Morristown. Aber nur zwischen uns beiden … hör zu, erinnerst du dich noch an die South Jersey Lagerhäuser?
Ich nicke, sehe aber nicht von der Fotokopie auf. Ich starre auf Papier, ein Bild von Papier, und das Papier hat Embleme und Nummern, aber kann unmöglich so viel Geld wert sein. Zwei Millionen Dollar.
Also, sagt er, von mir hast du das nicht. Und erzähl es bloß nicht den Niggern, okay? Die South Jerseys sind das, was man vielleicht den Treffpunkt der weißen Männer nennen könnte. Und jetzt gib mir das Ding und leg die Füße hoch. Die Nacht wird schnell rum sein.