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Liebe Madison,

ich kann mir vorstellen, dass du nichts von mir wissen möchtest, aber es ist mir wichtig, dir noch ein paar Sachen zu erklären. Es gibt keine Entschuldigung für das, was geschehen ist, und für das, was ich getan habe. Ich hätte mich nicht auf Jess Spielchen einlassen dürfen. Das klingt sicher blöd, aber ich habe das nur deinetwegen getan. Jess kam irgendwann zu mir und meinte, dass sie Trish gerne mit einer Party in Raum 213 überraschen würde. Sie bräuchte mich als Köder, weil Trish nur dann auch wirklich anbeißen würde. Jess meinte, im Gegenzug könne ich auch noch jemanden einladen. Da habe ich sofort an dich gedacht, weil ich … na ja, weil ich dich gern etwas besser kennenlernen wollte. Und weil Heather deine beste Freundin ist, geht diese Einladung auch auf meine Kappe, denn ich wollte nicht, dass du dich dort allein fühlst. Aber ich schwöre dir, ich wusste nicht, was Jess vorhatte! Ich dachte nur, dass es ganz cool wäre, wenn das mit der Party wirklich klappt. Jess hatte irgendwas mit diesem Hausmeisterjungen ausgemacht, ich brauchte mich um nichts weiter zu kümmern.

Es tut mir leid, dass ich nicht ehrlich zu dir war. Ich hatte einfach Angst davor, dass du nie wieder ein Wort mit mir reden würdest. Jetzt habe ich alles versaut und du wirst mir wahrscheinlich nie verzeihen. Vielleicht kannst du es ja irgendwann doch. Dann können wir noch mal ganz von vorne anfangen.

Dein Elijah

Madison ließ den Brief sinken und wusste nicht, was sie davon halten sollte.

»Und, was hältst du davon?«, fragte Heather, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. Sie hatte Madison natürlich neugierig über die Schulter gespäht. Es war Mittagspause und die beiden saßen hinter den Schließfächern auf den Treppenstufen, die hoch zu den Unterrichtsräumen führten.

»Keine Ahnung«, sagte Madison. »Ich verstehe das alles nicht. Wieso hat er sich auf diese Giftschlange eingelassen?«

»Na, das steht doch da. Weil er mit dir knutschen wollte.«

Madison stieß ihrer Freundin mit dem Ellbogen in die Seite. »Du bist doof.« Doch während sie hier mit Heather herumalberte und froh war, dass sie diese Party überlebt hatten, spürte sie noch etwas anderes: ein warmes Kribbeln, das ganz zaghaft von ihren Fußspitzen durch ihren Körper wanderte und sich überall ausbreitete. Natürlich war es nicht okay gewesen, dass Elijah diesen Deal mit Jess eingegangen war. Aber Madison glaubte ihm, dass er keine bösen Absichten gehabt hatte. Sein Brief war so ehrlich und gefühlvoll – er konnte kein schlechter Mensch sein. Im Gegenteil, seine Worte zeigten nur, wie viele Gedanken er sich über Madison gemacht hatte. Und sie musste zugeben, dass sie natürlich immer noch in ihn verknallt war.

»Und, wirst du ihm noch eine Chance geben?«, wollte Heather wissen. »Ich seh’s dir doch an, dass da noch was ist!«

Heather kannte Madison einfach schon zu lange, sie konnte in ihrem Gesicht lesen wie in einem Buch.

»Na klar ist da noch was«, antwortete sie ehrlich. »Wer weiß, vielleicht können wir ja wirklich einfach noch mal von vorne anfangen.«

»Also meinen Segen habt ihr«, erklärte Heather. »Ich fand euch echt süß zusammen auf der Party.«

»Ach danke, beste Freundin. Das weiß ich zu schätzen.«

Madison faltete den Brief wieder zusammen und steckte ihn in ihre Tasche.

»Aber mich würde wirklich interessieren, warum Jess Trisha umgebracht hat«, sagte Heather dann. »Meinst du, sie wusste echt nichts von dem Herzfehler?«

»Keine Ahnung. Vielleicht wollte sie ihr mit den Tropfen eine Lektion erteilen und war dann selbst überrascht, dass sie gestorben ist.«

Heather rutschte näher an Madison heran. »Schon krass, oder? Hast du mitbekommen, dass Jess dermaßen von Trisha schikaniert wurde? Ich meine, klar, Trish hatte immer das Sagen, aber ich wusste nicht, dass es so schlimm für Jess war. Da muss sich ja wirklich einiges angestaut haben. Wenn man so weit geht.«

»Irgendwie glaube ich nicht, dass sie sie wirklich töten wollte.« Sie legte ihren Kopf auf Heathers Schulter. »Vielleicht war auch einfach dieser Raum daran schuld. Wer weiß das schon … Der hat aus uns allen andere Menschen gemacht.«

»Aber andererseits ist sie auch mit einem Messer auf dich losgegangen. Und da war sie weit entfernt von Raum 213.«

Plötzlich ertönte eine wohlbekannte Stimme hinter ihnen: »Wer ist auf wen mit einem Messer losgegangen?«

Auch wenn sie wussten, wer da hinter ihnen stand, drehten sich Heather und Madison um.

»Ian, lange nicht gesehen«, sagte Heather mäßig begeistert. »Hast du’s noch nicht mitbekommen? Jess hat die Panik gekriegt, als Madison vor ihrer Haustür stand. Sie hat wohl geahnt, dass sie mit ihren Lügen nicht mehr lange durchkommen wird.«

Ian pflanzte sich neben Madison auf die Treppe und rückte für ihren Geschmack eine Spur zu dicht an sie heran. Und wie auf Kommando legte er auch gleich einen Arm um Madisons Schultern. »Da können wir aber froh sein, dass du so glimpflich davongekommen bist, was?«

Madison wand sich aus seiner Umarmung und rückte ein Stück in Heathers Richtung. »Wieso warst du überhaupt auf diese Party eingeladen?«, fragte sie ihn.

»War ich gar nicht«, gab er zu. »Ich habe mitbekommen, wie Trisha und Jess darüber geredet haben, und das wollte ich mir nicht entgehen lassen.«

»Und Katy und die Basketballer?«

»Das weiß ich nicht«, erklärte er. »Aber ich könnte mir vorstellen, dass Jess die irgendwie spontan getroffen hat oder so.« Er seufzte. »Wenn ich gewusst hätte, wie dieser Abend endet …« Für einen Moment sagte keiner der drei etwas. Es war Ian, der seine Stimme als Erster wiederfand. Er sprang von der Treppe auf. »Aber wisst ihr was, Mädels? Das Leben geht weiter! Die Pause ist noch nicht vorbei, da könnten wir doch ein Eis zusammen essen?! Kommt, ich lade euch ein.«

Madison und Heather sahen sich an und prusteten los. »Na gut, ausnahmsweise. Weil du es bist.«

Mit ihrem Eis setzten sie sich auf die große Rasenfläche vor dem Haupteingang. »Ich muss zugeben, das war mal eine echt gute Idee von dir«, sagte Heather zu Ian und schleckte genüsslich an ihrem Eis.

»Tja, ich werde eben oft unterschätzt«, erwiderte er und grinste.

Madison blickte zum Eingang des naturwissenschaftlichen Trakts, dort, wo alles begonnen hatte. Es waren bereits ein paar Wochen vergangen, doch Madison kam es vor, als wäre es erst gestern gewesen.

»Ach nee«, sagte Heather plötzlich. »Wen sehe ich denn da?« Madison folgte ihrem Blick und etwa zehn Meter von ihnen entfernt stand Elijah. Er stand einfach nur da, die Hände in den Hosentaschen, und sah in ihre Richtung. Auf seinem Gesicht lag etwas Trauriges, fast Verzweifeltes. Madison konnte nicht beschreiben, welche Gefühle das in ihr auslöste, es war eine Mischung aus Freude, Elijah wiederzusehen, und Angst, was die Zukunft bringen würde. Doch was überwog, war das warme Kribbeln, das sie schon nach seinem Brief verspürt hatte.

Madison stand auf und ging lächelnd auf Elijah zu.