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»Naaaa?«, fragte Trisha hämisch. »Ist dir ein Geist begegnet oder warum guckst du wie ein verschrecktes Hühnchen aus der Wäsche?« Sie glotzte Madison aus ihren übermäßig geschminkten Augen an und wartete offensichtlich ernsthaft auf eine Antwort. Madison schielte unauffällig auf den Boden, um zu sehen, ob das Handy noch immer verrücktspielte, doch im zuckenden Discolicht konnte sie es nicht erkennen. Trisha war jetzt noch dichter an sie herangerückt. »So, meine Liebe, und jetzt pass mal schön auf«, begann sie. »Wie ich sehe, nimmst du meine Warnung kein bisschen ernst und flirtest ungeniert mit Elijah.« Ihre Stimme hatte einen Klang angenommen, als wäre sie der Teufel persönlich. »Falls du es noch nicht bemerkt hast: Elijah gehört mir. Glaubst du ernsthaft, er steht auf so graue Mäuschen wie dich? Guck dich doch mal an mit deiner Strickjacke und deinen Fransen als Haaren.« Sie warf ihre eigenen vollen blonden Locken zurück.

»Erzähl mir was Neues«, entgegnete Madison cool und nahm einen Schluck von ihrem Cocktail. Innerlich war sie nur halb so ruhig, wie sie nach außen tat. »Was laberst du mich eigentlich die ganze Zeit voll? Geh doch zu Elijah und steck ihm deine Zunge in den Hals, wenn du meinst, dass er so auf dich steht. Soweit ich das überblicke, hat er heute Abend noch kein einziges Wort mit dir gewechselt. Außer, um dir zu sagen, dass du mit Ian und Jess um die Schule gehen sollst, nachdem du dich ihm aufs Peinlichste aufdrängen wolltest. Komisch, das klingt für mich so gar nicht nach besonders großem Interesse.« Nach diesem Redeschwall fühlte sich Madison richtig befreit. Plötzlich kam von irgendwoher ein zischendes Geräusch und es wurden riesige Disconebelschwaden in den Raum gepustet. Schade, dachte Madison, jetzt kann ich gar nicht Trishas Gesicht sehen. Doch das war auch gar nicht nötig. Trisha erwiderte nicht mehr als ein »Phhfft«, drehte sich um und ging an die Bar – wahrscheinlich, um ihren Frust runterzuspülen.

Madison hockte sich hin, um nach ihrem Handy Ausschau zu halten. Als sie es schließlich fand, war es ausgeschaltet. Immerhin blinkte es nicht mehr, trotzdem fand Madison das ziemlich merkwürdig.

Sie richtete sich wieder auf und schaute sich um. Bis auf die Tatsache, dass es nirgends eine Anlage zu geben schien, aus der Musik und Nebel kamen, schien an dem Raum nichts Außergewöhnliches. Von den anderen machte sich offensichtlich niemand irgendwelche tiefgründigeren Gedanken: Jess tanzte, Katy stand jetzt tatsächlich mit einem der Basketballer in der Ecke und knutschte, Heather unterhielt sich mit seinem Kumpel, während sie einen Cocktail mixte, und Trisha stand vor der Bar und versuchte, Elijah in ein Gespräch zu verwickeln. Der schien nicht sonderlich begeistert und blickte immer wieder schulterzuckend zu Madison rüber. Madison überlegte, ob sie sich einfach zu den beiden gesellen und Trisha demonstrieren sollte, wer von ihnen beiden die besseren Chancen bei Elijah hatte, aber auf so ein Rumgezicke hatte sie eigentlich auch keine Lust.

Toll, und was mache ich jetzt?, dachte Madison. Sie hätte gerne ein bisschen getanzt, aber bestimmt nicht allein mit Jess, und Heather war so in ihr Gespräch vertieft, dass sie sie unmöglich stören konnte. Doch das schien schon jemand anders zu übernehmen. Denn nachdem Elijah offensichtlich kein allzu großes Interesse an Trisha zeigte, wandte sie sich dem Basketballer zu, drängte sich förmlich zwischen Heather und ihn und berührte ihn andauernd am Arm. Madison wusste, dass Heather sich das nicht gefallen lassen würde, und kicherte in sich hinein bei der Vorstellung, dass es später vielleicht noch zum großen Gekeife zwischen den beiden kommen könnte.

Sie wippte ein wenig zur Musik mit, nahm einen Schluck aus ihrem Glas und spürte, wie der Alkohol seine Wirkung weiter entfaltete. Alles verwaberte zu einem guten Gefühl, das hier konnte wirklich eine super Party werden. Die Voraussetzungen dafür stimmten jedenfalls.

Da spürte sie, wie sich eine Hand von hinten um ihre Seite legte und sich ein Körper sanft gegen ihren drückte. Madison konnte nicht glauben, dass Elijah nach ihren anfänglich eher schüchternen Flirtversuchen jetzt auf einmal Körperkontakt suchte. Es gefiel ihr, dass er einfach so die Initiative ergriff, und sie schmiegte sich an die Schulter hinter sich. Sie genoss die gemeinsamen Bewegungen zum Rhythmus der Musik, die immer intensiver zu werden schienen. Raue Lippen fuhren ihr sanft über die Wange und den Hals hinab, und die Hand, die gerade noch auf ihrer Seite gelegen hatte, streichelte Madisons Bein. Madison hatte die Augen geschlossen, blendete die Welt um sich herum aus. Sie war gefangen von der Magie des Augenblicks, der nie mehr aufhören sollte.

»Hey«, raunte es in ihr Ohr, sodass es ein wenig kitzelte. »Das ist wunderschön!«

Madison riss die Augen auf und drehte sich ruckartig um. Bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte sie schon ausgeholt und ihrem Gegenüber eine heftige Ohrfeige verpasst. »Sag mal, hast du sie noch alle?!«, rief sie aufgebracht. »Was fällt dir ein, mich anzugrapschen wie ein notgeiler Pavian?«

Ian hielt sich die Wange und sah ziemlich geknickt aus. »Aber es hat dir doch auch gefallen«, begann er sich zu rechtfertigen. »Ich habe genau gemerkt, wie du dich an mich geschmiegt hast. Das habe ich mir doch nicht eingebildet!«

»Du bist echt krank!«, fuhr Madison ihn an. »Du solltest dir mal professionelle Hilfe suchen!« Damit drehte sie sich um und ging zu Heather, die bereits in ihre Richtung gelaufen kam.

»Was ist denn passiert?«, fragte sie ehrlich besorgt. »Du siehst ja total verstört aus!«

»Guck dir diesen Idioten an«, sagte Madison und deutete mit dem Kopf in Ians Richtung. Der schien seinen Schreck schon wieder überwunden zu haben und tanzte unbeirrt neben Jess herum, die sich jedoch nicht weiter beeindruckt zeigte.

»Der hat mich befummelt und seinen Körper so eklig an meinem gerieben.«

»Was? Wie konntest du das zulassen?«, fragte Heather entsetzt.

»Mann, ich hab gedacht, es wäre Elijah. Der hat sich von hinten angeschlichen und einfach losgelegt.«

Heather prustete los. »Das ist nicht dein Ernst, Mad, oder? Peinlicher geht’s ja nun echt nicht.« Sie gluckste und prustete im Wechsel und beruhigte sich überhaupt nicht wieder. »Ich glaub’s nicht – du tanzt da so rum, lalala, und freust dich, dass dein Traumprinz endlich den Weg zu dir gefunden hat«, sie jauchzte auf, »und dann ist es Ian! Ich meine, IAN! Mad, das geht in die Geschichte ein, aber echt.«

»So lustig war es jetzt auch wieder nicht«, entgegnete Madison und merkte selbst, dass sie nicht länger ernst sein konnte. Sie umarmte Heather und sagte mit gespielt weinerlicher Stimme: »Mann, das war echt schlimm. Und ich hatte mich wirklich so gefreut.«

»Dann hat’s dir also doch gefallen?«, wollte Heather wissen.

Madison boxte ihrer Freundin in den Arm. »Du bist blöd! Komm, wir holen uns noch was zu trinken. Ich nehm noch mal dasselbe wie vorhin.«

Heather hakte Madison unter und gemeinsam gingen sie zur Bar, wo Trisha nun förmlich an ihrem neuen Opfer klebte.

»Ups, ich würde sagen, da klärst du jetzt erst mal die Fronten«, schlug Madison vor und gab Heather einen leichten Schubs in die richtige Richtung. »Ich mix uns was Schönes.«

Als sie sich hinter dem Lehrerpult, das zur Bar umfunktioniert worden war, entlangschob, spürte sie erneut eine Hand auf ihrem Rücken. Wütend fuhr sie herum. »Sag mal kapierst du es nicht? Jetzt lass mich endlich in …«

»Hey, ist ja schon gut!« Elijah hob abwehrend die Hände und trat einen Schritt zurück. »Ich wollte dir nichts tun.«

Madison schoss die Röte ins Gesicht und sie betete, dass das im flackernden Discolicht nicht zu erkennen war. »Ach, du bist es! Entschuldige bitte, ich dachte, du wärst …«

»Ian? Sah doch so aus, als hättest du gerade richtig Spaß mit ihm gehabt!«

»Wollen mich hier heute eigentlich alle verarschen?« Madison begutachtete die Flaschen, die auf dem Tisch aufgebaut waren. »Nein, ich hatte keinen Spaß. Ich habe ihn nicht gesehen, weil er von hinten ankam, und eigentlich dachte ich, dass du … ach, ist auch egal.«

»Nein, sag doch mal«, hakte Elijah nach und grinste amüsiert.

Madison versuchte, vom Thema abzulenken. »Hey, gutes Lied, oder?« Sie griff sich zwei Gläser und begann wahllos, Säfte und Hochprozentiges zusammenzukippen.

»Du lenkst ab«, sagte Elijah.

Madison spürte die Hitze in sich aufsteigen. Was wollte er denn hören? Dass sie ihn schon lange anhimmelte und bereits den ganzen Abend nur darauf wartete, dass er sich endlich an sie ranmachte und sie küsste? »Ich dachte halt, es wäre jemand anders.« Sie hielt den Blick stur auf die Gläser vor sich gesenkt, froh darüber, dass gerade wieder eine neue Nebelschwade durch den Raum gepustet wurde.

»Ah ja«, antwortete Elijah.

Dann sagte erst mal keiner von ihnen etwas. Madison überlegte, ob sie Heather ihren Drink bringen sollte, andererseits konnte sie Elijah in dieser Situation unmöglich stehen lassen.

»Jetzt mach mal Platz hier, ich habe auch Durst!«

Es gab doch immer jemanden, der magische Momente zum Platzen bringen konnte.

»Gerne, Jess«, flötete Madison und verließ ihren Schutzwall aus Flaschen und Gläsern.

Das Licht zuckte in blauen Blitzen über Elijahs Gesicht, noch immer sagte er kein Wort, sondern sah Madison intensiv an.

»Komm mal her«, sagte er sanft und streckte eine Hand aus. Madison reichte ihm ihre und ließ sich zu einem der Stehtische ziehen. Er setzte sich auf einen der Barhocker, noch immer Madisons Hand haltend. Dann zog er sie dichter zu sich heran, bis nur noch Zentimeter ihre Körper voneinander trennten. Madison war gleichzeitig heiß und kalt, ihre Hand schwitzte wahrscheinlich so, dass Elijah sie gleich wieder loslassen würde.

Als er Madison eine Strähne aus dem Gesicht strich, glaubte sie, nicht länger auf der Stelle stehen zu können, weil Arme, Beine, einfach alles von einem Kribbeln durchzogen war.

»Ich mag dich«, sagte Elijah. Dabei fuhr er mit seinem Zeigefinger sanft über Madisons Gesicht. Mit der anderen Hand hielt er immer noch ihre umklammert. »Sehr sogar.«

Madison wusste nicht, was sie erwidern sollte, doch das war auch gar nicht nötig. Denn Elijah hatte seinen Kopf vorgebeugt und küsste sie. Kein schneller Kuss auf die Wange wie vorhin, sondern ein richtiger Kuss auf die Lippen. Erst ganz sanft, ein winzig kleiner Kuss, dem ein weiterer folgte, und dann noch einer und noch einer, bis ihre Lippen miteinander verschmolzen und sich nicht mehr losließen. Elijah streichelte Madisons Gesicht, während Madison ihn noch näher an sich heranzog und ihm mit den Händen über den Rücken fuhr. Sie dachte nicht mehr daran, wie unwirklich diese Situation eigentlich war, wie lange sie sich nach diesem Augenblick gesehnt hatte, sondern sie ließ sich einfach fallen und vergaß die Welt um sich herum. Ihre Küsse wurden immer intensiver, es war, als würden sich ihre Körper noch enger aneinanderschmiegen, und Madison wünschte, dieser Moment würde nie, nie wieder vorbeigehen. Das hier war so wunderschön, so etwas hatte sie mit keinem anderen Jungen vorher erlebt. Sie spürte die Wärme, die von Elijah ausging, und fühlte sich in seinen Armen geborgen.

»Das ist so schön«, flüsterte sie und legte ihren Kopf auf Elijahs Schulter.

»Ich möchte diesen hochromantischen Moment ja nur ungern stören«, giftete eine bekannte Stimme. »Aber wenn ihr übereinander herfallen wollt, nehmt euch ein Zimmer.« Das war Trisha, der die Wirkung des Alkohols schon ins Gesicht geschrieben stand. Ihr Blick war nicht mehr ganz klar und sie schien Probleme zu haben, sich zu konzentrieren.

»Genau«, pflichtete Jess ihr bei und Madison entging nicht, dass sie Elijah einen drohenden Blick zuwarf. »Wir wollen hier nämlich feiern und Spaß haben, wisst ihr? Wenn ihr’s unbedingt miteinander treiben wollt, verzieht euch gefälligst woanders hin!«

»Aber sonst geht’s noch, oder was?«, fragte Madison und hob ihren Kopf. »Nur weil ihr eifersüchtig seid, müsst ihr hier keinen Mist von euch geben. Und Trisha, ich weiß nicht, wie deutlich du es noch brauchst – aber ich glaube, Elijah steht einfach nicht auf dich!«

Sie sah Elijah in die Augen, der nur grinste und ein entschuldigendes Schulterzucken in Trishas Richtung schickte.

»Ja, vielen Dank auch!«, sagte Jess. »Ist echt toll, dass es Leute gibt, die einfach ihr Ding durchziehen und denen es scheißegal ist, wie es anderen damit geht.«

Sie legte einen Arm um Trisha und führte sie wieder in Richtung Bar. »Komm, Süße, das musst du dir nicht antun. Vergiss das Arschloch einfach. Brad ist doch auch ganz cool.«

Trisha erwiderte etwas Unverständliches und ging auf wackeligen Beinen neben ihrer Freundin her.

»Mann, was war das denn?«, fragte Elijah fassungslos.

»Tja, ich würde sagen, da versteht jemand nicht, dass er verloren hat!« Madison grinste. »Und den Hauptgewinn«, sie küsste Elijah auf die Wange, »habe ich!«

»Du bist süß«, sagte Elijah und seine Augen funkelten. »Manchmal frage ich mich, warum du mir nicht schon viel früher aufgefallen bist.«

»Vielleicht weil du einfach von zu vielen Mädchen umschwärmt wurdest? Da fällt es ja schwer, den Überblick zu behalten.«

»Ach komm, jetzt lass uns nicht über irgendwelche anderen Mädchen reden!«

Er zog ihren Kopf sanft zu sich heran und küsste ihre Stirn, ihre Augen, ihre Wangen und schließlich ihren Mund. Seine Lippen waren so sanft und seine warmen Hände glitten vorsichtig unter ihr T-Shirt, wo sie behutsam auf und ab fuhren. Madison genoss seine Berührungen und wünschte, sie wären nicht hier, in einem Klassenzimmer, sondern an irgendeinem anderen Ort. Einem Ort, an dem sie ungestört waren und nicht den Blicken anderer Leute ausgeliefert.

Ein Poltern, gefolgt von einem gellenden Schrei, ließ die beiden ruckartig auseinanderfahren.

»Hilfe!«, kreischte Jess. »Hilfe!« Sie gab einen jaulenden Laut von sich. »Trisha ist bewusstlos!«