„Es wird wenig Sinn haben“, meinte Steve McCoy zweifelnd.
Diana Lester zog die Stirn kraus. „Wir müssen es wenigstens versuchen. Ich will mir nicht den Vorwurf machen, etwas übersehen zu haben. Also kommen Sie, wir gehen jetzt hinein.“
Das Polizeihauptquartier war eines der weniger beeindruckenden Gebäude der Stadt. Es gab keine Klimaanlage. Träge drehten sich mehrere große Ventilatoren unter der Decke. Sie schienen noch aus der britischen Kolonialzeit zu stammen.
Ein uniformierter Polizist betrachtete die beiden Amerikaner gelangweilt. Er kannte die Beschwerden dieser Touristen schon. Irgendeine Lappalie, um die man sich zu kümmern versprach und die man nach einigen Tagen am besten vergaß.
Steve seufzte. „Also schön, versuchen wir unser Glück. Aber erzählen Sie bitte nichts von den neuesten Ereignissen. Darum kümmern wir uns selbst. Wir wollen nur erfahren, was die Polizei bisher herausgefunden hat. Das ist alles.“
Diana nickte. „Keine Sorge! Ich habe schon verstanden, ich werde mich nicht wie ein dummes Mädchen benehmen.“
Sie riss die nächste Tür auf. Steve folgte ihr und schloss hinter sich die Tür.
Das Büro war ziemlich groß. Hinter einem riesigen Schreibtisch saß ein Araber in der typischen Nationaltracht. Er drehte langsam den Kopf und sah seine beiden Besucher lange an.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte er schließlich. Sein Englisch war ausgezeichnet. Wahrscheinlich hatte er es in Sandhurst gelernt.
„Mein Name ist Diana Lester“, platzte das Mädchen heraus. „Und dies ist Mister McCoy, ein Freund der Familie. Ich bin auf der Suche nach meinem Bruder, dem Direktor von Mexcal Oil.“
Der Polizeioffizier nickte bedächtig. „O ja, ich habe von dem Fall gehört. Sehr bedauerlich.“
„Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?“, mischte Steve McCoy sich ein. „So groß ist die Polizei der Vereinigten Arabischen Emirate nun auch wieder nicht, als dass diese Entführung keinen Staub aufgewirbelt hätte. Ich bin sicher, dass Sie über diesen Fall sogar sehr gut Bescheid wissen.“
Der Mann schickte einen anklagenden Blick zum Himmel, als könne ihn Allah von der Gegenwart dieser unhöflichen Fremden befreien. Aber er musste Geduld aufbringen. Diese Amerikaner waren von einer ganz besonderen Unhöflichkeit. Dies war nicht sein Glückstag!
„Möchten Sie einen Kaffee?“, fragte er.
Diana wollte schon den Mund zu einem wütenden Protest öffnen, doch sie bemerkte Steves warnenden Blick noch rechtzeitig.
„Das wäre außerordentlich freundlich von Ihnen“, erwiderte Steve. „Wir verstehen Ihre Gastfreundschaft zu schätzen.“
Der Araber lächelte erfreut. Vielleicht waren diese beiden doch nicht die Barbaren. Er klatschte in die Hände.
Sie tauschten einige Höflichkeiten aus, während sie auf den Kaffee warteten.
„Wir haben ein kleines Problem“, begann Steve schließlich.
Der Araber beugte sich interessiert vor. „Tatsächlich? Ich höre.“
„Unbekannte Individuen haben die Gastfreundschaft Ihres Landes mit Füßen getreten und ein abscheuliches Verbrechen verübt. Wir kommen zu Ihnen, weil Sie uns wahrscheinlich helfen können, diese Angelegenheit aufzuklären. Ein Ausländer ist dabei zu Schaden gekommen.“
Der Polizist richtete sich auf. Seine Augen über der scharfgeschnittenen Adlernase funkelten. „Für mich sind alle gleich, Gläubige und Ungläubige. Wir verfolgen jeden Verbrecher – und wir haben Strafen, die absolut abschreckend sind.“
Steve dachte mit Schaudern an die islamische Rechtsprechung mit Hand abhacken und ähnlichen Dingen, wie es zumindest in Saudi-Arabien immer noch üblich war.
„Mein Bruder ist entführt worden“, sagte Diana leise. Sie hatte inzwischen begriffen, dass diesen Leuten nicht mit der amerikanischen Mentalität zu begegnen war. Hier hatte man viel mehr Zeit. Es war einfach unhöflich, mit seinem Anliegen sofort mit der Tür ins Haus zu fallen, egal ob es sich um einen Kauf, eine diplomatische Verhandlung oder einen Polizeibesuch handelte.
„Ja.“ Der Offizier stand auf und trat an eine Wandkarte, die den ganzen Persischen Golf zeigte. Seine Finger tasteten über die Karte und blieben auf einem Punkt in der Nähe von Dubai stehen. „Hier haben wir den Wagen von Mister Lester gefunden.“
„Gab es irgendwelche Spuren?“, erkundigte sich Steve.
„Nichts, was uns weitergeholfen hätte. Lesters Wagen war unbeschädigt. Der Motor lief noch. Nur die Klimaanlage hatte ihren Geist aufgegeben, weil die Tür geöffnet war. In der Nähe fanden wir Spuren eines zweiten Fahrzeugs. Nach unserer Theorie wurde Lester von einem anderen Wagen gestoppt, vermutlich mit einem Trick, und dann in den anderen Wagen gestoßen. Wir haben keine Ahnung, wohin man ihn gebracht haben könnte. Es ist nicht auszuschließen, dass er sich noch in Dubai befindet.“
„Gab es keine Augenzeugen?“
Der Araber schüttelte den Kopf. „Nein, bei uns hat sich niemand gemeldet. Die Strecke ist nicht sehr befahren.“
„Es stimmt, was er sagt“, mischte sich Diana ein. „Die Straße, auf der Nick entführt wurde, führt nur zu Mexcal und zwei oder drei anderen Ölfeldern. Praktisch sind dort nur die Beschäftigten der Firmen unterwegs.“
Steve nickte. „Die Entführer müssen also genau gewusst haben, wann Nick Lester kommt und welchen Wagen er fährt.“
„Das ist nicht schwierig festzustellen“, meinte der Araber. „Hier weiß doch jeder über jeden Bescheid.“
„Was wissen Sie denn über diese merkwürdige Bruderschaft? Sie nennen sich Allahs Söhne.“
Der Offizier schüttelte den Kopf. „Diesen Namen haben wir zum ersten Mal gehört. Unter diesem Absender versteckten sich die Saboteure bei Mexcal und jetzt Lesters Entführer. Wir sind natürlich auch der Ansicht, dass die beiden Fälle zusammenhängen.“
Steve runzelte die Stirn. „Das liegt ja wohl auf der Hand. Irgendjemand hat eine Menge gegen Mexcal Oil. Können Sie sich vorstellen, dass es sich um arabische Terroristen handelt? Palästinenser vielleicht?“
„Das glaube ich nicht. Es gibt kein einleuchtendes Motiv. Die hiesige Filiale von Mexcal Oil gehört ja nur zu einem Teil der Muttergesellschaft. Unser Staat hält ebenfalls Anteile. Araber würden sich ins eigene Fleisch schneiden, und die Palästinenser führen gegen uns keinen Krieg.“
„Sie wollen sich ihre Geldgeber auch nicht verärgern“, warf Steve ironisch ein.
Der Araber antwortete nicht, sondern schlürfte seinen Kaffee.
„Denmach müssen wir die Verantwortlichen an anderer Stelle suchen“, meinte Steve leichthin. „Wir werden überlegen, wem es am meisten nützt, wenn Mexcal hier ausfällt. Hat es eigentlich gegen andere Ölfirmen ähnliche Anschläge gegeben?“
„Nein. Uns sind keine bekannt.“
Steve erhob sich. „Kommen Sie, Diana, der Gentleman kann uns derzeit nicht weiterhelfen. Wir müssen anerkennen, dass er alles versucht hat, was in seiner Macht steht. Ich halte ihn für einen äußerst fähigen Polizeioffizier. Wir werden noch von ihm hören.“
„Was reden Sie denn da für einen Blödsinn!“, herrschte Diana Lester ihn an, als sie wieder draußen waren.
„Still!“, sagte Steve und legte seinen Finger an die Lippen.
Sie reagierte sofort und warf einen Blick zu dem uniformierten Polizisten hinüber, der aber selig auf seinem Stuhl schlummerte.
Steve hatte die Tür hinter sich nicht ganz zugezogen, und jetzt hörten sie beide, wie der Araber die Wählscheibe eines Telefons bediente. Erst kam nach einer Pause ein Schwall arabischer Worte, danach sprach er in seinem gepflegten Englisch weiter.
„Sie war hier – ja, die Schwester. Nein, nicht allein. Da war noch ein Mann bei ihr. Ein Freund der Familie, sagte sie. Ja, sie wollten wissen, was die Polizei herausgefunden hat ... ja, das habe ich ihr gesagt ... nein, ich werde nichts unternehmen ... selbstverständlich achten wir darauf, was sie machen.“
Der Araber seufzte und legte auf. Drinnen war Stille.
„Was hat das zu bedeuten?“, flüsterte Diana, als sie auf dem Weg nach draußen waren.
Steve hob die Schultern. „Das ist doch nicht so schwierig zu verstehen. Die Gangster verfügen über Verbindungsleute. Sie haben eben auch einen Mann bei der Polizei. Das nennt man Bestechung. Wahrscheinlich weiß er nichts über die Sache. Man hat ihm nur gesagt, dass er anrufen soll, wenn sich jemand nach Lester erkundigt.“
„Aber dann muss er wissen, wer meinen Bruder entführt hat“, sprudelte es aus Diana ganz aufgeregt heraus.
Steve schüttelte den Kopf. „So einfach ist das leider nicht. Eine solche Blöße geben sich die Gangster gewiss nicht. Ich bin sicher, dass der Polizeioffizier den Mann gar nicht kennt, mit dem er eben gesprochen hat. Etwas anderes ist viel interessanter.“
„Und was ist das?“
Steve sah sie überrascht an. „Haben Sie den entscheidenden Punkt nicht begriffen? Er hat englisch gesprochen!“
Sie gingen langsam die belebte Straße hinunter, die weiter unten zum Meer führte. Über dem Asphalt waberte die Luft in der Hitze.
Diana nickte nachdenklich. „Sie meinen, es war kein Einheimischer, mit dem der Polizist gesprochen hat?“
„Ich habe den zweiten Hinweis, dass sich hinter der geheimnisvollen Bruderschaft Leute verbergen, die die Landessprache noch nicht einmal sprechen, geschweige denn, dass es Araber sind. Nun kann ich mir aber andererseits schwer vorstellen, dass eine Organisation, die sich Söhne Allahs nennt, ungläubige Fremde in ihre Reihen aufnimmt, noch dazu in die Führungsspitze. Das bedeutet aber, dass die Tarnung hinter einer Organisation von Fanatikern die eigentliche Herkunft der Verbrecher verschleiern soll.“
Diana blieb stehen. „Sie meinen, dass vielleicht sogar Amerikaner hinter der Sache stecken?“
Steves Gesicht wurde ernst. „Das halte ich für möglich. Es gibt bei der ganzen Geschichte ein paar merkwürdige Punkte, die mich immer mehr zu der Überzeugung bringen, dass hier ein ganz seltsames Spiel gespielt wird und dass der Verantwortliche auf gar keinen Fall in Verdacht geraten will. Noch genauer: Er darf nicht in Verdacht geraten, weil sein schöner Plan sonst wahrscheinlich ins Wasser fallen würde.“
Diana blickte ihn überrascht an. „Sie haben eine bemerkenswerte Kombinationsgabe, Mister McCoy.“
Er lächelte. „Ich habe ein paar Jahre Übung. Wir müssen jetzt gut nachdenken, wer ein Interesse daran haben könnte, die hiesige Filiale von Mexcal Oil zu ruinieren. Dahinter muss eine ganz bestimmte Absicht stecken. Die Verbrecher investieren viel Geld, also muss auch der zu erwartende Gewinn groß sein.“
Diana runzelte die Brauen. „Ich muss nachdenken, denn jetzt darf ich keinen Fehler machen. Kommen Sie, wir gehen in die Hotelbar und nehmen einen kühlen Drink.“
Steve sah den Wagen mit den stark getönten Scheiben, der auf sie zuraste, in letzter Sekunde aus den Augenwinkeln.
Er machte einen blitzschnellen Schritt, packte Diana am Oberarm und riss sie mit einem heftigen Ruck zu sich heran. Sie verlor das Gleichgewicht und wäre gestürzt, wenn er sie nicht aufrecht gehalten hätte.
Der Wagen streifte sie fast, aber es gelang dem Fahrer nicht mehr, das Steuer so weit herumzureißen, dass er seine ursprüngliche Absicht ausführen konnte.
Der Wagen holperte über einen Bordstein, schleuderte und kam wieder auf die Straße.
„Wer war das?“, fragte Diana schrill.
Steve kniff die Lippen zusammen. Der Wagen war ein Chevrolet älterer Bauart. Zwei Männer saßen darin, gekleidet in die landesübliche Tracht. Ein Unfall war das nicht!
Sie waren mit voller Absicht auf sie losgerast, und nur durch sein Eingreifen war ein Erfolg der Verbrecher verhindert worden. Beinahe wäre der Fall beendet gewesen, ehe er begonnen hatte.
Der Chevrolet trug ein einheimisches Nummernschild, aber die Ziffern waren durch Staub so verschmutzt, dass Steve sie nicht mehr entziffern konnte. Auch dies war natürlich Absicht.
„Unsere Freunde wollen offenbar, dass wir unsere Nachforschungen einstellen“, sagte Steve McCoy. „Sie reagieren verdammt schnell. Meines Erachtens war es der Anruf des Polizisten, der die Aktion ausgelöst hat. Sie war etwas überstürzt und hat deshalb nicht geklappt.“
Diana lächelte schief. „Darüber sollten wir froh sein, nicht wahr?“
Er nickte. „Diese Leute meinen es ziemlich ernst. Kommen Sie, gehen wir zu unserem Drink.“