Kapitel 25
»Alle bereit?«, fragte Candy, an die Wand der Schleuse auf der Mondbasis gelehnt.
Russell nickte. Er war bereit. Sie hatten zwei Tage wie die Ochsen geschuftet, um die Mondbasis wieder flott zu kriegen und gegen einen erneuten Angriff von der Hauptbasis zu sichern. Die Umgebung wurde permanent mittels Videoüberwachung und Infrarotmeldern kontrolliert. Im Bedarfsfall hatten sie sofort zwei Dutzend Kämpfer aktiviert und nochmal zwei Dutzend weitere konnten sie binnen einer Viertelstunde von New California hierherholen.
»Moment noch«, sagte Jim und nestelte an der Armkonsole seines Raumanzugs. »Wie aktiviere ich denn das HUD?«
Russell trat einen Schritt vor und erklärte noch einmal in aller Ruhe die einzelnen Knöpfe und Regler. Obwohl intelligent und aufmerksam, hatte sich Jim mit technischen Geräten schon immer etwas schwergetan. Endlich drückte Jim auf den richtigen Schalter und Russell erkannte an den grünlichen Reflexen im Helm seines Sohnes, dass die Helmanzeigen nun aktiviert waren.
»Hast du nun deine Probleme gelöst?«, fragte Candy ungeduldig.
»Ja, alles klar. Ich bin bereit.« Jim reckte den Daumen hoch.
»Na endlich«, brummte Candy. »Also noch ein letztes Mal für alle zum Mitschreiben: Die Funkgeräte bleiben aus, bis sie uns entdeckt haben, was hoffentlich nie geschehen wird.« Dann gab sie Herrington ein Zeichen, woraufhin der Ingenieur einen Schalter betätigte.
Russell hörte ein lautes Zischen, das schnell leiser wurde. Die Luft wurde aus der Schleusenkammer gepumpt. Dann fuhr das schwere Schott in die Wand.
Candy gab ein weiteres Zeichen und Russell griff an seine Schulter, um ein meterlanges, dünnes Kabel abzurollen, dessen Stecker er in eine Buchse an Candys Raumanzug stöpselte. »Candy?«
»Ja, Empfang ist einwandfrei.«
Russell wandte den Kopf und sah, wie Jim sein Kabel an Russells Raumanzug anbrachte. »Dad?«
»Alles klar«, antwortete Russell.
»Sind jetzt alle miteinander verbunden?«, fragte Candy. »Mr. Herrington?«
»Bin hier.«
»Julian?«
»Ja«, antwortete der Neffe von General Morrow tonlos.
»Gut«, sagte Candy. »Wir gehen in einer Reihe, bis wir Sichtkontakt mit der Hauptbasis haben. Dann ziehen wir die Kabel wieder ein und verständigen uns per Zeichen. Wir nutzen die Deckung durch das Kraterfeld. Mr. Herrington wird uns zum Antennenkomplex führen. Waffen bleiben geschultert. Wenn wir auf die Stationsbesatzung stoßen, schießt keiner, bevor ich es tue. Auf geht’s!«
Russell folgte Candy in einigen Metern Abstand aus der Schleuse und stapfte durch den grauen Mondstaub. Candy ging langsam und vorsichtig, aber zielstrebig auf die Anhöhe zu, die vor ihnen lag. In dem gleichförmigen Gelände waren Abstände sehr schwer einzuschätzen, auch weil das Fehlen einer Atmosphäre für einen sehr hohen Kontrast sorgte und dadurch weiter entfernte Konturen nicht unscharf wurden. Beim ersten Besuch hatte Russell keine Zeit gehabt, darauf zu achten, aber jetzt fiel ihm auf, dass der graue Mondstaub mehr trockenem Mehl als feinem Sand ähnelte. Russell hinterließ scharfe Fußabdrücke, die ihn sehr an die Bilder des Apollo-Programms vor so vielen Jahren erinnerten. Ohne Erde am Himmel war es schwer, zu glauben, dass er hier über den irdischen Mond marschierte. Und das auch noch mit einem Schnellfeuergewehr auf der Schulter.
Russell blickte sich um. Hinter ihm gingen Jim, Herrington und der schweigsame Julian Morrow als Nachhut, durch ein Kabel verbunden wie ehemals Bergsteiger auf der Erde. Im Rücken der Gruppe und nun ein gutes Stück tiefer lag die Mondbasis. Die tiefstehende Sonne blendete Russell und er wandte den Blick wieder nach vorne. Obwohl sie schon ein gutes Stück gewandert waren, schien es so, als sei der Horizont noch nicht nähergekommen.
»Ganz schön anstrengend«, bemerkte Jim. »Trotz der niedrigen Schwerkraft.«
»Das liegt am Anzug«, schnaufte Herrington. »Das Material setzt den Bewegungen Widerstand entgegen und darum ermüdet einen die Arbeit darin, egal, wie trainiert man ist.«
»Nur sprechen, wenn unbedingt nötig«, mahnte Candy, der die Anstrengung jedenfalls nicht anzumerken war.
Russell drehte sich nochmal um. Jim schien der Marsch ebenfalls nicht viel auszumachen. Als hätte sein Sohn seine Gedanken erraten, reckte er die Faust mit erhobenem Daumen empor. Russell nickte und wandte sich wieder nach vorne. Elise hatte nicht mehr mit Sammy geredet. Einerseits war Russell im Interesse seines Sohnes froh darüber, allerdings krampfte es ihm bei dem Gedanken, dass Jim etwas Schlimmes passieren könnte, die Magengrube zusammen. Dass sein Sohn nun Risiken auf sich nahm, wäre für Russell leichter zu akzeptieren gewesen, wenn sie wenigstens nicht gleichzeitig in Einsätze hätten gehen müssen. Es beruhigte Russell zwar ein wenig, dass er seinem Sohn zur Seite stehen konnte, wenn es brenzlig wurde, aber es würde ihn auch von der eigentlichen Aufgabe ablenken. Seine Prioritäten lagen nun eher bei seinem Sohn als dabei, die Mission erfolgreich abzuschließen. Sammy schien das nicht in den Sinn gekommen zu sein, als er sich für Jims Teilnahme ausgesprochen hatte.
Der Hang wurde immer steiler und Russells Lungen brannten wie Feuer. Er wusste, dass es nicht nur das Alter war, sondern auch die Vernarbungen in der Lunge, die die Krebsbehandlung zurückgelassen hatte. Selbst regelmäßiges Training konnte das nicht kompensieren.
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie endlich den Hügelkamm erreicht hatten. Candy gönnte ihrem Trupp eine kurze Pause. Russell sah sich erneut um. Die Mondbasis, von der sie aufgebrochen waren, war nicht mehr zu sehen, ganz davon abgesehen, dass die tiefstehende Sonne in den Augen schmerzte, wenn er nach Westen blickte. Auch voraus führte das Gelände so sanft bergab, dass er ihr Ziel noch nicht erblicken konnte. Nur nach Norden hin fiel der Hügelkamm steil ab und er hatte einen guten Blick auf ein Tal, das an seinem tiefsten Punkt von einer schmalen, kurvigen Rinne durchzogen wurde, die einem künstlich angelegten Kanal ähnelte. Dahinter begann eine Kette aus zerklüfteten Hügeln.
»Alles klar, Dad?«
Russell drehte sich um. Nur schwach erkannte er hinter dem verspiegelten Visier die Konturen von Jims Gesicht. Ihm schien die Anstrengung wirklich nicht viel auszumachen. Russell hingegen schnaufte immer noch lautstark. »Alles klar«, log er.
»Bergab wird es leichter gehen«, verkündete Candy. »Laut den Navigationsdaten sind wir nicht mehr weit entfernt. Wir müssten die Hauptbasis bald sehen können. Wenn wir dann Sichtkontakt haben, stöpseln wir die Kabel ab. Also weiter!«
Russell stolperte hinter Candy her. Er hätte gerne noch einige Minuten verschnauft. Sauerstoff hatten sie genug, aber er verstand, dass Candy die Sache schnell hinter sich bringen wollte.
Der Hang führte nun immer steiler nach unten, so dass Hüpfen wieder die leichteste Art war, vorwärtszukommen. Dann, endlich, sah Russell das Ziel.
Den Mittelpunkt der Basis bildete eine große, flache Kuppel, die aus vorgefertigten Metallelementen erbaut war. Mit den beiden großen Antennenmasten, die aus dem Dach ragten, glich sie einem kleinen Zirkuszelt. Um sie herum war eine Vielzahl zylindrischer Module angeordnet, die von der Kuppel weg zeigten wie die Strahlen einer grauen Sonne.
Einige dieser Module mussten Schleusen sein. Daneben standen Rover und Paletten mit Ausrüstung herum. Etwas abseits war ein großes Feld mit Solarpaneelen, das offenbar die Energiequelle der Basis darstellte. Die Station selber ähnelte einer Antarktisstation, die Russell bei einem Trainingseinsatz vor ewigen Zeiten einmal besucht hatte. Sie stand auf einem weiten Plateau, das von Reifenspuren und Fußabdrücken durchzogen war. Etwas weiter weg befand sich ein quadratisches Feld, das man vom Mondstaub befreit hatte und auf dem mit weißer Farbe ein Raster aufgemalt war. Es glich einem großen Hubschrauberlandeplatz und stellte offenbar eine Landefläche für Raumfähren dar. Das ganze Bild erinnerte Russell an Hochglanzprojekte der NASA aus den Achtzigern, als die Visionäre noch davon ausgingen, mit einer Vielzahl von Raumfähren billig schwere Lasten in den Weltraum zu befördern. Nach der Explosion der Challenger waren diese Projekte zusammen mit den Visionen dann förmlich über Nacht verschwunden. Jedenfalls erinnerte sich Russell auch daran, dass auf den alten Bildern immer Astronauten um die Basis herumwuselten und mit Forschungen oder Montagearbeiten beschäftigt waren. Die vor ihm liegende Mondbasis wirkte jedoch, abgesehen von ein paar erleuchteten Bullaugen, völlig ausgestorben.
Candy blieb stehen. »In Ordnung. Das Ziel liegt vor uns. Wo sind die Antennen?«
»Auf der linken Seite. Hinter diesem roten Container«, antwortete Herrington.
Russel sah ihn sofort. Das rote Gehäuse musste Transformatoren oder sonstige schwere Geräte beinhalten, denn große Radiatoren auf dem Dach führten überschüssige Hitze ab. Dahinter erkannte Russell einige Parabolantennen, die fast senkrecht in den Himmel zeigten. Er fühlte sich unbehaglich. Sie mussten fast die Hälfte der Basis umrunden, um den Komplex zu erreichen, und das letzte Stück bot ihnen keine Deckung. Auch die Sonne hatten sie dort nicht mehr im Rücken. Es war reines Glücksspiel, die Antennen zu erreichen, ohne entdeckt zu werden.
Candy hatte offenbar dieselben Gedanken. »Gefällt mir nicht«, murmelte sie. »Aber wir haben wohl keine andere Wahl. Hat noch jemand etwas zu sagen?«
Russell räusperte sich. »Wir sollten vom Kraterfeld aus direkt zur Station gehen und uns dort an der Wand entlang schleichen. Wenn wir unter den Bullaugen her kriechen, sehen sie uns vielleicht nicht.«
Candy nickte, was am Halsteil des Raumanzugs für eine grotesk aussehende Falte sorgte. »So machen wir es. Also gut, Kabel einziehen. Herrington kommt zu mir nach vorne. Bis zum Kraterfeld laufen wir, dann gehen wir dort in Deckung. Morrow übernimmt die Nachhut. Hast du das gehört, Corporal?«
»Ja, Sir«, sagte Julian knapp.
»Gut, dann los.«
Russell trat zu Candy und machte das Kabel los. Es rollte sich von selbst in seine Halterung auf der Schulter ein. Russell stellte sicher, dass Jim sein Kabel ebenfalls gelöst hatte, nahm dann sein Schnellfeuergewehr und lief hinter Candy zum Kraterfeld, das immer noch einige hundert Meter entfernt war.
Den Abhang hinab kamen sie schnell vorwärts. Da sie die Sonne im Rücken hatten, würde man sie von der Basis aus kaum sehen können. Russell sprang hinter Candy in den ersten Krater in Deckung. Sie warteten, bis die anderen ihnen gefolgt waren, dann gab Candy Zeichen, unten zu bleiben. Aus einer Tasche an ihrem Gürtel nahm sie ein kleines Fernrohr, streckte vorsichtig den Kopf aus dem Graben und beobachtete die Basis.
Schließlich tauchte sie wieder unter den Kraterrand. Sie schüttelte den Kopf.
Nichts zu sehen.
Sie sprang auf und lief geduckt durch eine flache Mulde, die zwei Krater miteinander verband, bevor sie wieder nach unten tauchte. Russell folgte ihr, anschließend im Abstand von wenigen Sekunden die anderen.
Krater für Krater arbeiteten sie sich bis zur Mondbasis vor. Und es waren viele Krater. Jedes Mal, wenn Russel von einer Mulde zur nächsten lief, schaute er verstohlen zur immer näher kommenden Basis, ob dort nicht ein Gesicht hinter einem der vielen Bullaugen zu sehen war. Aber der gesamte Komplex glich weiterhin einer Geisterstadt.
Während sie sich der Basis näherten, arbeitete sich ihr Trupp gleichzeitig zur Seite hin in Richtung des Antennenkomplexes vor und es dauerte nicht lange, dann hatten sie die Sonne nicht mehr im Rücken, sondern zu ihrer Rechten. Sie bot ihnen nun keinen Schutz vor einer Entdeckung mehr.
Schließlich hatte Candy den letzten Krater des Feldes erreicht. Sie wartete, bis Russell und die anderen ihr gefolgt waren, dann nahm sie wieder ihr Fernrohr und sondierte die Lage. Ganz vorsichtig hob Russell seinen Kopf ein Stück aus der Mulde. Ein Modul der Basis befand sich nun unmittelbar vor ihnen. Ein weiteres stand rechts etwas abgewinkelt. In beide waren Bullaugen eingelassen. Vorzurücken war nun ein Glücksspiel. Selbst wenn sie sich unter dem ersten Bullauge versteckten, waren sie vom zweiten aus gut zu erkennen. Und es war noch ein ganz schönes Stück bis zu den Antennen. Verstecken war nicht möglich, es würde auf ihre Schnelligkeit ankommen.
Candy hatte offenbar denselben Gedanken. Sie tauchte wieder in die Deckung des Kraters und steckte ihr Fernrohr weg. Dann drehte sie ihre Hand mit erhobenem Zeigefinger im Kreis.
Gas geben!
Sie lief los und zog Herrington mit sich. Russell und Jim folgten ihr. Candy rannte direkt zur Wand der Mondstation und bog dann links ab. In geringem Abstand setzte sich auch der Rest des Trupps in Bewegung. Sie umrundeten das Modul, an das sich in einem rechten Winkel ein weiteres anschloss. Auch um dieses liefen sie herum, immer geduckt. Ständig blieb Candy stehen und spähte vorsichtig um die Ecke, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Vor allem an den Bullaugen mussten sie sich tief ducken, sodass sie dort meist auf allen vieren durch den Mondstaub krabbelten.
Die Basis war groß. Deutlich größer als die sekundäre Basis, durch die Russell und die anderen New Californians auf den Mond gelangt waren. Wenn in der einen Basis schon über dreißig Menschen beschäftigt gewesen waren, dann mochten sich in dieser hier mindestens hundert Leute aufhalten. Aber warum war nichts von ihnen zu sehen? Weder draußen noch an den Fenstern. Zum wiederholten Male fragte sich Russell, was zum Teufel hier geschehen sein mochte.
Dann, endlich, als er um eine weitere Ecke bog, erkannte Russell den roten Container, der sich vor den Parabolantennen befand. Wenn sie sich dahinter versteckten, würde man sie vom nächsten Modul aus nicht sehen können. Es wäre eine gute Deckung für die Zeit, in der Herrington seinen Transmitter installierte.
Candy führte sie noch um zwei weitere Module herum, dann hatten sie endlich ihr Ziel erreicht. Wie Russell es erwartet hatte, forderte Candy ihren Trupp mit einer Handbewegung auf, sich hinter dem Container zu verstecken. Russell drückte sich dicht an die Wand und bemerkte trotz des Raumanzuges, wie sich die feinen Härchen auf seinem Arm aufstellen wollten. Innerhalb des Containers musste sich eine starke Spannungsquelle befinden.
Candy gab Herrington ein Zeichen. Der Ingenieur legte sein Gewehr auf den staubigen Boden, was Candy die Lippen zusammenpressen ließ, und holte ein kleines, silbernes Gerät mit je einem Stecker an jeder Seite aus seinem Rucksack. Dann trat er aus der Deckung an einen Schaltschrank neben einer der Parabolantennen. Mit einem Ruck zog der Ingenieur die Tür des Kastens auf und kniete sich hin, um sich an der Verkabelung zu schaffen zu machen.
Immer wieder schaute Russell sich nervös um. Das Kraterfeld war von hier aus nicht zu sehen. Wenn Herrington seine Aufgabe beendet hatte, war es immer noch ein weiter Weg zurück in den Schutz der Deckung. Die Schatten waren inzwischen noch länger geworden, die Sonne weiter gesunken. Dennoch würde es bei der niedrigen Rotationsgeschwindigkeit des Mondes noch viele Stunden dauern, bis die Sonne völlig untergegangen war. Der Rückweg gegen das blendende Sonnenlicht würde alles andere als angenehm werden.
Russell wandte den Kopf. Herrington, in der Linken eine Kneifzange balancierend, hantierte immer noch an dem Schaltschrank herum.
Verdammt, geht das nicht schneller?
Russell trat von einem Bein auf das andere.
Endlich hatte Herrington seinen Job beendet. Er schloss den Schaltschrank und machte einen Schritt auf sie zu. In diesem Moment explodierte sein Helm in einer roten Fontäne.
Russell zuckte zusammen. Rote und gelbe Tropfen prallten gegen sein Visier und hinterließen hässliche Flecken auf dem Plexiglas. Er ging wieder in Deckung und wischte sich fluchend das Visier sauber. Gerade rechtzeitig, um den Ingenieur wie in Zeitlupe zu Boden fallen zu sehen. Von seinem Helm - und seinem Kopf - war nur noch die Hälfte da. Blut sickerte aus grauer Gehirnmasse auf den staubigen Mondboden und verdampfte im Vakuum des Weltraums. Russell hob den Blick und sah vier Gestalten in roten Raumanzügen hinter der Antennenanlage langsam hervor staksen.
Candy gab das Signal zum Rückzug, sprang vom Container weg und hob ihr Gewehr. Mündungsfeuer blitzte auf und einer der Angreifer fiel wie ein welkes Blatt zu Boden.
Russell machte ebenfalls einen Satz nach vorne und stellte sich zwischen Jim und die Angreifer. Er nahm einen von ihnen ins Visier, aber der Schuss richtete keinen Schaden an.
Weitere Gestalten tauchten hinter einem Modul auf, ihre Gesichter hinter silbernen Visieren verborgen. Es waren zu viele, um es mit ihnen aufzunehmen. Und wer konnte wissen, wie viele von denen sich gerade in den Luftschleusen der Basis für den Ausstieg bereitmachten.
Candy legte ihre Hand mit nach oben zeigendem Mittelfinger an den Helm.
Funkverkehr aufnehmen!
Mit einer blitzschnellen Bewegung aktivierte Russell die Kommunikationssysteme des Anzugs.
»Sofortiger Rückzug!«, schrie Candy aus Russells Ohrhörern, dass es schmerzte.
Jim rannte los und Russell folgte ihm, penibel darauf bedacht, zwischen den Angreifern und seinem Sohn zu bleiben. Mit weiten Schritten hüpften sie über das Plateau, den Hügelkamm in viel zu weiter Entfernung vor sich. Immer wieder drehte Russell sich um, um Schüsse abzugeben. Julian lief ein Stück hinter ihm, Candy bildete die Nachhut.
Das Gelände stieg stetig an und sie rannten genau auf die Sonne zu, die Russell blendete. Sie sorgte aber auch dafür, dass die Angreifer sie nicht ins Visier nehmen konnten. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als aus der Hüfte zu schießen. Diese Tatsache rettete ihnen wohl das Leben, denn immer wieder schossen Fontänen von Mondstaub in die Höhe, wo die Projektile der Gegner in den Boden schlugen. Zum Glück in ausreichender Entfernung.
Wieder stoppte Russell, drehte sich um und hielt den Atem an, während er auf einen der Gegner zielte. Er schoss und sofort verfärbte sich das ohnehin rote Brustteil in einer dunkleren Tönung. Der Angreifer ging zu Boden.
Obwohl Candy fast zeitgleich einen weiteren fällte, war es sicher noch ein halbes Dutzend, das ihnen folgte. Russell und seine Kameraden befanden sich ein gutes Stück höher als die Mondbasis und er hatte einen guten Blick über das Gelände. An der Antennenanlage konnte er den Leichnam von Herrington erkennen. Zwei Typen in roten Raumanzügen machten sich an den Geräten zu schaffen.
»Sekundäre Mondbasis, hier Russell!«, schrie er in sein Mikro. »Sammy, kannst du mich hören.«
»Hier ist Adam«, erreichte ihn sofort die Antwort. »Sammy ist bei mir.«
»Wir wurden angegriffen. Herrington ist tot und wir übrigen sind auf dem Rückweg. Habt ihr Zugriff auf die Funkbrücke? Er müsste sie installiert haben.«
Russell legte wieder sein Gewehr an und schoss, aber die Patronen fanden ihr Ziel nicht. Er gab Jim ein Zeichen, weiterzulaufen, und wartete auf Candy und Julian, die zurückgefallen waren.
»Hier Adam«, empfing er. »Die Funkbrücke steht.«
»Dann nutzt sie! Sie hantieren schon an den Antennen rum. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie das Relais finden und entfernen.«
»Verstanden.« Adam beendete das Gespräch.
Russell lief schnaufend weiter den Hügel hinauf, stoppte aber bald, um wieder auf Candy zu warten. Sie blieb neben ihm stehen und beide hoben ihre Gewehre. Ein Gegner fiel. Russell konnte nicht sagen, ob es sein Schuss oder der von Candy gewesen war. Zwei Verfolger blieben noch übrig. Sie hatten Julian fast erreicht, der auf einen von ihnen anlegte und ihn erschoss.
»Ich muss nachladen«, schrie Candy und fingerte in ihrer Tasche nach einem Ersatzmagazin.
Der letzte Verfolger hatte Julian fast erreicht. Der Junge lief los, stolperte aber an einem großen Stein und ging zu Boden. Russell legte an. Er drückte ab und ... nichts geschah.
Ladehemmung, verdammt!
Russell zerrte an seinem Gewehr, um durchzuladen. Endlich hatte er wieder eine Patrone in der Kammer und schoss.
Treffer!
Der Angreifer riss Julian mit sich zu Boden. Der Junge schrie. Russell legte erneut an und feuerte. Die Kugel riss den Körper des Fremden mitsamt Anzug herum, von Julian herunter, er kam neben ihm zu liegen. Aus dem Kopfteil des Anzugs sprudelte in hohem Bogen eine dicke Blutfontäne, die verdampfte, bevor sie den grauen Mondboden erreichte.
»Alles klar, Morrow?«, fragte Candy, die ihre Waffe geschultert hatte und nähergetreten war.
Julian fasste sich an die Brust. Er hatte einen hässlichen roten Flecken auf der Außenhaut des gelben Anzugs. »Er hat mich in der Brust erwischt. Ich glaube, er hatte ein Messer.«
Russell hüpfte zu ihm, kniete sich hin und untersuchte die Stelle. »Der Anzug hat sich selber wieder abgedichtet. Ich glaube, das meiste Blut auf deiner Brust ist von dem Angreifer.«
»Konntest du sein Gesicht erkennen?«, fragte Candy.
»Nein«, sagte Julian. »Das Visier war komplett verspiegelt. Was hätte es auch genutzt?«
»Wir hätten gesehen, ob es womöglich ein Schlitzauge war«, antwortete Candy trocken.
»Ist immerhin einer von unseren Anzügen.« Morrow richtete sich auf und zeigte auf den Aufnäher unter der Schulter des Angreifers.
»Aber wer weiß, wer da drunter steckt«, sagte Candy und trat zu der Leiche.
Russell blickte auf. Weitere Angreifer machten sich daran, den Hügel zu erklimmen. »Keine Zeit! Wir müssen weg. Wird es denn gehen, Julian?« Keiner konnte sagen, wie schwer der Junge verletzt war.
»Ja, geht schon«, ächzte Morrow.
Russell warf einen letzten Blick auf den Toten. »Parker« stand auf einem schwarzen Namensaufnäher auf der linken Brust.
Russell hakte den Kameraden unter. Jim hüpfte zu ihnen und half, den Verletzten zu stützen. Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort. Obwohl Candy die Nachhut bildete, konnte es sich Russell nicht verkneifen, immer wieder zurückzublicken. Die Angreifer verfolgten sie noch eine Zeitlang. Dann war von ihnen und der Hauptbasis nichts mehr zu sehen.
Russell hoffte nur, dass der Einsatz nicht umsonst gewesen war.