39. KAPITEL

EMERY

Nach dem Konzert fuhr Oliver mit Sammie und mir zu sich nach Hause, damit wir die Unterredung führen konnten, die wir so dringend führen mussten. Kelly hatte Reese über Nacht mit zu sich genommen, denn ich wollte dafür sorgen, dass sie nicht mit Sammie in Berührung kam. Ich wusste schließlich nicht, ob Sammie nicht noch immer auf der Seite unserer Eltern stand.

Aber wir mussten dieses Gespräch führen, das wir schon vor Jahren hätten führen müssen.

»Ich bin im Studio, falls ihr mich braucht«, sagte Oliver und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Lasst euch alle Zeit, die ihr benötigt.«

Er schenkte Sammie ein trauriges Lächeln, bevor er hinausging und uns allein ließ. Das Schweigen wog schwer, und ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte, aber irgendwo mussten wir schließlich anfangen.

»Ich …«, begannen wir wie aus einem Mund.

Ein verlegenes Lachen folgte, und Sammie sagte: »Du zuerst.«

Ich setzte mich auf das Sofa, und sie nahm mir gegenüber Platz. In meinem Kopf tobte ein Sturm, den ich irgendwie unter Kontrolle bekommen musste, um überhaupt einen klaren Gedanken fassen zu können. »Warum bist du gegangen?«, fragte ich. »Warum bist du damals fortgegangen?«

Sie ließ den Kopf hängen. »Ich habe einfach keine Möglichkeit gesehen zu bleiben. Ich war dabei, mich zu verlieren, Emery. Ich saß in einem dunklen Loch gefangen und habe keinen Ausweg mehr gesehen. Und wenn ich das Baby angeschaut habe, wurden meine Gedanken noch finsterer. Ich bin gegangen, weil ich Angst hatte, ich könnte ihr etwas antun. Ich bin gegangen, weil ich keine Möglichkeit mehr gesehen habe zu bleiben.«

»Du hast sie allein in der Wohnung zurückgelassen, Sammie!«, erwiderte ich und warf wütend die Hände in die Luft. Manchmal dachte ich an diesen Tag zurück, an das schreiende Kind, und dann brach mir jedes Mal aufs Neue das Herz.

»Ich weiß! Ich weiß! Also, wenn du vorhast, mich bloß anzuschreien, dann kann ich auch wieder …«

»Nein«, sagte ich bestimmt. »Du musst aufhören davonzulaufen. Und ich gehe davon aus, du bist hergekommen, weil du das auch nicht mehr willst.«

»Ich muss mich nicht von dir anschreien und mir sagen lassen, wie sehr du mich hasst.«

»Ich schreie dich nicht an, weil ich dich hasse, Sammie. Ich schreie, weil ich dich liebhabe und weil du mir sehr wehgetan hast! Du hast mich zutiefst verletzt. Und herauszufinden, dass du Kontakt zu unseren Eltern hattest, aber nicht zu mir, hat mich noch mehr verletzt. Und die Vorstellung, dass sie das Sorgerecht für Reese wollen, ist einfach verrückt. Das muss dir doch klar sein. Erinnerst du dich nicht mehr, wie es für uns war, bei ihnen aufzuwachsen? Wieso kannst du das Gleiche für Reese wollen? Unsere Eltern sind das reinste Gift, Sammie.«

»Mama hat gesagt, dieses Mal würde sie es besser machen als mit uns«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf. »Und sie hat gesagt, sie würden mich wieder ganz in ihre Familie aufnehmen, nicht nur ab und zu. Das ist alles, was ich will, Emery. Ich möchte nur, dass alles wieder so wird, wie es einmal war.«

»Nichts wird je wieder so sein, wie es einmal war. Das ist unmöglich, und ehrlich gesagt, solltest du dir das auch nicht wünschen. Unsere Eltern haben uns bevormundet und gedemütigt, Sammie, und es uns fast unmöglich gemacht, irgendetwas oder irgendjemandem zu vertrauen.«

Sie öffnete den Mund und begann wieder zu zittern. Ich hasste es zu sehen, wie nervös und zerbrechlich sie zu sein schien. Ganz gleich, wie wütend ich auf sie war, es brach mir das Herz, sie so zu sehen.

»Ich möchte einfach, dass sie mich lieben.«

»Du solltest niemals jemanden um Liebe anflehen müssen. Du solltest niemals tun müssen, was jemand von dir verlangt, um seiner oder ihrer Liebe wert zu sein. So funktioniert Liebe nicht.«

»Ich weiß nicht, was Liebe ist«, gab sie zu. »Ich habe es nie erfahren.«

»Doch, hast du. Du hast mich geliebt, und ich dich, bedingungslos, unser ganzes Leben lang, Sammie. Das ist Liebe. Sie kennt keine Ketten. Aber was Mama und Dad als Liebe bezeichnen, ist etwas anderes. Es zieht dich runter und erstickt dich. Das kannst du dir unmöglich für Reese wünschen. Oder für dich selbst.«

Sie schwieg eine Weile, dann schniefte sie. »Oliver hat gesagt, er kann mir einen Platz in einer Klinik in Texas besorgen, die auf die mentale Gesundheit von Frauen spezialisiert ist. Die Klinik ist in der Stadt, in der er aufgewachsen ist. Er hat sogar gesagt, er würde die Kosten übernehmen.«

Das klang nach dem Mann, den ich liebte. »Denkst du darüber nach, sein Angebot anzunehmen?«

Sie nickte. »Ich soll nächste Woche hinfliegen, aber vorher muss ich noch etwas erledigen, und dazu brauche ich deine Hilfe …«

»Was auch immer es ist.«

»Ich brauche dich an meiner Seite, wenn ich Mama und Dad damit konfrontiere. Ich brauche dich dafür.«

Ich zögerte, denn ich wusste, wie leicht meine Eltern Sammie in die Enge treiben und ihre Gedanken beeinflussen konnten. In diesem Moment wirkte sie sicher und überzeugt, aber ich kannte meine Schwester. Sie schwankte ständig zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Man wusste nie sicher, was von beidem man bekommen würde, dennoch …

»Ich werde mit dir kommen. Keine Frage.«

Sie nahm mich in den Arm, und ich drückte sie.

»Ich werde dich und Reese hin und wieder besuchen kommen«, versprach sie und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich bin in den vergangenen Jahren gelegentlich runtergefahren und habe sie mit dir gesehen. Ich habe gesehen, wie glücklich ihr beide im Lauf der Jahre miteinander geworden seid, und mir ist bewusst geworden, dass sie eigentlich nie meine Tochter war. Sie ist deine Tochter, Emery. Es tut mir leid, dass ich dir so wehgetan habe, und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit sie bei dir bleiben kann. Versprochen.«

Aus ihrem Mund zu hören, dass Reese zu mir gehörte, bedeutete mir mehr, als sie sich vorstellen konnte.

Es gab noch sehr viel mehr zu bereden, aber für heute war es genug.

Oliver richtete eines der Gästezimmer für Sammie her, und als es Zeit war, ins Bett zu gehen, dankte ich ihm eine Million Mal dafür, dass er Sammie dazu hatte bewegen können, sich nicht nur von unseren Eltern abzunabeln, sondern auch die Hilfe anzunehmen, die sie brauchte.

»Sollen wir auch über uns reden?«, fragte ich ein wenig nervös, weil ich Angst hatte, dass ich die Chance, die wir beide hatten, zerstört hatte, als ich mit ihm Schluss machte. Ich hätte verstanden, wenn er mich nicht mit offenen Armen wieder aufgenommen hätte. »Ich meine … gibt es uns überhaupt noch?«

Oliver trat zu mir und schloss mich in die Arme. »Es wird uns immer geben, Emery.«

»Du hast keine Ahnung, wie viel Gutes du für mich getan hast«, flüsterte ich in seinen Armen.

»Ich würde alles für dich tun. Von diesem Augenblick an werde ich immer für dich da sein.«

Ich lächelte und küsste ihn sanft. »Es war ein ziemlich wilder Ritt mit dir in den vergangenen Monaten, aber ich würde absolut nichts anders haben wollen.«

»Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch«, antwortete ich.

Seine Lippen strichen über mein Ohrläppchen, und er flüsterte: »Darf ich dir zeigen, wie sehr ich dich liebe?«

Er führte mich in sein Schlafzimmer und legte mich aufs Bett, wo er mich hielt, während sein Körper über mir verharrte. Seine Augen wurden feucht. »Ich liebe dich, Emery«, sagte er erneut, und mir wurde klar, dass ich niemals müde würde, diese Worte aus seinem Mund zu hören.

Meine Lippen pressten sich auf seine, und ich hauchte in seinen Mund: »Ich liebe dich auch.«

Seine Hand wanderte hinunter zum Saum meines Kleides.

Langsam glitt er mit einem Finger in mich hinein, dann mit einem zweiten, und öffnete mich weit. Seine Bewegungen wurden schneller, als meine Hüften sich gegen seine Hand drängten. Ein weiterer Finger folgte. Ich stöhnte auf und drückte mein Gesicht ins Kissen, um nicht zu laut zu werden, während er mich hart und tief mit den Fingern fickte.

Je tiefer er in mich eindrang, desto lauter wurde mein Stöhnen, bis ich schließlich an seiner Hand kam. Er zog sie heraus und leckte sich die Finger, bevor er seinen Mund wieder auf meinen drückte.

»Liebe mich«, flüsterte ich und sehnte mich danach, seine Härte in mir zu spüren, weil ich wollte, dass seine Liebe meine Welt auf den Kopf stellte. Er erfüllte mir meinen Wunsch, und während er in dieser Nacht in mich hineinglitt, während er jede Faser meines Körpers liebte, spürte ich, wie unsere Herzen gemeinsam heilten. Als er mich liebte, spürte ich das Versprechen der Zukunft, das er mir in dieser Nacht gab. Als er sich in mir verlor, wusste ich, dass ich mein Zuhause gefunden hatte. Ich wusste, dass ich ihm für immer gehören würde.

Und er mir.