BIS DER TOD UNS SCHEIDET

Jetzt kenne ich den Ablauf der Messe genau, sehr genau sogar. Ich habe ihn sorgfältig studiert, ich weiß auch nicht warum, ich brauche ihn ja nicht mehr, ich war plötzlich besessen davon und kaufte mir ein dünnes Buch mit dem Titel »Die heilige Messfeier. Eine Hilfe zum besseren Verständnis«. Das las ich dann immer, wenn ich Zeit hatte: beim Frühstück, in der Mittagspause, am Abend, an den Wochenenden. Immer wieder. Ich las sogar den Katechismus der katholischen Kirche. Ich wollte es einfach verstehen, es wurde eine Obsession von mir, es zu verstehen.

Jetzt kenne ich die Riten der heiligen Messfeier auswendig und flüstere ihn ständig vor mich hin, wenn ich unterwegs bin, um Maria in ihrem Heimatort zu beobachten. Ich sitze im Auto und fahre ihr überallhin nach, in den Kindergarten, in das Tourismusbüro, in den Kindergarten, zu ihrem Elternhaus, zu ihrem Noch-Rohbau-Haus, zu ihrer Freundin, zu ihrem Elternhaus, in die Bibelrunde und wieder zu ihrem Elternhaus. Am Wochenende liege ich nachmittags im Gestrüpp am Waldesrand oberhalb ihres Elternhauses und beobachte, wie sie mit Nicolas spielt und mit ihrem Verlobten und ihrer Familie Kaffee auf der Terrasse trinkt. Es ist jedes Mal ein schönes, friedliches Bild, eine heile Familie, die Freude über die verlorene und wieder heimgekehrte Tochter muss groß sein. Dabei flüstere ich ständig vor mich hin: Eröffnung mit Einzug, Verehrung des Altars mit Kuss, Kreuzzeichen, Begrüßung der Gemeinde, Bußakt, Kyrie, Gloria und Tagesgebet, …

ERÖFFNUNG

Einzug

Zu Beginn der heiligen Messe tritt der Priester mit Albe, Messgewand und Stola in den Altar- oder Chorraum. Der Priester trägt Gewänder in verschiedenen Farben, das sind die sogenannten liturgischen Farben. Weiß gilt als Festfarbe, sie wird beispielsweise zu Weihnachten, Ostern, bei Christus- und Marienfesten und an speziellen Heiligenfesten getragen. Die Farbe Rot ist die Farbe des Heiligen Geistes. Sie ist aber auch die Farbe der Märtyrer, also jener, die aus Liebe für ihren Glauben starben …

Als ich Maria kennenlernte, das war vor mehr als vier Jahren, trug sie eine rote Lederjacke, ein schwarzes bauchfreies T-Shirt und eine Jeans. Sie kam zu mir an den Schreibtisch – ich bin Mercedesverkäufer –, ihr blonder Pferdeschwanz wippte hin und her. »Ich möchte den hier Probe fahren«, sagte sie grinsend und deutete auf einen schwarzen Mercedes SL 500 in unserer Ausstellungshalle. Ich fragte, ob sie auch vorhabe, ihn zu kaufen, worauf sie den Kopf schüttelte. Ich ließ sie Probe fahren und kam ganz schön ins Schwitzen. Sie tauchte erst nach zwei Stunden wieder auf, brachte einen Strafzettel mit, den sie mir auf den Schreibtisch legte. Sie sei in eine Radarfalle gefahren und hundert Meter später von der Polizei gestoppt worden, und weil sie kein Geld dabei hatte, bekam sie einen Zahlschein mit. Ich war ihr sofort verfallen.

Verehrung des Altars mit Kuss

Wenn der Priester den Altarraum betritt, macht er vor dem Tabernakel eine Kniebeuge als Zeichen der Verehrung und der Anbetung. Dann geht der Priester zum Altar. Über diesem verneigt er sich und küsst ihn.

Zwei Tage später gingen wir gemeinsam ins Kino und anschließend essen, zwei Wochen später übernachtete sie das erste Mal bei mir. Wir liebten uns die ganze Nacht und schliefen erst beim Morgengrauen ein. Dabei galt mein Gedanke dem Morgen: Wie würde Maria beim Aufwachen sein? Mit unreiner Haut, da ungeschminkt? Grantig? Würde sie Mundgeruch haben? Aber nichts davon wurde wahr. Maria sah am Morgen genauso wundervoll aus wie am Abend zuvor, ihre Haut war weich und zart, ihr Mund roch nach Milchreis, ihr Körper war einfach vollkommen. Sie stand auf und ging nackt in meinen begehbaren Schrank, wo sie meine dreißig Anzüge bewunderte. Sie band sich eine Krawatte um und kochte Kaffee. Als wir um halb neun aus der Wohnung gingen, sie in das Reisebüro und ich ins Autohaus, waren wir ein Paar.

Kreuzzeichen

Nun spricht der Pfarrer »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes« und die Gläubigen antworten mit »Amen«, das heißt »so sei es«. In der Eucharistiefeier kommen die Menschen nicht in ihrem eigenen Namen zusammen, sondern im Namen des dreieinen Gottes.

Nach ein paar Tagen wusste ich, dass sie nicht gut kochen, dafür aber sehr gut Auto fahren konnte. Damit war mein Schicksal besiegelt: Ich betete sie an. Umgekehrt hätte ich es nicht so gerne gehabt. Eine Frau, die stundenlang in der Küche steht, um Speisen zu zaubern, die man sowieso innerhalb einiger Minuten aufessen wird – welch vergeudete Zeit! Ich wollte eine moderne Frau und keine, die mich an meine Großmutter erinnerte, die semmelknödelwälzend, blunzenwickelnd, beuschelschneidend in der Küche gestanden hatte, um ihre Großfamilie zu ernähren, und ich wollte ebenso wenig an die Küche im elterlichen Restaurant erinnert werden, in der ich und meine Schwestern ständig aushelfen mussten. Diesen ranzigen Geruch, den mein Körper trotz ausgiebiger Dusche noch im Bett an sich kleben hatte, hasste ich, und auch die Gäste, die bedient werden wollten. Ich wollte selbst bedient werden.

Nicht dass Maria nicht kochte, sie bemühte sich sogar sehr, meist sogar zwei Mal am Tag. Sie war der Meinung, eine Frau müsse kochen und das halbwegs gesund. Es amüsierte mich, wie sie am Herd stand und die Zutaten wahllos in die Pfanne oder in den Kochtopf warf und dabei zu lauter Musik tanzte, um abschließend das Ergebnis auf die Teller zu klatschen. Meine älteste Schwester betitelte Marias Kochart und -weise als lieblos, ich aber nannte das Ganze schwunghaft. Und mit dem gleichen rasanten Schwung fuhr sie Auto.

Maria konnte mit hundertachtzig Stundenkilometern auf der Autobahn fahren und außerdem mit der rechten Hand auf die Rückbank greifen, um unserem Sohn den Schnuller wieder in den Mund zu stecken. Es war das reinste Vergnügen ihr zuzusehen, ich saß auf dem Beifahrersitz und genoss jede Minute. Wie sie überholte, eine Linkskurve rechts ausfuhr, sicher und schnell einparkte! Sie machte jedem Auto Ehre.

Begrüßung der Gemeinde

Erst jetzt begrüßt der Priester im Namen Christi die versammelte Gemeinde: »Der Herr sei mit euch.« Die Gemeinde antwortet mit: »Und mit deinem Geiste.« Diese Begrüßung ist ein Segenswunsch von Gott her: Er ruft sein Volk zur Eucharistie zusammen.

Als nach ein paar Wochen die Ratio bei mir wieder einkehrte und ich schön langsam einige von Marias Schwächen erkannte, war es schon zu spät: Ich wollte auf Marias schwungvolle Koch- und Autofahrkünste nicht mehr verzichten, lieber nahm ich ihre Schwächen in Kauf. Marias größtes Manko bestand darin, dass sie aus einer sehr religiösen und konservativen Familie kam und eben diese religiösen Wurzeln nicht abstreifen konnte. Sie wollte zwar auch in dieser Hinsicht modern sein, nannte ihren Glauben zum Beispiel »Spiritualität«, was die Sache für mich aber noch schlimmer machte, und ging im Minirock in die Messe. Anfangs ging ich einige Male mit. Ich saß die ganze Stunde neben ihr, beobachtete die Menschen um mich herum und atmete Marias Duft ein. Später begleitete ich sie nicht mehr, es langweilte mich, ich verstand nichts von dem, was da vorne vor sich ging, ich wusste nicht, welche Sprüche man zu welchem Zeitpunkt aufsagen musste, wann man stand, saß oder kniete und warum. Ich war als Kind kaum in die Kirche gegangen, meine Eltern waren erklärte Kirchengegner.

Außerdem ging sie oft mit Socken ins Bett.

Bußakt

»Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe – ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken – durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld.« Bevor wir die heilige Eucharistie feiern, ist es notwendig, dass wir Gott um Verzeihung bitten, weil wir Böses getan oder Gutes unterlassen haben.

Schon nach einem halben Jahr wurde Maria schwanger. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, wir hätten noch länger Zeit nur für uns beide gehabt, aber ich war auch nicht sonderlich traurig oder wütend oder enttäuscht darüber, bald Vater zu werden. Einer meiner ersten Gedanken war: Das Risiko, dass sie dich verlässt, ist mit einem Kind geringer als ohne. Von ihr verlassen zu werden, wäre das Schlimmste für mich gewesen.

Einige Freunde gaben mir zu verstehen, sie habe mir ein Kind angehängt, aber darüber konnte ich nur lachen. Jeder Mann, der sich ein Kind anhängen lässt, ist ein Vollidiot! Man(n) merkt in jeder Beziehung schon nach ein paar Wochen, ob eine Frau nur einen Mann will oder sich sehnlichst ein Kind wünscht beziehungsweise eine komplette Familie, mit Haus, Miele-Waschmaschine, Mikrowelle, Garten, zwei oder drei süßen Nachkommen, Familienwagen und Ernährer, der das Geld nach Hause bringt. Falls diese weiblichen Sehnsüchte vom Mann nicht erkannt oder richtig gedeutet werden, dann ist er entweder minderbemittelt oder er versteht nichts von Frauen – in beiden Fällen ein Vollidiot. Davon gibt es leider noch viele unter uns, sie sind eine Beleidigung für unser starkes Geschlecht. Mein Mitleid haben sie nicht, wenn sie anschließend bei den Sonntagsfamilienspaziergängen jammern: »Wo ist meine Freiheit hin?« Seit Jahrhunderten glauben die Männer, die Verhütung sei Frauensache und somit in sicheren Händen. Das zeugt nicht von hoher Intelligenz. Falls ein Kinderwunsch bei der Freundin besteht, man(n) ihn aber selber noch nicht verspürt, heißt es eben Vorsorge treffen, indem die Verhütung in die eigenen verlässlichen, männlichen Hände genommen wird.

Kyrie, Gloria und Tagesgebet

»Herr, erbarme dich. Christus, erbarme dich. Herr, erbarme dich.« Hier soll besonders der Lobpreis Christi zum Ausdruck kommen, weil er sich unser erbarmt hat. »Ehre sei Gott in der Höhe!« In diesem Gebet danken wir Gott nicht für das, was er uns gegeben hat, sondern dass er ist. Das Tagesgebet gehört zum Höhepunkt der Eröffnungsriten. Der Priester fasst damit die Gebete aller zusammen und bringt es durch den Sohn im Heiligen Geist vor Gott.

Ich spürte bei Maria schon nach drei Wochen den Kinderwunsch. Es war die Art, wie sie in einem Kaffeehaus ein Baby ansah, das am Nebentisch von der Mutter auf dem Schoß gehalten wurde und uns mit einem zahnlosen Grinsen bedachte. Marias vor Liebe und Sehnsucht überschäumenden Blick konnte ich lange nicht vergessen, hätte sie mir diesen Blick geschenkt, ich wäre auf der Stelle tot umgefallen. Würden Frauen ihre Männer manchmal so ansehen, gäbe es keinen Geschlechterkampf mehr. Aber ich wusste, Frauen können nur kleine Kinder derart ansehen, niemals einen Mann. Zweitens wusste ich, dass in Maria der Kinderwunsch bereits vorhanden war, und zwar auffällig. Trotz dieses Wissens beließ ich die Verhütung in ihren weiblichen, unzuverlässigen Händen. Als sie dann schwanger war, lachten wir beide – wohlwissend – über unseren »Unfall«.

Maria zog bei mir ein, das heißt, wir holten endlich all ihre Sachen aus ihrem Zimmer in der Wohngemeinschaft, denn geschlafen hatte sie nur noch bei mir. Sie begann, die Wohnung nach ihrem Geschmack umzugestalten und ich ließ ihr freie Hand, auch was mein Konto betraf.

Bei der Geburt war ich dabei, wir wollten das beide so. Es verlief alles ohne Schwierigkeiten, und Maria war sehr tapfer. Es war der glücklichste Moment in meinem bisherigen Leben, als ich unser Baby in den Armen hielt. So etwas ist schnell behauptet, aber es war wirklich der glücklichste Moment in meinem bisherigen Leben, es war umwerfend, berauschend, faszinierend, wunderschön, dieses winzige Lebewesen voller Käseschmiere im Arm zu halten, seine Grimassen zu sehen und zu wissen: Das ist mein Sohn, mein Sohn, mein Sohn!

WORTGOTTESDIENST

Lesung, Zwischengesang, Lesung, Halleluja

»Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.«

Unser Gespräch mit Gott ist in erster Linie ein Antworten auf sein Wort hin. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass wir ihn zu Wort kommen lassen und ihn nicht mit unseren eigenen Ideen und Gedanken übertönen, sodass er uns gar nicht mehr sagen kann, was er will.

Bei der Taufe trafen sich unsere Familien das erste Mal, es war ein Fiasko, ein köstliches Fiasko, ich amüsierte mich zunächst prächtig. Die zwei Familien taxierten sich gegenseitig während der Messe und vor allem während des Essens im Gasthof, das Ergebnis fiel wahrscheinlich auf beiden Seiten kläglich aus, ich hörte sie schon alle auf der Rückfahrt in den Autos lästern. Allein die unterschiedliche Kleidung der so verschiedenen Familien! Die eine Seite der Tafel war trachtig besetzt, auf der anderen Seite der Tafel waren der Tigermantel meiner Mutter und die Cowboystiefel meiner jüngsten Schwester nur zwei der Highlights. Erst als ich Marias leidendes Gesicht sah, begann ich mitzuleiden.

Ich hatte drei Schwestern, Maria drei Brüder, ich war der Vorletzte, sie die Jüngste. Marias Familie erkannte in meiner sofort die Heiden. Die Blicke von Marias Mutter an mich, meine Familie und die Tochter waren nicht nur vorwurfsvoll, sie sollten auch Schuldgefühle erzeugen: »Was tut ihr mir an! Es ist nicht recht, unverheiratet zusammenzuleben, noch dazu mit einem Kind!«, seufzte sie zwischen Kürbiscremesuppe und Hirschragout. Die einzige Tochter, diese kostbare Unterstützung im Alter, so weit weg vom Heimatort, an einen Heiden verschwendet! Sie bestand auf ein Tischgebet, was meine Familie geduldig und augenrollend über sich ergehen ließ. »Wo würden wir hinkommen, wenn wir unserem Herrgott nicht mehr für die Speisen danken würden?«, sagte sie nach dem Gebet, bedachte mich und meine Familie mit einem rügenden Blick und nahm den Löffel.

Meine Mutter zog mich kurz beiseite: »Hättest du dir eventuell eine Freundin suchen können, deren Familie uns nicht wie Menschen zweiter Klasse behandelt?« Mein Vater stieß mir jovial in die Rippen: »Ist sie wenigstens gut im Bett?« Meine Schwestern flüsterten mir zu: »Wo hast du denn die Knierutscherin her, Bruderherz?« Sie gingen mir auf die Nerven.

Unser Sohn wurde auf den Namen Nicolas getauft, Noah und Elias waren Marias Favoriten, das konnte ich aber noch abwenden. Marias Mutter schenkte dem kleinen Nicolas einen Weihwasserbehälter, den ich in seinem Zimmer aufzuhängen hatte, und einen Rosenkranz, mit dem wir für ihn beten sollten. Als Nicolas ein Jahr alt war, gab ich ihm einmal diesen Rosenkranz zum spielen, er hätte sich fast erwürgt damit.

Evangelium

»Aus dem heiligen Evangelium nach …«

Das Wort Evangelium heißt auf Deutsch Frohbotschaft. Jesu Botschaft ist Evangelium, weil sie den Schlüssel zur wahren Freude beinhaltet. Die Wahrheit ist dem Menschen nicht allzeit bequem, aber nur die Wahrheit macht frei und nur die Freiheit froh.

Ich vergaß das Trauma der Taufe sehr schnell und genoss mein Leben mit Maria und Nicolas. Meine Arbeit machte mir Spaß, meine Familie machte mich glücklich, wir waren eine richtige Bilderbuchfamilie. Ich sorgte finanziell für uns drei und Maria versorgte Kind und Haushalt, an den Wochenenden fuhren wir oft weg oder machten es uns zu Hause mit ein paar Freunden oder alleine gemütlich. Ich zahlte alle Rechnungen und überwies jeden Monat ein sehr stattliches Haushaltsgeld auf ihr Konto, ich halte nichts davon, beim Haushaltsgeld zu sparen. Maria konnte sich wöchentlich eine Putzfrau leisten, ab und zu eine Babysitterin, damit sie zum Friseur oder zur Kosmetikerin oder in Ruhe shoppen gehen konnte, ein Mal in der Woche gingen wir gemeinsam aus. Sie sollte es gut haben, ich wollte nicht, dass sie eine frustrierte Hausfrau wird. Lange Arme vom Einkaufstaschen- und Kindschleppen, vergrämtes Gesicht, schlechte Haltung und Spülhände, ungepflegt und unzufrieden. Eine, die ihre Familie im Grunde hasst, weil sie ständig unentgeltlich deren Dreck wegputzen muss und die keine Gelegenheit auslässt, über ihren Mann schlecht zu reden. Ich bin mit drei Schwestern aufgewachsen und habe jeden Tag erlebt, welche Erwartungen und Wünsche junge Frauen haben, wie sie denken und fühlen. Ich weiß, wie sie sind, wenn sie ihre Tage haben, ich weiß, dass sie gerne verwöhnt werden und ich weiß, wie ein Mann zu sein hat.

Meine älteste Schwester zum Beispiel. Sie hatte sich einen um drei Jahre jüngeren Adonis geangelt, um den sie von allen ihren Freundinnen beneidet wurde. Als sich endgültig herausstellte, dass er zwar schön, aber faul war und eine Familie nie würde ernähren können und wollen, waren sie bereits verheiratet und hatten ein Kind. Mittlerweile haben sie zwei Kinder, sie muss halbtags arbeiten gehen und sieht zehn Jahre älter aus. Am Telefon jammert sie ständig über ihn, der Idiot bringt kein Geld nach Hause und spielt dann noch den Pascha!

Solche Männer konnte ich nie verstehen, wir wollen doch geliebt, angebetet, bewundert werden, das kostet eben etwas.

Predigt

Die Predigt gehört zu den ältesten Teilen des Wortgottesdienstes und war vornehmlich dem Bischof vorbehalten, später seinen Stellvertretern in den Pfarreien, den Priestern. Durch die Predigt sollte das gehörte Wort in der jeweiligen Zeit aktualisiert werden, damit das Wort Gottes nicht nur ein schöner und erbaulicher Text bleibt, sondern damit es gelebt wird.

Da Marias Bedürfnis, ihre Familie zu sehen, größer war als mein Bedürfnis, meine zu sehen, fuhren wir alle zwei Monate zu ihren Eltern und alle vier Monate in meinen Heimatort. Ich war jedes Mal froh, wenn ich beide Varianten überstanden hatte, Maria war jedes Mal bedrückt.

In Marias Elternhaus durften wir als Unverheiratete natürlich nicht in einem Zimmer schlafen. In der Nacht schlich ich mich manchmal in ihr Zimmer und legte mich zu ihr ins Bett. Ich wollte mit ihr schlafen, doch sie wehrte immer ab: Sie könne einfach nicht, hier in ihrem Elternhaus. Sie hatte recht, besonders motivierend war das riesige Ölbild über dem Bett mit dem sitzenden Jesus als Schafhirte sowieso nicht. Ich zog mich wieder in mein Zimmer zurück, in dem die Mutter Gottes und das kleine Jesuskindlein über dem Bett mich rügend ansahen.

Was in ihrem Elternhaus am meisten fürchtete, waren die vier Mahlzeiten. Das intakte Familienleben, das von Marias Familie dabei demonstriert wurde, bescherte mir immer Kopfschmerzen. Die Kinder lärmten, Marias Schwägerinnen diskutierten über eine schlampige Frauensperson im Dorf, die ihren Mann mit Fertiggerichten in den Selbstmord getrieben hatte, die Brüder redeten von Traktoren, die Mutter erzählte von der Messe, der Vater döste. Vorher und nachher lange Gebete, die ich immer noch nicht beherrschte, dazwischen die frisch gemachten Knödel. Ich wünschte mich sehnlichst auf meine Couch vor dem Fernseher, mitsamt Formel 1, Bier, Pizza und viel Ruhe.

In meinem Elternhaus durften wir in einem Zimmer schlafen, das Zimmer war jedoch nie sauber, die Betten nie frisch bezogen. Meine Mutter schrieb Emanzipation groß und hielt nichts vom Haushaltführen. Da Maria sich ekelte, putzte ich jedes Mal das Zimmer und überzog die Betten neu.

In meiner Familie wurde kein Familienleben demonstriert, da ganz einfach keines mehr vorhanden war, es war schon vor vielen Jahren vom Geschäftsleben abgelöst worden, als ich und meine Schwestern noch Jugendliche gewesen waren. Mittlerweile besaßen meine Eltern drei Restaurants und die Mahlzeiten wurden abwechselnd in einem davon eingenommen, dabei wurde nur über Angestellte, Steuern, Gäste, Ausgaben gejammert. Vorher und nachher Alkohol, der mir nicht schmeckte, dazwischen blutiges Fleisch. Ich wünschte mich sehnlichst auf meine Couch vor dem Fernseher, mitsamt Formel 1, Bier, Pizza und viel Ruhe.

Manchmal besuchten uns Marias Eltern oder Brüder, manchmal kamen meine Eltern oder Schwestern, jedoch kamen die beiden Familien nie gleichzeitig. Jedes Mal, bevor Marias Eltern kamen, füllte Maria den ständig leeren Weihwasserbehälter in Nicolas’ Zimmer mit Wasser, immer, wenn meine Familie ihren Besuch ankündigte, entfernte ich das Ding.

Credo – Glaubensbekenntnis

»Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer …«

Katholischer Glaube bedeutet nicht, dass jeder glaubt, was er will, sondern dass man ein gemeinsames Fundament hat. Im Glaubensbekenntnis stehen wir mit Freude zu unserem Glauben, denn hier bekennen wir, warum wir zu uns selbst stehen dürfen: Weil Gott zu uns steht.

Es hatte ja früher oder später kommen müssen, Maria wollte heiraten, nicht nur standesamtlich, sondern auch kirchlich mit dem ganzen Tamtam. Ich wollte nicht heiraten, weder standesamtlich noch kirchlich, es erschien mir einfach nicht nötig, ich wusste allerdings – im Gegensatz zum Kinderwunsch – diesmal nicht, wie ich mit Marias Wunsch umgehen sollte. Rigoros ablehnen und somit den Druck, den ihre Familie ausübte, ganz allein ihr überlassen? Aber nicht nur das Gespenst »Heirat« geisterte von nun an durch Wohnung und Beziehung, sondern auch das Gespenst »Spiritualität«. Maria fuhr immer öfter alleine zu ihren Eltern und kam jedes Mal bedrückter zurück. Sie wollte mit mir und Nicolas beten, in die Kirche gehen, ein Kreuz in der Küche aufhängen. Eines Abends holte sie ihre Bibel und begann, mir ihren Lieblingspsalm vorzulesen, immerhin war sie nackt dabei: »Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Er stillt mein Verlangen …« An dieser Stelle begann ich, an ihrem Busen zu saugen und sie war total sauer.

Fürbitten

In den Fürbitten, welche Gebete des Volkes sind, beten wir für die Kirche, für die Anliegen in aller Welt und auch für unsere eigenen Nöte und Sorgen. Sie sind kein Akt der Anbetung oder der Danksagung, sondern Flehbitten, in denen unsere Sorgen und Ängste ihren Platz auch im Gottesdienst haben.

Um das Gespenst »Spiritualität« zu vertreiben beziehungsweise zu besänftigen, ließ ich mich zur Hochzeit überreden und wir begannen die Planung dieses großartigen Ereignisses, Maria begeistert, ich widerwillig. Maria wollte ein großes kirchliches Fest mit mehr als hundert Gästen und stürzte sich mit Energie in die Vorbereitungen, mir überließ sie die Organisation der kleinen standesamtlichen Feier, die einen Tag danach stattfinden sollte.

Eine Woche vor dem Fest schleppte Maria mich zum Priester, den sie für die Trauung ausgesucht hatte, um mich in die Messgestaltung miteinzubeziehen, worauf ich ebenso gut hätte verzichten können. Der Priester war klein, hatte ein weichliches Gesicht und bewegte sich weibisch; schwul oder pädophil, war mein erster Gedanke, zur Tarnung hatte er sich einen Vollbart wachsen lassen. Er zog ein Formular aus seinem Schreibtisch und klärte uns darüber auf, dass er ein Eheprotokoll aufnehmen müsse, das sei Pflicht, wir hätten deshalb schon viel früher kommen müssen. Er fragte nach Namen, Adresse, Berufen und blätterte um.

Und dann passierte es, meine Vergangenheit schwebte in Form eines kleinen rachsüchtigen Engels über mir und lachte mich aus. Der Priester fragte uns, ob einer von uns bereits einmal standesamtlich verheiratet und aus der Kirche ausgetreten gewesen sei. Bei mir war beides der Fall, beides hatte Maria von Anfang an gewusst, ich war schon fast ein Jahrzehnt geschieden und wieder zahlendes Mitglied im Verein, es war nie Thema in unserer Beziehung geworden. Ich wollte beinahe lügen, tat es aber doch nicht, ich ahnte nicht die Folgen. Der Priester fragte nach Datum des Austritts und der standesamtlichen Trauung, es war kurz hintereinander gewesen, und sagte nur: »Dann haben wir ein Problem.«

Das hatten wir tatsächlich. Nicht nur eines, es war der Anfang einer Kette von Problemen.

EUCHARISTIEFEIER

Gabenbereitung

Brot und Wein werden auf dem Altar dargebracht. Nicht Menschenwort, sondern Gottes Kraft allein ist imstande, dieses Brot und diesen Wein zum Leib und Blut Christi werden zu lassen. Jedes Mal, wenn die heilige Eucharistie gefeiert wird, begeht man ein Freudenmahl und ein Opfer zugleich. Der Priester hebt die Hostienschale hoch und mischt Wasser mit Wein.

Wir erfuhren vom Priester von einem Kirchengesetz, das es seit Ende der achtziger Jahre gab: Wenn ein aus der Kirche Ausgetretener standesamtlich heiratet, gilt das wie eine kirchliche Hochzeit, was bedeutet, er darf nicht mehr kirchlich heiraten. Punktum, das war es, wir durften nicht kirchlich heiraten, hatten schon hundertzwanzig Leute eingeladen, Kleid und Anzug gekauft, den Saal gemietet, das Buffet bestellt. »Wir können eine Segensfeier machen«, sagte der Priester beruhigend beim Abschied. Im Auto bekam Maria einen Weinkrampf. Ihre Familie und Verwandten würden eine Segensfeier nie akzeptieren, das war absolut keine richtige Vermählung vor Gott. Meine würde den Unterschied wahrscheinlich gar nicht bemerken, dachte ich.

Es begann eine Horrorwoche für uns beide. Wir gingen zu einem Obersten der Oberen im Diözesangericht für Eheangelegenheiten und bekamen die Erlaubnis nicht, schweren Herzens, wie der alte Herr sich ausdrückte, er könne exkommuniziert werden. Ich müsse um Annullierung meiner ersten Ehe beim Diözesangericht ansuchen, es würde dann ein Verfahren eingeleitet, Akte samt Beweismaterial nach Rom geschickt, wo der Heilige Vater die Ehe annullieren könne, das würde ungefähr ein Jahr dauern. Es blieb also vorerst bei der Segensfeier, wir überlegten, sie abzusagen, was aber angesichts der kurzen Zeit nicht möglich war. Vorher mussten wir zu Marias Eltern fahren und sie auf die Segensfeier vorbereiten, sie wären sonst bei derselben ohnmächtig geworden. Die Familie war schlichtweg entsetzt, die Mutter fasste nach dem Rosenkranz, schließlich verzieh sie mir unter Tränen. Tochter und Mutter fielen sich weinend in die Arme.

Die Segensfeier in der Kirche war eine einzige peinliche Farce, das Einzige, was mich rührte, war Marias blasses Gesicht, die Feier im Gasthof war trostlos. Am nächsten Tag war Maria schwer krank, wir mussten die standesamtliche Trauung absagen.

Schon vier Tage nach der Segensfeier fand ich mich beim Diözesangericht ein, um vernommen zu werden. Ich saß einer Kommission bestehend aus Richter, Prälat, Ehebandsverteidiger und Schriftführerin gegenüber und musste auf Fragen bezüglich meiner ersten Ehe antworten. Das Ziel dabei war, Argumente für eine Annullierung zu finden.

Händewaschen

Der Ritus der Händewaschung soll das Unwürdigsein des Menschen ausdrücken. Der Priester bittet, dass er würdig wird, die Geheimnisse zu vollziehen. Er wäscht seine Hände, was einer inneren Reinigung entspricht.

Zu meinem neunzehnten Geburtstag schenkte mir mein Vater einen Golf, weil er sich für seinen Sohn schämte, der mit einem klapprigen Opel Astra unterwegs war. Mit dem Opel Astra fuhr ich in den Stadthafen, um ihn an russische oder ukrainische Matrosen zu verkaufen, wie das alle meine Freunde mit ihren ausgedienten Fahrzeugen machten. Ich hatte Glück, es waren drei Schiffe aus Ismajil da, der Opel war schnell verkauft. Als alle drei Matrosen um mein altes Auto herummarschierten, nach Rost suchend, sah ich Ludmilla das erste Mal. Sie trug einen Mantel mit Pelzkragen und hatte feuerrote lange Haare und ein reifes Gesicht. Sie gefiel mir wahnsinnig gut. Am Abend brachte ich den Typenschein mit der Abmeldung in den Stadthafen und überreichte ihn dem Käufer. Ludmilla kam zu mir und sprach mich auf Englisch an, wir gingen spazieren, dann auf einen Kaffee und schließlich landeten wir auf der Rückbank meines neuen Golfes. Sie war zwölf Jahre älter als ich und sehr erfahren, trotz der Kälte und Enge war unser Sex einfach unglaublich! Drei Minuten nachdem sie sich angezogen hatte und losgelaufen war, um mit ihrem Schiff abzufahren, kam sie wieder zu mir zurück: Es war ohne sie abgefahren!

Ich nahm Ludmilla mit in mein Zimmer. Wir trieben es drei Mal am Tag – ich war damals Student –, zwei Mal in der Nacht, bis uns meine Mutter nach einer Woche hinauswarf. Bis ich eine Wohnung für uns gefunden hatte, kamen wir bei einem Freund unter.

Gabengebet

Das Gabengebet will nicht, wie oft gemeint wird, die materiellen Gaben von Brot und Wein vorweihen. Das Gabengebet ist vielmehr eine Bitte um Annahme der Gaben. Wir sollen auch unser eigenes Herz auf den Altar legen und Gott bitten, dass er es verwandle.

Ich wollte Ludmilla bei den Behörden anmelden, ein Visum beantragen und wurde darüber informiert, dass ihr aufgrund der illegalen Einreise die Abschiebung drohte. Ich wollte Ludmilla auf keinen Fall verlieren, ich war heftig in sie und ihren Körper verliebt und schlug ihr vor zu heiraten. Sie willigte ein, ließ sich ihre Papiere aus der Ukraine schicken und wir heirateten. Ludmilla erhielt Visum und Arbeitsgenehmigung, fand aber keine Arbeit. Ich schmiss mein Studium und begann, als Kellner zu arbeiten, ab und zu verkauften wir alte Autos am Hafen. Dabei legte ich den Grundstein für meinen späteren Beruf als Mercedesverkäufer. Zwei Jahre später ließ ich mich scheiden, nachdem ich herausgefunden hatte, dass sie untertags, während ich in der Arbeit war, Kunden in unserer Wohnung bediente.

Die Vernehmung dauerte fünf Stunden, ich musste an die dreißig Fragen über Anfang, Verlauf, Ende der Beziehung, Charakter und Religionsbekenntnis der Exfrau, Verhalten der Eltern, Geschwister und Freunde uns gegenüber und vieles mehr detailliert beantworten. Die letzte Frage des Richters lautete: »Wurde die Ehe vollzogen?« Ich fragte ihn, ob er bis jetzt geschlafen habe, er reagierte beleidigt. Abschließend musste ich vor einem kleinen Altar und vor Gott bei brennenden Kerzen beeiden, die Wahrheit gesagt zu haben.

Hochgebet

Das Hochgebet beginnt mit der Präfation, dem großen Dankgebet: »Der Herr sei mit euch«, und endet mit der sogenannten Doxologie, mit dem bekennenden Amen der Gläubigen vor dem Vaterunser.

Maria ging es nicht besonders gut zu dieser Zeit, ich wollte sie aufmuntern, schenkte ihr Schmuck und ein Negligé, lud sie zum Essen, ins Casino, in ein Konzert ein. Nichts half, Maria sprach nur von »Spiritualität« und dass sie nicht länger mit mir in Sünde leben könne. Ich merkte, dass sie sich immer mehr von mir abwandte, dass ich sie langsam verlor, und das machte mich rasend vor Wut.

Nach zwei Wochen rief der Richter an: Ob ich zu einer Gegenüberstellung kommen könne, man habe meine Exfrau ausfindig gemacht. Als ich den Gerichtsraum betrat und Ludmilla entdeckte, sie war vorher drei Stunden lang vernommen worden, traute ich meinen Augen nicht. Sie war alt und fett geworden, richtig fett, sicher an die hundert Kilo. Ich sah sofort, dass sie immer noch als Prostituierte arbeitete.

Uns wurden verschiedene Fragen gestellt, die unsere Ehe betrafen. Ludmilla stritt alle meine Beschuldigungen ab und stellte selbst welche auf: »Ich habe nicht absichtlich mein Schiff verpasst, sondern er hat mich daran gehindert, es rechtzeitig zu erreichen!«, sagte sie mit ihrem russischen Akzent, ich staunte über ihr gutes Deutsch, in der gemeinsamen Zeit hatten wir uns fast nur auf Englisch beziehungsweise mit Händen und Füßen und mehr unterhalten. »Er hat mir verboten, meiner Tochter in der Ukraine Geld zu schicken, ich musste ihm immer alles Geld geben!« Ich wusste gar nicht, dass sie eine Tochter hatte. Außerdem habe sie nie Freier in der Wohnung empfangen, sondern Patienten, sie sei immerhin gelernte Heilmasseurin. Das ging fast zwei Stunden so dahin, der Ehebandsverteidiger hatte eine Menge zu notieren, der Prälat meinte, in solch einem schwierigen Fall würde es sehr schwer sein, eine Annullierung im Vatikan zu erreichen. Da platzte mir der Kragen.

Vaterunser

»Vater unser im Himmel, geheiliget werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Amen.«

Ich stand auf und schrie alle an, was für ein lächerliches Theater das denn hier wäre, ich warf den kleinen Altar mit Kerzen und Bibel um und marschierte zu Ludmilla. Ich ließ meine Hose und Unterhose hinunter, holte meinen Penis heraus und hielt ihn ihr vor die Nase: »Gelernte Heilmasseurin! So haben deine Patienten ausgesehen!« Ich sah alle an. »Gefällt euch das?« Ich umfasste meinen Penis mit der rechten Hand und tanzte onanierend im Gerichtsraum herum. Zu einem Orgasmus kam es allerdings nicht – ich hätte sowieso nicht gekonnt –, da mich Richter, Prälat und Ehebandsverteidiger ziemlich heftig aufforderten, zu gehen.

Ritus des Friedens

Der Priester fordert die Gläubigen auf: »Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung.« Der Friedensgruß ist eine unmittelbare Vorbereitung zur Kommunion, denn Christus sagt uns, dass wir zuerst Frieden schließen sollten, bevor wir zum Altar treten.

Ich hatte es natürlich vermasselt, im Diözesangericht war man nicht mehr bereit, mir zu helfen, man betrachtete den Fall als abgeschlossen. Maria erzählte ich wochenlang nichts davon, sie glaubte, das Bittgesuch wäre auf dem Weg in den Vatikan, bis sie den Richter anrief, um zu fragen, wie lange es noch dauern würde. Sie kam zu mir ins Büro, zitternd vor Zorn und schlug mich fest ins Gesicht. Da wusste ich, dass es nur eine einzige Lösung gab.

Nach Dienstschluss lieh ich mir vom Geschäft einen Vorführwagen aus und fuhr zwei Stunden bis in die Stadt, an deren Rand Ludmilla wohnte, ich hatte mir ihre Adresse gemerkt, als sie bei der Gegenüberstellung verlesen wurde. Es war bereits stockdunkel, als sie endlich mit einem Mann aus dem Haus trat, die beiden stritten eine Weile, dann stieg der Mann in ein Auto und fuhr weg. Sie watschelte am Gehsteig dahin, die Straße war völlig leer. Sie stieg vom Gehsteig hinunter und setzte an, die Straße zu überqueren, ich gab Gas und schoss auf sie zu. Ich hörte ein dumpfes Geräusch und brauste davon. Sie hat sicher nichts gespürt.

Agnus Dei – Lamm Gottes und Brechen des Brotes

Während alle Anwesenden beten »Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden der Welt«, bricht der Priester die Hostie. Symbolisch kann man diesen Ritus so verstehen: Das eine Brot, welches Christus ist, wird mit den Vielen geteilt, damit sie der eine Leib Christi werden.

Ich kam spät in der Nacht nach Hause, Maria und Nicolas waren nicht da. Am nächsten Morgen fuhr ich sofort in ihr Heimatdorf. Ich fand Maria in der Küche, wo sie ihrer Mutter beim Kochen half, sie war so wunderschön, Nicolas streckte mir seine Arme entgegen. Mein Herz tat mir weh. Der älteste Bruder verstellte mir den Weg und legte mir nahe zu gehen, ich weigerte mich. »Ich möchte mit dir reden, Maria«, flehte ich, »geh mit mir nach draußen.« Ihre Mutter und ihr Bruder sagten, dass sie nicht mit mir sprechen wolle, und ein Streit begann. Der Bruder provozierte mich, und als die Worte »degenerierter Prolet« fielen, rastete ich aus. Ich nannte ihn einen »hostienfressenden Knödelsack« und schlug ihm mehrmals mit der Faust ins Gesicht und in die Magengrube, woraufhin er anstandslos in die Knie ging. Der schreienden Mutter fegte ich sämtliche soeben geformten Knödel vom Tisch, den letzten schmiss ich ihr an die Stirn.

Vorbereitungsgebet zur Kommunion

Nun knien alle nieder zum Zeichen, dass man eigentlich unwürdig ist, die Heilige Kommunion zu empfangen, und beten nach dem Bekenntnis des Priesters: »Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.«

Maria kam dann doch noch einmal mit Nicolas in unsere Wohnung zurück und blieb zwei Wochen. Dass ich mittlerweile Witwer war, da Ludmilla von einem Geisterfahrer getötet worden war und ich nun kirchlich heiraten durfte, interessierte sie nicht mehr, es war kein Gesprächsthema mehr für sie.

Eines Abends saßen wir gemeinsam am Balkon, es war so ein schöner lauer kitschiger Sommerabend, wie man ihn aus Filmen kennt. Nicolas schlief bereits. Maria starrte gedankenversunken in die Ferne und ich erkannte, dass es zu Ende war. Diese wundervollen gemeinsamen Jahre mit Maria und Nicolas waren zu Ende. Sie sprach es dann auch aus. Sie wolle nach Hause zurück, sie könne so nicht mehr mit mir leben. Sie wolle später einmal einen religiösen Mann heiraten, betonte sie. Ich spürte nicht einmal Wut in mir aufsteigen, es war das unvermeidliche Resultat der letzten Wochen.

Kommunionempfang

Der Priester überreicht die Hostie mit den Worten: »Der Leib Christi.« Der Gläubige antwortet: »Amen.« Er sollte außerdem die Ehrfurcht vor oder nach dem Empfang der heiligen Kommunion durch eine Kniebeuge ausdrücken.

»Warum hast du dich in mich verliebt? Warum haben wir ein Kind?«, musste ich sie fragen.

Maria schwieg eine Weile. »Du warst so – so potent«, sagte sie schließlich.

Potent fängt auch mit »P« an, so wie Prolet, ein potenter Prolet, mehr fiel mir dazu nicht ein.

»Potent in jeder Hinsicht«, sagte sie weiter, »du hast einfach Selbstbewusstsein ausgestrahlt. Ein sicherer Job, Eigentumswohnung, ein schönes Auto, genug Geld für ein angenehmes Leben. Du hast irgendwie gewusst, was läuft und wo es langgeht im Leben, weißt du, was ich meine?«

Ja, ich weiß, was du meinst. Ich habe dich von Anfang an zu sehr verwöhnt, du undankbares Luder, nein, du wunderbare Prinzessin. Der Prolet und die Prinzessin, fiel mir jetzt ein und ich musste beinahe grinsen.

»War ich später nicht mehr potent?«

»Doch, aber ich habe gemerkt, dass das nicht alles ist. Mir hat was gefehlt in unserem angenehmen Leben, ich hab lange nicht gewusst was, ich war einfach nur unglücklich.«

Sie schwieg eine Weile. Ich wusste, sie würde »Spiritualität fehlte mir« sagen, und sie tat es auch.

Maria trennte sich von mir und zog mit Nicolas in ihr Elternhaus zurück. Drei Monate später hatte sie einen neuen Freund, es war der Volksschullehrer des Dorfes, der aus dem Nachbarort stammte. Sie gingen regelmäßig mit meinem Sohn in die Kirche und bauten gemeinsam ein Haus.

Ich litt. Und wie ich litt. Ich ließ es mir nicht anmerken, ich ging weiterhin zur Arbeit und zwang mich, nicht zu versumpfen. Ich vermisste die beiden wahnsinnig.

Danksagung

Stille – um bei Gott zu verweilen. Der Gläubige sitzt still in seiner Bank und spürt im Gebet die Anwesenheit Christi.

Und jetzt liege ich frierend im Gestrüpp am Waldesrand oberhalb ihres Elternhauses und murmle den Ablauf der Messe vor mich hin. Ich habe Marias Tagesablauf in den letzten zwei Wochen genau studiert und bin ihr überallhin nachgefahren, um ihre Wege zu kennen. Ich kann nicht zulassen, dass aus meinem Sohn ein Knierutscher gemacht wird, das muss ich verhindern.

Jeden Dienstagabend hat Maria Bibelrunde im Nachbarort. Ich fahre ihr nach, und während sie im Haus ist, schleiche ich mich an ihr Auto heran, öffne die Tür mit einem Draht und lockere die Schraube beim Bremspedal so, dass sie ungefähr nach dem zehnten Mal Bremsen herausfallen wird und keine Verbindung mehr zum Gestänge und Bremskraftverstärker besteht.

Zwei Stunden später fährt Maria mit dem Auto los. In der lang gezogenen Kurve im Wald einige Hundert Meter vor ihrem Elternhaus prescht sie von der Straße in den Wald hinein und knallt gegen einen Baum. Ich verstecke mein Auto im Wald und gehe zu ihr, sie ist bereits tot. Mit Handschuhen öffne ich die Tür, schiebe ihre Beine beiseite und befestige die Schraube wieder. Dann küsse ich das letzte Mal ihre Haare, schließe leise die Tür und gehe weg.

Es ist gut, dass Winter ist und der Hof ihrer Eltern ziemlich abgelegen und Maria dafür bekannt, zu schnell zu fahren und sich nie anzuschnallen.

Schlussgebet, Segen und Entlassung

Nachdem wir Christus in der Heiligen Kommunion empfangen und ihm auch etwas Zeit für ein Gespräch geschenkt haben, wird das Schlussgebet gesprochen und um den Segen gebeten: »Es segne euch der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Gehet hin in Frieden.« – »Dank sei Gott dem Herrn.« Der Segen ist ein Zeichen, dass wir in Beziehung mit Gott leben.

Nicolas und ich sitzen auf der Couch und sehen fern: Formel 1. Die Rennautos kreischen und quietschen um die Kurve, schneiden sich gegenseitig und zwei überschlagen sich. Nicolas ist begeistert, er holt seine kleinen Rennautos und macht das Ganze nach, die Dinger fliegen durch das Wohnzimmer, ich lache. Zu Mittag essen wir bei McDonald’s, Nicolas bekommt seine gewünschte Cola, er mampft glücklich vor sich hin.

Ich bin Mercedesverkäufer, auch jetzt noch, nach dieser ganzen tragischen Geschichte, »der arme, kleine, mutterlose Junge«, stand im Ortsblatt. Ich bin ein sehr guter Mercedesverkäufer, ich gewann einmal den Landeswettbewerb »Der beste Autoverkäufer«, ich kann eben nicht nur Frauen gut einschätzen, sondern auch meine Kunden. Ich verdiene ganz passabel, bin nicht reich, aber kann mir ein angenehmes Leben leisten und meinem Sohn etwas bieten.

Altarkuss und Auszug

Der Priester küsst den Altar als Zeichen der Verehrung. Dann macht er eine Kniebeuge Richtung Tabernakel zum Bekenntnis, dass hier wirklich Christus allgegenwärtig ist, und geht in die Sakristei.

Nach: Geisser, Martin: Die heilige Messfeier. Eine Hilfe zum besseren Verständnis. Fribourg: Kanisius Verlag, 1999.