Er hatte sich für ihre Treffen eine Wohnung angeschafft. Nicht groß. 50 Quadratmeter, ein Bett, eine Couch und ein Kühlschrank reichten, um hier ein paar Stunden zu verbringen. Irene hatte Angst, im Stundenhotel jemandem über den Weg zu laufen. Die Wohnung sollte ihr Refugium sein. Die Treffen wurden häufiger und weniger leidenschaftlich. Inzwischen zierten gemeinsame Fotos die Wand. Er durfte nicht vergessen, sie rechtzeitig zu entsorgen.
Nach zwölf Wochen hatte er genug von Irene. Er begann sich schon wohl zu fühlen in diesem Loch. Heute war das letzte Mal. Das hatte er zwar nicht mit Kira abgesprochen. Aber irgendwann musste es reichen. Er hörte, wie Irene mehrere Schlüssel probierte, bis der richtige ins Schloss passte. Wie immer war es der letzte. Sie ging direkt zum Kühlschrank, um die Einkäufe zu verstauen. Zur Flasche Sekt gesellten sich mit der Zeit Brötchen. Inzwischen war der Vorratsschrank zum Bersten voll. Wie jeden Tag duschte sie. Dann schlüpfte sie in ihren Hausmantel, den sie nur hier trug. Er konnte es nicht mehr ertragen.
»Was ist das?«
»Eine Kamera.«
Er richtete sie auf Irene, die sofort ihre Hand gegen die Linse streckte.
»Willst du mich erpressen?«
Sie lachte und gab ihm einen Kuss.
»Ich dachte, wenn wir schon eine gemeinsame Wohnung haben.«
»Brauchst du jetzt schon eine Erinnerung an mich.«
Sie stand auf und nahm einen Schluck Sekt.
»Wir könnten heute die Nacht hier verbringen. Er kommt erst morgen Abend zurück.«
»Und die Kinder?«
»Bei Oma.«
Er nickte und nahm sich eine Zigarette.
»Warum duschst du nicht? Und ich bereite uns ein paar Unanständigkeiten zu.«
Irene aß zunehmend mehr in seiner Gegenwart. Kira musste die Notbremse ziehen.
»Ich kann nicht.«
»Vertraust du mir nicht?«
»Warum sollte ich auch. Du treibst es mit einer verheirateten Frau. Und ich weiß nichts über dich.«
»Und du glaubst, wenn du mehr über mich wüsstest …«
»Nein.«
»Es ist nur für mich.«
»Ich komme mir so beobachtet vor.«
»Es wird niemand sehen.«
»Du wirst es sehen«
»Aber ich sehe dich jetzt auch.«
»Nein, du hast die Augen meistens geschlossen.«
»Irene – bitte.«
»Sonst bestehst du nie auf irgendetwas.«
»Eben.«
»Das ist seltsam.«
»Fühlst du dich bedrängt?«
»Ja.«
»Und was habe ich von dir, wenn du mal eine Woche weg bist?«
»Die Sehnsucht.«
»Das ist zu wenig.«
»Na hör mal.«
»Wenn ich das Band hätte, müsste ich nie an andere Frauen denken.«
»Es fühlt sich an, als würde er uns zusehen.«
»Macht dich der Gedanke nicht geil?«
»Ihn zu verletzen?«
Er schob Kira das Band über den Tisch.
»Wir müssen abbrechen.«
Kira hob ihre rechte Augenbraue, die sie sich vor Jahren tätowieren ließ. Wie immer trug sie Schwarz – selbst ihr Fächer unterwarf sich diesem Dogma.
»Der Kunde ist anderer Meinung.«
Sie berührte ihr steif zurückgekämmtes Haar, als würde sie ihren Panzer prüfen.
»Zwölf Wochen müssen reichen. Er will sich doch nur scheiden lassen.«
»Vielleicht will er auf Nummer sicher gehen.«
»Unsinn. Wie lange?«
»Noch vier Wochen«
»Unmöglich.«
»Er ist bereit, mehr zu zahlen.«
Kira griff mit ihrem weißen Lederhandschuh nach der Tasse Tee.
»Ich will ihn sehen.«
»Das halte ich für keine gute Idee.«
»Was sollen die vier Wochen bringen?«
»Er will, dass du ihr Versprechen machst.«
»Sie soll ihn freiwillig verlassen?«
»Er will auch die Kinder.«
»Das kann ich nicht.«
»Hast du dich verliebt?«
»Natürlich nicht.«
Er hatte das erste Mal kein gutes Gefühl bei der Sache. Als er die Lobby verließ, rief er Irene an. Sie hob nicht ab. Im Prinzip war alles Routine. Nach zwei Tagen war er mit Irene zum ersten Mal im Bett gelegen. Sie war ein leichtes Opfer. Wie die meisten, die seit mehr als zehn Jahren verheiratet waren. Er hatte noch nie versagt. Wahrscheinlich war es Talent. Aber wenn er eine Frau sah, dann erkannte er auch ihre Sehnsucht. Er sah sie als Bild und konnte sich in dieses verwandeln. Das Geschäft boomte. In den meisten Fällen handelte es sich um reiche Ehemänner, die sich einen Scheidungsgrund beschaffen wollten, ohne dabei ihr Vermögen zu verlieren. Noch zwei Jahre, dann hätte er genügend beisammen, um eine Familie zu gründen. Mit der richtigen Frau, von der er sich noch kein Bild gemacht hatte. Die Insel kannte er bereits. Und Kira? Sie würde es noch früh genug erfahren.
Irgendetwas stank an der Geschichte mit Irene. Zwölf Wochen, obwohl alles nach Plan lief. Er hatte dem Kunden mehr als genügend Material geliefert. Gestern sogar gefilmt. Jemand verarschte ihn. Aber wer? Mal sehen: Der Ehemann zahlt seiner Frau einen Liebhaber, ohne dass sie es weiß. Um der eingeschlafenen Beziehung einen Kick zu verleihen? Ein wenig kompliziert. Aber denkbar. Ist der Kunde tatsächlich ihr Mann? Oder ein Erpresser? Aber wozu dann zwölf Wochen? Kira prüfte jeden Klienten aufs Gründlichste. Es ging um viel Geld. Und um Diskretion.
Zwei Tage später.
»Irene!«
»Er weiß alles.«
Ihre Stimme klang hart.
»Was alles?«
Kira hatte ihn nicht benachrichtigt.
»Von uns. Es gibt sogar Fotos. Wo ist der Film?«
»In der Wohnung, warum?«
»Er will die Scheidung. Nach zwanzig Jahren Ehe.«
»Das tut mir leid.«
»Mir nicht. Ich habe ihm gesagt, dass ich jetzt endlich weiß, was Liebe ist. Wir müssen uns sehen.«
»Du hast ihm von uns erzählt?«
»Ja, mein Schatz, wir sind endlich frei!«
Kira saß im gleichen Eck wie zwei Tage zuvor. Sie trug olivgrüne Lederhandschuhe, die sich mit der Farbe des Martinis schlugen.
»Ich bin froh, dass es vorbei ist.«
»Wie kommst du auf diese Idee? Habe ich das Ganze jemals abgebrochen? Im Gegenteil: Der Kunde hat sein Angebot erhöht.«
»Wie meinst du das?«
»Er will dich mindestens bis Ende des Jahres bezahlen, wenn du mit Irene zusammenbleibst.«
»Warum?«
»Er ist ein Feigling. Er will seine neue Beziehung frei von schlechtem Gewissen beginnen. Keine Szenen. Keine verzweifelten Anrufe. Keine Selbstmordversuche. Er will, dass sie glücklich aus seinem Leben verschwindet. Das ist dein Job.«
»Unmöglich.«
»Du wolltest doch ohnehin aussteigen. Das ist deine Chance.«
»Woher weißt du das?«
»Also: Du machst Irene bis Ende des Jahres glücklich und bekommst dafür so viel, dass du dich auf deine griechische Insel verziehen kannst.«
»Und es macht dir nichts aus?«
»Ich komme schon durch.«
»Und was wird aus Irene?«
»Der Kunde wird sich bei der Scheidung fairer verhalten als er müsste. Dafür werde ich sorgen.«
»Heute ist ein Festtag!«
Irene stand mit einer Sektflasche auf der Terrasse. Er war eingenickt.
»Wo sind die Kinder?«
»Unten im Garten.«
Seufzend richtete er sich auf. Er hatte in diesem Jahr über zehn Kilo zugenommen. Irene reichte ihm einen Teller mit kaltem Fisch.
»Ist ganz frisch.«
»Und was gibt es zu feiern?«
Triumphierend hielt sie eine ausländische Zeitung hoch.
»Hochzeit des Jahres! Der Großindustrielle Hirsch heiratet zum zweiten Mal.«
»Dein Ex-Mann hat abgenommen«, sagte er. Erst jetzt fiel sein Blick auf die Braut. Kira trug gelbe Lederhandschuhe, die sich mit der Krawatte des Bräutigams schlugen.
»Ich bin so erleichtert.«
»Erleichtert?«
»Ja, dass es ihm gut geht. Ich brauche jetzt endlich kein schlechtes Gewissen mehr zu haben.«
Einen Monat später setzten die Überweisungen endgültig aus.