WUNDENLECKEN
Peace. Das ist das letzte Wort meines Kumpels Jinx, aber als ich mich nach vorn beuge und versuche, mich nicht zu übergeben, ist es nur die erste Stimme, die ich höre. Worte über Worte prasseln mir an den Kopf, und nach einer Weile lasse ich sie herein.
Daddy? Das ist Meredith Berenger. Die blutverschmierte Braut, mit der U-Street-Crew als Trauzeugen. Was für eine Hochzeit. Zumindest kam sie dazu, Ja zu sagen.
Lasst sie gehen. Das kommt von Jules. Der Mann findet so ganz langsam in sein altes Fahrwasser zurück und tut, was er am besten kann: Befehle geben. Als wäre nichts dabei.
Holt mir CK, sagt er. Holt mir CK her.
Schritte, laut und schwer. Jemand rennt. Ein Schnarren in einem Funkgerät, das von statischem Rauschen beantwortet wird. Und dann von irgendwoher, kein Scheiß, das Schreien eines Babys. Das bringt die Sache ins Rollen. Plötzlich plappern und rennen alle Durcheinander, und ich denke wirklich, dass ich mich übergeben muss.
Ich versuche die Luft anzuhalten und starre für eine Weile auf die Sauerei in meiner linken Achsel, dort, wo Anzug und Hemd und Kevlar und Haut und Muskeln und Fett von ein paar Millimetern fliegenden Metalls weggerissen wurden, und ich spüre überhaupt nichts, außer dem Drang, mich zu übergeben, und das ist der Schock, manchmal ist es nur der Schock, es ist der Schock, der einen umbringt. Ich starre weiter auf das Elend in meiner Achsel und schaffe es, meine Glock zurück ins Holster zu stecken, und dann, weil ich gerade nichts Besseres zu tun habe, stecke ich meinen Zeigefinger in die Wunde. Und als ich absolut gar nichts spüre, stecke ich ihn tiefer hinein, bis zum zweiten Knöchel, und dann fängt es etwas an wehzutun. Also bohre ich mit dem Finger darin herum, so tief ich kann, und als die Fingerspitze auf der anderen Seite aus meinem Arm wieder herauskommt, verdammt, dann tut es richtig weh, und ich weiß, dass ich es überstehen werde, dass ich wieder in Ordnung komme.
Ahm, Chopper Two Niner, hier spricht Top One, over. Chopper Two Niner, hier spricht–
Daddy?
Lass sie gehen, gottverdammt. Wir brauchen … ich sagte euch doch, ihr sollt mir CK hier herunterschaffen. Und McCarty. Ich will auch McCarty.
Hier entlang, Senator. Eine andere Stimme, aber keine, die ich kenne. Bitte. Senator? Mrs. Blaine?
Und dann ist da McCarty: Mr. Berenger, ahm, Sir, wir müssen diese Leute hier rausschaffen. Aber was ist mit–
Daddy?
Ah, Top One, hier spricht Chopper Two Niner, wir können Sie hören, over
.
Hey Jules. Das ist CK, endlich, der gute alte Clarence. Ich schaffe es, mich von dem Loch in meiner Achselhöhle loszureißen und mustere ihn. Der Kerl kommt den Mittelgang heruntergebummelt, als wäre es ein Nachmittag auf der Strandpromenade. Seine Magnum hält er locker in der Hand. Sein Gürtel ist um seinen rechten Oberschenkel geknotet. Er trägt die Wunde wie ein Accessoire.
Ich höre, sagt Jules.
Einen Moment, sagt CK, und dann lässt er den alten Mann links liegen und schlendert herüber, beugt sich vor, drückt mich und sieht sich meine Schulter an, bevor er sich nah an mich heranbeugt und mir zuflüstert:
Danke.
Und dann zieht er mir die Magnum über den Schädel. Es gibt einen grellen Blitz, das Flackern einer Glühbirne und dann nichts als Schmerz. Die Wucht des Schlages zwingt mich in die Knie. Ich kämpfe gegen den Drang an, mit meinen Händen nach meinem Gesicht zu greifen. Alles darin fühlt sich gebrochen an: mein Ohr, meine Wange, meine Nase, mein linkes Auge. Mit dem kann ich eine Weile nichts sehen, und dann doch, und es brennt, und da ist Blut, und da ist noch etwas anderes, etwas lässt mir die Sicht verschwimmen. Und ganz langsam und vorsichtig und behutsam hebe ich meine Hand an mein Gesicht und befühle das Stück abgeplatzter Haut, das mir von meiner Stirn hängt wie eine Augenklappe, und ich reiße den Hautfetzen von meinem Gesicht herunter, woraufhin noch mehr Blut an mir herunterläuft. Die Welt sieht aus wie ein Fernsehbild, bei dem die Hälfte der Farben fehlt.
CK wandert wieder zu Jules zurück, gerade rechtzeitig, um ihn sagen zu hören: Clarence, du musst dir etwas mit diesen Leuten einfallen lassen.
Ist schon erledigt, antwortet CK. Er schwenkt nach rechts und ruft in das Chaos hinein, zu den panisch aneinandergedrängten Körpern in Pastell, Weiß und Schwarz am Ausgang und zu seinen Soldaten in deren Mitte:
Okay, Ladies, aufgepasst. Zweierteams. Schafft die verdammten Leute hier raus, dann kümmert euch um die Toten und Verwundeten. Martinez, ich will, dass die Kathedrale abgeriegelt wird, und die Einsatzregeln sind einfach: Es gibt keine verdammten Regeln. Wenn ihr einen Schwarzen seht, wird geschossen.
Dann wendet sich CK wieder Jules zu:
Sag es ihm, sagt CK zu McCarty, und McCarty nimmt sein Gesicht aus seinem Walkie-Talkie, und da er niemanden hat, auf den er die undankbare Aufgabe abwälzen kann, sagt er zu ihm:
Wir haben zwölf Tote, Mr. Berenger. Ein paar davon sind Zivilisten. Und vielleicht zwanzig Verwundete. Ein paar von den armen Seelen werden es wohl nicht schaffen–
Es sei denn, wir kriegen hier sofort jemanden her, beendet CK den Satz für ihn. Dann sagt er mit leiserer Stimme zu McCarty: Bring unsere Verwundeten raus, aber vergiss die Zivilisten. Wer nicht mehr laufen kann, ist tot. Wir müssen die Sache hier so tief verbuddeln, dass wir in China wieder rauskommen.
Daddy?
Gib mir eine verdammte Minute, Meredith. Was meinst du mit jemanden
?
Hören Sie, sagt CK. Wir haben ein kleines Zeitfenster. Uns bleiben fünfzehn, vielleicht zwanzig Minuten. Sag es ihm, fordert CK McCarty auf.
Also rückt McCarty damit raus: Die, äh … Explosion in Old Town scheint die Polizei und die Feuerwehreinheiten von Alexandria zu überfordern. Die meisten Einheiten im Dienst und die Reserveeinheiten sind im Einsatz. Die haben bereits Unterstützung aus Arlington und Fairfax County angefordert, Code 3, und unsere Freunde in der Leitstelle versuchen, die Ereignisse hier unter den Teppich zu kehren.
Daddy, ich–
Halt die Klappe, Meredith. Halt einfach die Klappe.
Chopper Two Niner, hier spricht Top One, wir haben hier ein Problem, bleiben Sie auf Empfang. Wechseln Sie die Frequenz auf Code Bravo und bleiben Sie dran, over
.
CK baut sich direkt vor Jules auf und sagt: Also bleibt uns etwas Zeit, Boss. Zeit, sich um die Sache zu kümmern. Also sollten wir damit anfangen. Sehen Sie es mal so: In Manhattan gibt es Morde, Bomben und brennende Häuser. Jetzt hat es einen Teil von Alexandria ins Nirvana gesprengt. Wie lange wird es dauern, bis sie eins und eins zusammengezählt haben? Aber wie wäre es damit: Vielleicht reichte es der U-Street-Crew noch nicht, Gideon Parks umzulegen, also machen sie sich auf, um auf einen U.S.-Senator, einen angesehenen Geschäftsmann und
deren gesamte verdammte Familien loszugehen. Bei einer Hochzeit, Herrgott! Die Nigga wollen einen Krieg vom Zaun brechen? Sollen sie doch! Ein paar Vögel und eine Menge guter Freunde sind hierher unterwegs. Wir schaffen zuerst Sie und dann uns hier raus.
Jules will etwas entgegnen, aber McCarty springt dazwischen. Passt auf!, sagt er. Und dann:
Jules.
Eine neue Stimme, und diese ist unverkennbar, eine Mischung aus Polittalk und Larry King, dieser Bariton mit südlichem Einschlag, gewürzt mit Hickory und einstudierter Glaubwürdigkeit. Der Junior-Senator aus Kentucky. Alles, was dieser Kerl von sich gibt, taugt als Zitat.
Mein Gott, sagt Senator Anthony Blaine, und Jules gibt ihm das volle Programm:
Senator Blaine – Tony, mein Gott. Meine Männer werden Sie und Ihre Lieben in Sicherheit bringen. Mein Gott, Sir, was ist nur aus diesem Land geworden? Keiner ist vor diesen Wilden mehr sicher. Ich vertraue darauf, dass Sie dafür Sorge tragen werden, dass dieser terroristische Akt nicht ungesühnt bleibt. Aber zuerst werden Sie meine Männer–
Ich frage mich, Jules, ob wir allein nicht sicherer wären.
Wie auf ein Zeichen hin sind da die zwei ernsthaftesten Gesichter, die ich je gesehen habe; geschniegelte Albträume mit Zahnpasta-Lächeln. Der erste zückt für den Junior-Senator aus Kentucky seine FBI-Plakette, die in einem Kunstleder-Etui steckt, bevor er ihm mit einer höflichen, aber eindringlichen Geste den Weg zum Ausgang zeigt.
Hier entlang, Senator, sagt Prinz Charming. Agent Smithee hier wird Sie und Mrs. Blaine nach draußen geleiten. Ma'am? Ein Helikopter ist bereits unterwegs.
Aber Senator Blaine ist noch nicht fertig. Jules, sagt er. Wer ist dieser Mann?
Ich hebe den Kopf und zeige dem Politiker mein blutiges Gesicht. Das sollte als Antwort genügen, aber Jules sagt:
Ich wünschte, ich wüsste es, Senator. Ich wünschte, ich wüsste es. Kommen Sie, lassen Sie sich von diesen Herren hier helfen. Und ich kümmere mich um diese grauenhafte Angelegenheit.
Aber–
Prinz Charmings Partner rauscht heran und bugsiert den Senator und Mrs. Blaine zurück nach Oz oder wo immer diese blaublütigen Republikaner sonst so hingehen, während CK das Gespräch wieder aufgreift.
Die Hubschrauber werden in weniger als zehn Minuten hier sein, sagt er zu Jules. Aber Sie sollten noch etwas wissen. Sag's ihm, sagt er zu McCarty.
McCarty klemmt wieder an dem Walkie-Talkie. In das Walkie-Talkie hinein sagt er: Warte kurz, und dann sagt er zu Jules:
Wir haben jede Menge Funkverkehr da draußen. Nicht nur das Alexandria Police Department. Auch die Feds.
Alle Augen wandern zu Prinz Charming, der keine Reaktion zeigt, nicht einmal ein Schulterzucken.
McCarty stecken die Worte in der Kehle fest. Da ist diese merkwürdige Pause, bis CK schließlich Jules erklärt:
Aber keine von unseren.
Dann sagt er zu Jules, zu Prinz Charming, zu McCarty, zu den Jungs, vielleicht sogar zu sich selbst:
Aber hört zu, das ist kein Problem. Sollten sie zuerst da sein, werden wir uns um sie kümmern.
CK's Blick wandert über Jules' Schulter hinweg, und seine Augen formen sich zu kleinen Schlitzen. Er stolziert auf den Altar zu, wo sich der Pfarrer über das Kind in dem geschundenen Smoking beugt. Der arme Junge liegt im Sterben und macht es nicht mehr lange. CK packt den Pfarrer am Kragen, zerrt ihn auf die Füße und sagt: Verschwinden Sie hier.
CK drängt den Pfarrer in den Gang, an uns vorbei, schiebt ihn immer weiter und weiter. Und dann ist er weg, wohin auch immer.
Jules fragt: Was ist nur aus dir geworden?
Mein Mund schmeckt nach Kleingeld. Ich möchte ausspucken, aber meine Zunge findet keinen Speichel. Noch weiß ich nicht, dass Jules mich damit meint. Dann sagt er meinen Namen, und es besteht kein Zweifel mehr, mit wem er redet, er redet mit mir, und Jules fragt:
Was ist nur aus dir geworden, Lane? Was in aller Welt ist aus dir geworden?
Ich brauche eine Weile, aber dann antworte ich:
Ich wurde angeschossen.
Ich sehe auf das Blut hinunter, das mir aus den Hemdsärmeln rinnt und von meinen Handflächen auf den Boden tropft. Wie gottlose Tinte.
Ja, sagt er, das sehe ich. Aber das meine ich nicht. Ich meine, was aus dir geworden ist?
Scheiße, tut mir die Schulter weh. Mein Gesicht tut mir weh. Reden tut weh. Selbst Nachdenken tut weh.
Was aus mir geworden ist?
Ja, sagt er wieder. Du warst ein guter Soldat, Lane. Ein sehr guter Soldat.
Das stimmt, sage ich. Wie die ganzen anderen guten Soldaten auch, die draußen auf dem Arlington-Friedhof begraben liegen. Grabsteine, eine Reihe nach der anderen. Mit kleinen Fähnchen am Memorial Day.
Jules kramt ein weißes, seidenes Taschentuch aus seiner Smoking-Jacke und reicht es mir. Ich presse mir das Taschentuch auf die Wunde und sehe zu, wie es sich verfärbt.
Du hast sie hier hereingelassen, nicht wahr? Diese … Männer. Das war deine Idee. Alles deine Idee.
Oh, na klar, sage ich. Meine Idee. Du hast damit angefangen, Jules, schon vergessen? Ich hab nur versucht, es zu Ende zu bringen.
Der Kerl lacht. Dieser elende Kerl lacht mich aus. Er sagt:
Sicherlich. Soll ich dir was verraten, Lane? Vielleicht hast du recht. Vielleicht war es mein Fehler. Und weißt du warum? Weil ich dich falsch eingeschätzt habe. Ich dachte, du wärst ein guter Soldat. Aber anstatt einfach das zu tun, was du tun solltest, musstest du anfangen nachzudenken, nicht wahr? Du konntest nicht einfach nur tun, was man dir sagt. Du musstest plötzlich ein Gewissen entwickeln.
Sein Kopf schnellt nach links.
Nehmt ihm die Waffen ab, sagt Jules, und da ist wieder dieser neue Typ, Prinz Charming, der mit dem Kunstleder-Etui und der FBI-Plakette.
Prinz Charming nestelt die Glock aus meinem Gürtel und schiebt sie sich vorn in seinen Hosenbund. Dann greift er unter meine Anzugjacke, nimmt die Glock aus dem Bianchi-Holster auf meinem Rücken und steckt sie sich ein. Dann klopft er mich ab. Er nimmt die Magazine aus meinen Taschen und wirft sie auf den Boden. Dann geht er zu den Kleinteilen über, den Kuli und den Kamm und das Klimpergeld, bis seine Hände mein Buch ertasten und er mich spöttisch angrinst. Die Art, wie er mich filzt, ist alles andere als professionell, aber schließlich findet Prinz Charming, wonach er sucht, und als großes Finale zieht er die dritte Glock aus meinem Knöchelholster und hält sie Jules hin, als wäre sie die Überraschung in einer Cornflakes-Packung. Dann zieht er sich zurück und überlässt Jules wieder die Bühne.
Ohne die bist du nicht mehr so 'ne große Nummer, nicht wahr, mein Sohn?
Jules wendet sich ab, und bei seinen Worten versammeln sich Prinz Charming und der Rest von seinen Helfern näher um ihn herum. Was er zu sagen hat, ist für sie bestimmt, nicht für mich:
Wenn man einem Mann – ganz egal, welchem Mann – eine Kanone gibt, dann ist er plötzlich jemand. Er kann tun, was er will. Er kann sich nehmen, was er will. Er kann jemanden umbringen, wenn er das will. Und nicht nur irgendjemanden. Er kann damit einen Premierminister umbringen, einen Präsidenten, einen König. Er kann sogar einen Messias umbringen, wenn ihm danach ist.
Ein Mann mit einer Waffe kann all das tun, sagt Jules. Aber wenn man ihm die Waffe abnimmt, was bleibt dann noch übrig?
Jules zieht den Rotz in der Nase nach oben und spuckt ihn auf meine Schuhe.
Nichts. Und weißt du was, Lane? Das beschreibt dich ganz gut. Du warst mal wer. Und jetzt – na ja, jetzt nicht mehr. Du hast nichts mehr. Und weißt du was? Wenn man nichts mehr hat, ist man auch nichts mehr. Und da bist du jetzt angekommen, Lane. Du bist ein Nichts.
Ende der Ansprache. Vielleicht können wir dann ja endlich zur Tagesordnung übergehen. Zum Geschäftlichen. Zu seinem Angebot. Denn Jules ist die Art von Mann, die immer ein Angebot in der Hinterhand hat. Und das ist der Grund, warum ich überhaupt noch stehe. Der Grund, warum ich noch lebe.
Er sagt etwas zu Prinz Charming. Und dann zu mir:
Steck die Hände in deine Taschen.
Hey, Jules, sage ich und versuche zu lächeln. Wozu das Ganze? Wovor hast du Angst?
Steck einfach deine Hände in deine verdammten Taschen, sagt er.
Also tue ich, was er sagt. Als ob ich eine andere Wahl hätte. Und mit meinen Fäusten in den Taschen folge ich Jules Berenger, und wir lassen Prinz Charming und den Rest seiner Kumpane einfach stehen und laufen den Gang zurück in Richtung Altar. Wenn die Sache gut ausgehen sollte, lasse ich mich womöglich noch bekehren.
Ich hätte dich von CK umbringen lassen können, sagt Jules. Seine Lippen scheinen vor Ärger ganz aufgequollen zu sein. Ich hätte ihm befehlen können, dich umzubringen.
Selbst wenn mir nach Reden zumute wäre, gibt es da nichts zu sagen. Nichts, das einen Unterschied machen würde. Er wird seine Rede halten, und ich werde hier stehen und ihm zuhören müssen. Früher oder später wird er auf den Punkt kommen, und der Punkt sind die Schuldverschreibungen. Nach allem, was passiert ist, will der Mann das Gleiche, was er immer will: sein Geld.
Was in Gottes Namen hast du dir dabei bloß gedacht?, fragt Jules. Diese … diese Tiere
hier hereinzulassen?
Die Hälfte seiner Achselhöhle zu verlieren und eins über den Schädel gezogen zu bekommen, trägt einiges dazu bei, verwirrt auszusehen, und ich frage mich, was dieser Jules Berenger eigentlich von mir hören will. Und das Beste, was ich tun kann, ist, mein ehrlichstes Gesicht aufzusetzen und zu sagen:
Ich bin es nicht gewesen, der die Kerle hier reingelassen hat. Das warst du, erinnerst du dich? Das war dein Deal, deine Lieferung, nicht meine. Du wolltest mich dabeihaben. Also verdammt, Jules, hier bin ich. Du hättest mich aus der Sache raushalten können. Du hättest Gideon Parks ohne mich umbringen können.
Nein, sagt er. Sein Blick wandert davon, folgt seinen Gedanken an einen Ort, an dem ich nicht sein möchte. Das ist Schwachsinn. Ich will ihm erklären, dass das Schwachsinn ist, als er sagt:
Das konnte ich nicht, Burdon. Ich hatte keine andere Wahl.
Wahl?, frage ich.
Keine andere Wahl, sagt er. Und dann:
Die wollten dich, sagt er.
Die?, frage ich. Die
, Jules? Wer zum Teufel sind die?
Draußen, außerhalb der zerstörten östlichen Mauerwand der Kirche, schwebt der Helikopter heran. Seine Landelichter tasten über die Ruinen, die heimgesuchten Gesichter, die Reihe der sich entfernenden Autos, während er auf den Rasen heruntersetzt. Ich sehe den Helikopter, und dann sehe ich noch einen anderen Helikopter, den aus dem Fernsehen, den vom Dach des Excelsior-Hotels. Die Feds, die keine Feds waren. Oder vielleicht doch Feds waren. Oder–
Wie weit rauf geht diese Sache, Jules? Wie weit geht das die verdammte Befehlskette hinauf?
Burdon, sagt er, es geht nicht nach oben. Und auch nicht nach unten. Es geht hin und her. Hin und her und hin und her.
Jules–
Hör zu, sagt er. So ist das Geschäft, okay? Ich tue, worum man mich bittet. Und ich tue, was man mir sagt. Wie sonst hätte ich deiner Meinung nach so lange in diesem Geschäft überleben können? Glaubst du, ich hatte einfach nur Glück? Glaubst du, die Behörden haben nie Wind davon bekommen? Ich habe einfach nur … Geschäfte gemacht.
Verstehe, sage ich. Erklär das aber Gideon Parks. Oder dem Jungen da drüben. Was soll das Ganze, Jules? Es kann unmöglich nur um Waffen gehen.
Verdammt, Lane. Streng deinen Kopf an oder was davon noch übrig ist. Natürlich geht es um Waffen. Vielleicht nicht für sie. Aber für mich? Es geht immer um Waffen. Hast du diesem Gideon Parks schon mal zugehört? Für den Nobelpreis nominiert zu werden, hat dem Mann nicht gereicht. Dieser Reverend wollte tatsächlich Frieden. Er wollte die Gangs entwaffnen, diesen Gaunern Arbeit verschaffen, sie in die Schule schicken. Und die Leute, sogar die jungen Leute, haben ihm zugehört. Mein Gott, selbst der Bürgermeister von New York hat ihm Geld zugesteckt. Gesetzesentwürfe wurden im Kongress eingereicht, und solch aufrechte Patrioten wie Senator Blaine, diejenigen, die diesen Nonsens aufhalten könnten, sind plötzlich Mangelware. Amerika entwaffnen? Uns
entwaffnen? Kannst du dir das vorstellen, Lane? Was für eine Welt wäre das?
Also hast du ihn umgebracht, sage ich. Hast ihn für seine Worte umgebracht. Hast ihn dafür umgebracht, dass er Frieden wollte.
Selig sind, die Frieden stiften, sagt Jules. Steht es nicht so in der Bibel? Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Tja, sagt Jules zu mir, wir haben seine Seligsprechung einfach nur etwas beschleunigt.
Und falls er noch etwas anderes anfügen will, bleibt dafür keine Zeit mehr, denn ein Schatten fällt auf uns, und eine Stimme kommt aus dem Schatten und sagt:
Boss.
Es ist CK, und CK sagt: Der Chopper ist hier. Wir sollten Sie und Ihre Familie jetzt hier rausschaffen.
Okay, sagt Jules und sieht mich nicht mehr an. Dann fragt er CK: Kommst du mit?
Nein, Sir, antwortet CK, und er bekommt dieses ausdruckslose Gesicht und sagt: Wir haben hier noch was zu erledigen.
Jules seufzt und sagt: Ja. Nun, tu, was du tun musst. Aber um Himmels willen, Clarence, mach es dieses Mal richtig. Und bring mir die verdammten Schuldverschreibungen.
Dann streckt er sich in seinem Smoking und marschiert den Gang hinunter, sammelt seine aktuelle Blondine und Meredith und ihren Schönling ein, und da ist der Senator und Mrs. Blaine und ein paar Freunde, und da ist Agent Smithee bei ihnen, und Agent Smithee führt sie in die Kirchenvorhalle und den gelben Ziegelsteinweg zu dem wartenden Helikopter hinunter. Nächster Halt: irgendwo ganz weit weg.
Also ist es jetzt CK's Show.
Für eine Weile stehe ich da, mit den Händen in den Taschen, und CK steht neben mir, und wir sehen dem flackernden Licht zu, das zu den zersplitterten Kirchenfenstern hereinfällt, und wenig später beginnen die Rotorblätter des Helikopters sich zu drehen, immer schneller, und zusammen schauen wir zu, wie diese schwarze Libelle vom Rasen abhebt, und in dem Moment sehe ich CK an, aber CK starrt den Helikopter an, als wäre er hypnotisiert, er kann seine Augen nicht von ihm abwenden, und ich wundere mich, und dann denke ich nach, und dann weiß ich wieso, und ich sage zu CK:
Nein.
CK blinzelt nicht einmal. Er sagt nur: Doch.
Der Helikopter hebt ungefähr drei Meter vom Boden ab und seine Nase dreht sich langsam der zerstörten Kirche zu. Zu uns.
Ich frage CK: Wer fliegt den Vogel?
CK sagt: Hoyt Lindgren. Und dann: Kennst du ihn?
Oh, klar, sage ich. Bin schon mit ihm geflogen. Guter Mann.
Der Helikopter steigt höher, vollendet seinen Halbkreis und steuert nach Nordwesten und seinem Flugziel entgegen. Wahrscheinlich dem National Airport.
Was für ein Jammer. Was für eine verdammte Schande, sagt CK.
Der Helikopter neigt sich in einem steilen Winkel nach vorn und beginnt, immer mehr an Höhe zu gewinnen: Fünfzehn Meter, dreißig Meter.
Ich hasse es, einen guten Piloten zu verlieren, sagt CK.
Und dann explodiert der Helikopter, zerbirst zu einer wilden, flammenden Ladung Schrott, die verkohltes Metall und verdampftes Leben zurück auf den Rasen regnen lässt.
CK dreht sich zu mir um und zeigt mir seine Zähne. Man muss nur die Punkte miteinander verbinden, sagt er. Die verdammten Punkte verbinden.
Das ist–
Ich will Wahnsinn
sagen, aber dann überlege ich mir das mit diesem Wort anders und sage stattdessen:
Das ergibt doch keinen Sinn. Du kannst unmöglich das alles unter den Teppich kehren.
CK spricht mit mir, als müsse er sich die Zeit vertreiben. Komm schon, Burdon, sagt er, das macht sogar perfekten Sinn. Jules war genau das, was der Nigger sagte: zu alt und im Weg. Jetzt ist er keines von beidem mehr. Und wenn es hart auf hart kommen sollte, gibt er den idealen Sündenbock ab. Das wird meine Freunde sehr, sehr glücklich machen. Und im Gegensatz zu dir habe ich Freunde. Eine Menge Freunde. Und meine Freunde sind die Besten in diesem Geschäft. Die sitzen in Positionen, von denen du noch nicht mal was gehört hast. Die machen so was schon seit Jahren.
CK schnüffelt nach dem Kordit in der Luft. Saugt es gierig ein, wie jemand, der entschieden hat, wieder mit dem Rauchen anzufangen und seinen ersten Zug macht.
Jede Menge Freunde, sagt er. Und weißt du was? Meine Freunde haben riesige Teppiche.
Er beugt sich zu mir herüber. Packt meine verwundete Schulter und drückt zu. Ich versuche, den Schmerz auszublenden. Auf gar keinen Fall wird er mich schreien hören.
Aber du, Lane, du hast nichts mehr. Er drückt noch einmal in meine Schulter, und ich kneife die Augen zusammen. Ich frage mich, ob es möglich ist, dass ich ohnmächtig werde.
Damit hatte der alte Jules recht, sagt CK. Du hast nichts mehr.
Da liegst du falsch, presse ich durch den Schmerz hindurch hervor. Meine Stimme klingt uralt, aber die Worte finden ihren Weg hinaus: Ich habe noch etwas.
Ich habe noch etwas, sage ich zu ihm. Habe ich wirklich.
Er lässt meine Schulter los. Ich versuche stehen zu bleiben. Ich atme tief ein und dann noch einmal.
Hier, sage ich.
Ich bewege mich bewusst langsam, schön langsam, und was ich tue, ist, meine rechte Faust aus der Anzugtasche zu heben, um ihm zu zeigen, was ich da habe. Schön langsam, und er sieht zu, er will es sehen, und ich will es ihm zeigen.
Ich hebe die Faust zwischen uns und rolle nacheinander die Finger auseinander, und dann, schön langsam, öffne ich meine Faust und zeige es ihm.
In meiner Hand liegt, was ich noch habe, was mir noch geblieben ist: eine Neunmillimeter-Patrone. Jene, die in Renny Two Hands geballter Faust lag, als ich seine Leiche in der Senke fand. Damals wusste ich nicht, warum er diese Kugel in seiner Hand hielt, aber jetzt weiß ich es.
Jetzt weiß ich es.
Ich lasse meine Handfläche in CK's Richtung kippen. Die Patrone rollt mir zwischen die Finger. Ich klemme mir die Patrone zwischen Daumen und Zeigefinger und bringe sie ganz nah an CK's Gesicht heran, direkt vor seine Augen, und sage noch einmal:
Hier.
Er sieht sie an. Sieht sie genau an. Er blinzelt den glänzenden, nüchternen Zylinder an, und er sieht sie, aber gleichzeitig sieht er sie auch nicht, denn was ich ihm zeigen will, ist hier, aber auch gleichzeitig nicht hier.
Denn ich habe eine Patrone, nur eine Patrone. Und eine Patrone braucht eine Waffe, nicht wahr?
Falsch.
Ich ramme ihm die Patrone ins Auge.
Das Geräusch, das er von sich gibt, ist kein Schreien. Der Laut aus seinem Mund ist herausgewürgte Luft und Verwunderung, und mein Zeigefinger und mein Daumen drücken die Patrone in die Überreste seines rechten Auges, diesen Glibber, dieses Gelee, diese klebrige Masse, bis er nach hinten umfällt, auf den Boden fällt, und ich will ihm nach und pralle gegen Prinz Charming.
Prinz Charming versucht irgendwas zu sagen, aber was es auch sein mag, dafür ist es zu spät, und er ist gut, er ist schnell, er lässt die rechte Schulter sinken und zaubert seine Pistole hervor, aber meine Faust knallt auf seinen Unterarm hinunter, und seine Pistole fliegt davon und landet scheppernd zwischen den Kirchenbänken. Ich versuche einen Schritt zurück zu machen, aber mit meinem Gleichgewichtssinn ist es vorbei. Prinz Charming verpasst mir einen Aufwärtshaken, und ich schaffe es, den Kopf einzuziehen, sodass seine Knöchel nur meine Wange streifen und mich über dem Ohr, an der harten Stelle des Schädels erwischen. Tut trotzdem weh, Scheiße, tut das weh, aber Prinz Charming schreit ebenfalls auf und schüttelt seine Hand. Vielleicht hat er sich im Gegenzug einen oder zwei Finger gebrochen. Ich kann nicht nach hinten ausweichen, also gehe ich auf ihn los, schlage ihm in die Magengrube, und dann richte ich mich auf und ramme meinen Kopf in sein Gesicht. Ich höre ein schönes Knacken, spüre, wie sich seine Zähne in meine Haare und die Kopfhaut graben, und dann tänzelt er von mir weg.
Aber nicht für lange.
Er umklammert mich mit seinen Armen, und jetzt kann ich Kupfer riechen, Blut; mein Blut oder sein Blut, ist mir egal. Ich packe die Glock, die vorn in seiner Hose steckt. Prinz Charmings Hände wandern nach oben zu meinem Hals, und ich habe den Griff der Pistole in der Hand, aber ich kriege sie nicht herausgezogen, also drücke ich den Abzug. Der Rückstoß feuert die Glock aus seinem Gürtel, und Prinz Charming schreit und schreit, und dann hält er den Mund und sackt zusammen.
Ich suche seine Taschen ab, nehme wieder die andere von meinen Glocks an mich und sammle ein paar der Magazine vom Boden auf. Dann trete ich über seine Leiche hinweg und fange an zu schießen.
Die Leute sagen immer, dass Gewalt keine Probleme löst, aber da liegen sie falsch, so verdammt falsch. Ich lasse meine Glocks auf diese Killer los, und das löst ganz sicher zumindest dieses Problem, oh ja, und wie.
Ich nehme mir den ersten Typen vor, ein Schuss, Körpermitte, Ende der Geschichte.
Den nächsten Typen erwische ich ebenfalls ohne Deckung, und er dreht sich wie ein Derwisch um die eigene Achse, als ich zweimal auf ihn abdrücke und ihn mit dem Gesicht voran auf den Teppich schicke.
Nummer drei zerrt eine abgesägte Schrotflinte unter seinem Trenchcoat hervor und kommt damit durch den Gang auf mich zu. Ich tauche nach links ab, feuere im Flug, treffe ihn zweimal in der Brust, und damit ist auch er hinüber. Der vierte Kerl schnellt hinter der letzten Reihe hervor und schafft es beinahe, seine Waffe hochzureißen, doch dann decke ich ihn mit Blei und Tod ein. Der fünfte Mann hinter ihm, Martinez, kriecht hinter einer Bank in Deckung. Er schiebt seine Pistole an dem Holz vorbei, und ein paar Mal feuert er blind drauflos, aber trifft nicht einmal annähernd. Ich packe den Griff meiner Waffe fester, ziele und reiße ihm die Hand ab. Er taumelt zurück, und ich bringe es zu Ende.
Dann leere ich mein Magazin in die nächsten beiden Typen, und dann hechte ich über den Gang, tauche ab und schlittere über den Holzfußboden, und meine zertrümmerte Schulter muss den Aufprall abfangen.
Ich krieche zwischen den Bänken entlang, spüre nichts weiter als Schmerz und versuche zu atmen und bei Bewusstsein zu bleiben. Ich werfe das leere Magazin aus, schiebe ein volles hinein und mache eine kurze Bestandsaufnahme. Irgendwo hinter mir liegt immer noch CK am Boden, ohne Frage, zusammengerollt, mit der Hand auf seinem zerstochenen Auge. Seine Magnum wird er nicht mehr benutzen können. Aber ansonsten ist da keiner mehr, also bleiben noch fünf oder sechs oder sieben Männer zwischen mir und der Tür zur Vorhalle.
Schritte, von links. Ich presse mich eng auf den Teppich und sehe zu, wie Hochleistungsgeschosse eine gezackte Linie münzgroßer Löcher in die Lehne der Bank reißen. Und zähle die Schüsse herunter, während der Idiot sein Magazin leert.
Dann springe ich auf, hebe zuerst die eine Glock und dann die andere und bringe mit beiden Händen den Tod, schieße mir den Weg durch den Gang frei, knalle ihn ab und den nächsten, einen und noch einen, und schließlich McCarty, der irgendetwas Unverständliches schreit, als ihn die Kugeln zugrunde richten und er tot zusammenbricht. Und dann:
Stille.
Nichts.
Aber es ist noch nicht vorbei. Es kann unmöglich vorbei sein. Ich trete zurück in den Gang und weiter geht's, gehe nicht ins Gefängnis, ziehe zweihundert Dollar ein und fang' an nachzuladen. Aber ich brauche mehr als nur diese Pistolen.
Also halte ich Ausschau nach dem, was es jetzt braucht: eine Schrotflinte. Dauert nicht lange. Es finden sich immer genügend Waffen – immer – denn es ist unser Recht, unser gottverdammtes Recht, sie zu besitzen. Und dort, am anderen Ende des Ganges, liegt die Waffe, die ich suche: eine Ithaca Pumpgun, Polizeiausführung, in den Händen irgendeines toten Typen.
Aber wo ist CK? Wo zur Hölle steckt CK?
Da ist eine Stimme, aber ich kann sie nicht zuordnen. Draußen, in der Vorhalle, und sie bellt Namen, bringt wahrscheinlich die Truppen in Stellung, irgendwo hinter der Tür, bereit für ihre Version der Zweiergruppen-Taktik, ein kleiner SWAT-Tanz, der ungefähr so ablaufen wird:
Teams aus jeweils zwei Personen stürmen herein und wechseln sich dabei zwischen Vorrücken und in Deckung gehen ab. Der erste Mann späht in hockender Position durch die Tür. Legt an und deckt den Raum mit Dauerfeuer ein, während sein Partner vorrückt, an eine bessere Schussposition, und von dort das Feuer eröffnet, während der erste Mann in den Raum eilt, in Deckung geht und wiederum Feuerschutz gibt und sich daraufhin wieder sein Partner in Bewegung setzt. Ein wenig wie Bockspringen. Ist nicht leicht, dem etwas entgegenzusetzen, und draußen vor der Tür sind eine Menge Typen, aber hier drin bin nur ich. Sie werden in Zweierteams hereingestürmt kommen, immer noch eins und noch eins, und das sind dann wie viele von ihnen? Zwanzig, dreißig, vielleicht mehr, und Verstärkung ist schon auf dem Weg. Oh ja, sie werden kommen, und es kommen immer mehr.
Und ich, ich lache.
Ich lache, weil ich auf der anderen Seite stehe und allein und so verdammt am Arsch bin.
Ich dachte, ich hätte einen Plan. Aber das war nur das Drehbuch für meinen Selbstmord.
Ich ziehe mich zurück, die Schrotflinte auf die Tür gerichtet, und suche mir einen Platz aus, wähle eine Bank, irgendeine Bank, als ob Holz etwas gegen das ausrichten kann, was sie mir entgegensetzen werden, und ich postiere mich etwa fünfzehn Meter von der Tür entfernt, was mir etwas Deckung und genug Abstand zu dem verschafft, was der Schütze für mich in petto haben wird. Ich stelle die Schrotflinte vor mir ab und überprüfe die erste meiner Glocks. Sie ist so leergeschossen, dass der Schlitten zurückgeschnappt ist, also ersetze ich das Magazin. Ich ziehe den Schlitten zurück, lade die Glock, stecke sie in meinen Gürtel und sehe nach der zweiten. Dann stecke ich sie in das Bianchi-Holster auf meinem Rücken. Dann hebe ich die Schrotflinte auf. Das ist die verdammt beste Verteidigungswaffe, die es gibt. Aber sie hat nur acht Schuss.
Ich warte und warte, frage mich, ob sie die Show mit Granaten oder vielleicht sogar Tränengas einleiten werden, was mir echt den Tag versauen würde, und dann habe ich lange genug gewartet. Ich wische mir die Hände an meiner Hose ab, ziele mit der Schrotflinte auf die Doppeltür und zähle – eins, zwei, drei – und dann fängt die Schießerei wieder an, aber die Schüsse kommen von draußen, die Schießerei findet draußen in der Vorhalle statt, dem Alkoven, der Lobby, was weiß ich, und Löcher werden in die Wand und die Doppeltür gerissen, Umbauarbeiten mit schwerem Geschütz, das dicke, fette Brocken an Putz und Holz hereinplatzen lässt. Da sind auch Schreie, die Art von Schreien, bei der man sich nicht vorstellen kann, dass sie ein Mensch von sich gibt, bis man es selbst hört. Schreie und Schüsse und noch mehr Schreie.
Die Tür bricht auf, und nur ein einzelner Mann, nur einer von ihnen, taumelt herein, und er rennt und fällt hin, rennt und fällt gleichzeitig, und ich stehe auf, feuere die Schrotflinte ab … und er ist tot.
Ich laufe in den Gang, husche hin und her, auf die Vorhalle zu und rechne damit, dass die Türen jeden Moment wieder aufschwingen und eine Menge Körper mit Dauerfeuer hereingestürmt kommen. Ich bin beinahe vorn, als die Türen wieder aufknallen, aber es ist das gleiche Spiel, wieder ist es nur einer von ihnen, nur einer, und dieses Mal ist es Prinz Charmings Partner, Agent Smithee, der dauergrinsende Fed, und er feuert Schüsse aus seiner Pistole ab, aber nicht auf mich, sondern zurück auf die Tür, in die Vorhalle, und als er innehält und sich umdreht und mich sieht, weiß er, dass er einen Fehler gemacht hat.
Und zwar einen riesigen Fehler.
Ich blase ihm das verlogene Grinsen aus dem Gesicht.
Und höre nicht auf. Ich lade und feuere weiter, und der nächste Schuss zerlegt die Tür, und ihre Einzelteile fallen herunter, und ich lade und schieße weiter, lade und schieße, bis nur noch das Klicken zu hören ist. Ich werfe die Schrotflinte beiseite und ziehe die erste Glock.
Das, was von der Tür noch übrig ist, schwingt quietschend vor und zurück, vor und zurück, und irgendwann hört es auf, und es herrscht Stille.
Ich trete die zerstörte Tür ein, und sie fällt in sich zusammen. Was ich auf der anderen Seite vorfinde, ist keine Vorhalle, sondern ein Schlachthaus. Jemand hat den Raum mit Blut eingesprüht. Ich zähle neun, zehn, nein elf Körper am Boden. Alle sind tot, außer der eine da drüben in der Ecke, der mit einer Art von bitterem Lächeln auf dem Gesicht in der Ecke zusammengesunken ist, mit einer Pistole in jeder Hand und ein paar Einschusslöchern in seinem Körper.
Der Schwarze.
Mein alter Kumpel Jinx.
Er lässt die Pistole aus seiner linken Hand fallen, dann dreht er den Revolver in seiner Rechten, versucht ihn sich in sein Schulterholster zu stecken, aber er sieht dabei nicht hin, und da ist so viel Blut, dass die Pistole an dem Leder abrutscht und klappernd auf den Boden fällt.
Ich lasse mich neben ihm auf den Holzfußboden nieder und sage zu Jinx:
Gott im Himmel.
Und er sagt nur: Burdon Lane.
Sein Blick fällt auf die Leichen, dann auf mich, und dann sagt er:
Ich bin ein böser Mensch gewesen.
Und von draußen, noch weit entfernt, hört man Sirenen.