WILMINGTON

Niemand ist wichtig. Das ist es, was mir der Bahnhof in Wilmington sagen will. Er ist das, was diese Künstler eine Studie oder Skizze nennen, und es ist eine Studie des Nichts.
Aber es ist ein geschäftiges Nichts. Überall sind Geräusche. Automatische Türen gehen ratternd auf und ratternd wieder zu. Gesprächsfetzen, immer in Eile, manchmal traurig, manchmal wütend. Gerüche. Kalter Rauch und Hotdogs und irgendeine Art von Reinigungsmittel. Bewegung, konstante Bewegung. Das ist kein Bahnhof, sondern ein Bienennest. Leute laufen herum, Leute unterhalten sich, Leute stehen an Schlangen und anderen Schlangen und noch mehr Schlangen an. Andere Leute warten zusammengesunken hinter Absperrungen auf Ticketverkäufer, als wären sie Besucher in einem Gefängnis. Trostlose Menschen, die trostlosen Dingen nachhängen. Das ist alles, was ich sehe, als ich die Lobby vor diesem Terminal beobachte und durch Menschen hindurchsehe, die irgendwohin und gleichzeitig nirgendwohin gehen.
Niemand ist wichtig.
Kein Einziger.
Ich warte auf Jinx. Zumindest habe ich ihm das gesagt, und er wäre gut beraten, wenn er es glaubt.
Ich hingegen denke, dass ich auf eine Kugel warte.
Nachdem Jinx seine Show bei dem State Trooper abgezogen hat, war die Fahrt nach Wilmington ein Kinderspiel. Gerade mal vierzig Minuten. Nichts, was mir außer meinen Unterhosen die Eier zusammengedrückt hätte, bis wir um den Bahnhof herumfuhren und uns auf dem Parkplatz umsahen. Der Mietwagen war leicht auszumachen. Hertz muss eine Million dieser roten Mercury Capris haben, aber dieser hier war derjenige mit dem fein säuberlich zusammengefalteten Philadelphia Inquirer im Fenster und so, wie ich meine Lauren kenne, einer Flasche Jack Daniel's im Handschuhfach.
Unser neuer fahrbarer Untersatz ist also kein Problem. Und den Truck, den wir uns ausgeborgt hatten, wieder loszuwerden, war mindestens so leicht wie einen Parkplatz zu finden.
Es sind die üblichen Dinge, die mich nachdenklich werden lassen: Was fehlt hier? Und das Gleiche frage ich meinen Kumpel Jinx:
Siehst du es?
Nee, sagt er. Aber irgendwas ist faul. Ich kann es spüren, aber nicht sehen.
Stimmt, sage ich. Du kannst es nicht sehen. Wo sind sie? Wo sind die, die für gewöhnlich alles überwachen?
Die alles überwachen? Jinx zieht die Nase hoch und lässt als Antwort einen von seinen krassen Lachern hören. Ich meine, es spricht nichts dagegen, sich Sorgen zu machen, Mann, aber solche Sätze klingen schon ziemlich gaga.
Hey, sage ich. Totale Paranoia–
Aber er bringt den Satz für mich zu Ende: Bedeutet totale Achtsamkeit. Bobby Seale hat das gesagt.
Blödsinn, sage ich. Das war Charlie Manson.
Seale, gibt er zurück.
Manson, kontere ich wieder.
Okay, okay, sagt er. Meinetwegen. Hörte sich eh weiß an. Weiß und irre. Irres Gequatsche. Als ob dich jemand beobachten würde. Mach mal halblang.
Nein, nein, nein. Was ich sage, ist, dass hier etwas faul ist. Richtig faul. Siehst du es nicht?
Was sehen, Mann? Wenn ich mich hier umsehe, sehe ich gar nichts.
Exakt. Du siehst dich um und siehst gar nichts. Also, wo sind die Cops? Die Bullen?
Es gibt keine Cops. Keine Stadtpolizei, keine Bahnpolizisten. Mein Gott, ich sehe noch nicht mal jemanden vom Sicherheitsdienst. Wir stehen vor einem Bahnhof in einer gar nicht mal so kleinen Stadt, und das einzige, was einer blauen Uniform am nächsten kommt, steht da drüben und kassiert Standgebühren für den Parkplatz.
Pass auf, sage ich zu Jinx. Das andere Problem, vielleicht das eigentliche Problem, ist, dass es hier wahrscheinlich von Überwachungskameras wimmelt. Die Autos wurden um acht Uhr als gestohlen gemeldet, und das Erste, was sie machen werden, ist, sich die Überwachungsbänder anzusehen.
Und das ist ein Problem?, fragt er. Sieh mich doch mal an, Mann. Ich bin dein klassischer Nigga-Täter. Ich hab die Dachmütze, ich hab die Sonnenbrille, ich hab die Moves. Du stehst hier Wache und lässt einfach mich die Drecksarbeit machen. Scheiße, Mann, auf wie viele Typen in dieser Stadt trifft wohl meine Beschreibung zu? Da suchen die wochenlang. Und wie intensiv werden sie überhaupt nach uns suchen? Es ist nur ein gestohlener Wagen, Mann. Von denen gibt es hier sicher zwanzig am Tag.
Ich mag die Art, wie der Typ denkt. Es ist genau die Art, wie ich will, dass er denkt, um mir die Zeit zu verschaffen, die ich brauche. In der Bahnhofshalle. Allein.
Na okay, sage ich. Dann mach. Wir treffen uns in … sagen wir … zehn Minuten. Am Eingang zum Bahnhof. Vorn, auf den Stufen. Bei den Taxen.
Dann besiegele ich unsere Abmachung, indem ich ihm sage, dass ich nirgendwohin ohne ihn gehen werde. Vergiss bloß nicht meine Tasche, sage ich zu ihm.
Und weg ist er, und ich tue so, als müsste ich mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Ich versuche, mich nach links umzuschauen, ich versuche, mich nach rechts umzuschauen, und mit diesem Bild stimmt so vieles nicht, dass man einfach weiß, dass man recht hat. Also drehe ich mich um und laufe in den Bahnhof, sehe mir die Leute an, die in der Schlange auf ihre Tickets warten, sehe mir den Oldtimer an dem Schuhputzstand an, sehe mir den Typen an, der einen Besen schwingt, sehe mir den Fernsehmonitor und die Züge an, die eintreffen und abfahren, und für eine schwache Minute frage ich mich, ob das vielleicht der richtige Weg wäre, einfach das Auto zu vergessen und tschuff-tschuff runter nach Dirty City zu fahren.
Manchmal wird man schwach, so wie in diesem Fall. Man wird ungeduldig, wird abgelenkt, man träumt und lässt zu, dass die falschen Dinge für einen die Entscheidungen treffen. Einmal falsch geraten und dann ist man am Arsch.
Aber jetzt, in diesem Moment, denke ich, dass ich richtig geraten habe. Es trifft mich mit solcher Wucht, dass ich weiß, dass da kein Zweifel besteht. Das hier wird eines von diesen Dingen werden, die in einer Riesenscheiße enden. Es wird passieren, und ich bin hier, genau hier, und ich bin derjenige, der dafür sorgen wird.
Ich sehe wieder zu dem Monitor, suche nach dem nächsten Zug nach D.C., und ich sehe nach der Zeit und die passt, und deshalb gebe ich ihnen noch zwei Minuten. Denn wenn CK oder irgendjemand anderes von UniArms mich treffen will, ist das deren letzte Chance: Geh zum zweiten Treffpunkt, hatte CK zu mir gesagt, oder fahr meinetwegen nach Wilmington, zum Bahnhof .
Ich sehe auf meine Uhr. Und der Sekundenzeiger dreht gerade seine zweite Runde, als es passiert. Und es ist eine Riesenscheiße, das ist mal sicher. Eine Riesenscheiße auf zwei Beinen: Es ist Lukas. Der Kerl, der nicht mitkriegt, wenn sie Waffen aus einer Pizzeria heraus verscherbeln.
Da also ist Lukas, und der Kerl sieht aus, als wäre er gerade aus der Mangel gekommen: blütenweißes Hemd, die Bügelfalten an seinem Anzug so scharf wie die Klinge eines KA-BARs, und sogar seine gottverdammte Krawatte sitzt wie angegossen. Irgendein billiges Aftershave weht in meine Richtung. Er beugt sich so nahe an mich heran, dass ich sein minziges Mundwasser riechen kann.
Wie geht's?, fragt Lukas mich.
Ist immer das Gleiche, sage ich.
Das Gesicht von dem Typen ist gerötet, als hätte er sich gerade erst blitzeblank geschrubbt, gerade erst frisch rasiert.
Aha, sagt er.
Aha, sage ich zurück.
Dann stehe ich da, mitten in einer Bahnhofshalle, bestimmt eine gottverdammte Minute lang, und sehe zu, wie dieser Typ mit dem Kopf nickt und nickt.
Und?, frage ich.
Also, sagt er, also, das wird dir gefallen.
Er dreht seinen Kopf herum, als ob jemand zuhören könnte, was er zu sagen hat, und dann sagt er:
Da kommen diese drei Juden in eine Bar, okay? Und der erste Jude sagt – sag Bescheid, wenn du den schon kennst – also, der erste Jude sagt zu dem Barkeeper: Was für ein Tag, was für ein Tag, mach' mir 'ne Hühnersuppe und einen Wodka. Also, der Barkeeper tut, was der Typ sagt, okay? Er bringt ihm die Suppe, gießt ihm seinen Wodka ein, und alles ist in bester Ordnung. Und dann sagt der zweite Jude, der Zweite, er sagt zu dem Barkeeper: Was für ein Tag, was für ein Tag, mach' mir eine Hühnersuppe und einen Tequila. Und der Barkeeper, der macht auch, was dieser Kerl will, okay? Bringt ihm die Suppe, den Tequila, alles prima. Und damit kommen wir zu dem dritten Juden, richtig? Und der dritte Jude sagt … weißt du, was der dritte Jude zu dem Barkeeper sagt?
Nein, Lukas, sage ich zu ihm. Was sagt der dritte Jude zu dem Barkeeper?
Er sagt: Scheiß auf die Suppe und scheiß auf den Schnaps, gib mir einfach die zwanzig Dollar, die du mir schuldest.
Lukas lacht laut drauflos, und es ist ein lausiges Lachen, wie das Miauen einer kranken Katze, und dann reibt er sich die Hände und schenkt mir ein viel zu breites Grinsen. Ich kann die Seife an seinen Händen riechen, dieser grüne Schleim, den man in öffentlichen Toiletten findet und der viel zu sauber riecht.
Haha, sage ich.
Ich sehe mich um. Nichts als Zivilisten.
Dann schaue ich rüber zum Eingang der Bahnhofshalle. Auch dort ist niemand zu sehen. Hier gibt's nichts weiter außer Lukas und mich.
Lukas, sage ich. Weißt du was? Weißt du, was ich gesagt hätte, wenn ich der dritte Jude gewesen wäre?
Nein, antwortet er. Was hättest du gesagt?
Ich hätte gesagt: Wer verdammt noch mal hat mich zum dritten Juden gemacht?
Ha, sagt er.
Ahm, sagt er.
Und dann sagt er: Versteh ich nicht.
Klar, sage ich. Klar verstehst du es nicht. Was gibt's sonst Neues? Hast du mir noch was anderes zu erzählen, Lukas? Oder bleiben wir einfach weiter in diesem lausigen Abbild eines Bahnhofs stehen und du erzählst mir für den Rest des Tages Witze?
Oh, na sicher hab ich dir noch was anderes zu sagen, sagt Lukas. Und das ist jetzt kein Witz, okay? Es ist was Gutes: CK sagt, du sollst wieder zurückkommen. Es gibt kein Problem, sagt CK. Alles ist cool.
Wirklich?, frage ich.
Ja, wirklich, beteuert Lukas. Das hat CK gesagt. Tu einfach, was du tun musst, das hat CK mir aufgetragen, dir zu sagen. Tu, was du tun musst.
Und da ist wieder CK's Stimme in meinem Ohr, wie sie durch das statische Rauschen des Handys dringt: Bring den Nigger um .
Dann erzählt Lukas weiter:
Und CK hat mir noch etwas anderes aufgetragen, das ich dir sagen soll, aber ich habe keine Idee, was das bedeuten soll, es ist wohl eines von diesen Dingen, weißt du? CK sagte mir, ich soll dir sagen: Was du in deinen Taschen hast, gehört dir. Die Papiere. Gehören alle dir, was immer das bedeutet. Ich schätze mal, du wirst wissen, was er meint. Tu einfach, was du tun musst, lässt CK ausrichten, und sie gehören dir.
Wirklich?, frage ich noch einmal. Und was ist mit Renny Two Hand?
Lukas schüttelt seinen Kopf. Ja, na ja, davon hab ich gehört, weißt du. Ich mochte den Jungen, ist echt 'ne Schande. Aber du hast dafür Mackie aus den Latschen geschossen, oder? Dabei lächelt Lukas. Dann sagt er:
CK lässt dir ausrichten: Jetzt sind wir quitt.
Verstehe, sage ich und sehe mich ein letztes Mal um, bevor ich zu Ende bringe, was gar nicht erst richtig angefangen hat. Ich sage zu Lukas:
Also, jetzt erzähle ich dir mal was, du beschissener Laufbursche, du kannst CK ausrichten, dass wir nicht quitt sind, dass wir so lange nicht quitt sind, bis er nicht unter der Erde liegt. Das richtest du ihm von mir aus, okay, du beschissener Retrovirus?
Lukas taumelt einen Schritt zurück, und ich musste ihn dafür noch nicht einmal anrempeln.
Weißt du was, Lane? CK hat mich schon gewarnt, dass du Nein sagen wirst. Er meinte, du bist genau die Art von Blödmann, der mir ein Nein als Antwort geben wird.
Er sieht auf seine Fingernägel hinunter. Ich kann immer noch die Seife an seinen Händen riechen. Wie kann ein Stück Scheiße nur so verdammt sauber riechen?
Pass auf, sagt Lukas. Du willst den Nigger nicht umlegen? In Ordnung. Um den Nigger werden wir uns kümmern. Also vergiss CK. Das hier kommt von Mr. Berenger direkt, okay? Seine Lippen kleben an meinen Ohren. Komm nach Hause, soll ich dir ausrichten. Fahr einfach mit mir zurück nach D.C.
Lukas tippt sich mit der Handfläche gegen seine Jackentasche, linke Brust. Ich hab ein Ticket für dich. Salon. Erste Klasse. In etwa fünf Minuten verlässt ein Metroliner dieses Kaff. Mr. Berenger sagt, du sollst nach Hause kommen, und dann wird die Sache geklärt und–
Du hörst mir nicht zu, Lukas. Genau das ist dein Problem, weißt du? Du siehst nicht hin, und du hörst nie zu. Aber jetzt solltest du besser aufpassen und mir zuhören. Denn siehst du die Tür da drüben? Zu dieser Tür werde ich rausspazieren, und du solltest besser hoffen und beten, dass ich dir danach nie wieder begegne.
Er zeigt mir seine Zähne. Ich weiß nicht, wie groß seine Eier sind, aber ich bin hier weg und drehe mich auch nicht um. Und als ich durch die Eingangstür der Bahnhofshalle hindurch und auf den Treppen bin, manövriert Jinx draußen den Capri an ein paar Taxen vorbei und an den Bordstein. Nur einer von Millionen Hertz-Mietwagen, rot und blitzsauber. Vielleicht nicht perfekt für die Art von Fahrt, die wir vor uns haben, aber so astrein wie es eben geht.
Jinx hebt die Reisetasche vom Sitz neben sich.
Hab sie noch dabei, sagt er. Aber die wandert in den Kofferraum.
Er beugt sich hinüber zu dem Handschuhfach.
Scheiße, sagt er.
Er schaltet den Motor aus, steigt auf der Fahrerseite aus, mit der Tasche in der Hand, und schlägt die Tür hinter sich zu.
Wenn du uns das nächste Mal einen Mietwagen bestellst, dann sieh zu, dass es ein Caddy oder ein Lex ist, sagt er und wedelt mit den Schlüsseln vor meiner Nase herum. Oder zumindest ein Modell, bei dem man den Kofferraum von innen aufmachen kann.
Er steckt den Schlüssel in das Kofferraumschloss und dreht ihn herum. Der Kofferraumdeckel springt auf, und der Geruch lässt mich beinahe zusammenklappen. Ich starre hinein, starre weiter hinein und verstehe nicht, was ich sehe. Weil es keinen Sinn ergibt, kein bisschen Sinn.
Da ist Blut.
Jinx lässt die Schlüssel auf den Gehweg fallen und tänzelt von dem Wagen weg, als hätte er sich gerade verbrannt.
Blut. Ich habe noch nie so viel Blut auf so wenig Raum gesehen.
Blut, Blut und noch mehr Blut, und dort, mitten aus dem ganzen Blut, ragen zwei Beine aus einem Rock, verbogen und zerbrochen wie dünne Äste.
Die Schuhe, die Beine, der Rock, die Bluse, das alles formt sich zu einer Faust, die mich mit voller Wucht trifft:
Es ist Lauren.
Verflucht, sagt Jinx.
Nein. Das ist nicht Lauren. Nicht mehr.
Verfluchte Scheiße, sagt er. Wo ist ihr Kopf, Mann. Wo ist ihr Kopf?
Ich habe eine Antwort parat, aber das ist die Antwort auf eine andere Frage, und die Frage stelle ich nicht, und ich sage auch nicht die Antwort, denn ich laufe weg, weg von dem Auto, weg von Jinx, renne die Stufen hinauf und in die Halle hinein. Vorbei an dem Schuhputzer, der mich nicht einmal bemerkt. Vorbei an dem Typen mit dem Besen, der mich bemerkt, aber dann zu dem Schluss kommt, ich sei einfach nur spät dran.
Spät dran. Für den Zug.
Ich bahne mir wie ein Bulldozer meinen Weg durch die Menschen und an dem Ticketverkäufer am Gate vorbei, ziehe meine Brieftasche halb aus meiner Anzugjacke und rufe ihm das Einzige zu, was er hören will: Washington. Dann bin ich durch die Doppeltür hindurch und draußen auf dem leeren Bahnsteig, und ich bin zu spät, zu spät, der Zug ist bereits angefahren, und ich renne, und die Räder drehen sich, und ich hole auf, aber ich kann nichts weiter tun als rennen, als die Räder quietschen und sich schneller drehen und der Zug schneller wird und ich beinahe das Ende des letzten Waggons erreiche. Und ich bin Auge in Auge mit Lukas, der aus dem Heckfenster des Zuges sieht wie ein Politiker auf einem Podium, und Lukas sieht hinaus, sieht mich, hebt diese blitzsauberen Hände und lächelt und winkt mir zu und sagt etwas, aber ich kann es nicht von seinen Lippen ablesen.
Dann bin ich am Ende des Bahnsteigs angekommen, und der Zug rollt aus Wilmington hinaus, fort von mir.
Ich stoße die Luft aus meiner Lunge und mache mich locker.
Das ist der Moment, wo ich meine Glock aus meinem Holster unter meiner Anzugsjacke ziehe und in den Weaver-Stand gehe. Hinter mir höre ich Schritte, und ich blende sie aus, achte auf nichts weiter, atme einfach nur tief ein und stoße die Luft wieder aus meinen Lungen hinaus, als Jinx neben mir auftaucht. Er hat meine Tasche in der Hand und einen mürrischen Gesichtsausdruck und spuckt seine Worte zwischen schwerem Keuchen aus:
Auf gar keinen Fall.
Ich atme tief ein.
Auf gar keinen verdammten Fall.
Locker. Ich sage die Worte nicht, fühle sie nur. Bleib locker. Sehe mit beiden Augen an dem Visier der Glock entlang und in ein Fenster, ein Rechteck aus Glas, das vor mir flirrt, das das Licht zu mir zurückwirft, eine Sonne, eine untergehende Sonne, eine schwache Hoffnung gegenüber der Nacht, sie kommt, die Nacht kommt, und da ist mein Vater, da ist Farmland, Farmland in Illinois, und ich sehe das Stück Pappe mit dem mit roten Wachsmalstiften aufgemalten Kreis darauf, das an dem hölzernen Zaun festgenagelt ist, und ich bin wieder dreizehn Jahre alt und blicke durch das Visier der Winchester meines Vaters, und er sagt zu mir:
Bleib locker.
Du verarschst mich doch, Mann, sagt Jinx. Du verarschst mich.
Zwanzig Meter.
Gib's auf, Mann, sagt er.
Fünfundzwanzig Meter.
Aber ich bin locker. Über dem Visier der Glock sehe ich die untergehende Sonne und die Pappzielscheibe, und durch das Ziel hindurch sehe ich Glas, und durch das Glas hindurch sehe ich Lukas, und ich sehe den Tod.
Siebenundzwanzig Meter.
Ich blinzle und sehe wieder hin. In der Ferne sehe ich, wie sich der Mais im Wind hin und her wiegt. Den sternenlosen Himmel, der ruhig ist und grau, ruhig und grau, und grau und grau, und dann schwarz, und ich drücke den Abzug, ein Schuss, und in dreißig Metern Entfernung bekommt das Zugfenster ein Spinnenwebenmuster, und das Spinnennetz färbt sich rot, und ich hab keinen Zweifel, überhaupt keinen Zweifel, dass Lukas tot ist.
Dann ist der Zug weg.
Verdammt, sagt Jinx.
Er sieht auf meine Pistole.
Sieht mich an.
Sieht meine Pistole an.
Sieht wieder mich an.
Heilige Mutter Gottes, sagt er.
Nein, antworte ich. Glock 19.