Gegen fünf hört es endlich auf zu regnen. Die aufgehende Sonne taucht den Himmel in ein silbriges Grau. Das impertinente Vogelgezwitscher und der Lärm von Booten, die die Slipanlage hinuntergelassen werden, reißen Alice aus dem Schlaf. Eine unangenehme Art aufzuwachen. Schließlich ist sie erst vor einer Stunde eingeschlafen. In der Nacht hat sie fünf Stunden in höchster Alarmbereitschaft verbracht und jede Veränderung der Hintergrundgeräusche, jede knarzende Diele des alten Hauses, jeden Schimmer Mondlicht, der sich auf der Meeresoberfläche vor ihrem Fenster spiegelte, genau registriert.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein unbekannter Mann im Studio übernachtet. Im Laufe der Jahre hat sie den Raum schon oft an Fremde vermietet. Aber zumindest wusste sie, wie diese Menschen hießen, woher sie kamen und was sie hier vorhatten. Sie waren nicht so aus dem Zusammenhang gerissen wie dieser Mann. »Frank« hat die Bühne von rechts betreten, lautlos, ohne Textbuch. Er mag reizend sein, zweifellos, aber dass sie nichts von ihm weiß, nervt. Die nassen Papierklumpen in seinen Taschen lassen nur darauf schließen, dass er am Dienstagabend mit dem Zug von King’s Cross nach Ridinghouse Bay gefahren ist. Dann hat er vor Kurzem noch dreiundzwanzig Pfund bei Robert Dyas ausgegeben und sich bei Sainsbury einen Bagel und eine Dose Cola gekauft.
Als er nach seinem Bad in Kais Klamotten in die Küche kam, wirkte er rosig und zutiefst beschämt. Sein dickes Haar war feucht und wellig, und er war barfuß. Hübsche Füße, fiel Alice auf. Sie beobachtete, wie er beim Essen den Impuls unterdrückte, die Pizza gierig hinunterzuschlingen. Sie bot ihm ein Bier an, und er blickte sie verwirrt an. Wahrscheinlich überlegte er, ob er Bier mochte oder nicht. »Probier mal«, meinte sie. »Dann wissen wir wenigstens, ob du Biertrinker bist.« Er nahm die Flasche. Die Situation war etwas unangenehm. Alice, ihre Kinder und ein großer, verstörter Mann im Kapuzenshirt eines Vierzehnjährigen aßen zusammen Pizza. Keiner wusste, was er sagen sollte.
Als er ins Bett gegangen war, bedachten ihre Kinder sie mit kühlen, missbilligenden Blicken.
»Was soll das, Mum?«, brachte Jasmine schließlich hervor.
»Hast du denn gar kein Mitleid?«, sagte sie. »Der arme Mann. Keine Jacke. Kein Geld.« Sie deutete zum Küchenfenster, auf den stürmischen Regen, der gegen die Scheibe trommelte. »Bei diesem Wetter.«
»Er hätte auch woanders hingehen können«, fügte Kai hinzu.
»Klar«, sagte sie. »Wohin zum Beispiel?«
»Keine Ahnung. Ein Bed & Breakfast?«
»Aber er hat kein Geld, Kai. Das ist doch der springende Punkt.«
»Ja, also, ich verstehe nicht, was wir damit zu tun haben.«
»Herrgott noch mal«, stöhnte Alice, obwohl sie wusste, dass ihre Kinder recht hatten. »Leute, habt ihr gar keinen Anstand? Was lernt ihr eigentlich heutzutage in der Schule?«
»Na ja, wir lernen etwas über Pädophile und Betrüger, Spanner und Vergewaltiger und …«
»Das ist nicht wahr«, warf sie ein. »Diese Dinge erfahrt ihr aus den Medien. Ich habe euch schon tausendmal gesagt: Die Menschen sind prinzipiell gut. Dieser Mann hier ist eine verlorene Seele. Ich bin der barmherzige Samariter. Morgen um diese Zeit ist er fort.«
»Schließ die Hintertür ab«, sagte Kai. »Dreh den Schlüssel zweimal um.«
In dem Moment winkte sie ab, aber nachdem sie von der Hintertür aus laut »Gute Nacht« in die Dunkelheit gerufen hatte, verriegelte sie die Tür. Dann schlief sie kaum. Immer wieder malte sie sich aus, wie eine große Männerhand fest das Kinn ihrer kleinen Romaine umklammerte, die ihre grünen Augen vor Entsetzen weit aufgerissen hatte. Oder sie meinte, die tappenden Schritte eines fremden Mannes in ihrem Wohnzimmer zu hören, der so leise wie möglich Schubladen aufzog, auf der Suche nach Gold und iPads. Oder ihre große Tochter wurde dabei beobachtet, wie sie sich geistesabwesend vor dem Fenster auszog. Obwohl ihr Fenster zur anderen Seite hinausging … und Jasmine sich nie vor dem Fenster ausziehen würde, denn sie glaubte allen Ernstes, sie sei fett. Aber dennoch.
Alice gibt den Gedanken an Schlaf auf und beschließt, jetzt gleich ihren Tag zu beginnen. Sie durchquert das Zimmer und löst das iPad vom Ladekabel, öffnet die Webcam-App und schaut sich eine Weile lang das leere Wohnzimmer ihrer Eltern an. Seit sie beide … na ja, krank sind, wie sie es nennt, um nicht dement sagen zu müssen, übergeschnappt oder total verrückt, stehen sie immer später auf. Die morgendliche Pflegekraft kommt um zehn und muss die beiden aus dem Bett schmeißen wie schlafsüchtige Teenager.
Alice schaltet das iPad aus und zieht die Vorhänge auf. Das Meer ist ruhig und glatt nach dem Regen. Als die Sonne aufgeht, schimmert die Wasserfläche rosa und gelb – so einladend wie in der Karibik. Der Jahrmarkt ist noch erleuchtet, und auch die Straßenlampen sind noch an. Die Straßen glänzen blauschwarz. Der Anblick könnte nicht schöner sein.
Alice duscht, dabei ist sie so leise wie möglich, sie möchte die Kinder nicht früher aufwecken als nötig. In ihrem Zimmer betrachtet sie sich ausgiebig im Spiegel. Normalerweise hat sie nie Zeit, sich um sich selbst Gedanken zu machen. Sie steht gerade so rechtzeitig auf, dass sie nicht nackt aus dem Haus laufen muss. Ihr fällt auf, dass ihre Haare langsam seltsam aussehen. Ihre letzten Strähnchen waren ziemlich gewagt oder, wie Jasmine es ausdrückte, gestreift. Jetzt ist auch schon wieder der Ansatz zu sehen. Und der ganze Regen am Vortag war auch nicht gerade hilfreich.
Sie wischt die übrig gebliebenen Schatten des gestrigen Eyeliners fort und sucht in der obersten Schublade der Kommode nach ihrer Schminktasche, die sie sonst nur zu besonderen Anlässen hervorholt. Das hier hat gar nichts mit dem gutaussehenden Mann in ihrem Studio zu tun. Sie bindet ihre verrückte Dachsmähne in einem Knoten zusammen, findet eine saubere Jeans, ein karierte Bluse, die locker am Bauch sitzt, aber ihre Brüste leicht betont, und ein Paar Lieblingsohrringe mit grünlich-blauen Steinen, die zu ihrer Augenfarbe passen.
Männer bezeichnen Alice häufig als sexy. Sie hat ihr gutes Aussehen nie ausgenutzt. Sie hat nie versucht, in einem engen Kleid und hohen Schuhen Eindruck zu schinden (obwohl es ihr anscheinend nicht schadet, wenn sie sich mal um ihr Aussehen bemüht). Normalerweise schert sie der Blick in den Spiegel wenig. Aber aus irgendeinem Grund ist das an diesem Morgen anders.
Romaine steht in der Tür, verwuschelte blonde Locken, die Schlafanzughose hängt im Schritt. Arm in Arm schleichen sie beide auf Zehenspitzen die enge offene Treppe in den Flur hinunter. Die Hunde begrüßen sie begeistert und schlagen mit den Schwänzen auf die Fliesen. Als sie in die Küche kommt, hält Alice unwillkürlich die Luft an. Ihre Gedanken sind bei dem Mann im Studio. Die Ungewissheit, was dieser Tag noch bringen wird, macht sie nervös. Sie füllt Fleisch in die Hundenäpfe und toastet für Romaine einen Bagel, auf den sie Erdnussbutter schmiert. Dann bereitet sie sich selbst eine große Tasse Tee zu und gibt Müsli in eine Schale. Die ganze Zeit über schielt sie zur Hintertür. Sie ist unentschlossen, fragt sich immer wieder, was nun passiert.
Um halb neun sitzen Kai und Jasmine im Schulbus, und Alice verlässt das Haus mit Romaine und den Hunden. Kein Zeichen von dem Mann. Im Studio ist es ruhig und friedlich, als ob überhaupt niemand da wäre.
Am Schultor, das gerade erst vom Hausmeister geöffnet wird, steht Derry und schaut ihnen neugierig entgegen. »Ihr seid früh dran«, sagt sie. »Und …« Sie sieht genauer hin. »… du bist geschminkt.«
»Unwichtig«, sagt Alice.
»Was ist los?«
»Der Mann ist zu uns reingekommen«, sagt Romaine. »Der nasse Mann vom Strand.«
Alice verdreht die Augen. »Er ist nicht reingekommen«, verbessert sie ihre Tochter. »Ich habe ihn hereingebeten. Damit seine Sachen trocknen, er ein Bad nimmt und etwas isst. Ich bin ziemlich sicher, dass er jetzt schon weg ist.«
Aber als sie vierzig Minuten später nach Hause kommt, sind die Vorhänge des Studios aufgezogen, und sie kann sehen, dass jemand drinnen ist. Mit einem alten Handtuch säubert sie das Fell der Hunde, überprüft kurz ihr Aussehen und setzt dann Teewasser auf.
Seine Träume in der letzten Nacht waren bemerkenswert. Nach so vielen Stunden absoluter Leere hat es ihm sehr gutgetan, in dieser Traumwelt voller Menschen, Erfahrungen und Orte zu versinken. Er klammert sich an die verblassenden Bilder, als er aufwacht, und begreift, dass er etwas geträumt hat, das helfen könnte, seine Identität zu klären. Aber die Bilder verschwimmen unaufhaltsam.
Er setzt sich im Bett auf und reibt sich mehrmals über das Gesicht. Die Vorhänge sind nur hauchdünn. Er steht auf und blickt hinaus. Das Licht draußen hat dieses besondere Schwefelblau, das typisch ist für den Morgen nach dem Regen. Er hört Geräusche an der Tür und blickt direkt in die schwarzen Augen eines Hundes. Der Hund sieht aus, als würde er gleich lächeln, aber dann fletscht er die Zähne und knurrt. Zumindest kann er sich daran erinnern, wo er hier ist. Er kann sich an Tee in einer Thermoskanne und Pizza in einem Haus erinnern, an eine große Frau mit dicken blonden Haaren und ein heißes Bad in einem verschimmelten, hellhörigen Badezimmer. Und dann fällt ihm auch wieder der Name ein, den ihm das kleine blondgelockte Mädchen gestern Abend gegeben hat: Frank.
Er muss zur Toilette, er möchte sich die Zähne putzen, aber draußen vor der Tür dreht der Hund durch, und er weiß nicht, ob er nur zum Spaß bellt. Der Hund ist ein … Er durchforscht sein Gedächtnis nach der Rasse, aber die ist ihm entfallen. Falls er die überhaupt je gekannt hat. Rowdys haben solche Hunde. Muskulöse, breitschultrige Tiere mit einer großen Schnauze.
Er schiebt die Vorhänge ganz beiseite und starrt den Hund an, um ihn so vielleicht zum Weggehen zu bewegen. Der Hund bellt noch lauter. Dann erscheint Alice in der winzigen Hintertür des Hauses. Sie wirkt ärgerlich, ruft den Hund und packt ihn schließlich am Halsband; dann sieht sie sein Gesicht hinter der Scheibe und kommt zu ihm.
»Ist dir schon wieder eingefallen, wer du bist?«, fragt sie und reicht ihm mit einer Hand eine Tasse Tee, während sie mit der anderen den Hund festhält.
Er nimmt die Tasse. »Nein, ich hab immer noch keine Ahnung. Ich habe sehr verrückte Sachen geträumt letzte Nacht, aber leider kann ich mich an nichts davon erinnern.« Er zuckt die Achseln und stellt den Teebecher auf dem Tisch neben der Tür ab.
»Dann komm ins Haus, wenn du fertig bist«, sagt sie. »Ich lass die Tür offen. Ich mache dir Frühstück.«
Im Cottage ist es ruhig, als er wenig später den Kopf einzieht und durch die Hintertür eintritt. Die Kinder sind nicht da. Alice schaut auf ein iPad und seufzt in einem fort.
»Wo sind die Kinder?«, fragt er.
Sie sieht ihn an, als ob er zurückgeblieben wäre. »In der Schule.«
»Ach ja. Natürlich.«
Alice schaltet das iPad aus und klappt die Schutzhülle über den Bildschirm. »Glaubst du, dass du Kinder hast?«
»Gütiger Himmel.« Der Gedanke ist ihm noch gar nicht gekommen. »Ich weiß nicht. Vielleicht. Vielleicht habe ich viele Kinder. Ich weiß nicht einmal, wie alt ich bin. Wie alt schätzt du mich?«
Ihre grünblauen Augen wandern über sein Gesicht. »Du bist zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig Jahre alt, würde ich sagen.«
Er nickt. »Wie alt bist du?«
»So etwas darf man eine Dame nicht fragen.«
»Tut mir leid.«
»Ist schon in Ordnung. Ich bin ja keine Dame. Ich bin einundvierzig.«
»Und deine Kinder?«, fragt er. »Ihr Vater?«
»Väter«, sagt sie. »Ich habe total abgelost und nie eine traditionelle Familie für meine Kinder gegründet. Jasmines Vater war eine Urlaubsliebe in Brasilien. Dass ich schwanger war, habe ich erst gemerkt, als ich schon wieder zwei Wochen zu Hause war. Da hatte ich keine Möglichkeit mehr, ihn ausfindig zu machen. Kais Vater war mein Nachbar in Brixton. Wir waren – entschuldige den Ausdruck – Fickfreunde. Eines Tages, Kai war ungefähr fünf, ist er verschwunden. Eine neue Familie zog in seine Wohnung. Das war’s dann. Romaines Vater war meine große Liebe, aber …« Sie hält inne. »Er ist durchgedreht und hat was Schlimmes getan. Jetzt lebt er in Australien. So sieht’s aus.« Sie seufzt.
Er zögert, er möchte ihr etwas sagen, das nicht beleidigend klingt. »Hast du dann jemals geheiratet?«
Ihr Lachen klingt spröde. »Nein. Ich habe es nie geschafft, einen Mann dazu zu bringen, bei mir zu bleiben.«
Er schaut auf seine Hände. »Ich trage auch keinen Ehering.«
»Nein, das stimmt. Aber das heißt nicht, dass du nicht verheiratet bist. Du könntest einer von den Dreckskerlen sein, die sich weigern, einen Ring zu tragen.«
»Ja«, erwidert er vage. »Das ist möglich.«
Sie seufzt und schiebt die Ärmel ihrer karierten Bluse zurück. Zwischen dem Speichenknochen und dem Unterarmfleisch zieht sich eine rillenartige Vertiefung entlang, die ihn an jemanden erinnert.
Plötzlich ist die Erinnerung zum Greifen nah. Es ist überwältigend. Seine Mutter. Seine Mutter hat die gleiche Vertiefung. Und sie hat auch diese faltige Hauttasche am Ellbogen, die ihm gestern an Alice aufgefallen ist. Er hat eine Mutter. Eine Mutter mit Armen! Er lächelt und sagt: »Ich habe mich gerade an etwas erinnert! Ich habe mich an die Arme meiner Mutter erinnert.«
»Oh.« Ihr Gesicht hellt sich auf. »Das ist gut. Denk nach. Kommt da noch mehr?«
Er schüttelt traurig den Kopf.
»Hör mal«, sagt sie. »Ich habe deine Symptome gestern Abend bei Google eingegeben. Also, wenn das hier kein Scherz ist, befindest du dich in einem sogenannten Fugue-Zustand.«
»Okay …«
»Sagt dir das irgendetwas?«
»Nein.«
»Okay.« Sie fährt sich mit der Hand über die Stirn. »Das ist eine Form der Amnesie. Der Gedächtnisverlust wird nicht von einer Kopfverletzung, Alkohol oder Drogen ausgelöst, sondern in der Regel von einem emotionalen Trauma. Oder auch durch einen Schock des Nervensystems. Wenn ein Mensch zum Beispiel etwas aus seiner Vergangenheit sieht oder erinnert, das er zuvor verdrängt hatte, kann das einen Fugue-Zustand hervorrufen. Das Gehirn macht sozusagen dicht, reiner Selbstschutz. Die Menschen tauchen an den seltsamsten Orten auf und können sich nicht mehr daran erinnern, wer sie sind oder wo sie herkommen oder was zum Teufel sie dort wollen. Eigentlich ist das ziemlich faszinierend.«
»Was passiert mit den Menschen? Ich meine, werde ich mich wieder erinnern können?«
»Also, was das angeht, habe ich ausgezeichnete Neuigkeiten. Na ja, mehr oder weniger ausgezeichnet. Alle Menschen erholen sich. Manchmal innerhalb weniger Stunden, normalerweise nach einigen Tagen, gelegentlich dauert es ein paar Wochen. Aber es geht vorüber. Du wirst dein Gedächtnis wiedererlangen.«
»Wow«, sagt er und nickt bedächtig. Er fühlt sich benommen. Er weiß, dass er sich jetzt freuen sollte. Aber es ist schwer, sich vorzustellen, dass man sich an seine Identität erinnern wird, wenn man im Grunde gar nicht weiß, dass man eine hat.
»Und sieh mal«, spricht sie weiter. »Du hast dich gerade an die Arme deiner Mutter erinnert. Ich meine, das ist jetzt noch keine Offenbarung. Aber es beweist, dass die Erinnerungen noch da sind und nur darauf warten, wachgerufen zu werden. Also, die entscheidende Frage ist doch: Was jetzt?«
»Wie meinst du das?« Was jetzt? Dieser Satz hat für ihn gar keine Bedeutung.
»Ich meine, wir sollten dich zur Polizei bringen, oder was meinst du?«
Als er diesen Vorschlag hört, spannt sich sein ganzer Körper an, er dreht die Fäuste nach innen, sein Atem geht schneller, sein Puls rast. So starke Gefühle hat er nicht mehr gehabt, seit Alice ihn vor zwei Tagen am Strand gefunden hat.
»Nein«, erwidert er so ruhig wie möglich, aber an der Tiefe seiner Stimme kann er den … was ist es?, Zorn?, die Angst? … hören. Er hat das Gefühl, jemanden zu stoßen, hart gegen eine Wand zu drängen. Er fühlt heißen Atem an seiner Wange. »Nein«, wiederholt er. Diesmal spricht er noch ruhiger. »Ich glaube nicht, dass ich zur Polizei gehen will. Ich glaube … Kann ich noch eine Nacht bei euch bleiben? Vielleicht kommt meine Erinnerung zurück. Wir können später immer noch zur Polizei gehen. Wenn …«
Alice nickt, aber er spürt, dass sie nicht richtig überzeugt ist. »Einverstanden«, sagt sie nach einer kurzen Pause. »Noch eine Nacht. Aber wenn du dann immer noch nicht weißt, wer du bist, musst du gehen. Denn normalerweise vermiete ich das Studio, das ist mein Nebenverdienst, daher …«
»Das verstehe ich. Nur eine Nacht.«
Sie lächelt unsicher. »Gut. Dann sieh zu, dass du so viele Erinnerungen wie möglich wiederfindest.« Sie steht auf und nimmt den Eierkarton vom Regal. »Spiegeleier?«, fragt sie. »Rühreier?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortet er. »Sag du.«