Sehr geehrter Dr. Brünster, lieber Georg,
zunächst möchte ich dir zu deiner Beförderung gratulieren. Ich denke, es ist eine schwierige, aber auch reizvolle Aufgabe, die da auf dich zukommt. Niemand kennt die Strukturen unseres Unternehmens besser als du. Und in Zeiten wie diesen ist jemand mit starken Nerven gefragt. Ich glaube, ich kann für alle Kollegen sprechen, wenn ich sage, dass eine Welle der Erleichterung durch unsere Abteilung ging, als wir erfuhren, dass du der neue Marketingchef von FILO wirst. Schließlich ist das Marketing in der augenblicklichen Misere am meisten gefordert – ja, um nicht zu sagen, lieber Georg, es liegt wieder einmal an uns, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Natürlich gibt es auch Stimmen, die meinen, das Marketing trüge die Schuld an den peinlichen Amnesty-International-Berichten oder an der Veröffentlichung der Fotos aus unseren chinesischen Herstellungszentren. Warum in diesem Zusammenhang nie jemand von der PR-Abteilung spricht, ist mir ein Rätsel.
Unabhängig davon ließen mich diese Tatsachen auch nachhaltig an der Umsetzung des Leitbilds zweifeln. Die großen Konzerne des 21. Jahrhunderts tragen nun mal eine moralische Verantwortung. Die weltweite Privatisierung betrifft nicht nur das Kapital, sondern auch die gesellschaftliche Verpflichtung. Das kann man nicht losgelöst voneinander betrachten – das ist meine Meinung und auch der Grund für mein Schreiben.
Denn seit bekannt wurde, unter welchen Umständen unsere Produkte in China erzeugt werden, denke ich darüber nach, mit welchem Marketingstreich man wohl die öffentliche Wahrnehmung unseres Unternehmens korrigieren könnte. Natürlich gibt es intern auch die Ansicht, dass wir nur Sportschuhe herstellen und solange diese billig genug sind, interessiert sich der Konsument nicht, wie und wo diese produziert werden. Ich bin mir aber sicher, dass wir hier die Ansicht teilen: Unser Logo ist beschmutzt worden und damit ein Image, nein: ein Weltbild. Schließlich haben wir jahrelang Assoziationen wie Fairness, Tugendhaftigkeit und globale Verbundenheit aufgebaut.
Es würde mich daher freuen, wenn du Zeit fändest, dir meine Vorschläge anzuhören. Ich will mich wirklich nicht in den Vordergrund drängen. Ich kann dir versichern, es geht mir um die Sache.
Dein Bernhard Schmidtleitner,
stellvertretender Leiter für direktes Marketing.
Lieber Bernhard Schmidtleitner,
vielen Dank für die Rosen, ich hoffe, ich werde deine Erwartungen nicht enttäuschen. Ich würde mich zwar freuen, mit dir über alte Zeiten zu plaudern, aber im Augenblick steht mir das Wasser sprichwörtlich bis zum Hals. Wegen der Vorschläge darf ich dich bitten, sie an den Abteilungsleiter Fölschl weiterzuleiten. Bitte berufe dich dabei auf mich. Ich freue mich, wenn er sie mir beim nächsten Jour fixe präsentiert.
Vielen Dank für deinen Einsatz,
und auf bald.
Georg
PS: Hast du eigentlich noch Kontakt mit Steffie?
Lieber Georg,
ich verstehe, dass du im Augenblick keine Zeit hast, aber ich kann meine Idee wirklich nur unter vier Augen besprechen. Sie ist revolutionär, so viel kann ich verraten. Aber eben auch nicht ganz unheikel. Glaube mir, es zahlt sich aus.
Liebe Grüße
Bernd
PS: Steffie und ich sind seit 20 Jahren verheiratet. Ich hoffe, du bereust deinen Entschluss nicht.
Bernhard,
ich freue mich, dass es Steffie nach unserer Trennung so gut getroffen hat. Ich hatte sehr lange ein schlechtes Gewissen und ich freue mich, dass sie jetzt glücklich ist. Vielleicht schaffen wir mal ein Abendessen zu dritt, das würde mich freuen.
In der anderen Sache wäre ich dir dankbar, wenn du mir nur ungefähr skizzieren könntest, um was es geht.
So long,
Georg
Lieber Georg,
schöne Grüße von Steffie. Im Anhang findest du ihre Nummer. Sie würde sich freuen, wenn du dich mal meldest.
In der Sache: Die Idee mag auf den ersten Blick ein wenig verrückt klingen, aber ich bin davon überzeugt, dass sie funktioniert.
Im Prinzip ist sie einfach. Im Augenblick wird die Marke FILO als globaler Missetäter wahrgenommen. Die Skandale der letzten Zeit haben dazu beigetragen, dass FILO Klischeebösewicht der Globalisierung wurde. Die gestrige Demonstration vor dem Headquarter in Chicago, wo man 20000 Menschen zählte, entspricht dem Öffentlichkeitsbild, das im Augenblick herrscht. Wir sind der Feind. Wir sind der Kapitalist. Die Zahl unserer Gegner ist inzwischen so groß, dass man von einer eigenen Zielgruppe sprechen kann. Ein Markt, der bedient werden muss – und zwar am besten von uns.
Während Shell und Nike versuchen, in solchen Fällen zu kalmieren, indem sie NGOs alibihalber einbinden, liegt unsere Chance in einer offensiven Marketingstrategie, die diese Leute zu unseren Kunden macht. Ich hätte da eine Idee, wie das ginge.
Freue mich, von dir zu hören.
Bernd
Mein Lieber,
demografisch gesehen handelt es sich um eine sehr attraktive Zielgruppe. Sie sind jung, gebildet und halten sich selbst für kritisch. Sie sind bereit, für ihre Produkte viel Geld auszugeben. Und sie sind markenaffin. Blöd ist nur, dass sie sich so selten für eine Marke entscheiden. Und sie hassen uns. Sie würden auch nicht zu Starbucks gehen, wenn dieser eine Fair-Trade-Linie anbieten würde. Ich kann mir also beim besten Willen nicht vorstellen, wie das gehen soll. Ein bisschen konkreter bitte.
G.
Lieber Georg,
auf den internen Fotos von der vorgestrigen Demo habe ich bemerkt, dass jeder zweite der Demonstranten einen Nikeschuh trug. Da ich aber nicht glaube, dass uns Nike in Sachen Marketing voraus ist, nehme ich an, dass auch die sogenannten Globalisierungsgegner nicht an solchen Produkten vorbeikommen. Sie sind also genauso im System gefangen wie alle anderen auch – ergo: Man kann davon ausgehen, dass die Bereitschaft, eine ethisch vertretbare Marke zu konsumieren, vorhanden ist. Diese müsste wie folgt strukturiert sein:
Produktion und Vertrieb finden unter moralisch einwandfreien Bedingungen statt. Sprich: ein Kibbuzsystem, bei dem die Gewinne zwischen den aktiven Arbeitskräften fair aufgeteilt werden. Sie betragen außerdem nicht mehr als 10 %. Die Fabriken, die von Umweltorganisationen geprüft wurden, befinden sich in den Städten, wo die Ware verkauft wird. Auch die Rohstoffe bedürfen keines Transportes.
Die Preisgestaltung orientiert sich an der Billigware. Kein Schuh kostet über 50 Euro. Die Materialien sind recycelbar. Für jeden zurückgebrachten Schuh bekommt der Kunde einen Rabatt. Basisdemokratische Ausrichtung, systemimmanente Qualitätssicherung und transparentes Controlling bezüglich moralischer Werte als Konzept. Und natürlich eine Markeneinführung, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Dieser Schuh muss ein Statement sein, Georg!
Bernd.
PS: Hat dich Steffie erreicht?
Bernd,
Steffie hat mich erreicht, wir treffen uns morgen zum Essen. Danke.
Bernd, das ist ja alles gut und schön, aber wie sollen wir soetwas glaubwürdig einführen? Abgesehen von den kalkulatorischen Unmöglichkeiten. 10 % ist Wahnsinn. Wir haben alle Familie.
G.
Lieber Georg,
wie immer macht es die Masse aus. Steffie hat mir erzählt, dass ihr den ganzen Nachmittag über alte Zeiten gesprochen habt. Freut mich, dass ihr euch so gut versteht, nach all dem, was vorgefallen ist.
Natürlich kann man diese neue Marke glaubwürdig einführen – denn niemand braucht zu wissen, dass wir dahinterstecken. Ich habe da eine recht aufwendige Idee, die auf den ersten Blick vielleicht nicht umsetzbar klingt.
Georg, halte mich nicht für verrückt, aber wir sprengen unser Headquarter in die Luft. Natürlich soll dabei niemand zu Schaden kommen. Das Ganze findet in der Nacht statt. Ein humaner Terrorakt, der ein Zeichen setzen will. Die RAF hätte vermutlich vom Schweinesystem gesprochen. Lass es uns eine antiaffirmative Marketingstrategie nennen. Schließlich sind wir ja selbst die Initiatoren. Die Welt da draußen soll aber glauben, dass die Globalisierungsgegner dahinterstecken. Absender des Attentates, das natürlich optisch eindrucksvoll von unseren Überwachungskameras festgehalten wurde, ist eine unbekannte Gruppe, die mit einem noch zu gestaltenden Logo hantiert. Das Logo ist die Botschaft, Georg. Am nächsten Tag fliegt gleich das nächste Büro von FILO in die Luft. Wieder das Logo. Die Welt rätselt. Es bilden sich zwei Lager: Jene, die sich mit FILO solidarisieren, und jene, die dieser schweigenden Revolution etwas abgewinnen. Sie fragen sich: Wie kann ich beitreten? Was kann ich tun? Wie von Zauberhand taucht ein Produkt auf, das dieses Logo trägt. Ein Schuh, der für eine neue Haltung steht. Ein Schuh, der das kapitalistische System verändert. Durch den Kauf dieses Schuhs werden sie Teil der Revolution!
Niemand wird je davon erfahren, dass FILO dahintersteckt. Die vordergründigen Produzenten der Schuhe haben nachweislich nichts mit den Attentaten zu tun. Ein Mythos! Der Beginn eines neuen Zeitalters. Große Veränderungen brauchen große Taten, du weißt.
Bernd
Mein Lieber,
ich glaube, in der Zwischenzeit hat Steffie mit dir geredet. Es tut mir leid, wir wollten beide nicht, dass es so weit kommt. Aber wir können nichts für unsere Gefühle. Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen.
In anderer Sache nehme ich an, dass es sich um einen Scherz handelt.
Dein Georg
Georg!
Lass uns Privates und Berufliches trennen.
Privat gesehen bist du ein Arschloch und wenn du mir endlich einen Termin gibst, kann ich dich auch dafür verprügeln.
Beruflich möchte ich nur sagen, dass ich bereits mit einem befreundeten Sprengstoffexperten gesprochen habe und er hält es für durchführbar. Auch die ersten Layouts für Logo und Schuh sind heute eingetroffen. Die Sache wird greifbar, Georg. Wir müssen uns sehen!
Lieber Bernd,
ich habe mir heute überlegt, unsere Konversation an die Polizei weiterzuleiten, habe aber davon Abstand genommen, weil wir uns so lange kennen. Deshalb appelliere ich auf diesem Wege, dir die Sache aus dem Kopf zu schlagen. Es ist verrückt und krank. Und niemand würde soetwas jemals andenken. Wir sind doch keine Terroristen. Steffie und ich haben über die Sache geredet und wir finden beide, du solltest ärztliche Hilfe aufsuchen. Die letzten Tage waren bestimmt sehr hart für dich. Und wir verstehen deine Aufregung. Du musst jetzt wieder klar sehen. Du brauchst jemanden, der dir hilft.
Bitte hör auf, Steffie anzurufen. Sie wird erst wieder mit dir reden, wenn du einen Therapeuten aufsuchst.
Komm zu dir, Bernd!
In Freundschaft,
Georg
Steffie!
ich liebe dich. Da du meine Anrufe ignorierst, versuche ich es auf diesem Weg. In anderer Sache: Georg, du hast 48 Stunden Zeit, um in das Unternehmen einzusteigen. Ich glaube, das ist fair und du hattest dann deine Chance. Danach können wir leider keine Angebote mehr akzeptieren.
B.
Lieber Georg,
leider muss ich dir mitteilen, dass wir ab jetzt keine Angebote mehr annehmen können. Es würde mich aber freuen, wenn wir euch die ersten Schuhe schicken dürfen. Schließlich habt auch ihr Anteil an der Erfolgsgeschichte von GOD. Bitte lass mir deine Schuhgröße zukommen. Steffie hat 38, wenn ich mich recht erinnere, vielleicht könntest du das für mich abklären. Ihr seid damit stolze Besitzer der ersten Auflage. In ein paar Jahren wird man ein Vermögen dafür zahlen.
GOD is GOOD
Wie findest du den Slogan?
Bernd!
Die Schuhgröße ist 43. Steffie hätte lieber 37 statt 38. Die Polizei war heute in deiner Wohnung und hat diese leer aufgefunden. Bernd! Bitte komm zur Vernunft. Es hat keinen Sinn. Ich hätte nächsten Dienstag Zeit. Ich erwarte dich in meinem Büro!
Georg
PS: Der Slogan ist zu banal. Was hältst du von: GOD is GOD?
Lieber Georg,
wie du den Zeitungen bestimmt entnommen hast, war die Aktion ein voller Erfolg. Du wirst verstehen, dass ich den Termin nicht wahrnehmen kann. Es gibt jetzt allerhand zu tun. Danke für deinen Input. Ich werde den Slogan mit deinem Einverständnis gerne übernehmen. Im Augenblick können wir jeden Cent brauchen, aber bei erster Gelegenheit werde ich dich selbstverständlich auch monetär entschädigen. Darf ich dir inzwischen ein zweites Paar Schuhe zukommen lassen? Wie gefällt dir das Design? Steffie findet es bestimmt zu schrill.
GOD is GOD
Bernd
Lieber Bernd,
der Schuh ist hässlich und niemand wird ihn kaufen. Die Menschen solidarisieren sich mit FILO. Die Absätze sind phänomenal. Nike will klagen. Bernd! Stell dich der Polizei. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie dich finden! Du kannst den Schuh nicht produzieren. Jeder weiß, dass du dahintersteckst. Die Sache ist absurd.
Lieber Georg,
Teheran ist heiß, aber man behandelt uns gut. Man unterstützt unsere Sache und in Kürze werfen wir die ersten Schuhe auf den Markt. Das amerikanische Embargo wird uns nicht hindern. Im Gegenteil: Die illegalen Bestellungen liegen im siebenstelligen Bereich. Die Produktion ist hier in guten Händen und man hat uns versichert, dass nach unseren Vorstellungen gearbeitet wird. Bereust du schon, nicht eingestiegen zu sein? Du musst zugeben, dass du deine Chance hattest. Sag Steffie, dass ich über das Gröbste hinweg bin. Ich würde mich über ihren Besuch freuen.
Dein Bernd
Bernd,
Steffie lässt dir ausrichten, dass sie nicht kommen wird. War es wirklich in deinem Sinn, eine weltweite Krise auszulösen? Die Fotos des Dinners mit Castro waren sehr beeindruckend. Wie ist Fidel privat? Nächsten Mittwoch ginge es bei mir.
Liebe Grüße
Georg
Lieber Georg,
der gute Fidel wird es nicht mehr lange machen. Es war ein Glück, den alten großen Mann noch persönlich kennengelernt zu haben. Wir haben einen sensationellen Deal abgeschlossen, über den ich aber noch nicht reden darf. Sag Steffie, Kuba ist noch schöner, als sie sich immer vorgestellt hat. Schade, dass sie nicht dabei war.
So schön der internationale Erfolg ist, aber die Tatsache, dass wir an keinem Ort länger als 24 Stunden bleiben können, macht mir langsam zu schaffen. Die Geheimdienste kleben uns an den Fersen. Gestern habe ich der CIA einen signierten Schuh hinterlassen. Ich bin froh, wenigstens meinen Humor nicht verloren zu haben.
Ein müder Bernd
Lieber Bernd,
Steffie lässt fragen, ob du ihr vielleicht ein Autogramm von Osama Bin Laden organisieren könntest. Sonst ist hier alles beim Alten. FILO fehlt mir. Ich muss mich an den Müßiggang erst gewöhnen. Irgendetwas wird schon kommen.
Georg
Lieber Georg,
das tut mir leid zu hören. Aber du musst solche Phasen positiv sehen. Du hast jetzt Zeit, dich neu zu orientieren. Hier in Teheran könnten sie eine Surfschule brauchen. Denk mal darüber nach.
Lieber Bernd,
ich weiß, es ist einigermaßen seltsam, einem Toten zu schreiben. Aber ich wollte dich auf diesem Weg wissen lassen, dass es mir sehr leidgetan hat, von deiner Hinrichtung zu hören. Aber das ist das alte Problem mit der Weitergabe von Know-how. Auch bei FILO war es nur eine Frage der Zeit, bis die Chinesen ohne uns produzierten. Bernd, wenn du das liest: Sei nicht traurig, du hast eine Menge erreicht. Ich halte die Schuhe, die du mir geschickt hast, in Ehren. Respekt, Bernd.
Dein Georg
PS: Vielleicht hätte ich dir den Slogan nicht vorschlagen sollen.