Zutritt verboten – aber nicht für alle

Wer das Passwort kennt, braucht die Schweizergarde nicht zu fürchten. Und findet direkt neben dem Petersdom eine Oase des Friedens

Man kommt nicht hinein? Stimmt nicht ganz: Wer vor zwölf Uhr mittags hier ist, hat am Arco delle Campane (Glockenbogen) gleich links vom Petersdom nicht nur eine gute Chance, sondern sogar das Recht darauf, von den Schweizergardisten in den Vatikan eingelassen zu werden. Er muss nur die richtige Parole kennen; sie lautet »Campo Santo Teutonico«. Noch besser ist es, die Übersetzung »deutscher Friedhof« zu nennen. So weist man sich gleich als deutschsprachiger Mensch aus und genießt damit das Privileg des Zugangs zu jenem Ort, an dem unser Spaziergang über das Gelände des Vatikanstaats beginnen soll.

»Teutones in pace« steht wörtlich am Friedhofseingang geschrieben: »Deutsche ruhen hier in Frieden.« Oder, wie Papst Pius XI. es übersetzte: »Hier geben sogar die Deutschen Ruhe.« Das tun sie dort heute noch, und zwar nicht nur die toten. Der kleine, von einer hohen Mauer umsäumte Friedhof ist eine Oase der Stille geblieben: der ideale Ort, um sich vom Trubel auf dem nicht einmal 200 Meter entfernten Petersplatz zu erholen. Wenn dort allerdings Generalaudienzen oder ähnliche Veranstaltungen stattfinden, bleibt der Zugang zum Campo Santo Teutonico auch deutschen Besuchern verwehrt.

Jederzeit dagegen wird eingelassen, wer Messen oder Andachten in der kleinen Kirche Santa Maria della Pietà besuchen möchte, die ebenso dem Campo Santo Teutonico angeschlossen ist wie das römische Institut für Archäologie und christliche Religionsgeschichte der Görres-Gesellschaft und ein im 19. Jahrhundert gegründetes Seminar für deutschsprachige Priester.

Spitzfindige könnten einwenden, dass dieses Gelände im strengen Sinn gar nicht zum Vatikan gehört. Juristisch gesehen ist das korrekt: Die in den Lateranverträgen ausgehandelten Grenzlinien des Vatikanstaats sparen in der Tat den deutschen Friedhof aus (wie übrigens auch die benachbarte Fläche, auf der die große Audienzhalle steht). Vollends kurios ist der völkerrechtliche Status des Campo Santo Teutonico: Da der Friedhof im 19. Jahrhundert in eine deutsch-österreichische Nationalstiftung des schon damals nur mehr auf dem Papier bestehenden Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation eingebracht wurde, ist sein Staatsoberhaupt, als rechtmäßiger Nachfolger des römisch-deutschen Kaisers und des Kaisers von Österreich, der jeweils amtierende österreichische Bundespräsident.

So weit die Theorie. In der Praxis spielt all das überhaupt keine Rolle, zumal dem Vatikan diese ohnehin innerhalb seiner Mauern liegenden Grundstücke zur ständigen Nutzung zugesprochen wurden und deshalb exterritorialen Status genießen. Wenn deutsche Bischöfe oder Kardinäle am Rand eines besonderen Ereignisses wie einer Heiligsprechung, einer Kirchenversammlung oder einer Papstwahl zu einem Empfang in die Seminarräume des Campo Santo Teutonico bitten, genießen die Eingeladenen ihre Anwesenheit im Vatikan aus dem gleichen Grund wie die Besucher des Deutschen Friedhofs als kleines Privileg.

Wie fast alles hier geht der Sonderstatus des Campo Santo Teutonico (der übrigens allen im deutschen Kulturraum Lebenden wie Österreichern, Südtirolern, Schweizern, Niederländern und Flamen zugute kommt) auf die Besonderheiten der vatikanischen Geschichte zurück.

Auf dem einst zum Zirkus von Caligula und Nero gehörenden Gelände wurde bereits im Jahr 800 anlässlich der Reise Karls des Großen zu seiner Kaiserkrönung die Scola Francorum gegründet, eine Art Hospiz für kranke Pilger aus dem deutschen Kaiserreich, in dessen Nähe dann auch die Toten begraben wurden. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts hat man das im Lauf der Zeit verwahrloste kleine Areal neu aufgebaut. Damals entstand die kleine Kirche Santa Maria della Pietà, ursprünglich ein Renaissancebau, der wie viele andere im 17. Jahrhundert mit barocken Statuen und Deckenfresken ausgeschmückt wurde. Danach allerdings verfi el die Kirche zusehends; erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts machte man sich an ihre Renovierung. Aus dieser Zeit stammen die heutigen farbigen Fenster.

Zu der Zeit, in der Santa Maria della Pietà erbaut wurde, um 1450, gründeten Angehörige der deutschen Gemeinde in Rom die bis heute bestehende Erzbruderschaft, die sich seither als Eigentümer des Deutschen Friedhofs um dessen Betrieb wie um den Erhalt der kleinen Kirche kümmert. Mitglied in diesem Verein können katholische Männer wie Frauen unter 60 Jahren werden. Die Festsetzung dieses Höchstalters hat ihren Grund im Vorrecht der Erzbrüder und -schwestern, unmittelbar in der Nähe der Peterskirche ihre letzte Ruhestätte zu finden: Ganz exklusiv wurde dieses Vorrecht jedoch nicht gehandhabt, weswegen in der Vergangenheit auch in Rom gestorbene Prominente wie beispielsweise der Schriftsteller Stefan Andres hier begraben wurden.

Der Friedhof selbst strahlt, wie gesagt, vor allem Ruhe aus. Wirkliche Sehenswürdigkeiten, im Baedekersinn, gibt es hier nicht zu entdecken, abgesehen vom imposanten Blick auf die Seitenwände der Peterskirche, an denen vorbei der Weg zum Friedhof und zurück führt. Nicht selten ist man als Besucher hier ganz allein zwischen den grünen Büschen und Bäumen, die um die Gräber und entlang der Friedhofsmauer gepflanzt sind.

Gelegentlich taucht der eine oder andere Mitarbeiter einer vatikanischen Behörde auf. Vor allem die Mitglieder der ganz in der Nähe gelegenen Glaubenskongregation schätzen den Campo Santo Teutonico als friedlichen Rückzugsort. Auch der jetzige Papst ist gern hierhergekommen, als er noch deren Leiter war. Jetzt steht ihm für kurze Spaziergänge zwischendurch die Dachterrasse des Papstpalastes zur Verfügung – und natürlich die Gärten des Vatikans.

Schon ärgerlich: Um in diese hinter der Peterskirche zur Kuppe des Vatikanhügels ansteigenden Gärten zu gelangen, hätten wir vom Eingangstor des Campo Santo Teutonico aus nur noch 200 Meter zu gehen, die bewachte Vatikangrenze liegt ohnehin schon hinter uns – und doch bleibt das Gelände jenseits des deutschen Friedhofs für alle, die ohne besondere Einladung und Passierschein bis hierher gekommen sind, eine verbotene Welt.

Was die Gärten betrifft, lässt sich dem aber relativ leicht abhelfen: Man kann sich, nach vorheriger Anmeldung bei den Vatikanischen Museen, einer der Gruppen anschließen, die jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag (im Winter nur samstags) von Führern durch die Gärten des Papstes geleitet werden. Das Unternehmen lohnt sich schon deswegen, weil es Normalsterblichen die in der Regel einzige Möglichkeit bietet, diese so imposante wie wunderschöne Parkanlage kennenzulernen – jedenfalls aus der Nähe.

Einen weiträumigen Überblick haben wir uns ja bereits von der Peterskuppel verschafft. Wer dabei so schlau war, ein eigenes Taschenfernrohr mitzunehmen, hat sich schon an das eine oder andere Detail heranzoomen können. Ohne Weiteres und mit bloßem Auge gut erkennbar sind aus der Vogelperspektive die sogenannten Leoninischen Mauern, die sich von der äußersten Westspitze der Gärten (von St. Peter aus links oben) vor den viel höheren heutigen Mauern nach rechts erstrecken, um nach Osten hin in Richtung Peterskirche abzufallen. Diese Mauern markierten bis zum Ende des Mittelalters die Grenze des Vatikans; sie sind der erhaltene Rest jener Befestigungsanlage, die Papst Leo IV. im neunten Jahrhundert errichten ließ, um den Vatikan und die Stadt Rom vor möglichen Einfällen der von der nahen Meeresküste vorstoßenden Sarazenen zu schützen.

Der von der Leoninischen Mauer umfasste Teil des Vatikanhügels war wesentlich kleiner als die heutige Gartenanlage, die fast die Hälfte der Fläche des Kirchenstaats bedeckt. Immerhin, Gärten gab es hier schon damals; sie dienten im Mittelalter allerdings vorwiegend dem Anbau von Obst, Gemüse und Getreide. Ihre Bedeutung als Ort der Erholung (und, nicht immer nur nebenbei, der Repräsentation) begannen die Gärten des Papstes erst mit Beginn der Neuzeit zu erlangen. Ablesbar ist diese Entwicklung an den nach und nach entstandenen Gartenschlössern und -villen innerhalb des Geländes: an der Ende des 15. Jahrhunderts durch Innozenz VIII. errichteten Sommerresidenz Belvedere (sie ist heute Teil der Vatikanischen Museen), der 50 Jahre später entstandenen Casina (»Landvilla«) Pius’ IV. oder, neueren Datums, dem Sommersitz, den Leo XIII. im Zentralbereich der Gartenanlage errichten ließ.

Die heutige Sommerresidenz der Päpste – wir werden später dort vorbeischauen – liegt außerhalb des Vatikans, in Castel Gandolfo. Erreichbar ist sie für den Papst von seinem (ebenfalls in den Vatikanischen Gärten gelegenen) Hubschrauberlandeplatz binnen weniger Minuten; schon aus diesem Grund werden die Gebäude in den Gärten heute allesamt zu anderen Zwecken als für die Erholung des Papstes genutzt.

Wie die kleinen und größeren Sommerresidenzen spiegelt die gesamte Parkanlage selbst den wechselnden Einfluss des Zeitgeistes auf die Garten- und Landschaftsarchitektur wider. Am auffälligsten ist der Kontrast zwischen den streng geometrisch und barock ornamental gestalteten französischen (oder, wie man hier meist sagt, »italienischen«) Gärten im südlichen, von der Peterskirche aus rechten Teil der Anlage und dem später, schon unter vorromantischen Einflüssen nach englischer Art angelegtem nördlichen Areal mit seinen waldähnlichen Hainen und hügeligen Wiesen, dem man das kunstvoll auf schöne Landschaftsperspektiven berechnete Arrangement erst auf den zweiten Blick ansieht.

Möglich wird diese Gartenpracht übrigens nur durch die Bodenbeschaffenheit des Vatikanhügels. Er besteht vor allem aus porösem Tuffgestein, dessen Hohl- und Zwischenräume natürliche Wasserspeicher bilden. Die daraus entspringenden Quellen stellten bis in die Neuzeit die gesamte Wasserversorgung des Vatikans sicher. Heute würden sie dafür nicht mehr ausreichen; diese Aufgabe erfüllt inzwischen eine riesige Zisterne, die zwar ebenfalls unter den Gärten liegt, aber vor allem durch Zuflüsse aus dem Braccianosee gespeist wird. Dieser 50 Kilometer nördlich von Rom in den Sabatiner Bergen liegende See ist nach seinem Hauptort Bracciano benannt, der mit dem nahe dem Vatikan gelegenen Bahnhof Roma San Pietro über eine S-Bahnlinie verbunden ist. Weswegen es, das nebenbei, für potenzielle Vatikanbesucher eine gute Idee sein könnte, ihr Quartier statt in einem der teuren und bis zur oberen Mittelklasse meist wenig attraktiven römischen Stadthotels an den Ufern des schönen Braccianosees zu suchen.

Das unterirdische Wasserreservoir erklärt auch die eindrucksvolle Pflanzenvielfalt der Vatikanischen Gärten. Viele ihrer botanischen Attraktionen liegen auf der offiziellen Besichtigungsroute. Die beginnt normalerweise an der Piazza Santa Marta, einem großen, sich bereits zu den Gärten hin öffnenden Platz links (südlich) der Apsis von St. Peter. Von dort geht man zwischen dem vatikanischen Bahnhof und dem überraschend pompösen »Regierungspalast« des Governatorato, also der für die weltlichen Verwaltungsbelange des Vatikanstaats zuständigen Behörde, hindurch und folgt dann zunächst der Viale dell’Osservatorio hügelaufwärts, vorbei an einem fast 200 Meter langen felsigen Hang, aus dem zahllose alpine und andere bunte Pflanzen sprießen, obwohl dort kein Kubikzentimeter Erde zu finden ist: kein Wunder des Heiligen Geistes, aber immerhin eines des Tuffgesteins.

Über diesen Blumenfelsen erreicht man einen kleinen runden Platz, der die geografische Mitte des Vatikans markiert; folgerichtig steht dort eine Statue des heiligen Petrus. Mehr als für diese interessieren sich die Besucher in der Regel aber für das weiß gekalkte kleine, mit einem winzigen Turm ausgestattete Häuschen daneben, das durchaus hält, was sein Name verspricht: Die Casina del Giardiniere (»Gärtnerhäuschen«) dient heute noch dem Chef der 27-köpfigen vatikanischen Gartenbrigade als Zivilwohnung.

Weiter oben, unmittelbar an der alten Leoninischen Mauer, erblickt man von hier aus ein Gebäude, das aus den offiziellen Gartenbesichtigungstouren stets ausgespart bleibt. Das ist sehr schade, obwohl es gewissermaßen in der Natur der Sache liegt: Dort, im Kloster Mater Ecclesiae, lebt eine Schar von Nonnen in strengster Klausur – freiwillig, aber vollkommen abgeschnitten von der Außenwelt. Das Merkwürdige daran ist, dass es sich bei ihnen nicht etwa um Angehörige eines bestimmten und besonders strengen Ordens handelt.

Die auch für kirchliche Verhältnisse sehr ungewöhnliche Leitidee der kleinen, erst von Papst Johannes Paul II. ins Leben gerufenen Institution ist die einer Klausur auf Zeit: Im Turnus von fünf Jahren wechseln Schwestern aus verschiedenen Ordensgemeinschaften und aus jeweils sieben verschiedenen Klöstern einander ab. Während dieser Zeitspanne legen sie sich weitgehend striktes Stillschweigen auf (Unterhaltungen sind nur nach dem täglichen Abendessen für eine halbe Stunde gestattet), verlassen den kleinen Klosterbezirk niemals und folgen strikt der alten Klosterregel »Ora et labora« (»Bete und arbeite«). Das Hauptgewicht liegt dabei eindeutig auf den gemeinsamen Gebeten, zu denen die Schwestern nach altem kirchlichen Ritus von frühmorgens (beim ersten Gebet, der Laudes, ist meist die Sonne noch nicht aufgegangen) bis abends immer wieder in der Klosterkapelle zusammenkommen.

Sie brauche die gemeinsamen Gebete, sagt Maria Sofia Cicchetti, die gegenwärtig den Schwestern von Mater Ecclesiae (zurzeit sind es Benedikterinnen) als Äbtissin vorsteht; die Gebete gäben den Tagen ihren Rhythmus. Und bitte, als langweilig oder bloß mechanisch-fromm möge man sich das auf keinen Fall vorstellen! Bis 2009 wird die gegenwärtige Klosterbesatzung noch bleiben – bleiben dürfen, sagt Mutter Maria Sofia. Schon heute ist sie sich sicher, dass ihr Aufenthalt hier eine große »Zeit für die Seele« war, eine Zeit des Friedens und vor allem, das ist ihr sehr wichtig, eine Zeit der Heiterkeit.

Dass neugierige Vatikantouristen geradezu das Extrem eines Störfalls darstellen würden, ist klar. Auf der Strecke bleibt deswegen auch unsere Neugier auf einen höchst irdischen Aspekt der Gemeinschaft von Mater Ecclesiae: Die Schwestern bestellen, das ist der »Arbeite«-Teil ihres selbst gewählten Auftrags, die letzten verbliebenen Nutzflächen in den Vatikanischen Gärten; aus ihren Beeten versorgen sie vor allem die päpstliche Küche mit Fenchel und Feldsalat, Lauch, Frühlingszwiebeln, Bohnen, Erbsen und anderem mehr. Und kultivieren nebenbei ein knappes Dutzend Orangen- und Zitronenbäumchen, was gelegentlich die Produktion eines »Limoncello alla Vaticana« zur Folge hat – »nur zum Verschenken natürlich«, versichert Mutter Maria Sofia mit einem kleinen Lächeln.

Doch leider, nicht einmal an den Zitronenlikör von Mater Ecclesiae kommt man als normaler Besucher heran. Stattdessen führt die Besichtigungstour nun hinauf zum großen, erst 1929 entstandenen Bau des Äthiopischen Priesterkollegs. Er ist ein Symbol für die manchmal fast unfassbare Traditionstreue des Vatikans: Das Vorrecht äthiopischer Priesterkandidaten, in dieser exklusiven Umgebung zu studieren und zu wohnen, geht auf ein äthiopisches Hospiz zurück, das 500 Jahre neben der kleinen, bis heute bestehenden Kirche Santo Stefano degli Abissini (genau hinter dem Petersdom) stand und 1911 zum Priesterseminar umfunktioniert wurde. Das Gebäude war schon kurz darauf bis zur Abbruchreife verfallen – nicht aber jenes Privileg der äthiopischen Seminaristen, dem Papst Pius XI. mit dem Neubau auf dem Vatikanischen Hügel seinen Respekt zollte.

Das Kolleg selbst kann man als Sehenswürdigkeit getrost vernachlässigen, anders als den gleich daneben sprudelnden, von einer Reihe afrikanischer Pflanzen wie Granatapfelbäumen und Bananenstauden umstandenen Delfinbrunnen. Unter alten Steineichen führt der Weg dann weiter hinaus zum höchsten Punkt der Vatikanischen Gärten. Dort oben ist seit 1902 die sogenannte »Lourdes-Grotte« installiert, eine getreue Kopie der Altargrotte im französischen Marienwallfahrtsort Lourdes.

Purer Kitsch und tiefe Frömmigkeit: Im Vatikan, das müssen selbst Skeptiker einräumen, kommt beides nur sehr selten zusammen; die Lourdes-Grotte ist eines der ganz wenigen Beispiele dafür. Wer sich daran allzu sehr stößt, sollte rasch hinübergehen zu der nahe gelegenen, von imposanten Dattelpalmen beschirmten kleinen Terrasse, die einen ungehinderten Blick über den barocken Teil der Gärten auf die Rückseite der Peterskirche erlaubt. Dafür, dass es zwischen den akkurat geschnittenen Hecken dieses französisch-italienischen Gartens nicht ganz so steif zugeht, wie es von hier oben aussieht, sorgt eine Schar ungewöhnlicher Bewohner: Die seit Langem in den Kronen der umliegenden Zedern nistenden Mönchssittiche, die mit ihren vorwitzigen Flugattacken und ihrem Papageiengeschrei immer wieder die über dem Park liegende Stille durchbrechen.

Die Gartentour führt nun hinüber zur alten Zentrale von Radio Vatikan und dem darüber in den Himmel ragenden Sendemast. Glaubt man Dan Browns berühmtem Vatikanthriller »Illuminati«, steht auf dem flachen Gebäude das Schild »Radio Vaticano« zu lesen. Das freilich ist nur einer der unzähligen Fehler, von denen dieses angeblich hervorragend recherchierte Buch nur so strotzt – was einen Reiseführerverlag übrigens nicht daran gehindert hat, sein Rombuch mit dem Aufdruck »Mit allen Originalschauplätzen aus ›Illuminati‹« zu dekorieren. Wer das für bare Münze nimmt und die »Originale« mit Browns Bestseller in der Hand abschreitet, wird vor allem eine Reihe von Enttäuschungen erleben. Ein »Radio Vaticano« beispielsweise gibt es nur in spanischsprachigen Ländern; auf Italienisch wie auf (Vatikan-)Lateinisch ist der oder das Radio weiblich. Deswegen stünde auf dem »flachen Gebäude« Radio Vaticana – wenn überhaupt etwas draufstünde. Tut es aber nicht und tat es nie, auch nicht in den Zeiten, als jenes (in Wirklichkeit eher hohe als flache) Gebäude tatsächlich noch die Sendezentrale von Radio Vatikan beherbergte. Das hat sich indes schon vor mehr als einem halben Jahrhundert geändert; in Wahrheit arbeitet dort kein Rundfunkjournalist mehr.

Das heutige Redaktionsgebäude von Radio Vatikan liegt gegenüber der Engelsburg, also außerhalb der vatikanischen Mauern. Und gesendet wird über eine moderne Sendeanlage 25 Kilometer außerhalb von Rom, die derart gut funktioniert, dass Radio Vatikan die Schwellenwerte der italienischen Verordnung gegen den Elektrosmog immer wieder überschritt; daher wird mittlerweile ein Teil der Sendungen zu Radio Montecarlo weitergeleitet und von dort aus ausgestrahlt.

Hinter der alten Radiostation erhebt sich der mächtige Johannesturm, ein Teil der mittelalterlichen Wehranlage des Vatikans, der von Johannes XXIII. renoviert und als privater Rückzugsort geschätzt wurde; heute werden dort zuweilen persönliche Gäste des Papstes untergebracht. Einmal nutzte aber auch der jetzige Papst den Turm: Benedikt XVI. zog sich mit dem amerikanischen Präsidenten George Bush jr. hierher zu einem Gespräch über die Weltlage zurück.

Der Weiterweg leitet uns nun im Rücken der Leoninischen Mauer hinab in den großzügig angelegten Englischen Garten. Während der gesamten Führung kommt man immer wieder an kleineren und größeren Brunnen vorbei. Der eindrucksvollste ist sicher der vor der tiefsten Stelle der Leoninischen Mauer liegende Adlerbrunnen. Der steinerne Aar, der ihm den Namen gab, thront auf einer großen Tuffsteingrotte, aus der sich eine Quelle wasserfallartig in einen kleinen, ebenfalls von Tufffelsen umgebenen See ergießt. Der Wasserfall verschafft den Besuchern angenehme Kühle. Und die ist einem sehr willkommen, da man während der Führung durch die Gärten nicht nur eine respektable Wegstrecke, sondern auch, im ständigen Auf und Ab, beachtlich viele Höhenmeter bewältigt hat.

Unter dem Wäldchen, das den Englischen Garten abschließt, steht das schönste der vielen Gartenbauwerke, die Casina Pius’ IV. Casina heißt Häuschen; aber was wir hier vor uns sehen, ist ein richtiggehendes kleines Sommerschloss. Das Hauptgebäude selbst, der Pavillon gegenüber, eine Loggia und ein Nymphäum (ein kleines Museum antiker Statuen) gruppieren sich um einen elliptischen Platz. Pius IV., der das bezaubernde Ensemble 1553 in Auftrag gab, nutzte die Casina übrigens auch als Jagdhaus, woraus unschwer zu schließen ist, dass die Vatikanischen Gärten zu dieser Zeit noch ganz anders ausgesehen haben – jenseits der Parkwiesen begann gleich die Wildnis.

Der Papst als Jäger: So etwas mag man sich mittlerweile gar nicht mehr vorstellen. Statt Hörnerklang und Hundegebell sind in diesem kleinen Schloss heute kultivierte Gelehrtendebatten zu hören: Die Casina beherbergt die Päpstlichen Akademien der Naturwissenschaften und der Sozialwissenschaften. Beide Institutionen fungieren als weltliche Beratungsgremien des Papstes; deren Mitglieder, hochrangige Wissenschaftler aus aller Welt, halten hier ihre Zusammenkünfte ab.

Jenseits der großen Autostraße, die die Gärten von der Peterskirche und den Papstpalästen trennt, sieht man von der Casina aus auf die Rückseite des Gebäudes, das die Vatikanische Bibliothek – nicht nur die älteste, sondern auch eine der größten und renommiertesten der Welt – und, im Erdgeschoss, das Päpstliche Geheimarchiv beherbergt. So geheim, wie sein Name es glauben macht, ist das Archiv keineswegs. Hier hinein wie in die Bibliothek kommt man dennoch nicht so leicht wie in die Vatikanischen Gärten; man braucht dazu einen Forschungsauftrag oder einen sonstigen Nachweis seines wissenschaftlichen Interesses.

Falls dennoch jemandem der Sinn nach extravaganten Privaterkundungen stehen sollte: Die Gartenführer achten am Ende der Besichtigungstour diskret, aber sorgfältig darauf, dass die Besuchergruppen das Gelände des Vatikanstaats wieder geschlossen verlassen.

Neugierig bleiben wir trotzdem. Doch bevor wir uns nun wirklich ins Innere des Vatikans wagen, versuchen wir es einmal mit dem Gegenteil: Wir brechen zu einem Spaziergang auf, der uns außen um den Vatikan herumführen wird.