EIGHTY F

Ob ich noch mal Glück gehabt habe? Ich glaube nicht.
Ich denke, das wird noch viel schlimmer werden, bevor es besser geht. Wenn es überhaupt jemals besser geht.
Meine Knie brennen. Meine Hosenbeine sind zerrissen und ich habe mir die Knie aufgeschürft, als ich auf den Boden gefallen bin. Aber erst jetzt, als ich mir Jinx so ansehe, spüre ich das Brennen. Und das Blut.
Haben ja lange genug gebraucht, sage ich zu ihm.
Er fragt nur: Hä?
Die Cops, erkläre ich.
Und er sagt: Oh.
Eine aufgerissene Schweinerei von einer Wunde zieht sich im Zickzack an seinem rechten Bein hinauf, und irgendetwas anderes tränkt sein Hemd. Er trägt Blut am Leib wie andere Klamotten. Manches davon ist sogar sein eigenes.
Die Türen, diese großen, breiten hölzernen Doppeltüren der Kathedrale, sind vielleicht sechs Meter von uns entfernt. Es könnten aber auch zwei Kilometer sein. Denn diesen Weg werden wir nicht nehmen. Zumindest nicht freiwillig.
Hinter diesen Türen ist ein weiteres Geräusch zu hören, näher als die Sirenen. Es ist das Geräusch von Männern mit Waffen. Männer, die nicht aufgeben und nach Hause gehen werden. Männer, die töten oder getötet werden.
Diese Männer hinter der Tür, sie kommen. Und ob sie das tun.
Wie viele?, frage ich ihn.
Hatte keine Zeit, sie zu zählen, sagt er außer Atem. Aber du hast es ja gesehen, die haben eine verdammte Armee da draußen.
Seine feuchten Hände erwachen zum Leben und heben die Ruger vom Boden auf. Er kramt einen Schnelllader aus seiner Tasche und füllt damit seine .38er auf. Dann sucht er mit den Augen die Leichen um uns herum ab. Aber er findet nicht, wonach er sucht.
Er sieht mich an und nimmt mir die Worte aus dem Mund:
Wo steckt dein Freund CK?
Er – Ich will sagen, dass CK noch da hinten in der Kathedrale liegt, aber das stimmt nicht. Da ist er nicht mehr.
Jinx sieht mich an. Sein Grinsen gefällt mir nicht. Das ist ein neues Grinsen, nicht das eines Wolfes, nicht das eines Jägers. Es ist ein leeres Grinsen, eines, das einem verkünden wird, dass etwas sehr Unschönes auf einen wartet.
Doctor D hätte ihn umlegen können, sagt Jinx. Aber nein, du musstest es ja unbedingt tun, nicht wahr?
Ja, antworte ich. Und weißt du was? Das will ich immer noch.
Er gehört dir, sagt Jinx. Ich bin fertig mit der Ballerei.
Ich will ihm erklären, dass ich das stark bezweifle, doch dann reißen sie uns aus unserer kleinen Wiedervereinigungsfeier. Eine Salve von Hochgeschwindigkeitsgeschossen fegt über uns hinweg und durchlöchert die Wand hinter uns.
Ein Schuss ins Blaue, alles andere als taktisch. Sie sind da draußen und knallen einfach mit allem los, was sie haben.
Ich ziehe den Kopf ein, Kopf runter, runter. Die ganze Welt scheint zu rattern und zu beben, und die Wand sieht aus, als würde sie jeden Moment zusammenfallen. Wir atmen Staub statt Luft. Und können nichts weiter tun, als hierzubleiben und den Staub zu atmen, bis die Sekunden, die sich wie Stunden anfühlen, wieder zu Sekunden werden und der Lärm nachlässt. Außer den Sirenen. Den Sirenen und einem neuen, aber gleichzeitig altbekannten Geräusch. Dem Klang von Rotorblättern.
Denen läuft die Zeit davon, sagt Jinx. Er hat sich keinen Millimeter bewegt. Sitzt einfach nur da, hält noch immer seine Pistole in der Hand und grinst dieses leere Grinsen.
Hilfe ist unterwegs, sagt er.
Bestimmt, sage ich.
Dann warten wir, sagt er. Warten einfach ab und lassen die Polizei ihren Job machen.
Nein, entgegne ich. Auf gar keinen Fall. Das ist nicht CK's Art. Die werden das Ding hier stürmen, mit aller Gewalt. Und ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich werde nicht in einer Kirche krepieren. Nicht heute. Also glaube ich nicht, dass wir eine Wahl haben. Wir müssen hier weg.
Leichter gesagt als getan, antwortet er, zieht sein rechtes Bein an und zeigt mir die Wunde. Eine fiese Wunde, die unmissverständlich deutlich macht, dass er damit nicht wird laufen können.
Warte, sage ich. Da liegt eine Uzi auf dem Boden, die einer von den toten Typen nicht mehr braucht. Noch kalt. Wurde nicht mal abgefeuert. Ich schlage von unten gegen das Magazin und höre, wie es einrastet. Ziehe den Ladehebel zurück, stelle den Feuermodus auf Automatik. Dann ziehe ich den Kopf ein, presse das Kinn auf den Boden. Robbe auf die Art durch die Tür zur Kathedrale. Sehe nach oben. Kein Lichtschalter, aber weiter hinten ist etwas viel Besseres, nämlich die Stelle, wo anhand der Idee von irgendjemandem in Bezug auf Brandschutzverordnungen die Gemeinde gezwungen war, eines von diesen generischen Notausgangsschildern anzubringen. Ein silbernes Kabel windet sich aus dem Schild und führt in eine Kabelbox, und das könnte funktionieren. Ich lege die Uzi an, die ganz sicher nicht auf Treffergenauigkeit ausgelegt ist, und drücke ab. Ein Schluckauf im Unterschallbereich lässt Funken aus der Kabelbox prasseln, da ist berstendes Metall zu hören und ein Lichtblitz zu sehen, und dann gehen in der Kathedrale die Lichter aus.
Ich krieche zurück und sage zu Jinx: Was denkst du?
Hey, ich weiß nicht, wie's dir geht, sagt er, aber ich habe etwa gegen vier heute Nachmittag aufgehört zu denken.
Klar, sage ich. Aber ich denke, wir sollten verschwinden.
Ich deute mit einem Kopfnicken auf die Wunde, die schlimme Wunde, die an seinem Bein.
Das wird wehtun, sage ich.
Schon klar, sagt er.
Aber wenn wir hier noch länger warten, sind wir beide tot.
Stimmt, sagt er.
Also kann ich dich auch genauso gut tragen, sage ich und schiebe meine Unterarme unter seine Armbeugen, um ihn hochzuheben. Auch wenn das noch etwas mehr wehtun wird.
Schon klar, sagt er.
Okay. Ich balle meine Hände zu Fäusten und beuge die Knie.
Auf drei, okay? Eins, zwei–
Bei zwei hieve ich ihn nach oben, und Jinx schreit nicht, beschwert sich nicht, gibt überhaupt keinen Mucks von sich. Er lehnt sich einfach nur gegen mich und fragt:
Was ist aus der Drei geworden?
Ich lege mir seinen Arm um die Schulter, lade mir etwas von seinem Gewicht auf den Rücken und würde deswegen am liebsten laut aufschreien. Der Schmerz tanzt Polka quer durch meine linke Achselhöhle, über meinen Brustkorb und am Rückgrat hinunter. Wir laufen nebeneinander her wie bei einer grausamen Version des Sackhüpfens. Ein dreibeiniger Mann, der durch die Kirche humpelt, in der Hoffnung, geheilt zu werden. Aber wir kommen voran, raus aus dieser Leichenhalle und an den Altar heran, dann in die Sakristei und schließlich durch eine andere Tür, und diese Tür führt in einen langen Korridor, wo die Lampen noch brennen. Hier gibt es Türen über Türen, und ganz hinten am Ende des Flurs ist noch eine Feuertür. Ich entscheide mich für die zweite Tür auf der linken Seite, und dann befinden wir uns in einem kleinen Raum.
Ich lehne Jinx gegen die nächstbeste Wand, wo er sich ausruht und an ihr hinunter auf den Boden rutscht. Der Raum ist eine Sardinenbüchse von einem Büro. Es gibt einen Schreibtisch und einen Stuhl und einen Aktenschrank und ein Kruzifix an der Wand und ein Bild von diesem toten Papst, dem Papst vor dem jetzigen Papst, Sie wissen schon, und dann noch ein kleines quadratisches Fenster, und vielleicht ist das das Büro des Pfarrers, und mit diesem Gedanken nähere ich mich dem Schreibtisch, der allerdings verschlossen ist, aber ich trete gegen die unterste Schublade, und sie springt ein klein wenig heraus, also trete ich noch mal dagegen und ziehe sie heraus, und darin findet sich eine Flasche von jenem speziellen Weihwasser, genannt Whiskey, und ich sage zu Jinx:
Hey.
Und werfe ihm die Flasche zu.
Er fängt sie aus der Luft und wirft einen langen Blick auf das Etikett, dann schraubt er sie auf und nimmt einen tiefen Schluck. Davon muss er husten und etwas Whiskey und etwas Blut rinnen ihm aus dem Mundwinkel, aber trotzdem scheint er im Moment der glücklichste Kerl zu sein, der mir je untergekommen ist. Er schraubt die Flasche wieder zu und wirft sie zu mir zurück. Ich fange sie auf und beginne wirklich zu glauben, dass wir am Leben sind.
Der erste Schluck von dem Scotch schmeckt wie die Wahrheit: Es tut weh, aber auch gut. Ich lasse die Flüssigkeit einen Moment auf meiner Zunge verweilen, dann schlucke ich sie herunter. Aber ich bin nicht gierig. Ich werfe die Flasche zu Jinx zurück, lasse mich gegen die Wand auf meiner Seite des Raums fallen, rutsche mit meinem Arsch daran hinab, atme kurz durch. Dann überprüfe ich, ob das Magazin in meiner ersten Glock eingerastet ist.
Noch mehr Sirenen.
Ich glaub's ja nicht, sage ich. Haben ja lange genug gebraucht, aber jetzt sind sie hier. Kommen wie die Kavallerie angeritten. Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich einmal froh sein würde, die Cops zu sehen.
Jinx sieht lange auf die Flasche hinunter. Dann sagt er:
Wird auch Zeit, dass wir Feierabend machen, sagt er, und dann will er darüber lachen, nur ein wenig, aber er schafft es nicht. Er nimmt einen schnellen Schluck aus der Flasche, und dann bin ich wieder an der Reihe. Um zu trinken und um zu reden.
Ja, wird wirklich Zeit, sage ich. Aber so ganz sind wir noch nicht fertig.
Die Flasche fliegt herüber. Ich nehme meinen Schluck, und der Scotch ist schon fast leer, also hebe ich noch etwas auf, für ihn oder für mich. Kommt drauf an. Ich warte, bis die Wärme in meinem Magen angekommen ist, und dann sage ich:
Ich muss dich mal was fragen.
Wirklich?
Ja, wirklich, sage ich. Weißt du, eine Sache wundert mich schon die ganze Zeit über, aber ich wollte damit auf den richtigen Moment oder den passenden Ort warten. Oder selbst draufkommen. Aber ich bin nicht selbst draufgekommen. Also dachte ich, du könntest mir vielleicht etwas auf die Sprünge helfen, bevor die blauen Jungs hier eintrudeln.
Ich halte die Flasche auf Armlänge vor mich, beobachte, wie das Glas schimmernd das Licht bricht, es verschwimmen und erstrahlen lässt, und dann denke ich, es ist Zeit, ihn zu fragen, also sage ich:
Ich würde gern wissen, wieso du mich nicht erschossen hast? In der Tiefgarage. In New York. Warum du mir nur in den Rücken geschossen hast?
Aber die Frage ist falsch gestellt. Ich weiß, warum er auf mich geschossen hat, und ich weiß, warum er es mit einer Kleinkaliber getan und nur einmal auf mich und in genau die richtige Stelle geschossen hat, unterhalb der Schulter, über der Niere, weit genug neben die Wirbelsäule: Um mich unschädlich zu machen, aber nicht, um mich umzubringen. Also fange ich noch einmal an.
Was ich wissen will, ist, was du dort gemacht hast? In der Garage. Und was du hier tust? Jetzt. Warum du zurückgekommen bist?
Eine Gewehrsalve ertönt, irgendwelche Automatikwaffen, und sie wird von Pistolen und noch mehr Pistolen beantwortet. Stimmen sind zu hören, Stimmen, die das Kommando haben. Die Cops sind da, und sie machen den Laden dicht.
Jinx sieht mich nicht an. Sein Kopf lehnt an der Wand und er sieht so aus, als wäre er ganz ruhig, als wäre er plötzlich ganz ruhig geworden. Er starrt zur Decke hinauf, oder auf etwas darüber, den Himmel, die Sterne, einen Traum, keine Ahnung. Aber für einen Moment ist er woanders, und dann ist er wieder hier. Und dann sagt er:
Wir sind dir gefolgt.
Da liegt irgendwas in seiner Stimme, irgendwas ist faul. Sie klingt anders. Hat sich irgendwie verändert.
Aber das kann nicht sein, denn–
Wieder sind Schüsse zu hören. Dieses Mal näher. In der Ferne, über uns, pflügt etwas durch die Luft, das Geräusch von Hubschraubern. Sie kommen näher. Es wird bald vorbei sein.
Du hättest mir einfach zu dem Hotel folgen können, sage ich. Aber dann merke ich erst, was er eigentlich gesagt hat, was ich überhört habe: Wir?
Es dauert nicht lange. Ich höre einen oder zwei Schüsse aus der Kapelle und dann das Geräusch von Stiefeln und dann die Stimmen:
Gesichert. Gesichert. Gesichert.
Das Geräusch einer Tür, die eingetreten wird.
Los!
Stiefel auf Linoleum.
Gesichert!
Sie kommen den Korridor hinunter.
Los!
Von Tür zu Tür.
Gesichert!
Bis sie schließlich direkt vor dem Büro stehen und ich weiß, dass sie die Finger am Abzug haben und erst schießen werden, wahrscheinlich sogar ein zweites und drittes Mal, und erst dann, nach dem vierten oder fünften Mal anfangen werden, Fragen zu stellen. Also muss es reibungslos über die Bühne gehen. Perfekt.
Officer? Ich versuche, den richtigen Tonfall zu treffen. Laut, aber auch nicht zu laut. Ungefährlich. Entgegenkommend. Ich hebe die Glock und beobachte den Schatten, den Schatten mit Helm, schaue zu, wie er vor der Tür immer dunkler wird, und dann ist da noch ein zweiter Schatten, der über ihm aufragt und eins mit ihm wird, und ich rufe:
Hier, hier drin. Wir sind auf Ihrer Seite. Ich wiederhole, wir sind auf Ihrer Seite. Und wir ergeben uns. Wir haben Waffen, aber wir werden sie ablegen, okay? Also seien Sie vorsichtig. No más, okay? Wir ergeben uns.
Der erste Polizist schwingt sich geduckt herein, die Dienstpistole gezogen, mit der er sorgfältig zielt. Blauer Helm, blaue Uniform, Polizeitruppe des District of Columbia. Vom Allerfeinsten.
Die Waffen fallen lassen, fordert uns der Helm auf.
Sofort.
Ich sehe zu Jinx hinüber.
Kein Problem, sagt er. Er nimmt die Ruger aus seinem Schoß, legt sie mit der flachen Hand auf das Linoleum und schiebt sie dem Cop zu. Und dann macht er den Elch: Hebt die Hände über den Hinterkopf, wobei er mit der rechten Hand sein linkes Handgelenk umklammert. Dabei zuckt er zusammen. Das muss wehtun. Er versucht, etwas zu sagen.
Ich strecke die Arme weit von mir, aber die Glock lasse ich nicht los.
Lassen Sie die Waffe fallen, fordert mich der Helm auf. Und nehmen Sie die Hände hoch. Er lässt seinen Stiefel auf Jinx' Pistole sinken. Dann sagt er:
Gesichert.
Der zweite Cop drückt sich durch die Tür herein, die Pistole auf den Boden gerichtet, und er sieht aus wie ein Abziehbild, die gleiche kantige Cowboy-Fresse, das gleiche Blau-in-Blau. Er geht hinter Helm in Position, und ich zeige ihm meine beiden Hände, schön weit weg vom Körper, aber Helm ist nicht glücklich damit, dass ich die Glock noch in der Hand halte, und lässt die Nase seiner Kanone in meine Richtung wandern, und dann sagt Jinx zu den Cops:
Eighty F.
Was zur Hölle das auch immer bedeuten soll, genau das sagt er, und dann wiederholt er es, und Helm scheint wie angewurzelt stehen zu bleiben, und der zweite Cop dreht sich wie in Zeitlupe zu ihm um, und Jinx nimmt wieder die Hände vom Kopf und greift zu seinem Knöchel hinunter, und ich kann nicht glauben, dass er wirklich versucht, eine Waffe zu ziehen, was zum Teufel hat er vor?
Eighty F, sagt er zu Helm.
Und dann dreht sich Helm zu ihm um, fängt an, seine Pistole in ihn zu entladen.
Und der zweite Cop wirbelt zu mir herum und feuert, aber sein Schuss geht vorbei, und eine zweite Chance bekommt er nicht mehr, denn ich schieße zurück, zwei Schüsse in die Leiste, die ihn zusammenklappen lassen. Helm feuert noch immer auf Jinx, als ich ihm seine linke Schulter zerfetze und dann sein verschissenes Gehirn an der Wand hinter ihm verteile, und ich schieße auf ihn, während ich mich aufrichte, und ich schieße so lange auf ihn, bis ich nur noch einen Meter vor seiner Leiche stehe und meine Pistole nur noch klickende Geräusche von sich gibt.
Ich beuge mich zu Jinx hinunter. Ich kann nicht sagen, wie oft er getroffen wurde, aber es sieht schlimm aus, wirklich schlimm. Jinx sieht mich an, und wenn es Worte geben sollte, die beschreiben, was sich in seinem Gesicht abspielt, dann kenne ich sie nicht. Es ist grausame Gewissheit. Das Gesicht des Todes.
Er spuckt Blut.
Sein Mund öffnet sich, seine Lippen bewegen sich, aber es kommt nur Blut heraus. Blut. Und dann:
Ah, fuck.
Metro Police, sagt er.
Ja.
D.C. Police, sagt er.
Ja, antworte ich. Aber jetzt nicht mehr.
Und er sagt: Nein, Mann. Nein, nein, nein. Überhaupt nicht. Nicht hier.
Was?
D.C. Police, wiederholt er noch einmal. Ah, Scheiße, verdammt. Kapierst du es nicht? Das mögen ja vielleicht Cops aus D.C. sein. Aber das hier ist Virginia.
Oh, verdammt, sage ich, zu ihm und zu mir, und ich schiebe ein neues Magazin in die Glock und eile zur Tür, und das genau im richtigen Moment. Den Korridor kommen noch zwei von denen entlang. Die gleichen blauen Helme, die gleichen blauen Uniformen, die gleichen weißen Gesichter.
Vielleicht sind das echte Cops aus D.C. Vielleicht auch nicht. Aber selbst echte Cops aus D.C. können in Virginia einen Scheiß ausrichten.
Der Erste von ihnen hat nicht den Hauch einer Chance, er sieht mich nicht einmal, bis ich die Glock hochreiße und den Schlitten zurückziehe, und er schafft es nicht, zu reagieren, bevor ich ihm ein Loch in die Brust schieße. Die Schüsse peitschen durch ihn hindurch, treiben seinen Partner gegen die Wand und verwandeln seinen Kopf und seinen Helm in einen blutigen Fleck. Was von ihm übrig ist, sackt auf dem Boden zusammen.
Sonst ist keiner weiter zu sehen.
Ich ducke mich wieder in das Büro des Pfarrers zurück und sehe nach Jinx, und der Kerl krümmt sich vor Schmerz. Er spuckt Blut, aber er redet immer noch.
Eighty F, sagt er und nestelt wieder an seinem Knöchel herum, aber dort befindet sich keine Reservewaffe, da ist überhaupt nichts. Er tastet an seinem Bein entlang, zieht seinen Schuh aus, und ich denke, der Kerl muss im Delirium sein, er zieht seinen Schuh aus, und schließlich packt er den Schuh mit beiden Händen und drischt ihn auf den Boden, einmal, zweimal, wie einen Hammer, wieder und wieder, und seine Finger, die vor Schmerzen gekrümmt und glitschig von all dem Blut sind, so viel Blut, diese Finger lösen den kaputten Absatz von der Sohle, und ein schimmerndes Rechteck, ein Stück Plastik, fällt auf den Boden.
Er lässt den kaputten Stiefel fallen und sinkt zurück gegen die Wand.
Ich tauche meine Hand in das teerige Schwarz seines Blutes. Hebe die Plastikkarte auf, die in seinem Stiefel versteckt war. Wische sie ab. Und versuche, sie zu entziffern.
Wer bist du?, frage ich ihn.
So eine Art Lachen rattert in ihm und dringt schmatzend aus seiner Lunge. Das Blut auf seinen Lippen wirft Blasen. Er hustet, und Rotz und noch mehr Blut schießen ihm dabei aus der Nase. Vergessen Sie, was die Ihnen in Büchern erzählen oder im Fernsehen oder in Filmen zeigen: Sterben ist keine schöne Sache.
Ich frage ihn noch einmal: Wer zum Teufel bist du?
Eighty F, sagt er und streckt die Hand nach dem rechteckigen Stück Plastik aus. Seine Finger wischen über das Blut, und jetzt sehe ich sein Foto, genau da auf dem Plastik, und schließlich kapiere ich, was er mir zu sagen versucht.
Er sagt A-T-F. ATF.
Er drückt mir die Plastikkarte in die Hand und ich erkenne das Emblem. Ich sehe das Schild. Lese die Worte, die da stehen: Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms. ATF. Ich lese das Wort Special Agent. Ich sehe den Namen, aber ich lese den Namen nicht, ich will nicht wissen, wie er heißt, will nicht wissen, wer sich hinter diesem Namen verbirgt, eine Frau und ein Kind, eine Mutter und ein Vater und eine Schwester und ein Bruder, ich will von all dem nichts wissen.
Wir hatten einen Informanten eingeschleust.
Du Scheißkerl, sage ich.
Nein, antwortet er.
Nein, sagt er. Du bist der Scheißkerl.
Verstehst du es denn nicht? Bist du immer noch nicht dahintergekommen? Niemand ist, was er zu sein vorgibt. Weder ich noch dein Mädchen. Oder deine Crew. Oder dein Boss. Nicht einmal die verdammten Cops hier. Niemand .
Sein Atem rasselt. Er kneift die Augen zusammen. Der Schmerz übermannt ihn, beinahe. Denn der Kerl ist ein Kämpfer. Er mag erledigt sein, aber er ist noch nicht ausgezählt, noch nicht, und dann sagt er:
Also?
Er sieht mich mit diesen Augen an, diesen sterbenden Augen.
Also?, frage ich.
Also, wer bist du?, fragt er. Wer zum Teufel bist du?
Und zum vielleicht ersten Mal in meinem Leben habe ich keine Antwort parat. Keine, die funktioniert. Ich kann ihm nur das sagen, was ich weiß, und ich weiß gar nichts.
Keine Ahnung, Mann, sage ich. Ich weiß es nicht.
Er schließt die Augen, und ich denke, das war's dann. Ich denke, er wird endlich seine Ruhe finden und nie wieder aufwachen. Ich wische das Blut von seinem Ausweis und stecke ihn in seine Hemdtasche. Dann nehme ich seine Hand und warte. Zeit spielt keine Rolle mehr, und es können Sekunden sein oder Minuten, es ist einfach nur eine Lücke bis zu dem Moment, an dem er die Augen öffnet und zu mir sagt:
Aber ich weiß es.
Ja, sage ich, und aus welchem Grund auch immer, es ist mir wichtig, dass er mich lächeln sieht. Also lächle ich, soweit ich das noch hinbekomme, und ich sage zu ihm: Ja, da wette ich drauf.
Er blinzelt und hustet noch mehr Blut, und dann sagt er zu mir: Das tue ich. Also hör mir zu, Burdon Lane. Nur dieses eine Mal, okay? Weißt du, es heißt, die Wege des Herrn seien unergründlich–
Oh, das stimmt, sage ich, und eigentlich will ich den Mund halten, aber ich schaffe es nicht. Ich sage zu ihm:
Und soll ich dir was sagen? Von all den Dingen, die sie einem so erzählen, ist das das Einzige, woran ich glauben kann. Denn damit haben sie recht. Gottes Art, die Dinge zu regeln, ist wirklich unergründlich. Die ganze Zeit über. Er lässt deine Mutter an Krebs sterben. Gibt dreijährigen Kindern Leukämie. Lässt Passagierflugzeuge abstürzen. Zielt mit betrunkenen Lasterfahrern direkt auf Schulbusse. Setzt an Weihnachten Altersheime in Brand. Denkt sich Sachen wie AIDS aus. Gibt den Menschen verschiedene Hautfarben–
Genau, sagt Jinx. Das stimmt. Gott tut so etwas. Die ganze Zeit über. Das ist seine Art. Das sind seine Wege. Unergründliche Wege, furchtbare Wege. Böse Wege. Aber das ist seine Art. Und weißt du was, Burdon Lane?
Er drückt meine Hand fester und sagt:
Irgendwo, auf einem dieser unergründlichen Wege, gibt es auch einen Platz für dich.
Für dich .
Am liebsten würde ich jetzt lachen, aber ich kann nicht lachen. Ich kann nichts weiter tun, als in sein Gesicht zu starren. Denn ich kenne das Gesicht. Es ist das Gesicht meiner Mutter. Als es mit ihr zu Ende ging.
Ich kann ihn so nicht zurücklassen. Kann ihn nicht einfach so auf diese Art sterben lassen. Ich muss etwas tun, irgendetwas, aber mir bleibt nicht mehr viel übrig. Und dann erinnere ich mich wieder, was ich für Renny Two Hand tat, als ich ihn in dieser Senke fand. Zumindest das kann ich für ihn noch tun.
Ich lasse Jinx' Hand los, greife über die Leichen der Cops hinweg, die gar keine Cops sind oder die falschen Cops, keine Ahnung, ist mir auch egal, und dann finde ich, was ich suche: Jinx' Pistole, die Ruger, da auf dem Boden. Ich wische das Blut von dem Griff ab, zeige ihm die Pistole, zeige sie ihm, und dann drücke ich ihm den Griff in die Hand. Alles ist so nass, so klebrig, seine Hand, die Pistole, meine Hand, überall ist Blut, so viel Blut, und ich kann nicht alles davon abwischen. Zuerst können seine Finger das Gewicht der Pistole nicht halten, aber ich wickele seine Finger fest um den Griff herum, bis er sie hat.
Sie festhalten kann.
Er sieht die Pistole an und danach mich. Er hebt sie zwischen uns beiden an. Ihr unerträgliches Gewicht lässt seine Hand zittern.
Sein Blick wird seltsam ruhig, entschlossen, und dann sagt er:
Die brauche ich nicht mehr.
Mit letzter Kraft, die noch in ihm steckt, wirft er die Pistole beiseite.
Seine leere Hand greift nach meiner, packt sie, hält sie fest, drückt sie. Nach einer Weile werden seine Augenlider schwer.
Ich sitze neben ihm und warte. Versuche, ihn nicht loszulassen. Bis er tot ist.